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Artikel „Stirm, Karl Heinrich“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 255–256, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stirm,_Karl_Heinrich&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 19:21 Uhr UTC)
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Stirm: Karl Heinrich St., geboren zu Schorndorf (Württemb.) am 22. September 1799, † zu Stuttgart am 24. April 1873, evangelischer Theologe, entstammte einer ehrbaren aber mittellosen Schorndorfer Familie. Sein Vater Johann Heinrich St. war Spitalküfer in Schorndorf und hinterließ bei seinem Tode (30. Aug. 1809) seine Frau (Maria Agnes geb. Zündelin) und seine fünf Kinder, unter welchen Heinrich der einzige Sohn war, in der bittersten Armuth. Der Knabe besuchte die Volksschule, aber seine Lehrer, Geistliche und Gönner, aufmerksam gemacht auf seine hervorragende Begabung ermöglichten ihm bald den Besuch der Lateinschule; um seine treffliche Mutter, welche ihre Kinder sehr gut erzog, zu unterstützen, gab er damals schon anderen Kindern Unterricht, die Stunde um 1 Kreuzer (3 Pfg.). Mit 14 Jahren kam er zu Pfarrer Gaab nach Faurndau (O.-A. Göppingen), um dessen Kinder zu beaufsichtigen, während der Pfarrer ihn in seinen Studien fördern sollte. Mit allem Eifer eines strebsamen, willensstarken, für die Wissenschaft begeisterten Jünglings warf sich St. auf das Studium der classischen Sprachen, oft trieb er bei Mondschein in seinem ungeheizten Dachstüblein Latein und Griechisch, bis er sein Ziel erreichte und 1815 nach überstandenem Landexamen in das Seminar zu Schönthal eintrat, um dort sich auf das Studium der Theologie vorzubereiten. 1817 kam er nach Maulbronn und 1819 in das Seminar zu Tübingen. Hier blieb er, was er schon im niederen Seminar gewesen war, stets der Erste seiner Promotion. Drei Preise – für die philosophische, die theologische und die homiletische Aufgabe, welche er von der Universität heimbrachte – ein vorzügliches Abgangszeugniß (I a) legten das rühmlichste Zeugniß ab von seinem eisernen Fleiße und seinen trefflichen Kenntnissen. Eine willig getragene Sparsamkeit und eine Bedürfnißlosigkeit, wie man sie in der jetzigen Zeit nicht mehr kennt, machten ihm möglich, in der Seminar- und Universitätszeit seine Mutter zu unterstützen, aber wenn auch des Lebens Noth und Sorge so frühe und lange auf ihm lastete und als Nachklang davon ein gewisser Ernst ihn das ganze Leben hindurch begleitete, so nahm er doch, soweit seine Mittel erlaubten, an dem fröhlichen Studentenleben theil, ein Kreis treuer talentvoller Freunde (Grüneisen, Eisenlohr, Wurm, Stälin, W. Hauff) umgab ihn; universell gebildet bewahrte er sein Leben hindurch einen offenen Sinn für die öffentlichen Angelegenheiten, für das Wohl des weiteren und engeren Vaterlandes, musikalisch beanlagt trieb und hörte er auch gerne Musik. – Im Herbst 1823 verließ er die Universität, wurde Vicar, dann Repetent im Seminar Schönthal, im J. 1824 unternahm er, der allgemeinen Sitte folgend, unterstützt von einem vermöglichen Freunde, seine theologische Reise nach Berlin; dort blieb er mehrere Monate, trat in persönlichen Verkehr mit Schleiermacher und Neander (gerne erzählte er später von den Besuchen in Schleiermacher’s Hause), und kehrte dann über Wittenberg, Leipzig, Bonn und Heidelberg nach Schwaben zurück, wo ihm sogleich eine Repetentenstelle in Tübingen zu theil wurde. Im J. 1828 wurde er Pfarrer in dem Dorfe Unterensingen (O.