ADB:Tralles, Johann Georg
Kästner’s und Lichtenberg’s auf sich lenkte, sodaß ersterer, als er von der Berner Regierung um die Empfehlung eines Mannes angegangen wurde, der geeignet wäre, die ordentliche Professur für Mathematik und Physik an der Akademie zu Bern als Nachfolger Blauner’s zu übernehmen keinen würdigeren als T. zu empfehlen wußte. So finden wir ihn gegen Ende des Jahres 1785 in Bern. Am 8. December 1785 hielt er seine erste Lection „zur Probe“. Jedermann war mit ihm und seiner Geschicklichkeit sehr gut zufrieden, und so wurde er denn am 14. December 1785 von der Regierung zum Professor ordinarius der Mathematik und Physik definitiv ernannt. Neben der Ausübung seines Lehramtes beschäftigte sich T. in Bern vornehmlich mit Geodäsie. Auf seine Veranlassung und unter seiner Oberleitung wurden genauere trigonometrische Aufnahmen mehrerer Gebiete der Schweiz ausgeführt. Diese Arbeiten trugen ihm die Ehre ein, 1790 zu der Naturforscherversammlung in Paris berufen zu werden, die den Zweck hatte, durch alle Verfeinerungen der neueren Chemie, Physik und Mathematik, die Einheit des Längenmaaßes und des Gewichtes so festzustellen, daß sie nie wieder verloren gehen könne. Infolge der revolutionären Wirren verließ er 1803 Bern um sich für einige Zeit als Privatmann in Neuenburg niederzulassen. Im folgenden Jahre 1804 wurde er von der preußischen Akademie nach Berlin berufen; seit 1810 war er Professor ordinarius der Mathematik an der Universität Berlin.
Tralles: Johann Georg T., geboren am 15. October 1763 zu Hamburg von unbemittelten Eltern. Er besuchte zunächst eine öffentliche Schule seiner Vaterstadt, ohne daß jedoch seine Talente von einem seiner Lehrer erkannt worden wären. Glücklicher Weise zogen die scharfsinnigen und bestimmten Antworten des Knaben die Aufmerksamkeit eines der prüfenden Vorsteher in so hohem Grade auf sich, daß dieser, Prediger Schumacher, den jungen Mann einem damals in Hamburg bestehenden Vereine wissenschaftlicher Männer empfahl, der sich zu seiner Aufgabe gesetzt hatte, Talente, die unter dem Drucke der Umstände zu erliegen drohten, hervorzuziehen und ihnen die Mittel zu ihrer Ausbildung zu verschaffen. Dank diesem Vereine wurde T. zu einer wissenschaftlichen Laufbahn vorbereitet. 1782 bezog er die Universität Göttingen, wo er alsbald die Aufmerksamkeit[495] Seine Lehrtüchtigkeit wird nicht gerade sehr gerühmt. Er sei seinen Schülern zu hoch gewesen, äußert sich ein Zeitgenosse. Hervorzuheben dagegen ist die Originalität und Genialität, mit der er auch bekanntere Gegenstände von einer neuen und bisher unbeachteten Seite aufzufassen wußte. Mehrere seiner Abhandlungen haben die Aräometrie zum Gegenstande, wodurch er auch auf die bürgerliche Gesellschaft dauernden Einfluß erlangt hat. Auch thermometrische Bestimmungen „über mittlere Wärme und Erwärmung der Erde von der Sonne“ verdanken wir ihm, wie auch mehrere auf die Meteorologie sich beziehende Arbeiten. Betrafen Tralles’ Arbeiten auch vornehmlich Gebiete der angewandten Mathematik und Physik, so ist indeß die reine Mathematik doch nicht unbeachtet geblieben, wie die Abhandlungen beweisen „Ueber die Winkelfunktionen aus rein analytischem Gesichtspunkte“, sowie die „Analytische Betrachtung ebener und sphärischer Dreiecke und deren Analogie“, ferner „Ableitung der Summen einiger Reihen“, wie denn gerade die Lehre von den Reihen durch seine Abhandlungen „Von den Werthen der Produkte zu bestimmten Summen der Zeigezahlen ihrer Faktoren“ und „Von den Reihen, deren Coefficienten nach den Sinus und Cosinus vielfacher Winkel fortschreiten“ mehrere wichtige Erweiterungen erhalten hat.
Im J. 1822 ging er nach England zur Besorgung eines Pendelapparates. Bei den im vorigen Jahrhundert mit großem Eifer unternommenen Gradmessungen, deren Endzweck war, die genaue Gestalt der Erde durch einzelne gemessene Bogen zu bestimmen, war man zu der Einsicht gelangt, daß die vorkommenden Irregularitäten für diese Art der Bestimmung zu groß waren, um das gesteckte Ziel erreichen zu lassen. Man suchte daher die Aufgabe nunmehr durch Pendelbeobachtungen zu lösen, die allerdings die größte Genauigkeit und womöglich einen identischen, an mehreren Orten in Anwendung gebrachten Apparat verlangten. T., der vollkommen die Schwierigkeiten der Aufgabe kannte, glaubte daher nur dann den wahren wissenschaftlichen Zweck erreichen zu können, wenn er selbst mit seiner eigenen Kritik den nöthigen Apparat unter seinen Augen entstehen sähe. Im Juni 1822 reiste er ab in der frohen Aussicht, seinen Wohnort in Verbindung mit dem bisher am sichersten bestimmten Punkte setzen zu können. Da überfiel ihm in London eine plötzliche Krankheit, der er in der Nacht vom 18. zum 19. November 1822 erlag.
Das Verzeichniß seiner Schriften siehe bei Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch.
- Abhandlungen der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jahrgang 1826: Gedächtnißrede auf Johann Georg Tralles von Encke. – Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz (Zürich 1858), Theil 1. u. 2.