Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Willdenow, Karl Ludwig“ von Clemens König in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 252–254, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Willdenow,_Karl_Ludwig&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 04:16 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Wille, August
Band 43 (1898), S. 252–254 (Quelle).
Carl Ludwig Willdenow bei Wikisource
Carl Ludwig Willdenow in der Wikipedia
Carl Ludwig Willdenow in Wikidata
GND-Nummer 117387436
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|43|252|254|Willdenow, Karl Ludwig|Clemens König|ADB:Willdenow, Karl Ludwig}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117387436}}    

Willdenow: Karl Ludwig W., Botaniker, wurde am 22. August 1765 in Berlin geboren. Sein Vater Karl Johann W. war daselbst Apotheker und hatte sich den Plan gemacht, daß sein einziger Sohn das wohl eingerichtete Geschäft im eigenen Hause einmal übernehme und weiterführe. Der Knabe, der sich zur Freude seiner Eltern entwickelte, mit Erfolg das Gymnasium besuchte und Wohlgefallen am Apothekergewerbe fand, trat daher bei seinem Vater in die Lehre und arbeitete, von tüchtigen Männern geleitet, privatim wacker weiter. Klaproth, der durch seine Mineralanalysen und chemischen Schriften hochgeschätzte Forscher, hatte den chemischen und Onkel Gleditsch, ein ausgezeichneter Pflanzenkenner und der erste Aufseher am botanischen Garten, hatte den botanischen Unterricht übernommen. Nach diesem trefflichen Vorbereitungsunterrichte bezog der junge W. die beste Apothekerschule, die es damals gab, die Wiegleb’sche Anstalt in Langensalza. Hier, in der Vaterstadt Hufeland’s, bestand er Ostern 1785 sein Examen, und des Vaters Wunsch schien sich zu erfüllen. Allein der junge Pharmaceut strebte weiter. Statt in einer Apotheke eine Stelle anzunehmen, zog er auf die Universität Halle, um Medicin zu studiren. Im Februar 1789 promovirte er daselbst, und nun ließ sich der junge Arzt in seiner Vaterstadt nieder, wo für ihn die Umstände ganz besonders günstig lagen; denn niemand war hier gerade vorhanden, der in den beschreibenden Naturwissenschaften, besonders in Botanik unterrichten konnte, und W. war auf diesem Gebiete gut bewandert.

Von Kindheit an liebte er die Pflanzen und ihr Studium. Zunächst sammelte er Raupen, um Schmetterlinge daraus zu ziehen; aber bald interessirten den Knaben die herbeigeschafften Futterpflanzen mehr als die Thiere. Er fing an, Zweige und Blüthen zu trocknen, zu pressen und auf Papier aufzukleben. In Töpfen und Kästen, die er auf dem Dache eines Hinterhauses stehen hatte, führte er seine ersten Zucht- und Culturversuche aus. Onkel Gleditsch wußte diesen Forschertrieb zu unterhalten und in die rechte Bahn zu lenken, vor allem durch den Unterricht, den er dem Apothekerlehrlinge ertheilte. Aus dieser Zeit stammen die ersten Anfänge des Herbariums, das er eifrig bis zu seinem Tode weiterführte. Um seine „Freilandversuche“ in größerem Stile betreiben zu können, hatte ihm Gärtner Bouché[WS 1] aus Gefälligkeit einige Beete in seinem Garten überlassen. An der Seite Sprengel’s, des viel zu spät bekannt gewordenen „Entdeckers des Geheimnisses der Natur“, lernte er den Standort mancher seltenen Pflanzen in der Umgebung Berlins kennen. Jeder Spaziergang war für ihn eine botanische Excursion, und so fleißig wie in Berlin, ebenso fleißig wurde von ihm in Langensalza und in Halle botanisirt. Aus den Sommerferien, die ihn kreuz und quer bald durch Thüringen, bald durch den Harz führten, und zwar in Begleitung seines Freundes Klein[WS 2], des späteren Missionsrathes, brachte er stets reiche Pflanzenschätze mit nach Berlin. Sein Herbarium sollte alle Arten Nord- und Mitteldeutschlands in ausreichenden Exemplaren