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Artikel „Vulpius, Jakob Anton“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 387–388, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vulpius,_Jakob_Anton&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 04:54 Uhr UTC)
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Vulpius: Jakob Anton V., Schuldramatiker des 17. Jahrhunderts, war der Sohn eines graubündtischen Pfarrers, der nach einander, von widrigen Schicksalen verfolgt, in Fettan, in Wangen (Kanton Bern), endlich in Thusis das geistliche Amt bekleidete. Außer Stande den begabten Sohn angemessen erziehen zu lassen, ging er 1639 durch Vermittlung bernischer Amtsbrüder den Berner Rath um Hülfe an und mit Erfolg: schon 1640 wurde der Knabe, der bald nach 1625 geboren sein wird, ins album alumnorum der städtischen Berner Schulen aufgenommen. V. rechtfertigte den Schritt: er hat dem Adoptivvaterlande, in dem er schon 1653 zum Gymnasiarchen aufstieg, werthvolle und anerkannte Dienste geleistet; seine glänzende Lehrgabe befähigte ihn, wie ein dankbarer Schüler dem praeceptor suavissimus nachrühmt, seinen Zöglingen in 13 Monaten das zum Besuch der lectiones publicae nöthige Latein beizubringen. Er starb 1684 an der Wassersucht. – Mit Vulpius’ Schulamt hing es zusammen, wenn er eine ‚analysis commodissima‘ der berühmten Janua des Comenius anfertigte, und auch seine Dichtung stand im Dienst der Schule. Zwar von seiner lateinischen Poesie wissen wir nichts, als daß er sich durch ein carmen auf den Berner Rath als poeta elegantissimus bewährt hat. Aber sein dramatisches „Einfaltiges Gespräch zwischen Eugenium, Lucianum, Martialem vnd seinen Jungen“ (von Scholaren aufgeführt am 7. Mai 1663 nach der Frühlingspromotion) hat eine entschieden pädagogische Tendenz, war darauf angelegt, den Schülern, die es spielten oder hörten, Fleiß, Tugend, Gehorsam einzuschärfen und sie vor dem frühen Bereisen fremder Hochschulen mit ihren Verführungen und Unsitten zu warnen. Wirklich läßt sich der Held, der Jüngling Eugenius, von seinem kundigen Vetter Lucian bestimmen, die Studien vorläufig in der Heimath fortzusetzen und den Lockungen seines abenteuerlustigen Genossen, des Schlemmers und Prahlers Martial zu widerstehn. Von Handlung ist keine Rede; in steifen Alexandrinerpaaren, die in ihrer Sprache trotz allen dialektischen Syn- und Apokopen durchaus den Einfluß Opitzens verrathen, gespickt mit allerlei Schulgelehrsamkeit, schreitet der Discurs dahin. Mit den sonstigen Studentencomödien, denen Vulpius’ erziehliche Absichten ja nahe stehn, zeigt sein Dialog keine Berührung: es ist nur Zufall, wenn der Lehrer in Schonaeus „Dyscoli“ gleichfalls Eugenius heißt.

Die Sammelhandschrift 41 des Berner Conventsarchivs, in der Vulpius’ Gespräch auf uns gekommen ist, enthält an späterer Stelle eine Fortsetzung ‚Zweyer vätter vngleich gereißte kinder’, die man gleichfalls V. zuzuweisen pflegt; Bächtold vermuthet sogar, die beiden Scenen seien hinter einander gespielt worden, wofür indessen die abweichende Besetzung der Rolle des Eugeniuis mindestens nicht spricht. Für die Zusammengehörigkeit der beiden Stückchen zeugt etwa noch, daß die Titel (nicht die Stücke selbst) von derselben Hand geschrieben scheinen. Dennoch glaub ich nicht an die Identität des Autors. Das zweite Spiel, belebter als das erste, bedient sich der altmodischen vierhebigen Reimpaare und erinnert in seiner Anlage an die Knabenspiegel des 16. Jahrhunderts. Mir scheint es wenig glaublich, daß ein gelehrter Autor, der schon zum modernen Alexandriner sich bekannt hat, dasselbe Thema in der ausgegebenen Form des altväterischen Schulstücks fortgeführt haben sollte. Es kommt dazu, [388] daß so grobe schweizerische Dialektreime wie Eugenius: voruß oder huß, hin: syn, sohn: thun, furwahr und jahr: har (d. i. her) dem gebildeten Dichter des Alexandrinergesprächs nicht begegnen. Endlich athmet das zweite Stückchen, das den tugendhaften Eugenius als rühmlich graduirten Doctor heimkehren läßt, während der völlig verkommene und verschuldete Martial vom Vaterhause fortgewiesen wird, viel mehr natürliches Leben. Wie prächtig setzt gleich das Gespräch der beiden alten Herren ein, die mit so verschiedenen Gefühlen der fernen Söhne gedenken: vergeblich sucht der biedere Landvogt, Eugenius’ Vater, dem alten Castlan seinen Kummer wegzuspaßen und ihn zu einem Tränkli guten alten Fetschereyns auf das ‚Oberbrügli‘ zu locken. Gewisse Aehnlichkeiten der beiden Dichtungen erklären sich gewiß leichter aus der selbstverständlichen Thatsache, daß der Fortsetzer Vulpius’ Dialog genau kannte, als etwa durch den gekünstelten Ausweg, V. habe zuerst die Reimpaarscenen verfaßt und dann, bei entwickelterem Geschmack und geschulterer Technik, das Alexandrinergespräch als Einleitung vorangesetzt.

Tobler im Berner Taschenbuch auf das Jahr 1889/90 (Bern 1889), S. 174 ff. – Bächtold, Geschichte der deutschen Litteratur in der Schweiz, S. 471/2, Anm. S. 157. – Berner Conventsarchiv, Bd. 27 und 41.