ADB:Schweitzer, Christian Wilhelm

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Artikel „Schweitzer, Christian Wilhelm“ von Ernst Wülcker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 367–370, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schweitzer,_Christian_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:30 Uhr UTC)
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Schweitzer: Christian Wilhelm S., geboren zu Naumburg am 1. November 1781, Jurist und zeitweilig Großherzoglich Sächsischer Staatsminister, † zu Clodra am 26. October 1856. Trotz der glücklichen Verhältnisse, in denen der Vater lebte, und trotz der größern Stadt, welche die nöthigen Bildungsmittel genügend darbot, scheint S. doch keinen ausreichenden Jugendunterricht genossen zu haben. Er wurde nur durch Privatlehrer vorgebildet und klagte später oft, daß er erst auf der Universität eingesehen habe, wie lückenhaft seine Kenntnisse seien und daß es ihn viel Mühe gekostet habe, das Fehlende zu ergänzen. Doch gelang es ihm durch großen Fleiß und durch ungewöhnliche [368] Arbeitskraft, das Gelernte zu vervollständigen, aber die fröhliche Studentenzeit war für S. nur eine Zeit angestrengtester Arbeit. 16 Stunden, so äußerte er später, wurde täglich gearbeitet, 3 Stunden blieben für Essen und Trinken, sowie für körperliche Bewegung, 5 Stunden für Schlaf. Aber sein gesunder Körper überwand diese Anstrengungen und es gelang ihm, schon als 22jähriger Jüngling das Doctorexamen in Leipzig zu bestehen.

Zunächst schlug er jetzt die akademische Laufbahn ein: er habilitirte sich in Wittenberg und las Institutionen, Rechtsgeschichte, Wechselrecht etc. Aber trotzdem, daß er stets als trefflicher Lehrer gerühmt wurde und seine weitreichenden Kenntnisse, sein klarer Vortrag hervorgehoben wurden, drängte die Neigung zu einer mehr praktischen Thätigkeit die Gelehrtenthätigkeit zurück. Schon nach dreijährigem Lehren entschloß sich S., Rechtsanwalt zu werden, verließ die bisherige Stellung und siedelte nach Ronneburg im Altenburgischen über. Dort blieb er als Advocat, bis ihn 1810 ein Ruf an die Universität Jena führte. Natürlich war er hier wieder in erster Linie Docent, auch wissenschaftlich durch Schriften thätig, doch fehlte es nicht an Geschäften, die ihn auf andre Gebiete führten. So waren es zum Beispiel die großen Ereignisse von 1813, die ihn aus der Ruhe rissen. In Jena wurden zur Aufnahme der Kranken und Verwundeten Soldaten-Lazarethe errichtet und S. entwickelte bei der Einrichtung und Verwaltung derselben ganz besonders lebhafte Thätigkeit. Es folgte alsdann seine Sendung nach Frankfurt a. M. als Vertreter der Universität Jena zu dem sogenannten Verwaltungsdepartement, einer provisorischen Centralverwaltungsbehörde für die einzelnen Theile Deutschlands auf Vorschlag Stein’s gegründet. Und auch nach Erledigung dieser Geschäfte konnte er noch nicht nach dem friedlichen Jena zu seinem stillen Berufe zurückkehren; denn nun verlangte Karl August Schweitzer’s Anwesenheit in Weimar wegen der aufzustellenden Constitution. Dann endlich wieder zum Lehrstuhle nach Jena!

