ADB:Westphalen, Ernst Joachim von

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Artikel „Westphalen, Ernst Joachim von“ von Carsten Erich Carstens in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 218–221, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Westphalen,_Ernst_Joachim_von&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 13:22 Uhr UTC)
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Westphalen: Ernst Joachim von W., Gelehrter, Staatsmann. Er war geboren am 21. März 1700 zu Schwerin, wo sein Vater Georg Westphal Prediger an der Cathedrale war. Der Sohn wollte sich dem juristischen Studium widmen. Schon mit 16 Jahren Maturus bezog er 1716 die Universität Rostock, ging 1719 auf die Universität Halle und 1721 nach Jena, wo er am 26. Juli rite zum Dr. juris promovierte. (Diss. inaug. „De praecognitis circa genuinam originem potentatus principum germanici“.) Er las hier ein Semester als Privatdocent, ging dann aber auf Reisen, bis er 1724 zurückgekehrt sich in Rostock als Hofgerichtsadvocat niederließ, zugleich aber sich als Privatdocent an der Universität habilitirte. Hier las er als der Erste deutsches Recht und ward dadurch gewissermaßen epochemachend. Bis an sein Ende hat er überhaupt für das deutsche Recht geschwärmt. Der Tod seines Bruders Johann Bernhard W., der 1696 geboren seit 1721 Prediger in Hamburg (Hamb. Schriftstellerlex. VII, 636) war, aber schon 1726 krank ins Elternhaus zurückgekehrt und 1727 dort gestorben war, veranlaßte unsern W. nach Hamburg zu reisen, um dort die Angelegenheiten des Bruders zu ordnen. Es gefiel ihm hier derart, daß er beschloß hier zu bleiben und von nun an anfing als Advocat hier zu prakticiren. In Hamburg hatte ihn der Herzog Karl Friedrich von Holstein-Gottorp kennen gelernt und er berief ihn bereits 1730 (6. Mai) zum ersten Bürgermeister seiner Stadt Kiel. W. schritt nun rasch vorwärts bis zu den höchsten Aemtern. Am 21. März 1732 ward er Legationsrath und geheimer Secretär, am 14. December ej. a. zugleich Vicepräsident des Oberconsistoriums, das vom geheimen Conseil getrennt ward, nachher 1747 jedoch wieder mit demselben verbunden. Am 2. August 1734 ward W. Curator der Universität, am 11. April 1736 Hofkanzler und Mitglied des geheimen Raths. Im großfürstlichen Archiv, welches, früher in Kiel, jetzt einen Theil des großherzogl. Archivs in Oldenburg bildet, finden sich zahlreiche Schriftstücke von seiner Hand, welche seine hervorragende Geschäftstüchtigkeit bezeugen. So z. B. eine Vorstellung, betr. die Organisation der Verwaltung im großfürstl. Antheil von Holstein; [219] ein Bedenken über die Administration des Landes während der Minderjährigkeit des Herzogs sowie über die Frage, ob gegen die Mitglieder der früheren Regierung irgend welche weiteren Schritte vorzunehmen seien. Seinem Einfluß ist offenbar auch die Berufung seines Bruders Heinrich Christian zu danken (s. u.). Am 20. April 1737 belehnte ihn der Herzog mit dem Mühlenhof in Hamburg und verlieh ihm den von ihm 1735 gestifteten St. Annenorden; am 9. August 1738 wurde er vom Kaiser in den erblichen Adelstand erhoben. Die Familie war ursprünglich eine adelige; hatte aber darauf im Laufe der Zeit verzichtet. 1745 erhielt er den russischen Alexander-Newskiorden und am 29. December dieses Jahres ward er zum wirklichen Geheimrath ernannt. In diesen hohen Stellungen hat W. natürlich einen großen zeitweilig entscheidenden Einfluß auf die Verwaltung des herzoglichen Landes, d. h. des Gottorpischen (großfürstlichen) Antheils von Holstein mit der Hauptstadt Kiel, geübt. Es ist nicht gerade unnatürlich, daß darum auch eine Opposition sich bemerklich machte, wobei allerdings auch zunächst Mißgunst gegen den „Ausländer“ mit im Spiele gewesen ist. – Er ward beim Herzog (auf Karl Friedrich war Karl Peter Ulrich, Kaiser Peter III. von Rußland, s. A. D. B. XXV, 469 gefolgt) in ein übles Licht gestellt und seine Gegner wußten ihr Ziel auf einem Umweg in der schmählichsten Weise zu erreichen.

