ADB:Stolberg-Wernigerode, Heinrich Graf zu

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Artikel „Stolberg-Wernigerode, Henrich Graf zu“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 396–399, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg-Wernigerode,_Heinrich_Graf_zu&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 21:09 Uhr UTC)
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Stolberg-Wernigerode: Henrich regierender Graf zu St.-W., Sohn Graf Christian Friedrich’s (s. o. S. 387 ff.) und Auguste Eleonorens, geborne zu St.-St., geboren am 25. Dec. 1772 auf Schloß Wernigerode, † daselbst am 16. Febr. 1854. Die Eltern, welche das Erziehungswesen nach der pädagogischen Richtung jener Zeit zu einer Art Studium gemacht hatten, verwandten auf die Ausbildung dieses ihres ältesten Sohnes eine so erfinderische Sorgfalt, daß wir hier nur die Hauptmomente andeuten können. Nachdem man in der Wahl des ersten Jugendlehrers 1779 sehr glücklich gewesen war, wurde im März 1783 in der Person des Majors v. Marconnay ein zwar ernster und gewissenhafter, durch seine gesetzliche Strenge aber auf den Zögling nicht immer wohlthuend einwirkender Studienleiter gewonnen. Während dieser aber bis zum Frühjahr 1792 ihm zur Seite war, wurden daneben daheim wie auswärts die tüchtigsten Lehrer ausgesucht. Noch vor vollendetem 15. Lebensjahre zog er, nachdem er auch in der Musik, besonders im Geigenspiel, sorgfältig unterwiesen war, mit seinem Bruder Ferdinand nach Straßburg, wo er durch akademische Lehrer, doch nicht als Hörer der öffentlichen Vorlesungen, unterrichtet und auch in körperlichen Fertigkeiten, sowie in den Formen eines feineren geselligen Verkehrs geübt wurde. Hier wie während seines ganzen Studiengangs übernahm der Vater selbst die Prüfung des Plans und der Fortschritte in den Studien, sowie die Durchsicht der Rechnungen des Sohnes. Da der Ausbruch der französischen Revolution die Straßburger Studien unterbrach, so wurde H. nach einer lehrreichen Reise noch im Herbst 1789 nach Berlin gesandt, um dort seine Ausbildung im möglichst [397] genauen Anschluß an das begonnene fortzusetzen. Weil mit Rücksicht auf eine für ihn erlangte Halberstädter Domherrnstelle drei Jahre ein und dieselbe Universität zu besuchen war, so ging er im Sommer 1790 nochmals nach Straßburg, mußte sich jedoch schon im Herbst der Unruhen wegen von dort fortbegeben. Kurz vor seinem Weggange konnte er sich in Frankfurt an der Kaiserkrönung Leopold’s II. betheiligen. Im Januar 1791 begann das eigentliche akademische Studium in Göttingen, wo nunmehr durch des Erbgrafen zukünftigen Lebensberuf Inhalt und Richtung der Studien bestimmt wurde. Nach 14monatlicher fleißiger Benutzung dieser wichtigen Lernzeit führte eine ernstliche Erkrankung eine Unterbrechung herbei. Nach gründlicher Erholung in Wernigerode und einer, auch bereits zu geschäftlicher Thätigkeit benutzten Reise nach Schlesien, folgte ein dritthalbjähriger, durch die Einführung in höhere Gesellschaftskreise, sowie durch die Pflege von Kunst und Wissenschaft ungemein fruchtbarer und angenehmer Aufenthalt in Dresden, wo der Prof. Wilh. G. Becker und Mag. Winkler Hauptlehrer waren, während auf Geist und Gemüth der Briefverkehr mit den Schwestern einen unberechenbar segensreichen Einfluß übte. Nachdem