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Artikel „Stritter, Johann Michael“ von Friedrich Otto in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 596–597, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stritter,_Johann_Michael&oldid=- (Version vom 20. November 2024, 18:32 Uhr UTC)
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Stritter: Johann Michael St., Schulmann, geboren am 22. März 1705, † am 30. Januar 1781. Er war der Sohn eines Landmannes zu Schierstein bei Wiesbaden. Nachdem er das Gymnasium zu Idstein absolvirt hatte, studirte er von 1724–1727 zu Jena Theologie, vernachlässigte aber dabei nicht die Studien der Schulwissenschaften, namentlich der lateinischen Stilistik. Zurückgekehrt in die Heimath, übernahm er zunächst (1728) Hauslehrerstellen im Elsaß und in Usingen und wurde im folgenden Jahre dem erkrankten Pfarrer zu Klappenheim als Adjunct beigegeben. In dieser Stellung machte er sich so beliebt, daß nach dem Tode des Pfarrers die Bauern durch Androhung militärischer Gewalt zur Annahme von dessen Nachfolger gezwungen werden mußten. Da St. schon als Schüler sich ausgezeichnet und nunmehr in seinen verschiedenen Stellungen begründete Hoffnungen auf eine außergewöhnliche Lehrgabe hervorgerufen hatte, erhielt er auf Veranlassung des Generalsuperintendenten Lange von der fürstlichen Regierung den Befehl, noch zwei Jahre lang seine Studien fortzusetzen, andere Anstalten kennen zu lernen und so sich zu dem höheren Schuldienst mehr vorzubereiten, als sonst üblich war, indem in der Regel angehende Theologen längere oder kürzere Zeit als Gymnasiallehrer verwendet wurden und dann eine Pfarrstelle übernahmen; zur Bestreitung der Kosten seiner pädagogischen Reise wurden ihm jährlich 50 fl. in Aussicht gestellt, eine Summe, die wol auch damals nicht ausreichte, wie er denn selbst versichert, er habe mit „gelehntem Gelde“ seine Reise angetreten. Zuerst besuchte er Nürnberg und Altorf, begab sich von da nach Coburg und Jena, um mit Halle den Beschluß zu machen. Hier verweilte er längere Zeit, ertheilte im Waisenhause Unterricht und erwarb die akademische Magisterwürde. Bereichert mit neuen Erfahrungen und Anschauungen kehrte er 1732 nach Schierstein zurück und verwerthete einstweilen daselbst seine gewonnene und vervollkommnete Lehrgabe im Unterricht der Kinder der Volksschule, bis er im folgenden Jahre als Conrector an das Gymnasium zu Idstein berufen wurde; schon zwei Jahre später wurde er zum Prorector und Rector provisionalis, 1738 zum wirklichen Rector ernannt und bekleidete diese Stelle – mit einer Unterbrechung von etwa sechs Jahren – bis 1774.

Sogleich bei seinem Eintritt in das Gymnasium begann er, erfüllt von reformatorischem Feuereifer und bestrebt seine anderwärts gemachten Erfahrungen zu Idstein in das Leben zu führen, die Schäden, welche er hier wahrzunehmen glaubte, ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten und ohne Rücksicht auf sie in seiner Classe zu beseitigen, und setzte diese Neuerungen, als ihm die Leitung der Schule übergeben worden war, für das ganze Gymnasium fort, so daß er es binnen einiger Jahre in seinem Sinne ganz und gar umgestaltet hatte. Dadurch hob er, wie er denn selbst ein tüchtiger Lehrer war, dem das Beste der ihm anvertrauten Jugend am Herzen lag, den Ruf seiner Schule außerordentlich, so daß der Besuch derselben bis auf 150 Schüler, darunter viele sog. Ausländer, stieg und er auch bei der Reform andrer Lehranstalten von seiner Behörde zu Rathe gezogen wurde. Die Neuerungen Stritter’s begannen mit den Schulbüchern, indem er an die Stelle veralteter Lehrbücher neue und bessere oder an die Stelle der herkömmlichen Lesebücher andre setzte; der Unterricht in der französischen Sprache wurde erweitert, in Mathematik neu eingeführt, die Frühstunden von 4–6 Uhr abgeschafft, die Lehrstunden des Morgens um 6 Uhr begonnen. Ueberaus wichtig war die Anordnung bestimmter Classenziele, die [597] erreicht sein mußten, wenn ein Schüler in eine obere Abtheilung vorrücken wollte, nur daß St. zu weit ging, wenn er die Aufgaben und Ziele für jede Woche, ja jeden Tag im voraus bestimmte; daß er dabei auf Befolgung einer besseren Methode des Unterrichts sah, versteht sich von selbst. Für unsere Tage, in denen man soviel Gewicht auf Pflege des Körpers u. dgl. legt, ist es interessant, daß St. im J. 1747 eine Dreh- und Hobelbank für seine Schüler anschaffte, um ihnen eine nützliche Leibesbewegung zu ermöglichen.

