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Artikel „Wutzer, Karl Wilhelm“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 379–381, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wutzer,_Karl_Wilhelm&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 03:46 Uhr UTC)
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Wutzer: Karl Wilhelm W., geschätzter Chirurg, war am 17. März 1789 in Berlin geboren, als Sohn eines Chirurgen und Badeinspectors zu Freienwalde an der Oder. Er erhielt seine Schulbildung auf dem dortigen Progymnasium und auf dem Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Berlin und wurde, um Militärchirurg zu werden, 1804 in die medicinisch-chirurgische Pepinière daselbst aufgenommen. Bei seinen Studien zeigte er ein besonderes, bis in sein hohes Alter gepflegtes Interesse für die Botanik, in welche er durch den Botaniker Willdenow, der ihn zu seinem Assistenten machte, eingeführt worden war. Eine entschiedene Vorliebe gewann er auch für die von Walter und Knape gelehrte Anatomie. Nach einer durch den unglücklichen Krieg von 1806 verursachten Unterbrechung seiner Studien wurde er 1807 Unterarzt im Charitékrankenhause und 1808 Compagniechirurgus in der Armee, der er in den Garnisonen Colberg, Potsdam und Berlin angehörte. Seine gediegenen Kenntnisse und seine sonstige Tüchtigkeit lenkten bald die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten und namentlich des Leiters des Militärsänitätswesens, Görcke, auf ihn, so daß er 1812 eine Anstellung als Oberarzt und Lehrer an der Pepinière erhielt, während er selbst eifrig seine wissenschaftliche Ausbildung zu vervollständigen fortfuhr. Nach Ausbruch des Befreiungskrieges 1813 hatte er als Oberarzt bei einigen Haupt-Feldlazarethen [380] in Sachsen, Schlesien, Böhmen eine große Zahl von Kranken und Verwundeten zu behandeln, wurde dabei selbst auch vom Typhus befallen und kam nach seiner Genesung bis nach Paris. Die Feldzüge hatten ihm Gelegenheit gegeben, seine unerschütterliche Gewissenhaftigkeit, seine strengste Pflichttreue zu erproben, seine Kenntnisse zu erweitern und dabei auch die schlesischen, böhmischen und rheinischen Badeorte und die Hospitäler von Paris und Brüssel kennen zu lernen. Sehr unerwartet für ihn ernannte die medicinische Facultät zu Erfurt ihn am 12. Januar 1814 zum Dr. med. et chir. und bald darauf rückte er auch zur Stellung eines Stabsarztes auf, als welcher er theils als Repetent, theils als selbständiger Lehrer thätig zu sein hatte. Gleichzeitig benutzte er eifrig die ihm gebotene Gelegenheit, bei der Berliner Universität noch Vorlesungen zu hören, legte 1815–1816 die medicinische Staatsprüfung zurück und habilitirte sich 1817 mit der sehr sorgfältigen Monographie „De corporis humani gangliorum fabrica atque usu“ (4° c. 2 tabb.) bei der Universität als Privatdocent. Eine nach seiner Habilitation auf Kosten der Regierung unternommene Studienreise gab ihm Gelegenheit, nicht nur die vorzüglichsten Universitäten Deutschlands, sondern auch Frankreichs, Italiens und Englands kennen zu lernen und sich mit den Sprachen jener Länder vertraut zu machen. Die Verpflichtung für seine nach dem Tode des Vates völlig ohne Mitte! zurückgebliebene Mutter zu sorgen, nöthigte ihn, die akademische Laufbahn vorläufig aufzugeben und eine Stellung als Regimentsarzt anzunehmen. Er kam als solcher nach Wesel und Torgau und 1821 nach Münster, wo er die erwünschte Gelegenheit fand, zum Lehrberufe zurückzukehren, indem daselbst in jenem Jahre eine chirurgische Lehranstalt