ADB:Stolberg-Wernigerode, Friderike Gräfin zu

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Artikel „Stolberg-Wernigerode, Friederike Gräfin zu“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 548–551, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg-Wernigerode,_Friderike_Gr%C3%A4fin_zu&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 19:13 Uhr UTC)
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Stolberg-Wernigerode: Friederike Gräfin zu St.-W., geboren am 16. December 1776 auf Schloß Wernigerode, seit 11. November 1806 Gräfin und Burggräfin zu Dohna, † am 4. October 1858 zu Gnadenberg i. Schles. Unter den trefflichen Töchtern des als „Vater Stolberg“ im Gleim’schen Kreise verehrten Grafen Christian Friedrich – der anakreontische Hausdichter Klamer bezeichnete sie wohl als „das Generalcapitel der vier Schwestern“ – galt wegen ihres Gemüths und ihrer Geistestiefe Friederike, die jüngste, als weitaus die beste. Gelegentlich hat das die durch Alter und Lebensführung ihr am nächsten stehende Schwester Luise, spätere Frau v. Schönberg (siehe A. D. B. XXXII, 264–267) in rührender Bescheidenheit ausgesprochen. In eigenthümlicher Weise fand diese Anerkennung durch den in vertrautem Kreise ihr beigelegten Namen „Nüßchen“ einen Ausdruck, womit man auf den edlen schmackhaften Kern hindeuten wollte, den sie in unscheinbarer Schale barg. In der deutschen Litteratur wurde sie durch den Aesthetiker und Uebersetzer Lorenz Benzler (s. A. D. B. XLVI, 364–366) unterwiesen, in der Tonkunst durch den von Jung-Stilling geschätzten Musiker und Tonsetzer, den Hoforganisten Klose. An erster Stelle war aber für ihre geistige Entwicklung bedeutsam das Vorbild ihres edlen Vaters und die Anleitung durch ihre geistvolle, zart besaitete Mutter, die Gräfin Auguste Eleonore, geborene Gräfin zu Stolberg-Stolberg. Bei den in ihrer Jugendzeit in der sog. „Akademie“ auf Schloß Wernigerode ausgeführten musikalischen Darbietungen entzückte Friederike die Hörer durch ihren seelenvollen Gesang. Bei dem unablässigen Verkehr geistvoller Männer und Frauen auf Schloß Wernigerode konnte es nicht fehlen, daß sie vielfach überschwenglich angeschwärmt wurde, so von dem bekannten Legationsrath Matthaei (s. A. D. B. LII, 232–237). Sie hat das gelegentlich selbst als Götzendienst bezeichnet. Bei ihrem Liebreiz und ihren reichen Geistesgaben fehlte es ihr nicht an Bewerbern; da sie aber Bedenken trug, einem Anderen die Hand zu reichen als einem solchen, mit dem sie in den wichtigsten Lebensfragen eines Sinnes war, so dauerte es längere Zeit, ehe es zu einem Entschlusse kam. Als sie dann endlich diesen Schritt that, geschah dies nicht aus natürlicher Neigung, sondern weil sich im Spätherbst 1806 in dem Burggrafen Heinrich Ludwig v. Dohna-Condehnen ein Freier fand, der wegen seines Ernstes und seiner aufrichtigen Frömmigkeit das volle [549] Vertrauen ihrer Eltern und damit ihr eigenes fand. So erfolgte denn schon am 2. October die Verlobung, nachdem der Graf erst Tags vorher auf Schloß Wernigerode erschienen war. Der kurze Brautstand fiel in die Tage der erschütterndsten Ereignisse, der Niederlagen von Jena und Auerstedt.

Nachdem auf Schloß Wernigerode die ganz einfache, stille Hochzeit stattgefunden hatte, verließ sie nach drei Tagen das Elternhaus, um ihrem Gatten nach Dresden und bald darnach auf die Dohna’sche Besitzung in dem benachbarten Hermsdorf zu folgen. Sie ist dann ihrem Gemahl eine allzeit beglückende, treue Genossin gewesen, bis der Tod ihn am 9. December 1833 von ihrer Seite riß. Friederike beschränkte aber ihr geistiges Leben und Streben keineswegs selbstisch auf ihre eigene Person und Daheim, sondern sie hat dies, soweit es in den Schranken der Weiblichkeit thunlich war, als Patriotin, durch die Uebung christlicher Wohlthätigkeit und durch nachhaltige geistige und geistliche Einwirkung auf einen großen Kreis von Zeitgenossen, zu welchen sie durch ihre besondere Lebensführung in Beziehung trat, in reichem Maße bethätigt. Sobald seit der Erhebung Preußens das Hoffnungsroth einer Befreiung von der französischen Fremdherrschaft aufleuchtete, ist sie ebenso wie ihre Schwester Luise, die Gemahlin des damaligen Geheimen Finanzraths Haubold v. Schönberg, in die Reihen der deutschgesinnten Männer und Frauen getreten. Und als sich damals ein den Lützowern nachgebildetes Banner der freiwilligen Sachsen bildete, zu welchem sich gegen 3000 Freiwillige und 600 Officiere stellten, da hat sie eigenhändig die Quasten zu den Fahnen gearbeitet und ihre Arbeit „mit treuen und innigen Wünschen einer deutschen Frau“ aus Hermsdorf am 28. Januar 1814 an Dietrich v. Miltitz übersandt. Ein Graf Heinrich v. Löben hat ihr dafür einen poetischen Dank namens der freiwilligen Sachsen dargebracht, und auch die erklärliche Mißstimmung, die seit der nicht lange darnach erfolgten Theilung Sachsens gegen alles, was aus Preußen stammte, eintrat, hat die Verehrung gegen diese wahrhaft edle Frau nicht schwächen können.

