ADB:Stolz, Johann Jacob
*): Johann Jakob St., ein zu seiner Zeit bekannter, vielfach auch berühmter Prediger und theologischer Schriftsteller. Geboren in Zürich am 31. December 1753 als Sohn eines Schuhmachers, aber durch Fleiß und Begabung gefördert, studirte er daselbst unter Breitinger Theologie, daneben auch Philosophie und Sprachen. Großen Einfluß hatte auf ihn der damals vielgenannte Pfarrer Lavater, sowie dessen Freund Pfarrer Pfenninger, beide in Zürich. Als St. 1774 nach wohlbestandenem Examen in jenen drei Fächern zum Prediger ordinirt war, galt er für einen Schüler Lavater’s und suchte auch dessen lebendige, aber auch überschwengliche und gefühlvolle Auffassung des Christenthums in Wort und Schrift zu verbreiten. 1781 berief ihn der Fürst von Isenburg-Birstein auf Lavater’s Anregung zum Prediger an die reformirte Gemeinde Offenbach bei Frankfurt a. M. Durch mehrere erbauliche Schriften in Lavater’s Stil, durch Predigten und Aufsätze in Pfenninger’s Kirchenboten wurde er bald weiterhin bekannt, sodaß ihn 1784 der Ruf als zweiter Prediger an der St. Martini-Gemeinde in Bremen ereilte. St. wirkte auch hier anfangs in seines Meisters Weise (Erbauungsschrift Joseph 1786 u. a.), wie er auch veranlaßte, daß 1786 die Ansgarii-Gemeinde zu Bremen Lavater zum Prediger wählte. Letzterer nahm die Wahl zwar nicht an, kam aber kurz darnach auf Besuch nach Bremen und wurde dort in fast überschwänglicher Weise gefeiert. St. entfernte sich dann je mehr und mehr von ihm. 1793 schreibt er an einen Freund, daß er allen Lavater’schen Ankündigungen schon seit lange nicht den geringsten Werth mehr beilege und müde sei, sich von ihm hinhalten zu lassen. Statt dessen wendet er sich der rationalistisch-aufgeklärten Denkart seines Zeitalters zu (Schrift: Sektengeist 1796). Autoritäten sind ihm jetzt die Theologen Semler, Eichhorn, Löffler, Reinhard, Paulus, Heß u. s. w., mit denen er meistens in regem geistigen Verkehr steht. Seine seitherigen Kundgebungen in Wort und Schrift finden bei Vielen großen Beifall, während ernster gerichtete Christen, wie der Bremer Prediger Gottfried Menken, ihn als einen Abgefallenen betrachten und beklagen, daß er mit Lavater zugleich das Evangelium verlassen. Am meisten Aufsehen erregte wohl seine Uebersetzung des Neuen Testamentes, welche zuerst 1790 und dann sehr oft wieder, zuletzt 1820, meistens in sorgfältiger Umarbeitung, erschien. In ihr findet sich eine völlig moderne Sprache und alle höheren Ausdrücke sind sehr frei, oft entsetzlich flach wiedergegeben (z. B. Joh. 3, 13 heißt es, in der Uebersetzung, nicht Erklärung: „Und Niemand kann doch, auch über höhere Wahrheiten, so gut Auskunft geben, als der eines göttlichen Umganges genoß, nämlich eben dieser Mensch, der mit Gott in innigster Gemeinschaft steht“). Als die 2. Auflage dieser Uebersetzung erschien (1795), gerieth der Verfasser darüber in eine litterarische Fehde mit Joh. Ludw. Ewald, früher Stolz’ Vorgänger in Offenbach, jetzt Generalsuperintendent in Detmold und kurz darauf (1796) Pastor an St. Stephani in Bremen, einem nicht minder fruchtbaren Schriftsteller. Ewald warf ihm öffentlich vor, er habe sich in seiner Uebersetzung bemüht, gewisse Lehren, z. B. von der Größe Jesu, bei Seite zu tragen. St. vertheidigte sich leidenschaftlich hiergegen, und längere Zeit erschienen hierüber gegenseitige Erklärungen und viel gelesene Schriften, bis sie sich schließlich öffentlich wieder vertrugen (1800). Zur Uebersetzung des Neuen Testaments gab St. dann auch „Erläuterungen“ heraus „für gebildete und geübte Leser“ (seit 1796), die ganz das rationalistische Zeitgepräge tragen. 1798 wurde er in Marburg zum Doctor der Theologie ernannt. 