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Artikel „Seiwert, Gustav“ von Georg Daniel Teutsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 665–667, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seiwert,_Gustav&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 20:33 Uhr UTC)
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Seiwert: Gustav S., siebenbürgisch-sächsischer Historiker, ist geboren in Hermannstadt am 8. Juli 1820. Den Vater, der als Thesaurariatsconcipist im Februar 1820 starb, hatte er noch vor seiner Geburt verloren; zwei treffliche Oheime halfen der geistesfrischen Mutter den Knaben erziehen, der frühe auf verwandten Pfarrhöfen die Schönheit sächsischen Volkslebens kennen lernte und [666] nach absolvirtem Hermannstädter Gymnasium zunächst am Lyceum in Klausenburg und an der königl. Gerichtstafel in Neumarkt (Marosch-Vascharhely) 1839–43, dann drei Semester 1843–4 an der Universität in Berlin, wo er unter Andern Puchta, Stahl, Homeyer, Ritter, Ranke hörte, sich für die juristische Laufbahn vorbereitete. Nach fruchtbaren Reisen, die ihn an den Rhein bis nach Belgien und Holland führten. in die Vaterstadt zurückgekehrt, trat er als Beamter in ihren und damit zugleich in den Dienst der sächsischen Nation, ging 1855, als die Verfassung dieser vom damaligen Absolutismus aufgehoben worden war, als Conceptsadjunct in das k. k. Handelsministerium nach Wien, woher er als Concipist der Grundentlastungs-Landescommission 1856 wieder nach Hermannstadt versetzt wurde. Hier 1859 zum k. k. Kreiscommissär ernannt, hatte er 1860 die Genugthuung, daß die alte Verfassung wieder hergestellt wurde und die Stadtvertretung ihn 1861 zum Magistratsrath wählte, als welcher er 1872 zum Archivar des sächsischen Nationalarchivs und des damit verbundenen Hermannstädter Archivs berufen wurde, in eine, seinen wissenschaftlichen Neigungen vorzüglich entsprechende Stelle. Mitten in rüstigem Schaffen wurde er hier am 17. Jan. 1875 vom Tode (Gehirnschlag) ereilt.

