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Artikel „Tappenbeck, Hans“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 670–672, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tappenbeck,_Hans&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 07:38 Uhr UTC)
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Tappenbeck: Hans T., Afrikaforscher, ist am 14. Januar 1861 zu Wolsier im Kreise Westhavelland als Sohn eines kgl. Domänenpächters geboren. Nachdem er den ersten Unterricht im väterlichen Hause erhalten hatte, besuchte er einige Jahre das Louisenstädtische Gymnasium in Berlin und kam dann, um sich für den Officiersberuf vorzubereiten, 1873 auf die Cadettenanstalt zu Kulm in Westpreußen. Nach Absolvirung dieses Instituts trat er als Portepeefähnrich in das 4. westfälische Infanterieregiment Nr. 17 in Mülhausen im Elsaß ein und wurde 1880 zum Officier befördert. Von seinen Kameraden trat ihm namentlich der wesentlich ältere Premierlieutenant Richard Kund nahe, ein ungewöhnlich vielseitig gebildeter Mann, der eine Forschungsreise nach dem tropischen Afrika plante und auch seinen jungen Freund lebhaft für den schwarzen Erdtheil zu interessiren wußte. Als 1884 die Deutsche Afrikanische Gesellschaft eine Expedition nach dem südlichen Congobecken senden wollte, stellten sich beide Officiere für das Unternehmen zur Verfügung und wurden auch angenommen. Außer ihnen bestand die Reisegesellschaft aus dem Premierlieutenant E. Schulze als Leiter, dem Arzt und Anthropologen W. Wolff und dem Naturforscher R. Büttner. Sie erhielten den Auftrag, die Untersuchungen Pogge’s und Wissmann’s im Gebiet der linken Zuflüsse des Congo fortzusetzen, die Schiffbarkeit dieser Gewässer zu erproben und womöglich einen directen Ueberlandweg vom Stanley Pool nach der neu errichteten Station Luluaburg zu ermitteln. Am 31. Juli 1884 verließen die Theilnehmer Hamburg, besuchten unterwegs flüchtig die neuen Erwerbungen des deutschen Reiches in Togo und Kamerun und landeten am 27. September in S. Paulo de Loanda. Trotz vielfältiger Bemühungen gelang es ihnen an diesem Orte nicht, Träger in ausreichender Menge anzuwerben. Sie begaben sich deshalb nach Banana an der Congomündung. Doch brachten sie auch hier keine hinlänglich zahlreiche Karawane zu Stande. Darum beschlossen sie, getrennt weiter zu marschiren. Schulze zog mit Wolff und Büttner von Noki aus landeinwärts durch den portugiesischen Congodistrict nach der Hauptstadt des Negerkönigreichs San Salvador, wo er bedenklich am Fieber erkrankte und schließlich im Februar 1885 starb. Kund und T. wanderten unterdeß am linken Congoufer aufwärts bis zum Stanley Pool. Während sich dann Kund an einer Dampferfahrt amerikanischer Baptistenmissionare bis nach Bangala 200 km jenseits des Aequators betheiligte, untersuchte T. die Gegend um den Pool bis zur Kassaimündung. Nachdem Kund wieder eingetroffen war, marschirten beide mit 90 Loango-Leuten am 9. August 1885 von Leopoldville in südöstlicher Richtung ab, überschritten unter wiederholten Gefechten mit feindlichen Eingeborenen den Kuango und seine Zuflüsse, wandten sich dann nach Nordosten, folgten dem Kassai bis zur Einmündung des Sankuru und drangen auf unbetretenen Pfaden durch den Urwald nach dem bisher unbekannten Lukenje vor, den sie bis zum 21° 30′ ö. L. erforschten. Auch in diesen Gegenden mußten sie mehrfach unter erheblichen Verlusten Angriffe und Ueberfälle der kriegerischen Bavumbo zurückweisen. Am verhängnißvollsten