ADB:Wedekind, Georg Freiherr von

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Artikel „Wedekind, Georg Christian“ von Karl Georg Bockenheimer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 396–398, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wedekind,_Georg_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2024, 05:55 Uhr UTC)
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Wedekind: Georg Christian W., geboren am 8. Januar 1761 zu Göttingen, erhielt den ersten Unterricht auf dem Gymnasium und die Heranbildung zu dem von ihm erwählten ärztlichen Berufe auf der Hochschule seiner Vaterstadt. Nach Beendigung seiner wissenschaitlichen Vorbereitung (1780) wirkte W. als Arzt erst in Uslar und dann (seit 1782) in Diepholz. Durch Veröffentlichung einer Reihe von Beiträgen für medicinische Fachblätter kam W. in Beziehungen zu dem als Arzt und Schriftsteller in hohem Ansehen stehenden und in den weitesten Kreisen gefeierten kurmainzer Leibarzte Christoph Ludwig Hoffmann, der dem vielversprechenden jungen Mann erst eine Berufung nach Mühlheim a. Rh. als Stadt- und Landphysicus und dann (1787) nach Mainz als Arzt des Kurfürsten und als Professor der Therapie an der neugestalteten Hochschule verschaffte. Rechtfertigte nun auch W. durch seine Leistungen den an ihn ergangenen Ruf in vollem Maße, so verstand er es nicht, auf die Dauer das Wohlwollen seines Gönners sich zu erhalten, wodurch er am kurfürstlichen Hofe, der Hoffmann hoch hielt, sich geradezu unmöglich machte. Blieb dem alsbald vom Hofe entfernten W. die Stellung als Universitätslehrer, mit welcher eine ausgebreitete ärztliche Thätigkeit verknüpft war, so schien W. die Entfernung vom Hofe nicht so leicht zu verwinden, wie man das von einem geistig so hoch stehenden Manne hätte erwarten sollen. Mit Beginn der französischen Staatsumwälzung, die auf die Zustände in den deutschen Ländern am Rhein nicht ohne Einfluß war, schloß W. sich an einen Kreis von mißvergnügten Mainzer Beamten und Gelehrten an, welche sich an den Reden der hervorragendsten Mitglieder der französischen Nationalversammlung für die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit begeisterten und im Fortschreiten der Bewegung, bestärkt durch Verbindungen mit den Republikanern im Elsaß, immer entschiedener als Gegner der bestehenden Regierungsform auftraten. Eine bedenkliche Wendung nahm die Vorliebe von W. für die Franzosen an, als der französische General Custine im October 1792 sich anschickte, von Landau aus der Städte Speier, Worms und Mainz sich zu bemächtigen. Es steht nämlich durch gleichzeitige franz. Zeugnisse fest, daß W. bereits vor dem Einzuge Custine’s in Mainz mit diesem sich in Verbindung gesetzt und in Gemeinschaft mit dem früheren mainzer Professor Dr. Dorsch und mit dem Professor Dr. Böhmer aus Worms zu dem Gelingen des Handstreiches auf die Festung Mainz wesentlich beigetragen hat. An dem Tage, an welchem Custine in Begleitung von W. in Mainz einzog, verlangte dieser unter Berufung auf das Zeugniß des Generals in einem an den [397] Nationalconvent gerichteten Schreiben den Titel eines französischen Bürgers („Je demamde à la nation française le titre de citoyen français et de m’adopter au nom de ses enfants“). In einem gleich nach der Einnahme der Stadt an den Convent erstatteten Briefe rühmte Custine die Thätigkeit von W., den er sofort in Dienst nahm. Als einer der vertrautesten Rathgeber und Gehilfen des franz. Generals widmete W. nunmehr theils auf der Rednerbühne in der Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit, theils in der Presse, namentlich durch Herausgabe einer Zeitung („Der Patriot“) seine ganze Kraft der Aufgabe, die Bewohner von Mainz und von der Umgegend zur Annahme der franz. Verfassung sowie dazu zu bestimmen, daß die Bürger bei dem Convente um die Einverleibung des von den französischen Truppen besetzten Landstriches am Rhein in die Frankenrepublik nachsuchen sollten. Die Dienste, welche damals W. und mit ihm die anderen Führer der Clubisten den Franzosen leisteten, waren eines Deutschen unwürdig; versprachen doch W. und Forster den Jakobinern in Paris, sie mit den Vorgängen im Innern Deutschlands bekannt zu machen. „Die Nachrichten“, so schrieben sie nach Paris am 12. December 1792, „welche Ihr von den Kriegsoperationen und anderen politischen Vorgängen von uns erwartet, werden wir mit Eifer bemüht sein, Euch nach besten Kräften mitzutheilen.“ Auf gleicher Stufe steht die Thätigkeit, welche W. in Mainz und in der Umgegend entfaltete, als es sich darum handelte, das berüchtigte Decret des Convents vom 15. December 1792 hier zum Vollzug zu bringen. Mit Bedrohungen und Gewaltmaßregeln zwang man die Bürger zur Eidesleistung und zur Vornahme von Wahlen für den sogenannten rheinisch-deutschen Nationalconvent, der den Wünschen der Franzosen den gesetzlichen Ausdruck geben sollte. Unter Mitwirkung von W. beschloß diese Volksvertretung die Loslösung des Landes zwischen Landau und Bingen als eines freien, unabhängigen Staates aus dem Verbande des deutschen Reiches und die Entsendung von Abgeordneten, um von dem Pariser Convente die Einverleibung des neugegründeten Staates in die Republik zu begehren (18. und 21. März 1793). Wenige Tage nach diesen Beschlüssen war die Hauptstadt des neuen Staates von den deutschen Truppen umschlossen. Rechtzeitig hatte W. Mainz verlassen und sich nach Landau begeben, woselbst er, wie zuletzt in Mainz, die Stelle eines Militärarztes übernahm. Von da nach Straßburg versetzt, fuhr W. fort, an den politischen Treibereien sich zu betheiligen, freilich unter kluger Beachtung des Wechsels der Strömungen.

