ADB:Sedlnitzky von Choltic, Josef Graf

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Artikel „Sedlnitzky von Choltic, Josef Graf“ von Franz Ilwof in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 528–531, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sedlnitzky_von_Choltic,_Josef_Graf&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:25 Uhr UTC)
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Sedlnitzky: Josef Graf S. von Choltic, einem alten polnischen, nach Mähren übersiedelten Adelsgeschlechte entstammend, welchem seit dem 16. Jahrhundert zahlreiche Glieder entsprossen sind, die hohe Landeswürden und Stellen im Staats- und Kriegsdienste und in der Kirche bekleideten, wurde am 8. Jan. 1778 zu Troplowitz in Schlesien geboren. Nach vollendeten Universitätsstudien trat er in den österreichischen Staatsdienst als Praktikant bei dem galizischen Gubernium in Lemberg, wurde von dort als Kreiscommissär nach Brünn übersetzt, 1805 Präsidialsecretär des Grafen Wallis, 1806 Kreishauptmann in Weißkirchen und später in Troppau. Von dort zum Vicepräsidenten bei dem Lemberger Gubernium befördert, wurde er 1815 Vicepräsident, 1817 Präsident der obersten Polizei- und Censurhofstelle in Wien. Durch 31 Jahre versah er im absolutistisch-patriarchalischen Sinne der damaligen inneren Politik der Wiener [529] Regierung diese Stelle, bis ihn und den Hauptträger dieses Systems, Metternich, der Sturm der 1848er Märztage hinwegfegte. S. übte Polizei und Censur in der Art aus, daß er der Gegenstand des Hasses aller freidenkenden Männer wurde, er that das aber nur im Geiste seines Herrn und Meisters, denn alles, was er auf seinem Gebiete vollzog und unterließ, geschah nur, wenn er vorher Metternich’s Bewilligung hierzu erlangt hatte. Und es gelang ihnen auch, während jener drei Decennien jede freiere geistige Regung auf dem Gebiete der Journalistik, Litteratur und Wissenschaft in Oesterreich niederzuhalten, Grund genug zur Beschuldigung, S. allein habe die Revolution in den Märztagen 1848 herbeigeführt, und doch irrig – die Censurplackereien haben allerdings hierzu beigetragen, aber allein herbeigeführt haben sie dieselbe nicht.