war ein Gefecht, das sie am 15. December gegen einen zahlreichen, im dichten [671] Buschwerk wohl verborgenen Feind zu bestehen hatten, der sie aus dem Hinterhalte mit einem Hagel von Pfeilen überschüttete. Kund wurde am Kopf und am linken Oberarm durch Schüsse erheblich verletzt und erhielt schließlich noch einen mit Widerhaken versehenen Pfeil, der ihm den linken Oberschenkel durchbohrte und durch den Unterleib tief ins Becken eindrang. Da ein Herausziehen unmöglich war, nahm T. rasch entschlossen mit Hülfe eines Rasirmessers eine gefährliche Operation vor, die wider Erwarten glücklich gelang und dem Freunde das Leben rettete. Dann traten beide möglichst schnell die Rückreise an. Da ein Marsch durch die meilenweit überschwemmten Sumpfwälder unmöglich erschien, wurden am Ufer des Lukanje mit den primitivsten Werkzeugen aus Baumstämmen einige Kähne gezimmert, in denen die Expedition den Strom abwärts bis zur Mündung in den Kassai und dann auf dem Congo bis zum Stanley Pool fuhr. In Leopoldville trafen sie den deutschen Arzt Dr. Mense, durch dessen Pflege Kund allmählich wieder genas. T. wollte sich nun nach Europa begeben, da sein zweijähriger Urlaub zu Ende ging. In Banana an der Congomündung warf ihn heftiges Fieber nieder, doch erholte er sich während der Seefahrt rasch, so daß er im Sommer 1886 in gutem Gesundheitszustande in der Heimath eintraf. Er trat nun wieder in die Armee ein und wurde auf ein Jahr zur Kriegsakademie commandirt. Seine Mußestunden benutzte er, um in einigen Aufsätzen über seine Reiseerlebnisse und Forschungen Bericht zu erstatten (Mittheilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland V, S. 117–121; Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin XIII, S. 487–500, mit Karte). Er durfte mit Genugthuung darauf hinweisen, daß er gemeinsam mit seinem Freunde Kund in einem der klimatisch gefährlichsten Gebiete des tropischen Afrika mit dürftigen Hülfsmitteln und einem durch Unzuverlässigkeit und Feigheit ausgezeichneten Trägermaterial unter zahllosen Widerwärtigkeiten und beständigen Gefahren gegen 6000 km Weg zu Lande und zu Wasser, davon fast die Hälfte in bisher unbekannten Gegenden zurückgelegt, die bis dahin unerforschten Landschaften nordöstlich vom unteren Kassai erschlossen und seine Karawane durch Muth und persönliche Tapferkeit vor völliger Vernichtung bewahrt hatte.

Im Sommer 1887 erhielt Kund von der Reichsregierung den Antrag, eine Forschungsexpedition durch das Hinterland von Kamerun zu führen und hier eine Station anzulegen. Er nahm die ehrenvolle Aufforderung an und wählte sich als Begleiter seinen bewährten Freund T., ferner den Zoologen B. Weißenborn und den Botaniker J. Braun. Am 6. October landete die Gesellschaft in Groß-Batanga, warb die nöthigen Träger an und brach dann auf wenig betretenen Buschpfaden nach dem Innern auf. Schon nach einigen Tagen erkannte man indessen, daß die dicht bewaldete Gegend keine Lebensmittel darbot und darum zur Gründung einer Station nicht geeignet sei. Deshalb kehrte man nach der Küste zurück und wartete hier das Ende der Regenzeit ab. Im November unternahmen die Reisenden einen zweiten Versuch, durch die Urwaldzone nach dem gebirgigen Innern vorzudringen. Nach Ueberwindung erheblicher Schwierigkeiten erreichten sie den Oberlauf des Lokunje-Flusses und betraten das Gebiet der Bakokostämme, die ihnen anfangs freundlich entgegenkamen, bald aber feindselige Gesinnungen zeigten. Trotz wiederholter Ueberfälle setzte die