Als die Herrschaft der Jakobiner, zu welcher er durch Wort und Schrift sich bekannt hatte, zu Ende ging, verurtheilte er deren Treiben in der Schrift: „Fragen und Bemerkungen über das Jakobinerwesen“ (Straßburg 1795). Wurde W. nunmehr ein warmer Anhänger der Directorialregierung, so hinderte ihn dies nicht, demnächst dem neu aufgehenden Sterne Bonaparte’s sich zuzuwenden. Unter dem Consulate kam W. wieder als Militärarzt nach Mainz, welche Stadt die Franzosen seit Ende 1797 zum zweitenmale in Besitz genommen hatten. Hier erwarb er sich große Verdienste durch bessere Einrichtung der Krankenverpflegung, worüber er ein beachtenswerthes Werk („Nachricht über das franz. Kriegsspitalwesen“, 2 Bde.) veröffentlichte. Vorübergehend war W. während des Feldzuges gegen Preußen der Reservearmee zutheilt, kehrte aber dann wieder nach Mainz zurück. Während des Dienstes bei der Reservearmee hatte W. eine Zeitlang in Darmstadt verweilt und dort als Mann von Geist und Erfahrung den besten Eindruck hinterlassen. Als nun im J. 1808 Großherzog Ludwig I. von Hessen schwer erkrankte, berief man W. an den Hof. Es glückte ihm, die Krankheit des Fürsten richtiger als der Hofarzt zu erkennen und zu beseitigen, worauf er mit Einwilligung der kaiserlichen Regierung zum Leibarzt in Darmstadt ernannt wurde und dorthin übersiedelte. Dort wirkte er unter großen ärztlichen Erfolgen [398] und in Entfaltung einer beachtenswerthen schriftstellerischen Thätigkeit bis an sein Lebensende (28. October 1831).