1802 erhielt er in Bremen zu seinem Predigeramt noch den Beruf eines Professors der Theologie am Gymnasium illustre, einer akademischen Anstalt, die früher geblüht hatte, jetzt aber schon [765] am Untergehen war und deren Stellen daher nur noch um der Ehre und der Einnahme willen gesucht wurden (1810 ging sie ein). Als 1809 sein College Tiling starb, wurde St. zum Pastor primarius an seiner Kirche ernannt, erhielt aber, da die Gemeinde klein und die Zeiten schwer waren, zunächst keinen Collegen. Große Verdienste erwarb er sich insbesondere bei Herstellung des neuen Bremer Gesangbuches (1812 erschienen), das freilich ganz im damaligen unkirchlichen und sentimentalen Geschmacke gehalten ist, trotzdem aber bis 1873 bei den reformirten Stadtgemeinden im Gebrauche blieb. Als Bremen, schon lange von den Franzosen bedrückt und geknechtet, am 1. Januar 1811 mit den Weser- und Elbemündungen dem französischen Kaiserreiche einverleibt wurde, hatte St., damals Director des bremischen Prediger-Ministeriums, viele ihm nicht angenehme neue Aufgaben zu erfüllen. Dadurch kam der schon länger gefaßte Entschluß in ihm zur Reife, sein Amt aufzugeben und Bremen zu verlassen. Im April 1811 reichte er seine Entlassung ein und legte am 18. August seine Aemter nieder. Zum Nachfolger an St. Martini wählte die Gemeinde den ihm völlig entgegengesetzten Prediger Menken. St. zog wieder in seine Heimath Zürich, wo er sich, da seine Frau gestorben war, mit einer litterarischen Freundin vermählte und die übrige Lebenszeit noch schriftstellerisch wirkte. Doch blieb die Beziehung zu Bremen erhalten, da zwei seiner Töchter nacheinander Gattinnen des dortigen Senators Gildemeister wurden. Aus einer dieser Ehen ist der jetzt noch lebende Schriftsteller und Publicist Otto Gildemeister entsprungen (die erste dieser Ehen ist durch Schenkendorf 1816 in einem lieblichen Gedichte gefeiert – s. Schenkendorf’s Lieder, 1862, S. 419). St. starb am 12. März 1823 in seiner Vaterstadt. Die von ihm verfaßten Schriften sind seit seiner Abkehr von Lavater meistens Popularisirungen der damaligen rationalistischen Zeitproducte, theils in Predigten (z. B. „Predigten über die Merkwürdigkeiten des 18. Jahrhunderts“ 1801 u. 1802), theils in Aufsätzen und kleineren Schriften (z. B. „Erweckungen zu erneutem Nachdenken über den Religionsunterricht“ 1803 u. 1804, „die Psalmen für eine gebildete Dame erläutert“ 1814), daneben auch einige wissenschaftlich gehaltene Arbeiten (Aussätze in Löffler’s Magazin u. s. w.). Ein sehr mäßiges Kirchenlied im damaligen Geschmacke von 37 Strophen findet sich im früheren Bremer Gesangbuch. Daneben zeigte St. auch einen feinen Sinn für andersartige Geister, wie Borromäus, Erasmus, Hutten, Zinzendorf u. A., deren Schriften er übersetzte oder mannichfach besprach. In allem, was er schrieb, zeigt sich ein klarer Verstand und leichte Darstellung, sowie auch Gemüth in etwas sentimentaler Weise, wie es damals beliebt war. Seine Schriften wurden deshalb gern gelesen, ein großer Theil derselben erschien in mehrfachen Auflagen.
Stolz- Rotermund, Bremer Gelehrtenlexikon 1818. – Brockhaus’ Conversations-Lexikon 1827 (in späteren Auflagen ist Stolz fortgelassen). – Briefe von L. C. Lavater an ihn und seine Freunde 1787. – Die Schriften von St. befinden sich großentheils in der Bremer Stadtbibliothek. – Als Manuscript ein sehr ausführliches und interessantes Tagebuch von Stolz im Bremer Familienbesitz. – Briefe von ihm an den Bibliotheker Benzler in Wernigerode 1786–93, in der dortigen gräflichen Bibliothek. – Ein Bild von ihm findet sich in Löffler’s Magazin.
[764] *) Zu Bd. XXXVI, S. 424.