errichtet wurde, zu deren Director und erstem Lehrer W. ernannt und mit dem Vortrage der Anatomie und Chirurgie, sowie mit dem klinischen Unterricht betraut wurde. Nachdem er eine Anzahl von Jahren diese Anstalt geleitet und sie zur Blüthe gebracht hatte, wurde er 1830, als Nachfolger Weinhold’s auf die chirurgische Lehrkanzel nach Halle berufen, übernahm indessen schon nach kurzer Zeit die durch den Abgang Philipp’s v. Walther erledigte chirurgische Klinik in Bonn, an der ihm viele Jahre zum Segen der Universität zu wirken vergönnt war, sodaß eine sehr große Zahl von Aerzten in Rheinland und Westfalen aus seiner Schule hervorgegangen ist. Es wurde ihm nicht schwer, in seinem klinischen Unterricht seinen schweigsamen und zu naturphilosophischen Speculationen geneigten Vorgänger zu übertreffen, indem er mit außerordentlicher Gründlichkeit und Pünktlichkeit, die er auch von seinen Schülern verlangte, seine Lehrthätigkeit ausübte, sodaß er auch die trägsten und in der Beobachtung ungelenksten unter seinen Zuhörern anzuregen verstand. – Bei der Verlegung der delegirten Examencommission nach Bonn wurde W. Director derselben, ein Amt, das er mit großer Gerechtigkeit und unermüdlicher Pflichttreue bis an sein Ende bekleidete. Als 1850 sich in einem seiner Augen der graue Staar immer deutlicher entwickelte und 1855 auch das andere Auge zu erblinden anfing, nahm er in diesem Jahre, nachdem er noch einmal die Rectorwürde bekleidet hatte, seinen Abschied, machte aber noch vor völliger Erblindung im J. 1856 nach der Gegend der unteren Donau und einem Theile Westasiens eine Reise, die er in einem zweibändigen Werke (1860) beschrieb. Seine medicinischen litterarischen Productionen, die sich auf 52 Nummern belaufen und außer Berichten über die med.-chirurg. Lehranstalt in Münster, hauptsächlich aus Aufsätzen in Rust’s Magazin, Graefe und Walther’s Journal, Müller’s Archiv und dem von ihm zusammen mit seinen Bonner Collegen herausgegebenen Organ für die gesammte Heilkunde und der Rheinischen Monatsschrift für praktische Aerzte, sowie in der Deutschen Klinik bestehen und den Zeitraum von 1818 bis 1858 umfassen, würden am Ende seines Lebens noch zahlreicher gewesen sein, wenn er nicht durch sein Augenleiden [381] sehr erheblich gehindert gewesen wäre. – Von seinen Verdiensten um die Chirurgie ist Folgendes hervorzuheben. Abgesehen davon, daß er vermöge seiner vollendeten anatomischen Kenntnisse ein vorzüglicher Operateur war, hat er sich um die Ausbildung einzelner Operationen besonders verdient gemacht, so um die Radicalheilung beweglicher Leistenbrüche, die Sehnendurchschneidung bei Verkrümmungen, die Operation der Blasenscheidenfistel, die Elythroplastik und Epistorrhaphie, die Operation des Dammrisses u. s. w. Sein besonderes Augenmerk richtete er auch auf die Salubritätsverhältnisse der Hospitäler, wie seine Abhandlungen über epidemische Rose und über die gesundheitlichen Verhältnisse der Stadt Bonn beweisen. Seine Erfahrungen über chirurgische Gegenstände pflegte er in vielen casuistischen Mittheilungen und in einer Anzahl von Dissertationen seiner Schüler niederzulegen. Der durch hervorragende Tugenden und vortreffliche Eigenschaften als Arzt und Mensch ausgezeichnete Mann, ein Ehrenmann durch und durch, der bei Gelegenheit seines 50jährigen Dienstjubiläums (1858) zum Geh. Ober-Medicinalrath ernannt worden war, wurde sehr unerwartet und plötzlich am 19. September 1863 dem Leben entrissen.

C. O. Weber in v. Langenbeck’s Archiv für klinische Chirurgie. Bd. 5. 1864. S. 342.