sich an diesen Aufenthalt noch ein halbjähriger ökonomischer Cursus auf der kurfürstlichen Musterwirthschaft Ostra-Vorwerk bei Dresden und ein fünfmonatlicher unter Werner und v. Charpentier an der Bergakademie zu Freiberg geschlossen hatte, wurde die Laufbahn der Vorbereitung zunächst beschlossen. Graf H. begann Ende 1796 an den Geschäften theil zu nehmen, und am 11. Juli 1797 wurde ihm die Verwaltung des Vorwerks Wernigerode übertragen. Die hierbei entfaltete Thätigkeit, besonders ein am 8. April 1798 eingereichter Bewirthschaftungsplan, machten dem Vater außerordentliche Freude, und er ließ seinen Sohn noch in demselben Jahre mit seinem Bruder Ferdinand eine große Studienreise nach Wien, Ungarn und bis nach Triest antreten. Erst jetzt folgte auf die Zeit des Lernens und Empfangens eine bis an das späte Lebensende reichende Periode unermüdlichen Schaffens. Zu Anfang derselben begründete er am 4. Juli 1799 durch Vermählung mit Jenny, Tochter des Fürsten Otto zu Schönburg-Waldenburg, einen eigenen, zunächst auf dem von ihm verwalteten Marienhofe zu Ilsenburg geführten Hausstand. Während sein Haus 1801 durch die Geburt einer Tochter, Eleonore, 1802 und 1803 zweier Söhne, Hermann und Bernhard, gebaut wurde, widmete er sich mit allem Ernst den Geschäften als regelmäßiges und thätiges Mitglied der gräflichen Kammer. Das Ableben des letzten Fürsten von Stolberg-Gedern, Karl Heinrich, am 5. Januar 1804, brachte dessen Land an Wernigerode, und sein Vater bestellte ihn hier zu seinem Stellvertreter, als welcher er am 9. August seinen Einzug hielt. Seine Familie wurde hier im J. 1805 durch die Geburt eines Sohnes, Botho, und am 16. December 1806 einer Tochter, Karoline, vermehrt. Noch bevor das letztere frohe Ereigniß eintrat, wurde das Glück des Hauses und das gesegnete Walten seines Hauptes jäh gestört durch die Folgen des deutsch-französischen Krieges und die Rheinbundsacte vom Juli 1806, welche Gedern der Oberhoheit des Großherzogs von Hessen unterwarf. Mit seinem Vater begab er sich alsbald zu dem Fürstprimas, Coadjutor von Mainz v. Dalberg, dann nach Berlin und von dort zu Napoleon nach Dresden, um so viel wie möglich von Besitz und Rechten des gräflichen Hauses zu retten, aber umsonst. Ebenso vergeblich war eine im Sommer 1807 mit dem Archivar Delius nach Paris zu Jérôme unternommene Reise. Um ein leidliches Verhältniß zu dem neuen Machthaber herzustellen, erwies er sich demselben dienstfertig, nahm auch eine Stellung bei Hofe an, die ihn jedoch nicht fest an die Person des Königs band. Als Stand des Königreichs Westfalen mußte er auch die Ständeversammlungen in Kassel besuchen, wich jedoch, so oft es anging, aus. Da der König ihn persönlich sehr schätzte, so suchte er ihn näher an sich [398] zu ziehen, schmückte ihn auch am 5. Februar 1810 mit dem Orden der Westfälischen Krone. Trotz solcher Anerkennung konnte es geschehen, daß er bei dem Spionagesystem der Fremdherrschaft der Theilnahme an einer gegen die Person des Königs gerichteten und die Wegnahme Magdeburgs bezweckenden Verschwörung bezichtigt wurde. Große Selbstverleugnung erforderte die ihm aufgenöthigte Betheiligung an speciell der Feier der Fremdherrschaft gewidmeten Festen, wie des Napoleonstages oder der Empfang der westfälischen Majestäten auf Schloß Wernigerode im Sommer 1811.