Expedition ihren Marsch in nordöstlicher Richtung fort, erreichte schließlich nach mehreren blutigen Gefechten den wasserreichen Sanaga, der eine Reihe von malerischen Stromschnellen bildete, die man nach dem allzu früh verstorbenen Afrikaforscher Gustav Nachtigal nannte. Am 9. Februar 1888 sahen sich die Reisenden plötzlich mitten im dichten Busch von vielen [672] hundert wohlbewaffneten Bakokos umzingelt und angegriffen. Kund wurde durch Schüsse an der rechten Hand und am linken Arm, T. am Kopfe schwer verwundet. Sie verloren eine Anzahl Träger und einen beträchtlichen Theil des Gepäcks, doch brachten sie auch dem Gegner solche Verluste bei, daß er von einer Verfolgung absah. Da sie sich unter der feindseligen Bevölkerung nicht zu halten vermochten, suchten sie in Gewaltmärschen die Küste zu erreichen. Unterwegs gingen ihnen die Lebensmittel aus, und sie wären im Urwalde vor Erschöpfung umgekommen, wenn nicht ein vorausgeschickter Eilbote rechtzeitig den Militärposten Batanga erreicht und die schwierige Lage der Expedition gemeldet hätte. Sofort wurden Mannschaften eines zufällig anwesenden deutschen Kriegsschiffes mit Erfrischungen ausgesandt, welche die Entkräfteten aufsuchten und nach der Station geleiteten. T. mußte sich zur ärztlichen Behandlung seiner schweren Verletzung nach Deutschland begeben, wo er einen kurzen Bericht über seine Erlebnisse veröffentlichte (Mittheilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den deutschen Schutzgebieten I, S. 112–121), der wesentlich zur Klarlegung der bisher unbekannten hydrographischen und ethnologischen Verhältnisse im Hinterlande von Südkamerun beitrug. Als seine Wunde hinlänglich geheilt war, trat er im August 1888 abermals die Ausreise nach Kamerun an, um wieder zu seiner Expedition zu stoßen, die am Sanaga eine feste Niederlassung als Stützpunkt des deutschen Einflusses zu gründen beabsichtigte. Sie drang von Batanga aus 20 Tagemärsche weit durch den Urwald nach Nordosten vor und errichtete auf dem Hochlande zwischen den Flüssen Njong und Sanaga eine Station, die ihren Namen von dem umwohnenden Stamme der Jaunde erhielt. Im März 1889 mußte Kund wegen seines Gesundheitszustandes nach der Heimath zurückkehren. T. übernahm nun die Leitung der Station, legte die nöthigen Gebäude und Pflanzungen an und erkundete durch zahlreiche Ausflüge die nähere und weitere Umgebung bis ins südliche Adamaua, wo ihn indeß die Feindseligkeit der dort ansässigen Sudanneger zu größter Vorsicht zwang. Als sich die Nothwendigkeit herausstellte, neue Vorräthe herbeizuschaffen, marschirte er im Juni selbst nach der Küste und sandte am 12. Juli vom Regierungssitze in Kamerun aus einen Bericht (Mittheilungen von Forschungsreisenden II, S. 114 bis 119 u. III, 109–113, mit Karte) und mehrere Kisten mit Sammlungsgegenständen für die königlichen Museen nach Berlin. Aber nach wenigen Tagen warf ihn ein Fieberanfall aufs Krankenlager. Die Kräfte nahmen rasch ab, und schon am 26. Juli 1889 verschied er plötzlich infolge einer Herzlähmung. Sein frühzeitiger Tod war ein schwerer Verlust für die Wissenschaft und das Vaterland, die beide von ihm bei längerem Leben noch manche wichtige Förderung ihrer Interessen in Afrika erwarten durften. Sein Leichnam wurde später nach Deutschland überführt und am 25. Juli 1891 auf dem Berliner Garnisonfriedhof in heimathlicher Erde bestattet.

Mittheilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den deutschen Schutzgebieten II, 1889, S. 67–69.