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Artikel „Tschudi, Valentin“ von Johannes Strickler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 753–754, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tschudi,_Valentin&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 09:17 Uhr UTC)
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Tschudi: Valentin T., Chronist (Sohn von Ritter Marquard T. von Glarus und Vetter des berühmten Gilg T.), um 1498–1500 geboren, genoß in der dort von Zwingli gegründeten Schule den ersten Unterricht (zum Theil in den alten Sprachen), erwarb sich Vertrauen und Zuneigung des Stifters der Anstalt und folgte vermuthlich dessen Rath, indem er mit Gilg und Peter T. im Frühjahr 1516 nach Basel zog, um hier, wie einst Zwingli, seine Bildung zu ergänzen; ohnehin wirkte dort ein bereits zu hohen Ehren gekommener Landsmann, Glarean, als Führer studirender Jünglinge mit Uebungen in griechischer Grammatik, Lectüre römischer Classiker, im Gebrauch der lateinischen Sprache und Darstellung der altrömischen Verfassungsformen. Ungefähr zwei Jahre später wanderten die drei Tschudi nach Paris, wohin sie, neben andern Reizmitteln, auch das Beispiel Glarean’s gelockt haben mag; die Studien wurden zwar durch eine Seuche unterbrochen, wahrscheinlich aber durch Reisen und freien Umgang mit Gelehrten gefördert. Ein noch vorhandener, griechisch geschriebener Brief Valentin’s an Zwingli (15. Nov. 1520) sollte diesem beweisen, wie die Zeit genützt worden sei. Wo und wann T. die ihm später beigelegte Magisterwürde erlangte, ist übrigens nicht festgestellt, auch für die Heimkehr kein genaues Datum bekannt. Die Fortdauer eines engern Verhältnisses zu Zwingli bezeugt hingegen der Umstand, daß Letzterer, als er Ende 1518 den Pfarrdienst in Glarus förmlich aufgab, Valentin als Nachfolger empfahl und den neuen „Kirchherrn“, der inzwischen die geistlichen Weihen erhalten haben wird, am 12. October 1522 durch eine Predigt einführte. In dieser Stellung verblieb derselbe bis 1555, wo er in einem „Sterbent“ (Seuche) dahingerafft wurde (nähere Angaben fehlen darüber). – Was über seinen Lebenslauf sonst zu berichten ist, hängt mit den im Lande Glarus besonders heftigen Bewegungen der Reformation zusammen, ohne daß er darin als Parteihaupt hervortritt. Zweifellos hatte Zwingli infolge zehnjährigen tiefgreifenden Wirkens einen Anhang gewonnen, der durch die Berufung nach Zürich nicht geschwächt wurde und bald sogar wuchs; diesem Einfluß wirkte aber eine starke Zahl angesehener Männer oder Geschlechter entgegen, die den alten Glauben zu erhalten strebten und an den V (katholischen) Orten eine sichere Stütze fanden. Dreimal (1526–28) verpflichtete sich eine wirkliche oder künstliche Mehrheit der Landsgemeinde diesen Orten gegenüber zur Behauptung des Alten; diese „Zusagen“ wurden jedoch in den Jahren 1529–30 hinfällig erklärt und der alte Gottesdienst gänzlich abgestellt. Jetzt (1530) verehelichten sich T. und sein „Helfer“ (Diakon) Hans Heer; dadurch schlossen sie sich für immer vom Meßdienst aus, bewahrten indeß als Glieder angesehener Geschlechter, als gebildete Männer, als gemäßigte Vertreter ihres Glaubens das Zutrauen auch der Gegenpartei. Beide, unterstützt durch den friedfertigen Decan Schuler, versahen sowol die Neugläubigen als die Anhänger der Messe bis zu ihrem Tode mit Predigt und Seelsorge. (Wegen Mangel an Meßpriestern kam auch in anderen Gemeinden solche Aushülfe zeitweise vor.) An dieses Verhältniß knüpfen sich vielfach wiederholte Urtheile, welche T. als Mann von seltener Milde auszeichnen, in zu scharfer Fassung aber nicht zutreffen. Es ist dabei zu beachten, daß er, obwol an der Hauptkirche des Landes wirkend, durch die theologischen Fehden der Zeit viel weniger berührt wurde als Zwingli, Oekolampad, Bullinger u. A. Hinwieder verflochten sich in den Kämpfen, die im Lande Glarus tobten, confessionelle und politische resp. sociale Gegensätze, wodurch die Leidenschaften aufs höchste stiegen; um so größer ist das Verdienst V. Tschudi’s und seiner Freunde, durch ihr Wort und Beispiel beinahe 25 Jahre lang den Frieden erhalten zu haben. Daß aber diese Aufgabe sie oft schwer bedrückte, bezeugen namentlich die schriftlichen Denkmale Tschudi’s: zunächst ein Brief vom 15. März [754] 1530 an Zwingli, zur Antwort auf ein tröstendes Schreiben seines Lehrers, nebst etlichen Briefen an Vadian, sodann ein wenig später gedichtetes Lied von 24 siebenzeiligen Strophen, das er seiner Chronik einverleibte; endlich eine Reihe von beiläufigen Aeußerungen in demselben Werke, wo er bald die Ungeduld der Neuerer, die Mißachtung der Obrigkeit und der Gesetze oder den blinden Eifer ungebildeter Menschen für mißverstandene Losungsworte, bald die maßlosen Ansprüche einer herrsch- und rachgierigen Minderheit verurtheilte. Auch darin bewahrte er aber ein Maaß und eine Würde, die einen hohen Begriff von seiner christlichen Gesinnung und seiner Bildung geben. – Die erwähnte Chronik ist Zeitgeschichte, umfaßt jedoch nur die Jahre 1521–1533. In Anlage und Ton hält sie die Mitte zwischen der Annalenform und pragmatischer Geschichtschreibung. Manche Notiz hat freilich nur für die Landesgeschichte einigen Werth; das Meiste aber „beschreibt und erzählt Sachen und Händel“, welche zur eidgenössischen Geschichte gehören, und zwar bei löblicher Kürze klar und im ganzen auffallend sachgemäß. Dieser Charakterzug erklärt sich theils aus der günstigen Stellung des Verfassers, der über alle Vorgänge der engeren und weiteren Heimath bei Verwandten oder Freunden, die an den wichtigsten Geschäften theilnahmen, getreue Auskunft (bisweilen auch wesentliche Acten) finden konnte, theils aus der früh erworbenen Bildung, die ihm die Werthung des gewonnenen Materials erleichterte und ihn zugleich anwies, den lautersten Quellen nachzugehen. An einzelnen Abschnitten ließe sich zeigen, daß er viele Daten hatte sammeln müssen, ehe er den uns erhaltenen Text redigiren konnte. Mancherlei Fragen über den Gang der bezüglichen Arbeit bleiben freilich unerledigt, weil es an einschlägigen Nachrichten fehlt. – Die erste Ausgabe dieser Chronik besorgte Dr. J. J. Blumer, der bekannte Historiker und Staatsmann, im IX. Band des Archivs f. schweiz. Geschichtsforschung (1853); eine neue, berichtigte und durch verschiedene Beigaben ergänzte folgte durch den Verf. d. Art. 1888 als Heft 2 der Glarner histor. Jahrbücher (auch separat erschienen), worauf hier verwiesen werden muß. Verschiedene Notizen über T. gibt Melch. Schuler’s Geschichte des Landes Glarus (1836), einiges auch Th. v. Liebenau in den „Kathol. Schweizerblättern“ 1889, S. 125–128.