Das System der Polizei war durch S. im Inlande und im Auslande bis ins kleinste Detail ausgebildet, so daß man glauben sollte, der österreichischen Regierung hätte kein erwünschter Aufschluß über Dinge und Personen entgehen können. Als Hauptmittel hierzu dienten das Oeffnen der Briefe und anderer Postsendungen in dem berüchtigten, nach der Märzrevolution von 1848 aufgehobenen Chiffrencabinete und die Bestellung einer großen Zahl geheimer Polizeiagenten aus allen Kreisen der Bevölkerung. Doch gab es unter diesen „Polizeispürern“ auch unfähige Köpfe, und andere von ihnen belogen und betrogen ihre Regierung sogar, um sich selbst unentbehrlich zu machen. Die Censurplackereien waren hart, chikanös, aber nicht selten auch heiter und ergötzlich. So durfte Lessing’s Emilia Galotti lange nicht aufgeführt werden, weil der Fürst einen schlechten Charakter hat. Ebenso Schiller’s Don Carlos, und als die Burgtheaterdirection darum einschritt, erhielt sie den Bescheid, daß das Stück gestattet würde, wenn man es so veränderte, daß der Prinz nicht in seine Stiefmutter verliebt sei. In den „Räubern“ mußte der Vater Moor in einen Oheim verwandelt werden; man kann sich vorstellen, welchen Eindruck es machte, wenn Karl das fürchterliche Wort „Oheimmord“ ausrief! – Der Präsident in „Cabale und Liebe“ mußte „Vicedom“, der Capuziner in „Wallensteins Lager“ „eine Magistratsperson“ heißen. Meyerbeer’s „Hugenotten“ wurden in „Die Ghibellinen in Pisa“ umgetauft. – In einer Novelle Castelli’s frägt einer den andern: „Wo sind sie geboren?“ Dieser antwortet: „In Köln am Rhein“. Die Censur strich Köln weg und setzte dafür „Nürnberg“, weil gerade damals der Kölner Kirchenstreit entbrannt war. – Der in der Ambraser Sammlung befindliche Habsburgische Stammbaum, ein Kunstwerk der Nürnberger Schule des 16. Jahrhunderts, wurde von der Lithographie Trentsensky in Wien vervielfältigt. Als Schlußb1att wurde das Porträt des Kaisers Franz mit seiner letzten Gemahlin, der Kaiserin Karoline, hinzugefügt. Die Porträts der drei früheren Gemahlinnen des Kaisers waren in Medaillons an einer Pyramide im Hintergrunde angebracht. Die Censurerledigung lautete: „Admittitur, jedoch ist dem Herausgeber die Unbescheidenheit zu verweisen, seinen Monarchen mit seinen vier Frauen darzustellen“. – Als Kaiser Franz dies erfuhr, sagte er lächelnd: „Schaut’s, schaut’s, ist das nicht köstlich, eine so aufrichtige Polizei zu haben, die mir ins Gesicht sagt, daß es unbescheiden sei, vier Frauen zu haben; ich habe sie ja nur nacheinander gehabt, nicht nebeneinander“. – Ein Blatt desselben Stammbaums stellt dar, wie Johannes Parricida gegen seinen Oheim, König Albrecht I. den Dolch zückt. Erzherzog Johann machte S. scherzend aufmerksam, daß die Polizei, die alles wisse, doch den dolchzückenden Parricida öffentlich in den Schaufenstern der Kunsthandlungen ausstellen ließe. Sogleich wurden die bis dahin gedruckten Exemplare polizeilich eingezogen, der Dolch mußte aus der Platte herausgeschliffen werden und erst dann wurde der Abzug wieder gestattet. [530] Als einige Tage später Erzherzog Johann wieder mit S. zusammentraf, bemerkte er ihm lächelnd: „Da haben Sie was schönes gemacht; der Dolch ist weg, aber jetzt hält der Johannes dem Kaiser die Faust und zwar öffentlich und ungestraft unter die Nase! Ein Mord geschieht nicht alle Augenblicke, aber die Ehrfurcht gegen die gekrönten Häupter ist heut zu Tage ohnehin schon genug erschüttert!“ – In dem Werke des Historikers Muchar „Das römische Norikum“ war die Empörung der Pannonier gegen Kaiser Augustus mit den Worten des Dio Cassius geschildert; die Censur strich einige Stellen, veränderte andere, „weil die Wuth der Pannonier über die römischen Zöllner und Steuereinnehmer leicht als böswillige Anspielung auf die Gegenwart gelten könnte, wo eben das Militär wegen endloser Steuerrückstände überall im Lande auf Execution herumliege und alles nach so langem Frieden, nach einer frohen Rückwirkung der französischen Contributionsmillionen auf den großen Nothstand schreie“. – Eine Broschüre „Cravattiana oder die Kunst, die Cravatte umzubinden“, wurde verboten, weil ein Knoten à la Riego hieß, an Riego, den Urheber der spanischen Revolution von 1820 aber nicht erinnert werden sollte. – Als 1841 in Wien eine Anzahl Männer zur Gründung eines Vereins zur Pflege des Gesanges zusammentraten, durfte derselbe nicht den nach Deutschthum riechenden Namen „Liedertafel“ führen, sondern mußte sich Männergesangverein nennen. – Die größten Schwierigkeiten legte S. auch dem juristisch-politischen Lesevereine in Wien in den Weg, welcher von den ersten Capacitäten der Stadt gegründet und erhalten worden war. – Im J. 1842 richteten die Journalisten Wiens eine Bittschrift an S., worin sie um Erleichterung des auf der Presse lastenden Druckes baten. Ehe aber noch diese Bittschrift ihm überreicht werden konnte, hatte er Kenntniß von derselben; er wies sie daher einfach mit der Bemerkung ab, daß er keine Journalistenkörperschaft kenne, es möge jeder einzelne seine Bitte vorbringen. Dies unterblieb, da man von der Vergeblichkeit solcher Anliegen im vorhinein überzeugt war und der Einzelne sich nicht für alle anderen opfern wollte. Endlich sollte doch den allseitigen Klagen über den unwürdigen Censurdruck abgeholfen werden. Am 1. Februar 1848 trat eine neue Censurdirection und ein oberstes Censurcollegium ins Leben. Dadurch sollte den Schriftstellern freie Bewegung verschafft, und sie sollten in ihren Rechten geschirmt werden; diese Behörden erhielten aber eine solche Einrichtung, daß Jedermann sie als eine Verschärfung des bestehenden Censurzwanges ansah und durch ihre Wirksamkeit konnten sie das Gegentheil auch nicht beweisen, da nach sechs Wochen der Märzsturm ihrem Bestehen ein rasches Ende bereitete. – Aus all dem ergibt sich wohl, daß es vollkommen richtig ist, was Springer (I, 572) über das Regierungssystem in Oesterreich während der Zeit von 1815 bis 1848 sagt: „Den Druck des Regierungssystems empfand allmählich jeder Einzelne als eine persönliche Verletzung, welche die Leidenschaft herausforderte, der Haß gegen die Träger desselben gestaltete sich zu einer rückhaltlosen Empfindung. Zu dem dringenden Verlangen nach einer Aenderung der Zustände führte sie nicht mehr allein das Verstandesinteresse, dieser Wunsch erfüllte jede Nervenfaser und brach sich auf jedem möglichen Wege Bahn.“ –