Zu den Wandlungen, welche W. auf politischem Gebiete mitmachte, gehörte es auch, daß er, einst der Feind des Fürstenthums und des Adels, in den Freiherrnstand erhoben wurde (16. Mai 1809) und daß er seine veränderten Ansichten über den Werth des Adels und dessen Nothwendigkeit „zur Erhaltung der constitutionellen Freiheit und Ordnung“ in einem besonderen Werk („Ueber den Werth des Adels und über die Ansprüche des Zeitgeistes auf Verbesserung des Adelsinstituts“, 2 Bde. Darmstadt 1816) niederlegte.

Vgl. über W.: Scriba, Biographisch-Litterarisches Lexikon der Schriftsteller des Großherzogthums Hessen im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts S. 423 ff. (eine mit Vorsicht zu gebrauchende Autobiographie) und meine Schriften: Die Mainzer Clubisten der Jahre 1792 und 1793, S. 51, 56, 59 ff, Geschichte der Stadt Mainz während der zweiten franz. Herrschaft, S. 43, 82 und 291; die Restauration der Mainzer Hochschule, S. 34 ff.

W. war ein ebenso tüchtiger Praktiker als arzneiwissenschaftlicher Schriftsteller. Er hat vor allem auch das Verdienst als einer der ersten die Kuhpockenimpfung in Deutschland eingeführt zu haben. Während seiner Lehrthätigkeit in Mainz suchte er sich mit dem System C. L. Hoffmann’s bekannt zu machen und es in den Punkten, in denen es seiner oder seiner Zeitgenossen Anschauung widersprach zu modificiren und es mit den entgegengesetzten Ansichten in Uebereinstimmung zu bringen. Als die Heilkunde betreffende Veröffentlichungen Wedekind’s sind bemerkenswerth: „Ueber das Betragen des Arztes und über den Heilungsweg durch Gewinnung des Zutrauens und durch Ueberredung des Kranken“ (1789); „Ueber medicinischen Unterricht“ (1789); „Fragmente über die Erkenntniß venerischer Krankheiten“, herausgegeben von W. F. Domeier (1790); „Allgemeine Theorie der Entzündung und ihrer Ausgänge, in fünf Vorlesungen“ (1791); „Aufsätze über verschiedene wichtige Gegenstände der Arzneiwissenschaft“ (1791); „De morborum primarum viarum vera notitia et curatione“, eine von der Leopold.-Carolinischen Akademie der Naturforscher gekrönte Preisschrift (1792, ed. nova 1797, deutsch 1795, 2. Aufl. 1808); „Prolegomena einer künftigen exoterischen Arzneikunde“ (1793); „Ueber die Cachexie im Allgemeinen und über Hospital-Cachexie insbesondere“ (1796); Nachrichten über das französische Kriegsspitalwesen“ (2 Bde. 1796–1798); „Theoretisch-practische Abhandlung von den Kuhpocken“ (1802); „Kurze Nachricht von der Erkenntniß und Heilart der Hundswuth“ (1808); „Ueber den Werth der Heilkunde“ (1812); „Einige Blicke in die Lehre von den Entzündungen und von den Fiebern überhaupt“ (1814); „Ueber das Schwalbacher Stahlbrunnen-Wasser“ (1815); „Ueber die Nothwendigkeit einer baldigen künstlichen Entbindung nach abgelaufenem Fruchtwasser bei Querlagen“ (1824); „Prüfung des homöopathischen Systems des Dr. Hahnemann“ (1822); „Beiträge zur Erforschung der Wirkungsart der Arzneimittel“ (1830); „Ueber die Cholera“ (1833). Ein vollständiges Schriftenverzeichniß liefert Callisen’s med. Schriftstellerlexicon (Band XXXIII, p. 238–244). Es umfaßt mit den Journalaufsätzen, die W. für fast alle deutschen medicinischen Zeitschriften seiner Periode lieferte, und mit den noch hinzukommenden Schriften über nicht ärztliche Gegenstände im Ganzen etwa 80 Nummern.