enthalten, ein Ziel, das er schon als Student erreichte und das schon im J. 1787 die Herausgabe seines Erstlingswerkes, der Berliner Flora („Prodomus florae Berolinensis“) möglich machte. Das Büchlein fand in Fachkreisen eine gute Aufnahme und erwarb ihm viele Freunde; es führte ihn auch mit Alexander v. Humboldt zusammen (1788), der ihn in Berlin oft aufsuchte, um sich von ihm allerlei Pflanzen, besonders Kryptogamen erklären und bestimmen zu lassen. Die ausländischen Pflanzen, die Humboldt hier sah, erweckten auch in ihm den Wunsch, diese Länder zu besuchen. In der naturforschenden Gesellschaft zu Halle, deren Mitglied W. geworden, genoß er vielerlei Anregung und Belehrung. Hier studirte er auch die älteren und neueren Werke der botanischen Litteratur und die Reisebeschreibungen, die floristische Angaben enthielten. [253] Diese Berichte und die japanischen Pflanzen, die er von Thunberg[WS 3] erhielt, steigerten nicht wenig seine Sehnsucht nach den tropischen Florengebieten. Auch seine Doctorarbeit behandelt ein botanisches Thema. W. war also nur äußerlich Apotheker und Mediciner; seinem innersten Wesen nach war er vielmehr Botaniker, und das sollte er in Berlin bleiben und noch mehr werden, nachdem er einen schweren Conflict glücklich gelöst hatte, den Conflict zwischen seiner Reiselust und seiner Liebe zu Henriette Luise Habermus. Mit dieser jungen Dame hatte sich W. verlobt, und sein Vater, der seit 1786 Wittwer war und sich jetzt (1789) gar nicht recht wohl fühlte, freute sich, seinem Sohne das häusliche Heim recht hübsch herrichten zu können. Mitten in diesen Vorbereitungen starb Vater W. im Januar 1790. Darauf folgte eine unerwartete Freude, nämlich von Rußland her die Einladung, als Naturforscher an der geplanten Weltumseglung theilzunehmen. Sollte er dieser ehrenden Aufforderung, die vielleicht kein zweites Mal wiederkehrte, folgen und seine Wander- und Forscherlust befriedigen oder sollte er hier bleiben und sich vermählen? Er entschied sich nach langem Schwanken für das nähere und sichere Ziel; er vermählte sich am 1. November 1790 und wirkte und forschte fortan in Berlin. Er ward der geistige Mittelpunkt aller jungen Leute, welche die beschreibenden Naturwissenschaften pflegten. Mit ihnen ging er botanisiren, ihnen ertheilte er Unterricht, und er hatte eine „große Menge Zuhörer“. Um seinen Unterricht klar, inhaltsreich und fesselnd zu machen, suchte er unaufhörlich nach geeignetem Material sowol in der Natur, wie in den Werken seiner Bibliothek. Aus dieser Stoffansammlung entstand ein Buch, das in Berlin sieben Auflagen, in Wien zwei besondere Ausgaben und außerdem mehrere Uebersetzungen in fremde Sprachen erlebte, sein berühmter „Grundriß der Kräuterkunde“ (Berlin 1792). Die Aufnahme, die sein Handbuch fand, entschied die Richtung, die sein Leben und Wirken nehmen sollte; er blieb, so lange er lebte, der erste wissenschaftliche Vertreter der Botanik in Berlin. Am 2. Februar 1798 wurde ihm die ordentliche Professur der Naturgeschichte beim königlichen Collegio medico chirurgico übertragen; drei Jahre später ward er „zum Botanisten der Akademie der Wissenschaften und zum öffentlichen Lehrer der Botanik (beim Forstdepartement und bei der Pépinière) bestellt“, und als Friedrich Wilhelm III. in Berlin 1809 die Universität ins Leben rief, wurde W. auf den Lehrstuhl der ordentlichen Professur für Botanik berufen. Am 10. Juli 1812 starb W. viel zu frühe für die Wissenschaft. Seine Frau verlor einen zärtlichen Gatten, sein Sohn, sein einziges Kind (geb. 1795), einen liebevollen, fürsorgenden Vater, seine Freunde und Schüler einen sanften, wohlwollenden, dienstbereiten Freund und Lehrer. W. war ein fleißiger Schriftsteller und ein ausgezeichneter Kenner der heimischen und fremdländischen Flora. Sein Herbarium