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Artikel „Simon, Gustav“ von Julius Pagel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 369–371, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Simon,_Gustav&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 14:19 Uhr UTC)
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Simon: Gustav S., berühmter Chirurg, wurde am 30. Mai 1824 zu Darmstadt als Sohn des großherzoglich hessischen Rentmeisters Georg S. geboren, † am 28. August 1876. Er besuchte die Gymnasien zu Darmstadt und Büdingen und bezog 1842 zum Studium der Medicin die Universität Gießen, die er 1844 mit Heidelberg vertauschte. 1845 ging er wieder nach Gießen zurück, wo er besonders unter Leitung des damaligen dortigen Prosectors Adolf Bardeleben seine Studien beendigte. 1848 erlangte er daselbst mit einer Arbeit, betitelt „Untersuchungen über den Luftgehalt der Lungen durch das Spirometer“, die Doctorwürde und ging dann nach seiner Vaterstadt, um dort als Militärarzt [370] bei einem hessischen Truppencorps (anfangs als Unter-, später als Oberarzt) bis 1861, zugleich auch als städtischer Armenarzt zu functioniren. In dieser Stellung widmete er besondere Vorliebe der chirurgischen Thätigkeit und hatte während des badischen Feldzuges von 1849 im Darmstädter Militärlazareth reiche Gelegenheit, Erfahrungen über Schußwunden zu sammeln, worüber er 1851 eine besondere Studie veröffentlichte. 1851–52 machte er eine wissenschaftliche Reise nach Paris, besuchte hier besonders die chirurgischen Kliniken und erhielt durch Jobert de Lamballe[WS 1] die erste Anregung zur Operation der Blasenscheidenfisteln. Nach Darmstadt zurückgekehrt, gründete er behufs weiterer Cultivirung der Methode Jobert’s daselbst mit acht befreundeten Collegen ein kleines Hospital für chirurgische und Augenkranke – der Volkswitz nannte es das Neuntödter-Hospital – wo er an einem mit rastloser Energie aus der näheren und ferneren Umgebung unter eigenem großen Kostenaufwand requirirten Krankenmaterial die Operation der Blasenscheidenfisteln übte resp. vervollkommnete. Als Resultat publicirte er 1854 mit der Beschreibung der Jobert’schen „Opération autoplastique par glissement“ eine „Neue Methode der Naht, die Doppelnaht (Entspannungs- und Vereinigungsnaht)“ (Gießen), illustrirt an 6 Fällen. Infolge mehrerer glücklicher Operationen erlangte S. bald in ganz Deutschland einen solchen Ruf als Fisteloperateur, daß ihm von Aerzten und Klinikern Patienten zugesandt wurden und er dadurch in die Lage kam, auf Grund weiterer Erfahrungen mit einer Reihe von Publicationen über diesen Specialzweig der operativen Heilkunde, speciell auch über eine inzwischen von ihm geübte Methode der „Kolpocleisis“ (d. i. des Querverschlusses der Scheide) hervorzutreten. Auch auf anderen Gebieten der Chirurgie war er nebenher praktisch und schriftstellerisch thätig, wie einige weitere Arbeiten, „über die Behandlung veralteter Oberarmluxationen“ (1852), „über die Einheilung von Gewehrkugeln in spongiösen Knochen“ (1853), „die Exstirpation der Milz am Menschen nach dem jetzigen Standpunkt der Wissenschaft“ (1857) u. a. m., beweisen. Neben der Blasenscheidenfisteloperation, welche seine Haupt- und Lieblingssache blieb, wurden noch andere gynäkologische Probleme in Angriff genommen, so die Ovariotomie, die Heilung des Gebärmuttervorfalls durch die Episiorrhaphie (künstliche Verengerung der Schamspalte) etc. 1861 wurde S. als Nachfolger Strempel’s zum außerordentlichen Professor der Chirurgie nach Rostock berufen und schon in demselben Jahre zum ordentlichen Professor und Director der chirurgischen Klinik daselbst ernannt. Auch hier widmete er sich besonders den plastischen Operationen und veröffentlichte u. A.: „Ueber die Operation der Blasenscheidenfisteln durch die blutige Naht und Bemerkungen über die Heilung der Fisteln, Spalten und Defecte, welche an anderen Körpertheilen vorkommen“ (Rostock 1862); „Ueber die operative Verlängerung (allongement