Hormayr u. a. behaupten, S. sei ein unwissender, unfähiger Bureaukrat gewesen, der nur um seines hohen Adels willen und durch Familienverbindungen so hoch emporgekommen und sich in seiner hochwichtigen und einflußreichen Stelle so lange erhalten habe; dies ist aber nicht richtig. S. war ein gut und vielseitig unterrichteter Mann und, wie wir noch nachweisen werden, ein Mann von edlem Herzen. Als Beamter war er nur das die Ideen seines Vorgesetzten blind ausführende Organ; da er bei diesem und an noch höherer maßgebender Stelle in der höchsten Gnade stand, da sich innerhalb der österreichischen Staaten [531] gegen ihn keine Stimme öffentlich erheben durfte, da die auswärtigen Journale bei ihrem Eintritt in Oesterreich der strengsten Censur unterworfen waren und nur sehr wenigen zukamen, so konnte er sich nicht nur in seiner Stelle erhalten, sondern auch in dem Glauben wiegen, dieselbe zum Wohle seines Vaterlandes zu verwalten. Graf Josef S. war der ältere Bruder des Grafen Leopold S., der 1835 Fürstbischof von Breslau wurde, infolge von Differenzen mit der Curie diese hohe Kirchenwürde (1840) niederlegte und 1863 aus tiefreligiöser Ueberzeugung in die evangelische Kirche übertrat.

Nach den Märztagen des Jahres 1848 lebte Graf Josef S. in tiefster Zurückgezogenheit in Troppau und seit 1852 in Wien. Jetzt entfaltete sich sein Edelsinn und seine Freigebigkeit in herrlicher Weise, um so mehr, als er seine zahllosen Wohlthaten ganz im Stillen, ohne Prunk, ohne Aufsehen zu machen, übte; nach seinem Tode schrieb die Troppauer Zeitung über ihn: „Was er für die verschiedenen Wohlthätigkeitsanstalten von Troppau, während seines Aufenthaltes unter uns und auch später noch von Wien aus, bis zum letzten Augenblicke seines Lebens gethan, ist den Meisten bekannt; aber nur Wenige, deren er sich als Organe seines Wohlthuns bediente, wissen, welche namhafte Summen im Stillen den Armen zuflossen. Diese wenigen Personen hatten für die Armuth offene Cassa bei ihm und wurden dennoch von dem Grafen noch immer erinnert, sich in ausgedehntem Maße seiner Hilfe bei Wittwen und Waisen, bei mit Kindern gesegneten armen Familien und Kranken, bei verarmten Gewerbsleuten und dürftigen Studirenden zu bedienen. Ihm war Wohlthun Bedürfniß des Herzens und er übte die Tugend in echt christlicher Weise. Die Liebenswürdigkeit seines Charakters, sein mildes, freundliches Wesen und sein Wohlwollen für Jedermann mußten ihm aller Herzen gewinnen. Er war ein hochherziger Mäcen des Troppauer Gymnasialmuseums und einer der Hauptbegründer der nunmehr so ansehnlichen Museumsbibliothek.“ – So schloß das Leben dieses Mannes, welches in seiner hohen amtlichen Stellung so viele Mißklänge aufzuweisen hat, doch in einem schönen Ausklange. S. starb 77 Jahre alt am 21. Juni 1855 zu Baden bei Wien.

Wurzbach, Biographisches Lexikon, 33. Theil, S. 284–288. – Springer, Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden von 1809. 2 Bde. Leipzig 1863 und 1865; siehe besonders I, 118–120, 287–290, 300, 562–579; II, 162. – Vehse, Oesterreichs Hof und Adel X, 49–65, Hamburg 1852. – Coulissengeheimnisse aus der Künstlerwelt. Vom Verfasser der deutschen Geschichten aus Oesterreich und der Hof- und Adelsgeschichten. Wien 1869, S. 509. – Friedrich Kaiser, Unter fünfzehn Theaterdirectoren. Wien 1870, S. 26, 39, 40, 48. – Castelli, Memoiren meines Lebens. I, 277–283. Wien u. Prag 1861. – Presse (Wiener politisches Blatt) 1862, Nr. 51, 52; 1865, Nr. 70. – Oesterreichische Zeitung (Wiener politisches Blatt) 1855, Nr. 219. – Die Controle (Hamburger Blatt) 1858, Nr. 23. – Fremdenblatt (Wiener politisches Blatt) 1868, Nr. 175. – Illustrirtes Wiener Extrablatt, 1872, Nr. 46. – Allgemeine Musikzeitung. Wien 1848, Nr. 55. – Theater-Zeitung (Wiener Courier) von Adolf Bäuerle, 1849 vom 11. August. – Wanderer (Wiener politisches Blatt) 1860, Nr.162; 1868, Nr. 91 f. und 97 f.