-A. Nürtingen), 1835 nach Stuttgart berufen als Hofcaplan und Oberconsistorialrath. Die erstere Stelle legte er im J. 1850 nieder, in der letzteren blieb er bis zu seinem Tode, ein hochangesehenes einflußreiches Mitglied, das mit den wichtigsten Referaten betraut wurde; er war lange Jahre Mitglied der theologischen Prüfungscommission und nahm theil an der Commission für die Bearbeitung eines neuen Gesangbuches, für welches er die Leidensgeschichte ganz vortrefflich bearbeitete. Aber besonders war seine Wirksamkeit der Volksschule zugekehrt; alle die wichtigen Verbesserungen und Veränderungen, welche das evangelische Volksschulwesen in Württemberg bis zum J. 1873 erfuhr, sind unter seiner eifrigen Mitwirkung entstanden, so besonders die beiden Schulgesetznovellen vom 6. Nov. 1858 und 25. Mai 1865, [256] die Einführung des Normallehrplans (1870) und das Gesetz vom 18. April 1872; der ökonomischen Besserstellung der Schullehrer, der Vorbereitung der Schulamtscandidaten durch Gründung neuer Seminare und Voranstalten, überhaupt allen das Schulwesen betreffenden Verhältnissen widmete er seine volle Aufmerksamkeit, wie er auch lange Jahre der Prüfungscommission für dasselbe angehörte. Dem Volksschullesebuch gab er seinen religiösen Gehalt; denn eine Trennung von Kirche und Schule konnte er sich nicht recht vorstellen. Ein eiserner Fleiß, eine staunenswerthe Arbeitskraft machten dem ruhigen, besonnenen und nüchternen Mann möglich, seinen umfangreichen Geschäften stets gerecht zu werden. Seinem eigenen Geständniß nach hing sein Herz aber doch an der Theologie. Von 1836 an übernahm er die Redaction der „Studien der evangelischen Geistlichkeit von Württ.“ und führte sie bis zum Eingehen des Blattes (1848) fort. 1836 erschien sein theologisches Hauptwerk „Die Apologie des Christenthums für gebildete Leser“, hervorgerufen durch ein Preisausschreiben einer Gesellschaft positiv gesinnter Geistlicher und Laien; sie ist in Briefform abgefaßt und behandelt klar, umfassend, von orthodoxem aber nicht einseitigem Standpunkte aus alle einschlagenden Fragen; eine gewisse Nüchternheit ist allerdings nicht zu verkennen (1856 neu aufgelegt). 1838 verlieh ihm die Tübinger theologische Facultät dafür die Doctorwürde. 1829 gab er zum Besten seiner Gemeinde Unterensingen „Zwölf Predigten“ heraus; auch kleinere theologische und pädagogische Aufsätze entstammten seiner Feder, so besonders die größere treffliche Abhandlung über das württembergische Volksschulwesen in: Encyklopädie des Erziehungswesens von Schmid X, 1875, seine letzte Arbeit. – Im November 1828 hatte er sich mit Auguste Weishaar vermählt, der Tochter des württ. Ministers J. Fr. v. Weishaar, der in Köngen seinen Sommeraufenhalt hatte; 3 Söhne und 2 Töchter entstammten dem glücklichen Bunde, welchen der allzufrühe Tod der Gattin (19. Septbr. 1852) löste; eine Tochter war der Mutter schon ins Grab vorangegangen. Im Kreise seiner übrigen Kinder, später von fröhlich heranwachsenden Enkeln umgeben, brachte St. die letzten 20 Jahre seines Lebens zu, die unermüdliche Thätigkeit nur durch die Prüfungsreisen und Ausflüge in die Nachbarstaaten, häufig nach Frankfurt, unterbrechend; einmal führte ihn sein Weg bis Genua. Zurückgezogen lebend, im Umgang mit wenigen vertrauten Freunden stellte St. das Bild eines ebenso hochgebildeten als bedürfnißlosen ehrwürdigen württembergischen Theologen dar, dem seine Arbeit fast seine ganze Welt bildet. Bis in sein Alter blieb er gesund an Leib und Seele, im April 1873 ergriff ihn eine Lungenentzündung, welche dem rastlos thätigen Leben nach wenigen Tagen ein jähes Ende bereitete, er starb am 24. April 1873.

Quellen, außer mündlichen Mittheilungen von der Familie: die beiden Nekrologe im Schwäbischen Merkur, 1873, und in: Die Volksschule, 1873.