Aber allerdings war nicht diese vaterländische Gesinnung die Hauptaufgabe ihres thätigen Lebens, diese lag vielmehr auf dem religiösen Gebiete. Hierbei ist zunächst ihre enge Beziehung zur Brüdergemeinde zu erwähnen. Ihr Gemahl, dessen Mutter Marie Agnes, Gräfin v. Zinzendorf die zweite Tochter des Neubegründers der Brüdergemeinde war, gehörte ihr an, und Friederike fand sich in dieser Gemeinde wohl. Das zog sie keineswegs von dem Bekenntniß ihrer Jugend und ihres Hauses ab. Sie sah in der Brüdergemeinde nur eine kleine Abtheilung der großen Kirche; sie war auch fern von dem Mißtrauen, mit welchem auch religiös lebendige Personen den Einigungsbestrebungen König Friedrich Wilhelm’s begegneten und sich durch Mißgriffe zum Austritt aus der Landeskirche verleiten ließen. Friederike war von Jugend auf gewohnt, in ihrem elterlichen Heim gläubige Personen verschiedenen Bekenntnisses geliebt und verehrt zu sehen. Den größten Einfluß übte neben anderen Gliedern der römisch-katholischen Kirche der evangelisch gesinnte Michael Sailer aus, und zu jener Zeit knüpfte mehr die Gleichheit der Gesinnung und des Wandels als das äußere Bekenntniß ein Band der Gemeinschaft. Da sich nun in der Brüdergemeinde zu ihrer Zeit ein warmes evangelisches Wesen erhalten hatte, so fand Friederike sich in dieser Gemeinschaft wohl, und nicht zuletzt besteht ihre Bedeutung darin, daß sie hierbei ihre ganze elterliche Familie und deren Geistesverwandten nach sich zog. Zwar war der scharfe Gegensatz, der nach dem Jahre 1731, zu einer Zeit, als Zinzendorf’s ausschweifende Phantasie die besonnenen bekenntnißtreuen Glieder der lutherischen Kirche von der Zinzendorf’schen Gemeinschaft [550] abgezogen hatte, seit der Zeit ihres Vaters ausgeglichen, aber die entschiedene Wiederanknüpfung an Herrnhut geschah doch durch Friederike’s Vorgang.

Aber auch von der herrnhutischen Gemeinschaft abgesehen, war es ihr vergönnt, in den Grenzen ihres weiblichen Berufs in christlich-religiöser Beziehung einen anerkannten großen Einfluß zu üben, nämlich zur Zeit ihres Aufenthalts in Hermsdorf bei Dresden. Zu dieser ihres Gemahls Besitzung gehörte das benachbarte Lausa, wohin Graf Dohna einen der merkwürdigsten Geistlichen in der Person des Pastors Samuel Roller berief. Zur Zeit eines rationalistisch verflachten Christenthums war Roller ein treuer, gläubiger Bekenner, zu dem sich eine ganze Schar gleichgesinnter Personen und Familien drängten und besonders ihre Kinder durch ihn unterrichten und einsegnen ließen. Dazu gehörten auch Friederike’s Neffen und Nichten aus Wernigerode. All diesen ernst gerichteten Personen gewährte nun das gastliche Hermsdorf und die Gräfin eine willkommene Aufnahme und gesunde geistige Speise. Roller pflegte an vier Wochentagen von dem nahen Lausa herüberzukommen. In seinen bekannten „Erinnerungen“ hat uns der Maler Wilhelm v. Kügelgen aus eigener Erfahrung ein Bild von diesem gesegneten Hauswesen gegeben. Der traurige Anlaß, der die Gräfin nöthigte, Hermsdorf zu verlassen, mußte dazu beitragen, ihr noch eine merkwürdige weitreichende Wirksamkeit zu verschaffen, die ihr bis an ihr Ende auszuüben vergönnt war. Friederike’s Gemahl Graf Dohna war zwar ein entschieden gläubiger, frommer Mann, aber nichts weniger als ein guter Wirthschafter. Sein Vermögen ging fortwährend zurück; im J. 1823 sah er sich veranlaßt, seine Güter Hermsdorf und Grünberg zu verkaufen. Friederike zog nun mit ihm bald nach Mönau bei Uhyst, bald nach Herrnhut und nach Gnadenberg in Schlesien. Am 5. October 1824 wurde sie zu Herrnhut feierlich in die Gemeinde aufgenommen und fand darin Glück und Frieden. Sie war aber dabei nicht blind gegen Einseitigkeiten innerhalb des herrnhutischen Kreises, so bei ihrem Verkehr mit der reformirten Schweizerin Kleophea Schlatter, deren tiefinnerliches Wesen von der herrnhutischen Gemeinde nicht gewürdigt wurde. Bei ihrer echt christlichen Weitherzigkeit äußert sie sich in gereiftem Alter wohl einmal, daß, wenn bei verschiedenen religiös-christlichen Anschauungen die Glieder der Herde Christi nur mit allem Ernste dem einen Hirten folgten, diese Mannichfaltigkeit nur eine Schönheit mehr sei.

