ADB:Tesdorpf, Johann Matthäus

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Artikel „Tesdorpf, Johann Mathaeus“ von Paul Hasse in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 586–587, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tesdorpf,_Johann_Matth%C3%A4us&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 13:10 Uhr UTC)
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Tesdorpf: Johann Mathaeus T., Bürgermeister der freien und Hansestadt Lübeck, entstammte einer ursprünglich im Lande Hadeln ansässigen, von dort im siebzehnten Jahrhundert in die Nähe Lübecks und endlich nach Lübeck selber übergesiedelten Familie, aus der ein Sprößling Peter Hinrich daselbst zu großem Wohlstande gelangte, 1703 in den Rath gewählt, 1715 zum Bürgermeister erhoben wurde. Sein Enkel war der 1749 geborene Johann Mathaeus T. Früh bereits bedeutende geistige Anlagen bekundend, empfing er seine Bildung durch die damals in Lübeck wirkenden Schulmänner, wie Geßner, Overbeck und Becker und bezog im J. 1769 die Universität Göttingen, auf der er sich neben dem Studium der Jurisprudenz, insbesondere unter Schlözer’s Anleitung mit Geschichte und Staatswissenschaften beschäftigte, aber auch mit dem Hainbunde und seinen Mitgliedern in Beziehung trat und namentlich mit Bürger, später auch mit Klopstock befreundet wurde. Noch vor Vollendung seiner Studien übernahm er nach anfänglicher Ablehnung und nachdem er durch längeren Aufenthalt beim Reichskammergerichte in Wetzlar und eine Reise nach Regensburg, Wien und Dresden, auf der auch Frankfurt berührt und Goethe’s Bekanntschaft gemacht wurde, seine Bildung zum Abschluß gebracht hatte, in seiner Vaterstadt das Amt eines Rathssecretärs. Nach gründlicher Schulung in allen Theilen der Staats- und Gerichtsverwaltung Lübecks, in der auch mehrfach seine Verwendbarkeit im diplomatischen Verkehr erprobt ward, ward er im J. 1794 zum Mitgliede des Rathes gewählt. Hatten ihn in den ersten [587] Jahren seiner Amtsthätigkeit die in hergebrachten und versteiften Formen sich bewegende Art der Verwaltung, ein Mangel an Umgang mit hervorragenderen Vertretern von Litteratur und Wissenschaft nicht mit allseitiger Befriedigung in seinem Wirkungskreise erfüllen können, so ist er mit unermüdlichem Eifer und der ganzen Kraft seiner umfassenden Bildung und ausgebreiteten amtlichen Erfahrung bemüht gewesen, den sich geltend machenden Anforderungen einer neuen Zeit, soweit er sie für begründet erkannte und soweit damit ein festes, obrigkeitliches Regiment vereinbar erschien, gerecht zu werden. Im Februar des Jahres 1806 war T. als Bürgermeister an die Spitze des Gemeinwesens getreten, als im November desselben Jahres Lübeck in den Sturz Preußens auf so verhängnißvolle Weise verwickelt wurde. Die Katastrophe vom 6. November, die andauernde Besetzung durch französische Truppen, die Plünderung und die stets wiederholten schweren Contributionen und Erpressungen schienen den Ruin der alten Hansestadt unausbleiblich herbeizuführen. Der Handel lag gänzlich darnieder, die Ausgaben der Verwaltung wuchsen in unerschwinglicher Weise, die gewohnten Einnahmequellen versagten gänzlich. Anleihen, freiwillige und gezwungene, gewährten kaum noch augenblickliche Aushülfe und endlich ward im J. 1810 die bis dahin noch geduldete scheinbare Selbständigkeit Lübecks durch die Einverleibung in das französische Kaiserreich aufgehoben. In einem Schreiben, das Würde und Ernst mit Feinheit und Klugheit verbindet, beantwortete T. Namens des Rathes die Ankündigung von dem Verluste der städtischen Freiheit. Mit ihm war der Rath in diesen Jahren mit hingebendster Amtstreue bemüht gewesen, der dringenden Noth der Zeit abzuhelfen und zu begegnen, die Ordnung aufrecht zu erhalten, in gleicher Hingebung und Selbstverleugnung übernahm T. auch die anfängliche Führung der Mairie, versuchte er auch ferner, so weit der Einfluß seiner Persönlichkeit reichte, den französischen Behörden gegenüber, zu vermitteln und zu retten, vor allem in den ihm noch verbliebenen Verwaltungen der Kirchen und milden Stiftungen.

Die vorübergehende Befreiung Lübecks im Frühjahr 1813 durch die Freischaar Tettenborn’s führte mit dem Rathe auch T. in sein Amt zurück und nach dem Rücktritte seines bejahrten Collegen, Lindenberg, zum Amte eines leitenden Bürgermeisters, nochmals vertrieb ihn die Rückkehr der Franzosen aus demselben, bis im December 1813 die Hansestadt die endgültige Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit erfuhr. Noch zehn Jahre hat T. an der Spitze des städtischen Gemeinwesens gestanden. Es gelang damals nicht, für die städtische Verfassung die von Verständigen jetzt dringender als vorher für nothwendig erkannte Umgestaltung und Anpassung an die völlig veränderten Verhältnisse zu erreichen, nur langsam vermochte man die Noth der Kriegszeit zu verwinden. T. hat an allen Maßnahmen dieser Jahre thätigsten und umfänglichsten Antheil gehabt. Die ihm entgegengebrachte Liebe und Verehrung fand den allgemeinsten Ausdruck als er am 2. October 1823 sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum feierlich begehen konnte. Bald darauf, am 25. Januar 1824, ist er, 75 Jahre alt, gestorben.

O. L. Tesdorpf, Mittheilungen über das Tesdorpf’sche Geschlecht. Hamburg 1887 (nicht im Handel).