Mitte Mai 1809 übergab ihm sein Vater, als derselbe sich auf seine schlesischen Güter zurückzog, die Verwaltung der Grafschaft. In dieser auf eigene Verantwortung im Namen des Vaters gewissenhaft und mit großem Geschick geübten Thätigkeit, war die gründliche Ordnung und Wiederherstellung des gräflichen Finanz- und Creditwesens sein schwierigstes und verdienstvollstes Werk. Seit längerer Zeit hatten sich im Hause Schulden angesammelt und deren Masse sich in einem Menschenalter seit 1780 verdoppelt. Trotzdem waren die Verpflichtungen gegen die Gläubiger stets gewissenhaft erfüllt, aber dasselbe war bei den großen Einbußen des Hauses durch die Fremdherrschaft, dem Stocken der Geschäfte, dem Sinken der Werthe, vor allen Dingen dem allgemeinen Verlust des Vertrauens seit etwa 1807/8, in eine üble Lage gerathen. Da gelang es dem Grafen H. durch seine außerordentliche Geschäftstüchtigkeit und durch die Unterstützung wohlwollender Anhänger des Hauses, unter welchen namentlich der Kaufmann Hertzer in Wernigerode zu erwähnen ist, allmählich gründliche Ordnung zu schaffen und das Vertrauen der Gläubiger zu befestigen. Unmittelbar bevor Graf H. an diese mühsame Arbeit herantrat, hatte ihn am 29. August 1809 durch den Verlust seiner Gemahlin ein sehr schwerer Schlag getroffen. Von den sechs unerwachsenen Kindern, die sie hinterließ, übernahm seine Schwester Friederike, Gräfin Dohna, die weitere Erziehung der beiden Töchter, während die vier Söhne in Wernigerode blieben und am 30. December 1810 in Eberhardine, Tochter des königl. Ministers v. d. Recke, eine zweite Mutter erhielten. Die Zeit der Erhebung Preußens stellte dem Erbgrafen neue Aufgaben. Eine Zeit lang war er unter dem Generalgouvernement Landrath des Kreises Osterwiek. Sodann übernahm er namens des Gesammthauses Stolberg vom September 1814 bis Juli 1815, während sein Vater noch einmal unmittelbar die Regierung in Wernigerode führte, eine Mission zum Wiener Congreß, um die Ansprüche und Rechte des Hauses zu wahren. Zwar ließen die Umstände die Erreichung des eigentlichen Zwecks dieser Sendung nicht zu, die Ansprüche des Hauses wurden aber doch im Kreise der Staatsmänner und Diplomaten bekannt. Jedenfalls zeugen die merkwürdigen, bei dieser Gelegenheit verfaßten Briefe und Denkschriften des Grafen von einem großen politischen Blick und Verständniß. Als dann am 26. Mai 1824 das Ableben des Vaters ihn zur Regierung im eigenen Namen berief, hatten ihn seine nunmehrigen Unterthanen längst als stellvertretenden Herrn kennen und schätzen gelernt. Sein noch durch ein ganzes Menschenalter fortgesetztes Walten weist vielleicht im Einzelnen nicht viel besondere Thaten auf, wohl aber ein ungemein treues, geschicktes und sachkundiges Schaffen in allen Zweigen der Verwaltung. In seiner Thätigkeit für Kirchen und Schulen, denen er 1827 eine verbesserte Einrichtung gab, in der gewissenhaften Besetzung geistlicher Stellen mit gläubigen Predigern, auch in dem Interesse für Bibel und Gesangbuch, wandelte er treu in den Bahnen seiner Vorfahren. So sehr seine Erfahrungen ihn zum sparsamen Wirthschafter gemacht hatten, wandte er doch auf die ihm theure Familienstiftung der gräflichen Bibliothek ansehnliche Summen. Im J. 1826 gab er ihr in dem ehemaligen Orangeriegebäude eine ungemein geeignete Unterkunft und Aufstellung, [399] und vermehrte die hymnologische, allermeist aber