In Anlaß der von dem gottorpischen Gesandten in Stockholm Geheimrath v. Holmer dem regierenden Herzoge gegenüber bewiesenen Renitenz ward eine Untersuchung wider Holmer verfügt, die aber auf den Antrag des später als v. Ellendsheim geadelten Syndikus Elend, mit Umgehung der ordentlichen Gerichte, einer außerordentlichen mit besonderen Vollmachten und weitgehender Competenz ausgestatteten Commission überwiesen ward. Die Instruction für diese Commission war von Elend, der mit W. verfeindet war, ausgearbeitet, und zwar ein bestimmtes Ziel, der Sturz Westphalen’s vor Augen. Elend ward Mitglied dieser Commission. Die Zustimmung derselben zu den wider W. geplanten Verfolgungen sicherte Elend sich unter Anwendung der verwerflichsten Mittel. Am 24. September 1750 ward bei dem Etatsrath Heinrich W. (s. u.) eine Haussuchung vorgenommen, seine Papiere wurden mit Beschlag belegt und er selbst gefänglich eingezogen. Unterm 12. December 1750 ward wider Ernst Joachim v. W. Hausarrest verfügt und unterm 2. December 1752 ward wider denselben erkannt, daß er durch pflichtwidrige Mittheilung der Acten des geheimen Conseils und durch seine Briefe dem Etatsrath H. Westphalen das Material geliefert zu den von diesem in seinen Briefen an den russischen Envoyé v. Korff und den Obersten v. Schildt wider Holmer und andere Mitglieder der Regierung in Kiel erhobenen, angeblich falschen Anklagen, und daß er dieserhalb mit Amtsenthebung und dem Verlust seiner Würden zu bestrafen, auch schuldig sei die Kosten dieses Accusationsprocesses in solidum mit dem H. Westphalen zu erstatten und das während der Untersuchung gehobene Gehalt zu restituiren.

Ernst Joachim v. W. verschmähte es irgend welche Schritte gegen dies Erkenntniß zu versuchen, dem er Folge leistete auch in Beziehung auf die Erstattung der ansehnlichen Proceßkosten und der Restituirung der von ihm seit Einleitung des Processes bezogenen Gage. Er behielt seinen Wohnsitz in Kiel und lebte hier in stiller Zurückgezogenheit den Wissenschaften, während mit seinen vielen Freunden und Verehrern sich selbst frühere Gegner vereinigten um ihm die allgemeine Sympathie und Anerkennung seiner Wirksamkeit auszudrücken. Die dänische Regierung machte ihm wiederholt Anträge wegen Beförderung in dänische Dienste und zwar unter sehr vortheilhaften Bedingungen, die davon Zeugniß gaben, wie großen Werth man darauf legte, ihn für den dänischen [220] Dienst zu gewinnen. Er glaubte indessen unter den obwaltenden Umständen auf diese Anträge nicht eingehen zu können und eine Genugthuung seitens des Herzogs Peter von Holstein-Gottorp erwarten zu dürfen, der bekanntlich als Großfürst-Thronfolger von Rußland seinen Wohnsitz in Petersburg behalten und den Anträgen seiner holsteinischen Unterthanen schwer zugänglich war. Es gelang endlich dem Justizrath Pustian, der zu diesem Endzweck nach Petersburg sich begeben, zu dem Großfürsten Zutritt zu erlangen und diesen über die Westphalen’sche Sache aufzuklären und es war dem Conseilminister Pechlin, der an der Verfolgung der W. einen wesentlichen Theil hatte, indem er den Ränken des Elend Vorschub geleistet, beschieden, die großfürstliche Restitutionsacte d. d. Oranienbaum 25. Juni/6. Juli 1756 zu expediren, in welcher das Verfahren wider den Geheimrath v. W. als null und nichtig erklärt, die fragliche Urthel, s. w. d. a., gänzlich vernichtet und W. in seine früheren Würden und Amtsstellungen im geheimen Regierungsconseil sowie als Curator der Universität wieder eingesetzt ward, mit dem Hinzufügen, daß wegen der erlegten Strafgelder die gnädigste Versicherung der Zurückzahlung zugleich ertheilt werde, sobald es der Kammercasse möglich und erträglich fallen werde. – Die Reactivirung Westphalen’s erregte in Holstein allgemeine Freude. Die Schleswig-Holsteinischen Anzeigen leiteten die Mittheilung der Restitutionsacte mit den Worten ein: „Tandem bona causa triumphat“. Die Kieler ließen die Straßen von der Wohnung Westphalen’s in der Holsten-Straße bis nach dem Schlosse, wo er seine Geschäftslocale erhielt, festlich schmücken und mit Blumen bestreuen, die Universität, verschiedene Beamte und Privatpersonen sprachen W. ihre Theilnahme und Freude über seine Restituirung schriftlich aus. Seine feierliche Wiedereinsetzung, die am 27. Juli 1756 erfolgte, ward in Gedichten verherrlicht und die philosophische Facultät krönte die Verfasserin eines dieser Gedichte Maria Scheel, geb. Francke, als Dichterin. – Der Geheime Rath W. ward aber nicht nur in seine früheren Aemter wiedereingesetzt, sondern auch wiederholt in besonderen Fällen mit den wichtigsten Missionen von dem Herzog betraut und mit seinem vollen Vertrauen beehrt.