Neben den guten Eigenschaften zeigten sich bei St. gleich von Anfang an gewisse Schattenseiten seines Charakters, durch welche, wie ein tüchtiger Schüler und später College von St., zuletzt selbst Rector des Gymnasiums sagt, er sich selbst, seinen Collegen, Schülern und allen, die mit ihm in Berührung standen, das Leben sehr sauer machte; er war nämlich, heißt es weiter, ein Mann von außerordentlich feurigem und hitzigem Temperament, dabei rechthaberisch im höchsten Grade, woraus natürlicher Weise, wenn andre ihm nicht beistimmen konnten oder wollten, eine ewige Zänkerei entstand. Dabei ging er oft eigenmächtig vor, hielt aber die einmal gemachten Anordnungen nicht immer fest, wie er denn die Dreh- und Hobelbank nach einigen Jahren wieder eingehen ließ. Deshalb wird er einem Hechte im Karpfenteich verglichen, der alles in Bewegung und Unruhe versetze.

Trotz der großen Last von Arbeiten, die St. auf seine Schultern zu nehmen kein Bedenken trug – ertheilte er doch als Conrector 7–71/2 Stunden täglich – erlahmte er nicht in seinen Studien und war auch schriftstellerisch thätig. Dazu nöthigte ihn schon die Verpflichtung jährlich vier Programmabhandlungen zu schreiben. Da es ihm gelang, der Obliegenheit bei fröhlichen oder traurigen Vorfällen in dem Fürstenhause ein lateinisches Carmen zu verfassen, enthoben zu werden, so erörterte er nunmehr in diesen Programmen Fragen der Schule und des Unterrichts, seltner historische oder andre Gegenstände. Die meisten (94) sind in lateinischer Sprache abgefaßt (Observata scholastica), andre in deutscher (Teutsche Schuleinladungen) (14). Auch seine übrigen Schriften und Aufsätze in Zeitschriften dienten praktischen Zwecken; sie bewegen sich wie jene im Geiste der Pädagogik jener Zeit und haben auf die Entwicklung dieser Wissenschaft kaum Einfluß ausgeübt, weshalb wir von einer Aufzählung von Titeln derselben absehen; Meusel hat im gel. Teutschl. Bd. XIII viele derselben aufgeführt, einige haben sich in das Lexikon teutscher Schriftsteller Bd. VII unter den Namen Joh. Adam Stritter verirrt.

Nachdem St. so bis zum Jahre 1766 unermüdlich thätig gewesen war, gelang es seinen Gegnern, die Entlassung des unbequemen eigenmächtigen Mannes durchzusetzen. Während der nun folgenden unfreiwilligen Ruhezeit beschäftigte er sich, als sein Sohn E. G. St., bis dahin Collaborator des Gymnasiums, in eine Pfarrstelle eingerückt war, mit Unterweisung jetzt der Schulmeister der ganzen Umgegend und mit Predigten. Da wurde er, um die gelockerte Disciplin im Gymnasium wiederherzustellen, im J. 1771 zu seiner früheren Stelle zurückgerufen und, damit alle Zwistigkeiten mit der Behörde vermieden würden, auch zum Scholarchen ernannt. Der Versuch mißlang; zu den früheren Fehlern seines Charakters kamen nunmehr Eigenschaften, welche das zunehmende Alter so leicht mit sich führt, mürrisches Wesen und Scheltsucht: er mußte nach zwei Jahren abermals abtreten. Von da an lebte er bis zu seinem Tode zu Idstein und starb hier beinahe ganz kindisch geworden.

Rizhaub, Geschichte des Gymnasiums zu Idstein. – Ungedruckte archivalische Aufzeichnungen des Staatsarchivs zu Wiesbaden. – Firnhaber, Die nassauische Simultanschule I, 90. – Meusel, Gel. Teutschland XIII.