Seiwert’s Bedeutung auf dem Felde siebenbürgisch-sächsischer Geschichte liegt vorzugsweise in seinen Arbeiten über die Entwicklung Hermannstadts, in der allerdings die Geschicke der sächsischen Nation so oft zusammenfließen. Getragen von umfangreicher Kenntniß ihrer urkundlichen Schätze – er selbst hat etwa 2000 Stück bisher unbekannter Urkunden dem Archiv einverleibt – und insbesondere ausgerüstet mit reichem Wissen auf dem Gebiete des sächsischen Zunftwesens – die erste correcte Veröffentlichung der ältesten sächsischen Zunftordnung von 1376 stammt von ihm – hat er in seiner „historischen Skizze“ „Die Stadt Hermannstadt“ (1859) die Hauptmomente derselben bis 1692 in gedrängter Uebersicht dargelegt, einem Werke, das, wenn auch der vollen Durcharbeitung des großens Stoffes ermangelnd, eine überraschende Fülle von Daten zur Verfassungs-, Gewerbe- und Culturgeschichte der Stadt mittheilt und noch lange Ausgangspunkt für jede weitere derartige Forschung sein wird. In demselben wissenschaftlichen Dienste stehen die „Umrisse zur Geschichte der Hermannstädter Kaufmannsgilde“ (Hermannstadt 1860), die „Beiträge zu einer Geschichte der Hermannstädter Münzkammer“ (1864 und 1865 im Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, Band VI), die „Bruderschaft des h. Leichnams in Hermannstadt“ (1872, Vereinsarchiv Band X), „Das älteste Hermannstädter Kirchenbuch“ (bis in das 14. Jahrhundert zurückgehend, im Vereinsarchiv Band XI, 1874), „Chronologische Tafel der Hermannstädter Plebane, Oberbeamten und Notare“ (Vereinsarchiv Band XII, 1875): durchweg Arbeiten aus ernsten Quellenstudien mit Bienenfleiß geschaffen, dauernden wissenschaftlichen Werthes. Aus dem engern Rahmen der Vergangenheit Hermannstadts, zu der noch viele kleinere Beiträge, darunter die Hermannstädter Localstatuten (1869), werthvollen Stoff enthalten, tritt, gleichsehr der geschichtlichen Erkenntniß der Vergangenheit, wie einem actuellen Bedürfniß der Gegenwart dienend, heraus das Werk Seiwett’s „Acten und Daten über die gesetzliche Stellung und den Wirkungskreis der sächsischen Nationsuniversität“ – der sächsischen Volksvertretung – (Hermannstadt 1870). Der 43. ungarische Gesetzartikel von 1868 „Ueber die detaillirte Regelung der Vereinigung Ungarns und Siebenbürgens“ hält nämlich in § 11 die sächsische Nationsuniversität in dem, mit dem siebenbürgischen Gesetzartikel XIII von 1791 im Einklang stehenden Wirkungskreis, ausgenommen deren gerichtliche Jurisdiction, aufrecht; schon einige Monate früher hatte diese S. beauftragt, alle auf die gesetzliche Stellung und den Wirkungskreis derselben bezüglichen Acten und Documente zusammenzustellen, damit diese [667] der Benützung zugänglich gemacht würden. Diesem Auftrag entspricht denn jene Arbeit. Es ist eine, mit dem Jahre 1355 beginnende, bis 1846 herabgehende, unmittelbar aus den Quellen geschöpfte Zusammenstellung von königlichen und andern Urkunden, Verträgen der drei ständischen Nationen Siebenbürgens, Landtagsbeschlüssen, Gesetzen, Staatsverträgen und anderen Acten, die den Wirkungskreis der sächsischen Nationsuniversität als dritten Landstandes bei Verhandlung gemeinsamer Angelegenheiten, bei der Wahl der siebenbürgischen Fürsten, bei Kriegserklärungen, Friedensschlüssen, Staatsverträgen, weiter das eigene geschlossene Territorium der sächsischen Nation, ihre eigene Statutargesetzgebung, ihre eigene politische und Gerichtsverwaltung, ihr eigenes Gewerbs-, Bildungs- und Schulwesen darlegen und im allgemeinen wie im einzelnen ihre alte gesetzliche Stellung als eines, neben den beiden andern „recipirten Nationen“ „selbständigen reichsunmittelbaren Gemeinwesens nachweisen.

Die tiefe Kenntniß des sächsischen Volkslebens in Vergangenheit und Gegenwart, sowie die ernste Liebe zu demselben gab S. auch die Feder der novellistischen Erzählung in die Hand. Seine diesbezüglichen Arbeiten sind gesammelt erschienen unter dem Titel: „Culturhistorische Novellen aus dem Siebenbürger Sachsenland“, drei Bände, Hermannstadt 1866, 1867. Sie wollten auch jenem Theil des Volkes, zu dem der Sonnenstrahl der geschichtlichen Wissenschaft nicht dringt, Kunde von seiner Vergangenheit bringen und die herzliche Theilnahme der Leser dafür gewinnen. Und in der That, die in allen Erzählungen widerklingende tiefe Empfindung des Verfassers: „Wenn man bedenkt, welche Wunden Krieg, Hunger, Seuchen und Barbarei diesem deutschen Pflanzvolk geschlagen, so ist das erste Gefühl gewiß die Verwunderung darüber, daß überhaupt dieses Pflanzvolk noch besteht; der zweite Gedanke aber ist der, daß in dem Volke ein unverwüstlicher Lebenskern steckt, der es bis heute erhielt“, war geeignet diese Theilnahme zu erwecken; wenngleich bisweilen die Schwere des geschichtlichen Stoffes dem vollen Reiz der dichterischen Gestaltung hindernd in den Weg trat, so haben doch jene Novellen in vielen Kreisen die Volksseele ergriffen und hat ihr Verfasser durch sie, wie durch seine wissenschaftlichen Arbeiten beigetragen, jenen „unverwüstlichen Lebenskern“ in ihr zu nähren.

Teutsch, Denkrede auf Gustav Seiwert – im Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, Band XIII, Heft 3. Hermannstadt 1877; – Wurzbach, Biographisches Lexicon des Kaisertums Oesterreich. Band 34. Wien 1877. – Trausch, Schriftstellerlexicon der Siebenbürger Deutschen. Kronstadt 1871. III, 284.