Ueber Westphalen’s redlichen Sinn liegen treffliche Zeugnisse vor in seinen jetzt im Schleswiger Staatsarchiv befindlichen Privatpapieren, aus denen zum ersten Male Fürsen 1824 und 1825 in den schleswig-holsteinischen Provinzialberichten Mittheilung gemacht hat. W. erscheint danach als ein frommer Christ und gewissenhafter Haushalter. Vielfach kränkelnd, nicht an einer bestimmten Krankheit, sondern an nervösen Beschwerden leidend, dachte er oft an einen baldigen Tod. Schon 1735 traf er Anordnungen für sein Begräbniß, denen er bald Nachweisungen über seine zeitlichen Umstände folgen ließ. 1745 hätte er sich fast die Ungnade des Großfürsten Peter zugezogen, weil er wegen seiner schwachen Gesundheit einem Ruf nach Petersburg nicht Folge leisten konnte.

Viel Kummer und Verdruß hat er in seiner durch Scheidung aufgelösten ersten Ehe mit der hamburger Wittwe Sassen erduldet. Noch als er, seit dem 21. März 1734 wieder verheitathet mit Frau Margaretha Apollonia v. Strycken geb. v. Cronhelm, mit dieser, seinem treuen Gretgen, in glücklichster Ehe lebte, bat er, Gott möge seiner ersten Frau alle Bosheit und Sünde vergeben, während er zugleich dem gütigen Gott dafür dankte, daß er ihn von dieser seiner fünfjährigen Drängerin, Feindin, ja Mörderin seiner Gesundheit und seines Lebens errettet habe.

In seinen wissenschaftlichen Bestrebungen fand er von allen Seiten Unterstützung. Ein dauerndes Ehrendenkmal hat er sich gesetzt durch seine zu Leipzig von 1739–1745 in vier Foliobänden erschienenen „Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue Cimbricarum et Megapolensium“ ein Werk, welches [221] noch heutigen Tages nicht unberücksichtigt bleiben darf, wenngleich die Texte der mitgetheilten Urkunden durch Druck- oder Lesefehler sehr häufig bis zur Unbenutzbarkeit entstellt sind. Westphalen’s übrige zahlreiche gedruckte und handschriftliche Arbeiten verzeichnet Meusel im Lexicon XV, 62 ff.

Ohne Nachkommen zu hinterlassen starb W. an seinem Geburtstage, dem 21. März, im J. 1759. Daß dies sein Todestag sein werde, soll er selbst ahnungsvoll vorausgesagt haben. Seine geliebte Frau Margarethe hat ihn nur um dreizehn Monate überlebt. Beide sind hinter dem Altar der Kieler Nicolaikirche beigesetzt.

Brucker, Pinacotheca virorum illustrium et eruditorum, Dekade VII 1748 (v. Dreyer). – Weidlich, Geschichte jetzt lebender Rechtsgelehrter in Teutschland II 619. – Meusel, Lex. d. von 1750–1800 verstorb. teutschen Schriftsteller XV, 61. Lpz. 1816. – Kobbe, Schlesw.-holst. Gesch. v. Tode Chr. Albrechts. Altona 1834, S. 197 ff. – Schl.-Holst. Prov.-Ber. 1818, II, 135; 1816, V, 509; 1824, IV, 110; 1828, IV, 686. – Falck, Abhdl. a. d. Anz. II, 89 u. 220. Dessen Archiv I, 293. – Nordd. Studien II, 266, 268. – H. Ratjen, Dreyer und Westphalen. Kiel 1861. – J. Fr. Noodt, Annales 1721–55. Manuscr. d. Kiel. Univ.-Bibl.; vgl. Ratjen, Handschriftenkunde I, 174; II, 226 ff.; III, 229 ff. – Zur Geschichte der wider die Westphalen verübten Cabinetsjustiz ist die Correspondenz des Syndikus Elend mit dem Conseilminister Baron Pechlin von Wichtigkeit, durch welche die Vergewaltigung der Westphalen in ihrer ganzen Widerwärtigkeit bloßgelegt wird. Diese Briefe kamen nach dem Ableben Pechlin’s an das großfürstliche Archiv in Kiel und 1773 mit diesem an den Fürstbischof in Eutin und schließlich an das großherzogliche Haus- und Central-Archiv in Oldenburg, wo sie sich finden: 2. Abth. II. Nr. 1. S. 32.