operatoire) fibröser Gebärmutterpolypen. Eine Methode der Exstirpation sehr voluminöser Polypen“ (Monatsschr. für Geburtskunde 1862); „Incontinentia urinae und blasenartige Erweiterung der Harnröhre bedingt durch hochgradige Varicosität der Venen der Harnröhrenscheidenwand“ (ib. 1864); „Atresia hymenalis der einen Hälfte mit Retention des Menstrualblutes bei Duplicität des Uterus“ (Ebda). Von 1864 bis zu Anfang des Jahres 1866 war S. durch ein Hüftgelenkleiden an das Krankenlager gefesselt und an der Ausübung seiner klinischen Thätigkeit fast gänzlich gehindert. Doch konnte er während des deutsch-österreichischen Krieges von 1866 bereits wieder die Leitung des Vereins-Reserve-Lazareths in der Ulanencaserne bei Moabit in Berlin übernehmen. Von den wichtigen Veröffentlichungen aus der folgenden Zeit erwähnen wir noch die „Mittheilungen aus der chirurgischen Klinik des Rostocker Krankenhauses während der Jahre 1861–65“ (2 Abtheilungen, Prag 1868), von denen der 1. Theil u. A. „Heilung zweier großer Echinococcusgeschwülste [371] in der Unterleibshöhle durch Incision und Doppelpunction“, der 2. Theil die Schilderung der plastischen Operationen enthält, vorzugsweise des Mundes, der Scheide und des Mastdarmes. 1867 folgte S. einem Ruf nach Heidelberg an Stelle des plötzlich verstorbenen Otto Weber. Hier führte er zum 1. Male aus Anlaß eines Falles von zurückgebliebener Harnleiter-Bauchfistel nach glücklich überstandener Hystero-Ovariotomie am 2. August 1869 die Exstirpation der gesunden Niere mit bestem Erfolge aus und widmete sich fortab mit besonderer Vorliebe der Nierenchirurgie. Es folgte 1870 die Exstirpation einer colossalen congenitalen Hydronephrose, 1871 die einer Steinniere. Auch erschien im letztgenannten Jahre sein berühmtes Werk „Chirurgie der Nieren“ (Th. 1.) Stuttgart, enthaltend den erwähnten ersten Fall; Th. 2 konnte erst nach des Verfassers am 28. August 1876 an einem die Lungen stark comprimirenden Aneurysma der Aorta thoracica erfolgten Tode u. d. T.: „Operative Eingriffe bei Verletzungen und chirurgischen Krankheiten der Nieren- und Harnleiter“ zur Veröffentlichung gelangen. Kurz vor seinem Tode publicirte S. noch „Zur Operation der Blasenscheidenfistel. Vergleich der Bozeman’schen Operationsmethode mit der des Verfassers“ (Wiener med. Wochenschr. 1876). Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 entwickelte er als Generalarzt der badischen Reservelazarethe eine aufopfernde Thätigkeit und als deren litterarisches Ergebniß die Abhandlung: „Ueber Prognose und Behandlung von Schußwunden des Kniegelenks“ (Deutsche Klinik 1871), worin eine Erklärung mancher räthselhafter Knieschüsse auf experimentellem Wege zu geben versucht wird. – Seine letzten Lebensjahre, etwa von 1873 ab, hatte S. von der obengenannten Affection viel zu leiden, so daß seine sonst so rastlose Lehr- und praktische Thätigkeit wiederholt längere Unterbrechungen erfahren und im November 1875 vollständig aufgegeben werden mußte. – Durch die epochemachenden, originellen und erfolgreichen Leistungen auf dem Gebiete der Nieren- und Gynäkochirurgie ist der Name Simon’s für immer in der Geschichte der deutschen Chirurgie einer der glanzvollsten. Es ist Simon’s Verdienst, den Grundstein zu einer eigentlichen Chirurgie der Nieren gelegt zu haben und eine Operation, an der sich die bedeutendsten Chirurgen und Gynäkologen Deutschlands vergeblich versucht hatten, auf autodidaktischem Wege bis ins einzelne vervollkommnet und zum Gemeingut aller gemacht zu haben. Er war ein ruhiger, kaltblütiger, entschlossener und energischer Operateur; in seinen Schriften befleißigte er sich einer gründlichen und strengen Schreibweise. Bei aller Vollständigkeit, Abrundung und Sorgfalt im Stil legte er auf äußere Verzierung, Glanz in der Wahl des Ausdruckes keinen Werth.

Vgl. Gurlt im Biogr. Lexikon V, 408–411 und die daselbst angegebenen Quellen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Antoine-Joseph Jobert de Lamballe (1799–1867); französischer Chirurg