zählte weit über 20 000 Arten und enthielt die meisten Originalexemplare von denjenigen Pflanzen, die neu entdeckt und neu beschrieben waren. Linné’s[WS 4] Species plantarum, die er neu herausgab, zeugen von seiner echt deutschen Gelehrsamkeit. Als Director des botanischen Gartens verfolgte er nicht nur wissenschaftliche, sondern auch praktische Fragen, welche den Obst- und Gartenbau fördern halfen. Er war kein einseitiger Systematiker, sondern ein Botaniker, der den wissenschaftlichen Vergleich übte und der den neueren Ideen durch sein stilles, nachhaltiges Wirken zum Siege verhalf. Ist er doch der geistige Urheber der „Ideen zu einer Geographie der Pflanzen“, die sein großer Freund Alex. v. Humboldt in einer besonderen Schrift zur Debatte stellte. W. hatte diese Fragen bereits in dem „trefflich ausgearbeiteten Abschnitte“ (sagt Humboldt) von der Geschichte der Pflanzen in seinem Grundrisse aufgeworfen und beleuchtet. Er hat zuerst die Scheidelinie zwischen der europäischen und der mediterranen Flora gezogen, [254] zuerst die drei großen Florengruppen unterschieden, die wir jetzt die boreale, die tropische und die australische Florenreichsgruppe nennen, zuerst die drei großen pflanzengeographischen Mittelpunkte aufgefunden, die wir kurz als das klimatologische, das geologische und das biologisch-migratorische Problem zu bezeichnen pflegen. Interessant ist seine Idee, die Schöpfungscentren oder die Verbreitungsmittelpunkte der verschiedenen Floren auf die Gipfel der verschiedenen Hauptgebirge unseres Erdballes zu verlegen. Wäre W. nicht so früh gestorben, so würden wir seiner Hand das Werk verdanken, das sein Schüler K. S. Kunth herausgegeben, nämlich Humboldt’s Nova genera et species plantarum. Auf Humboldt’s Bitte: „Sei barmherzig, dieses Werk zu übernehmen. Hier ist ein Vorschlag. Du kommst mit Frau und Kind hierher“, unternahm W. seine zweite Reise. Die erste hatte ihn (1804) durch Oesterreich über die Alpen nach Norditalien geführt. Auf der zweiten Reise (1810) lernte er Holland, Belgien und Frankreich kennen. Mehrere Monate hindurch arbeitete er fleißig in den Herbarien, die Humboldt aus Südamerika mit nach Paris gebracht hatte. Krank kehrte W. heim; der Keim des Todes steckte in ihm und ließ ihn das große Werk, das er begonnen, nicht vollenden. Zwischen Humboldt und W. bestand eine so innige Freundschaft, wie etwa zwischen Schiller und Goethe. W. war Botaniker und Pflanzengeograph, Humboldt dagegen stand auf einer viel breiteren Basis; er beherrschte die gesammten Naturwissenschaften.

Eine Zusammenstellung der Schriften und Aufsätze Willdenow’s ist in nachstehenden Abhandlungen gegeben: v. Schlechtendal[WS 5], Karl Ludwig Willdenow im Magazin d. Ges. naturforsch. Freunde, Berlin 1814, Bd. 6, S. V bis XVI.[WS 6] – Clemens König, Die historische Entwicklung der pflanzengeogr. Ideen Humboldt’s in der naturw. Wochenschr. von Potonié[WS 7], Berlin 1895, S. 77–81, 95–98 u. 117–124.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Pierre Bouchè (1703–1784) oder dessen Sohn Jean David Bouché (1747–1819), Gärtner in Berlin.
  2. Johann Gottfried (oder Gottlieb?) Klein (1766–nach 1803), Missionsarzt in Tranquebar (Ostindien). Sein Vater Jacob Klein (1721–1790), ebenfalls Missionar in Tranquebar, wird bei Friedrich Schwartz erwähnt.
  3. Carl Peter Thunberg (1743–1828), Professor für Medizin und naturalistische Philosophie in Uppsala.
  4. Carl von Linné (1707–1778), Professor für Botanik in Uppsala.
  5. Diederich Friedrich Carl von Schlechtendal (1767–1842), Stadtgerichtsdirector in Berlin, später Oberlandsgerichtspräsident in Paderborn. Vater von Diederich Franz Leonhard von Schlechtendal.
  6. Der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin Magazin
  7. Henry Potonié (1857–1913), Botaniker in Berlin.