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Artikel „Sighart, Joachim“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 263–265, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sighart,_Joachim&oldid=- (Version vom 3. November 2024, 21:04 Uhr UTC)
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Sighart: Dr. Joachim S., Kunsthistoriker, geb. am 16. Januar 1824 in dem seinem Vater gehörigen alten Schlosse Neukolberg bei Altötting, wo derselbe die Stelle eines Aufschlägers bekleidete, aber schon 1825 starb und seine zahlreiche Familie in sehr beschränkten Verhältnissen zurückließ. Der schwächliche Knabe, der jüngste unter seinen Geschwistern, studirte mit großer Auszeichnung zu Neuburg und bezog 1841 die Universität München, wo der eifrige Jüngling, obwohl er immer das Fachstudium der Theologie im Auge hatte, doch eine von der philosophischen Facultät gegebene Preisfrage „Ueber den Humus“ löste und, nachdem er die rigorosen Prüfungen aus sämmtlichen philosophischen Fächern bestanden hatte, 1845 als Doctor der Philosophie promovirte. Bei diesem Anlasse verfaßte S. auch die Abhandlungen „über das Aufblühen der Wissenschaften in Baiern im 16. Jahrhundert“ und eine „Geschichte der christlichen Plastik bis ins 12. Jahrhundert“. Indessen hatte S. mit gleichem Eifer das Studium der Theologie begonnen, wurde 1846 zum Priester geweiht und trat in die Seelsorge zu Trostberg, erhielt aber schon nach kurzer Zeit die Stelle eines Repetitors am Clericalseminar zu Freising (1847) und bald darauf die Befugniß, Vorträge über die Philosophie zu halten. Im J. 1850 erfolgte seine Anstellung als [264] Professor der Philosophie. Als solcher las er alljährlich über Logik, Metaphysik, Psychologie und Geschichte der Philosophie, dazu kamen regelmäßige Vorträge über Aesthetik und allgemeine Kunstgeschichte, eine Disciplin, welche in der Folge Sighart’s besonderes Lieblingsfach wurde. Als Erstlingsfrucht seiner Bestrebungen erschien 1851 ein Programm über den „Dom zu Freising“, welches sich alsbald zu einem eigenen Buch (Landshut 1852) erweiterte. Darauf folgte die „Geschichte der Frauenkirche zu München“ (Landshut 1853) und das anregende Büchlein über „Die mittelalterliche Kunst in der Erzdiöcese München-Freising“ (Freising 1855). Das Beispiel Lübke’s schwebte ihm vor und der sehnliche Wunsch, dasselbe für sein geliebtes Baierland zu leisten, was dieser damals schon gefeierte Kunsthistoriker für Westfalen gethan hatte. Leider verfügte S. über keine Mittel, und selbst die dazu erforderliche Zeit war knapp gemessen. Zusammenhängend mit seiner Vorliebe für altdeutsche Kunst und Litteratur skizzirte S. in verhältnißmäßig kurzer Zeit ein Buch über „Albertus Magnus, sein Leben und seine Wissenschaft“ (Regensburg 1857, auch ins Französische übersetzt, Paris 1862); er schälte mit kundiger Hand sorgfältig den Epheu der Mythe und Märe von dem mächtigen Bilde und brachte dessen Porträtkopf in der ruhigen Mittagbeleuchtung besonnener Kritik zur weiteren Betrachtung, ohne gerade alle Probleme zu lösen. Um diese Zeit aber wurde S. überrascht durch einen Auftrag König Maximilian II., eine ausführliche „Geschichte der bildenden Künste in Baiern“ auszuarbeiten. Ergiebige Mittel für den Zeitraum von vier Jahren unterstützten das schöne Unternehmen. Sighart’s Thätigkeit steigerte sich ins Unglaubliche; der höchste Wunsch seines Herzens war erfüllt. Ohne seiner Lehrthätigkeit wesentlich Abbruch zu thun, durchzog S. das angewiesene Terrain, pilgerte durch alle Städte, Märkte und Dörfer, suchte vom höchsten Bergkirchlein bis zur letzten Klosterruine alle noch irgend interessanten Ueberreste der Kunst auf, begleitet von einem Zeichner, dem originellen Spänglermeister Paul Weiß von Landshut, welcher alle noch unbekannten Werke in stilgerechten Skizzen copirte. Dazu suchte er in den Bibliotheken, durchmusterte die Schätze der Miniaturen und Handzeichnungen und stöberte in Archiven nach Rechnungen, Aufschreibungen und gleichzeitigen Documenten. Die so gewonnene Ausbeute ordnete er dann mit musterhafter Ruhe und Schönheit des Vortrags und übersichtlicher Klarheit. So entstand das obengenanute zweibändige Werk, welches 1863 (im Verlag der Litterarisch-artistischen Anstalt der Cotta’schen Buchhandlung in München, 798 Seiten gr. 8°) erschien, ausgestattet mit vielen trefflichen Holzschnittillustrationen und einer Menge von vordem unbekannten Künstlernamen, welche mit und neben ihren meist glänzend geschilderten Werken der Vergessenheit entstiegen. Damit zusammenhängend bearbeitete er auch für die „Bavaria“ die betreffenden Abschnitte über Kunst. Schon früher hatte S. durch Reisen sein feinfühliges Auge gebildet und seinen Gesichtskreis erweitert, 1847 besuchte er Wien, Prag und Dresden, 1850 Mailand und Venedig, 1852 die Rheinlande und Belgien, 1858 und 1864 Paris, 1862 Berlin und Norddeutschland, 1864 Rom und Neapel. Die besondere Ausbeute der letzteren Reise legte er in dem „Reliquien aus Rom“ (Augsburg 1865) betitelten Buche nieder, worin ebenso schöne Beiträge zur Volkskunde wie zur Kunstgeschichte gesammelt sind, z. B. die Erhebungen über das Grab des Kaisers Otto II. in der ehemaligen Peterskirche. Im J. 1865 wurde S. außerordentliches Mitglied der Akademie und beinahe gleichzeitig in das Domcapitel in München berufen. Als er seine Lehrthätigkeit zu Freising verließ, wo er hunderte von Jünglingen für die Kunst begeistert hatte, schenkte er dem von ihm begründeten „Museum“ alle seine reichen Sammlungen von Handzeichnungen, Rissen, Skizzen, Kupferstichen, kurz den ganzen Apparat, welchen er in einem Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren [265] mühselig und kostspielig erworben hatte. Die Reihe seiner kleineren Abhandlungen und Aufsätze aufzuzählen geht hier über unsere Aufgabe. Zu seinen letzten Arbeiten gehörte ein fein empfundenes Lebensbild von „Peter Cornelius“ (München 1867); während er noch zum Behuf einer zweiten Auflage die bessernde Hand anlegte, erreichte ihn nach einem schweren, lange vorbereiteten Herzleiden am 20. December 1867 der Tod. S. war im eigentlichen Sinne eine schöne Seele, ein Priester ohne Arg und Falsch, ein Gelehrter ohne Neid und Dünkel, ein liebenswürdiger, edler Mensch, der wohl keinen Feind und Gegner kannte und in echt evangelischer Milde Wohlthaten spendete, ohne daß die Linke wußte, was die Rechte that.

Vgl. Nek. in Beilage 360 Allgem. Zeitung vom 26. Dcbr. 1867, im Pastoralblatt für München-Freising vom 9. Januar 1868.