Erst das Jahr 1818 machte diesem Zwitterzustande ein Ende: Karl August berief den brauchbaren Mann in sein Ministerium und damit gab S. seine Lehrthätigkeit für alle Zeiten auf. Er sollte als geheimer Staatsrath mit Sitz und Stimme in das Ministerium eintreten: ein Departement war ihm zunächst nicht zugedacht. Denn als S. dem Ministerium beitrat, waren die Regierungsgeschäfte in drei Abtheilungen vertheilt, an Spitze deren jeder ein Staatsminister als Chef stand. Da bald darauf der Chef des dritten Departements starb, wurden die Geschäfte desselben dem ersten und zweiten Departement zugetheilt. An S. sollten wichtigere Geschäfte und Geschäftsführungen zeitweilig übertragen werden, ohne daß ihm die Leitung und Besorgung einer bestimmten Abtheilung gegeben würde. So übernahm er 1827 den Vorsitz bei der Immediatcommission für Erziehungs- und Unterrichtswesen, 1832 die Oberaufsicht über alle unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst, 1839 die Oberaufsicht über das Staatsarchiv. Endlich 1842 wurde das dritte Departement des Staatsministeriums als ein für sich bestehendes wiederhergestellt und S. übernahm es mit dem Titel eines wirklichen geheimen Rathes und Staatsministers, Excellenz. Es umfaßte Militär-, Straßen-, Wasserbausachen, außerdem die Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Kunst und Wissenschaft. Aber schon 1843 wurde eine neue Vertheilung der Geschäfte nöthig: S. erhielt das zweite Departement, zu dem Kirchen- und Schulsachen, Anstalten für Kunst und Wissenschaft, Theaterwesen und Militärwesen geschlagen wurden. Bei dieser Eintheilung ist es dann geblieben bis zu Schweitzer’s Rücktritt, dieser Thätigkeit hat er seine volle Kraft, seine Kenntnisse und seine reiche Erfahrung gewidmet und man rühmt besonders seinen wohlthätigen Einfluß auf die Entwicklung der wissenschaftlichen Anstalten, der Universitäten und des Schulwesens. [369] Doch scheint es, daß der Mann, der schon der Vertraute Karl August’s gewesen, nicht immer in die Forderungen einer rasch vorwärts drängenden Zeit sich finden konnte, daß er im Bewußtsein, das Althergebrachte sei als bewährt festzuhalten, nicht immer Schritt hielt mit den Ideen der Neuzeit. Schon damals als es sich darum handelte, ob Weimar in den von Preußen errichteten Zollverein eintreten solle oder nicht, war es hauptsächlich S., der als Vertreter der weimarischen Regierung den Eintritt des Großherzogthums in den mitteldeutschen Handelsverein durchsetzte, ein Schritt, den man später als wenig förderlich für das Land zurückthun mußte. Noch verhängnißvoller wurde für S. das Festhalten am Alten in einer Frage, die seit 1847 in den Vordergrund trat. Schon mehrfach war angeregt worden, das Kammervermögen mit der Landschaftscasse zu vereinen. Aber brennend wurde die Frage erst, als 1847 Dr. v. Wydenbrugk, der Landtagsabgeordnete der Stadt Eisenach, im Gegensatze zum Gesetze vom 17. April 1821, das die Trennung des Kammervermögens von der Landschaftscasse ausgesprochen hatte, eine Vereinigung beider Kassen, sowie Aufstellung einer Civilliste für den Großherzog beantragte. Da die Bevölkerung des Landes sich mit Steuern überlastet glaubte und durch die beantragte Maßregel eine Minderbesteuerung erwartete, nahm sie eifrig für Wydenbrugk’s Antrag Partei. Im Landtage selbst trat S. heftig dagegen auf, weniger darum, weil er die Sache für unzweckmäßig hielt, als weil man nicht am Hergebrachten, wenn es sich erprobt hätte, unnöthiger Weise rütteln dürfe. Seine Worte fanden keinen Anklang: der Landtag entschied sich mit 21 gegen 7 Stimmen für den Wydenbrugk’schen Antrag. Am 8. Mai wurde der Landtag vertagt. Von Seiten der Regierung erfolgte zunächst keine Antwort. Erst im März 1848, da der Landtag wieder zusammengetreten war, erklärte die Regierung, nachdem die Bevölkerung des Landes in tumultuarischen Scenen im Hofe des Schlosses neben den Forderungen, die durch ganz Deutschland laut wurden, auch für die Vereinigung der beiden Cassen sich ausgesprochen hatte, ihre Zustimmung dazu gegen Gewährung einer Civilliste. Da nun auch erklärt wurde, daß man den allgemeinen Wünschen (Preßfreiheit, Nationalvertretung. Volksbewaffnung) nicht entgegentreten wolle, so war das Verlangen der erregten Massen befriedigt. Aber die einmal in Bewegung gesetzte Volksmenge wollte sich nicht beruhigen, man verlangte, S., als der Hauptvertreter der alten Richtung, solle zurücktreten und an seine Stelle der Erwählte des Volkes, Dr. v. Wydenbrugk, im Ministerium Aufnahme finden.

S. selbst scheint schon seit einiger Zeit gefühlt zu haben, daß er den immer mehr wachsenden Gegenströmungen entgegenzutreten bei zunehmendem Alter nicht mehr die nöthigen Kräfte besitze, er soll in den letzten Jahren, zuletzt am 2. Februar 1848 um Entlassung aus dem Staatsdienste gebeten haben, aber vergebens. Jetzt unter dem Drucke von außen wurde der Rücktritt beschlossen und v. Wydenbrugk statt seiner in das Ministerium aufgenommen. S., befreit von den bisherigen Amtsgeschäften, zog sich auf seine Besitzung Clodra zurück. Dort lebte er still und zurückgezogen, hochgeachtet von der fürstlichen Familie und seinen frühern Collegen; feierte 1853 sein 50jähriges Doctorjubiläum und starb am 26. October 1856 nach längerem Leiden, das seinen Sitz wohl im Rückenmarke hatte. Seine Gemahlin, geborne Heubner, war ihm 1852 im Tode vorangegangen. Er hinterließ sechs Kinder, ein siebentes war 1851 gestorben.

Schweitzer’s Schriften: „De desuetudine libellus singularis“ 1801; „Ad titul. Pandect. de rebus dubiis commentarius“ 1802; „Quaestiones forenses de firma mercatorem“ 1803; „De praescriptione actionum cambialium“ 1804; „De usuris in concursu creditorum locandis occ. § VIII. ord. jud. Altenburg. [370] p. 1, cap. 37“, 1804; „Ueber den Provocationsproceß bes. nach sächs. Rechte“ 1807; „De confessione in judicio civili facto“ 1809; „De judicio criminali Vimariensi“ 1811; „Lehrbuch des sächs. bürgerlichen Prozesses“, Abth. 1, 1813; „Pro substitutione vulgari tacita“ 1814; „Ueber juristische Uebungs-Collegien“ 1817; „Oeffentliches Recht des Großh. S. Weimar-Eisenach“, Th. 1, 1825; Zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften.

Vgl. Litterarisches Museum für die Großherzogl. herzogl. S. Lande herausg. von G. Güldenapfel I, 121. Jena 1806. – Biedenfeld, Weimar (1841), S. 311. – Hotzel, Ueber die liter. und staatsmänn. Wirksamkeit Dr. Chr. W. Schweitzers, Jena 1857 (Beilageheft III der Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt, Bd. IV).