die historische Abtheilung in außerordentlicher Weise. Von seinen bereits erwähnten Nebenämtern abgesehen, hatte H. aber auch später außer seiner Thätigkeit als Regent noch besondere Aufgaben zu erfüllen. Mehrmals beehrte ihn das Vertrauen König Friedrich Wilhelm’s III. und IV. mit besonderen Aufträgen. Längere Zeit war er Mitglied des preußischen Staatsraths und deshalb oft auf einige Zeit in Berlin anwesend. Auch in der hannöverschen Kammer war er vielfach thätig; in der hessischen Kammer vertrat ihn zeitweise der Erbgraf. Innigste Uebereinstimmung der Gesinnungen und Bestrebungen verband ihn besonders mit König Friedrich Wilhelm IV., der ihn 1840 mit dem Schwarzen Adlerorden schmückte. Beide Könige befriedigte und erfreute er in hohem Maaße durch die geschickte Leitung des sächsischen Provinziallandtags, dessen Marschall er zwischen 1825 und 1845 war und in welchem er sich das Vertrauen der Mitglieder in hohem Maaße erwarb. Im September und October 1841 wurde er durch drei Todesfälle schwer betroffen. Am schwersten traf davon den greisen Grafen der am 24. October erfolgte Tod des Erbgrafen Hermann, der ebenso begabt als sorgfältig ausgebildet, die treueste und kräftigste Stütze seines Vaters war. Ehrte den Sohn die musterhafte, unermüdete Hingabe an seinen Beruf, in dessen Erfüllung er sich verzehrte, so war es seitens des Vaters die höchste Anerkennung, daß er, der sich sonst nicht gern dem Urtheil anderer unterordnete, dem Sohne in allen seinen Maaßnahmen das unbedingteste Vertrauen schenkte. Nach außen bekundete der aufs schwerste betroffene Vater dem dahingeschiedenen Sohne seine Liebe und Anerkennung dadurch, daß er ihm durch einen von ihm aufgesetzten Lebenslauf, und durch einen im Hofe des Hüttenamts errichteten Erzguß in doppelter Weise ein Ehrendenkmal setzte. Das Jahr 1848 brachte auch manche bittere Erfahrungen, veranlaßte den Grafen aber auch zu einem muthigen und entschiedenen antirevolutionären Proteste. Genau 10 Jahre nach dem Erbgrafen starb auch Graf Henrich’s treue zweite Lebensgefährtin. Darnach stellten sich die Gebresten des Alters mehr und mehr ein, und im 82. Lebensjahre ging er infolge schlagähnlicher Anstöße und allgemeiner Schwäche heim, ein Herr von seltener Geschäftstüchtigkeit und Welterfahrung, ein innig verehrtes treues Familienhaupt, das sein Haus durch schwere Zeiten und aus bedrohter Lage zu neuem Wohlstand und Ansehen erhob. Und wenn er bei Unterthanen und Bediensteten sich eine allgemeine Liebe und Verehrung erwarb, so war diese nicht etwa auf äußere Anmuth und Milde begründet, vielmehr forderte er mit Ernst überall fleißige, treue Pflichterfüllung, aber so streng er in diesen Forderungen war, ebenso streng übte er Gerechtigkeit gegen jeden. Von dem Grafen sind mehrere gute Gemälde von J. Hartmann auf Schloß Wernigerode vorhanden. Ein offenbar sehr getreues Oelbild (Kniestück) ist nach mehreren guten älteren Bildern nach des Grafen Ableben von demselben Künstler gemalt. Es stellt den Grafen im Gala des Johanniterordens dar, dem er seit 1800 angehörte. Eine Lithographie von Ed. Uber in 4°, die den Grafen im späteren Lebensalter vor Augen führt, ist ziemlich verbreitet. Ihr entspricht eine ähnliche Steinzeichnung von seiner Gemahlin Eberhardine.

Auszug aus einer größeren nach archivalischen und sonstigen handschriftlichen Quellen entworfenen Lebensbeschreibung.