Nachdem der Burggraf Dohna Ende 1833 gestorben war, verlebte Friederike den größten Theil ihrer Tage in der Gemeinde zu Gnadenberg, wo sie bei dem hohen Alter, das ihr beschieden war, länger weilte als in ihrem früheren Lieblingssitze Hermsdorf. Sie war aber bis ins Alter ungemein viel unterwegs und berechnete gelegentlich die vielen hunderte von Meilen, die sie in einem Jahr zurückgelegt hatte. Ueberall wurde sie mit Freuden aufgenommen. Einem tiefen Verlangen ihrer Seele hat sie wohl in dem Wunsche Ausdruck gegeben: „Möchten alle Mägdlein unseres Namens Evangelistinnen werden.“ Besonders innig hing sie an Wernigerode und der Burg ihrer Väter, auf der sie noch im September 1855 bei der Vermählung der Gräfin Eleonore mit dem Prinzen Reuß erscheint. Mit hoher Freude konnte die Greisin noch das Erwachen eines neuen geistlichen Lebens in ihrer Jugendheimath beobachten und an den Missionsfesten in der Grafschaft theilnehmen. Durch verschiedene Generationen und bis heute lebt die Erinnerung an die „Tante Dohna“ in der weit verzweigten Familie fort. Fast 82 Jahre alt verschied sie zu Gnadenberg und wurde neben ihrer Schwester Luise v. Schönberg, die ihre letzten Lebensjahre in dem benachbarten Groß-Krausche zugebracht hatte, beigesetzt. Von den Bildern der Gräfin Friederike sind zu erwähnen: [551] ein Pastell-Brustbild im Profil von etwa 1799 zu Diersfordt bei Wesel, ein Miniaturbild von etwa 1800 zu Gauernitz bei Coswig an der Elbe (Königreich Sachsen), ein in Oel gemaltes Kniestück von Weihnachten 1816, gemalt für ihre Schwester Luise von Gerhard v. Kügelgen, auf Rittergut Beitzsch, Kreis Guben, ebendaselbst ein Kniestück in Oel gemalt aus den letzten Lebensjahren mit Herrnhuterhaube. Es wird dies gegen Anfang 1857 von der Hofräthin und Malerin Venus nach Angabe der Gräfin Auguste v. Schlieffen gemalt sein. (Auf Schloß Wernigerode.)

(Auguste Gräfin v. Schlieffen,) Friederike Burggräfin und Gräfin zu Dohna geb. Gräfin zu Stolberg-Wernigerode. 149 S. Als Manuscript gedruckt. – Handschriftl. Lebenslauf im Archive zu Herrnhut. – Wilhelm v. Kügelgen, Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Berlin 1870, wovon bereits 1896 die 17. Auflage erschien. – Magnus Ad. Blüher, Dav. Sam. Roller’s Leben und Wirken. Dresden 1852. – Luise v. Schönberg geb. Gräfin zu St.-W., Christian Friedrich Graf zu St.-W. und Auguste Eleonore, Gräfin zu St.-W. Als Handschr. gedr. Glogau 1858. – Mittheilungen aus den Papieren eines sächsischen Staatsmanns (von Joseph Woldemar v. Zezschwitz, aus den Briefen des Vaters[WS 1] mitgetheilt), zuerst 1856, 2. Auflage Dresden 1864. – Dresdener Landwehr-Blätter 1813. 1814, S. 173. – Otto Eduard Schmidt, Sächsische Streifzüge, 3. Bd. Leipzig 1906, S. 318, 368. – Handschr. Tagebuch der geb. Gräfin Luise zu Stolberg-Wernigerode, späteren Frau v. Schönberg. – Mündliche und schriftl. Mitthlgn. des Frhrn. v. Welck, Hauptm. im kgl. sächs. 4. Inf.-Regt.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Joseph Friedrich von Zezschwitz (1775–1817), Kreishauptmann, Geheimer Finanzrat.