Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schwann, Theodor“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 188–190, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schwann,_Theodor&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 06:35 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Schwanthaler, Franz
Band 33 (1891), S. 188–190 (Quelle).
Theodor Schwann bei Wikisource
Theodor Schwann in der Wikipedia
Theodor Schwann in Wikidata
GND-Nummer 118762834
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|33|188|190|Schwann, Theodor|Ernst Gurlt|ADB:Schwann, Theodor}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118762834}}    

Schwann: Theodor S., der weltberühmte Begründer der thierischen Zellenlehre, war zu Neuß am Rhein als Sohn eines Buchhändlers in einer kinderreichen [189] Familie am 7. December 1810 geboren, besuchte daselbst seit 1820 das Progymnasium, sowie seit 1826 das ehemalige Jesuitengymnasium in Köln, studirte seit 1829 in Bonn, seit 1831 zu Würzburg, seit 1833 zu Berlin und war dort seit 1834 Gehülfe am anatomischen Museum unter Johannes Müller, dem er schon in Bonn als Assistent bei Vivisectionen näher getreten war. Dieser hatte ihm auch das Thema zu seiner vortrefflichen, die Frage der Athmung des Hühnerembryo im Ei behandelnden Inauguraldissertation „De necessitate aëris atmosphaerici ad evolutionem pulli in ovo incubato“ gegeben, mit der er 1834 in Berlin zum Doctor promovirt wurde. In jener bescheidenen Stellung als Gehilfe am anatomischen Museum und mit 10 Thalern Gehalt monatlich, hat er die bedeutendsten Entdeckungen gemacht. Schon mit einer seiner Dissertationsthesen: „Infusoria non oriuntur generatione aequivoca“ griff er in eine viel bestrittene Frage ein, die ihn später noch mehr beschäftigte. Weiter war er der Entdecker des von ihm „Pepsin“ genannten, für die Verdauung im Magen unentbehrlichen Fermentes. Fäulniß und Gährung wurden naturgemäß mit in den Kreis seiner Untersuchungen gezogen und auch für sie bewies er, daß sie durch organische Lebewesen bedingt seien. Neben Artikeln, die er für das von der Berliner medicinischen Facultät herausgegebene Encyclopädische Wörterbuch verfaßte, über Gefäße, Haematosis, Harnsecretion, Hautsecretion (Bd. 14, 1836), die manches Neue nach eigenen Untersuchungen enthielten, beschäftigte er sich mit Studien über Muskel- und Nervengewebe, deren Resultate er 1836 und 1837 veröffentlichte. Wir kommen jetzt zu dem Zeitpunkte, mit welchem eine neue Epoche in den organischen Naturwissenschaften durch eine Arbeit Schwann’s eröffnet wurde, wie eine solche in den biologischen Wissenschaften zu den größten Seltenheiten gehört, nämlich seine Schrift: „Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen“ (Berlin 1839, mit 4 Taff.) Die Zelle als solche, als Bestandtheil pflanzlicher und thierischer Gebilde war zu jener Zeit längst bekannt; deutsche und französische Forscher hatten sich vielfach mit derselben beschäftigt, zuletzt Schleiden (1838), mit dem S. in persönlichen Beziehungen stand, ausführlich mit der Pflanzenzelle. Des Letzteren unbestrittenes und unsterbliches Verdienst ist es aber, den Nachweis geliefert zu haben, daß die thierischen und pflanzlichen Zellen morphologisch und physiologisch mit einander zu vergleichen sind und daß sämmtliche thierische Gewebe theils aus Zellen hervorgehen, theils dauernd aus solchen bestehen. Wenn auch bei dieser biologischen Großthat, die von der weittragendsten Bedeutung auch für die gesammte Pathologie geworden ist, im einzelnen einige Irrthümer mit untergelaufen sind, die erst in den folgenden Jahrzehnten erkannt und berichtigt wurden, so ist doch, und das steht fast einzig in der Wissenschaft da, seitdem nie wieder ein ernster Streit darüber gewesen, daß alle Gewebe und Organe des thierischen Körpers aus Zellen aufgebaut werden. – Noch in demselben Jahre, als jene epochemachende Schrift erschienen war, im Herbst 1839, folgte S., in dem sich die seltene Vereinigung vollendeter naturwissenschaftlicher Bildung mit streng religiöser Gesinnung fand, einem Rufe der katholischen Universität Loewen, um den erledigten Lehrstuhl der Anatomie einzunehmen. Im J. 1848 siedelte er von Loewen nach Lüttich über, wo ihm zuerst die Professur der allgemeinen und speciellen Anatomie und zehn Jahre später die der Physiologie und vergleichenden Anatomie übertragen wurde. Sehr zu verwundern aber ist es, daß mit seiner litterarischen Thätigkeit auf deutschem Boden eine solche überhaupt fast ihr Ende erreichte, daß, während er in den ersten fünf Jahren seiner Laufbahn die Welt mit einer Anzahl von Arbeiten beschenkte, welche den höchsten Erwartungen entsprachen, er die folgenden 40 Jahre seines Daseins in beinahe vollständiger Zurückgezogenheit verbrachte. Daß er [190] sich mit ganzer Seele dem Lehrberuf widmete, die experimentelle Methode nicht nur in seinen Vorlesungen einführte, sondern auch beständig mit der Prüfung der Neuerungen beschäftigt war, bezeugen seine Schüler und Collegen und seine zum Theil sehr eingehenden Referate an die Brüsseler Akademie der Wissenschaften, deren von 1843–79 etwa 32 vorliegen. Aber auch daß man ihn in Deutschland nicht vergessen hatte, beweisen die verschiedenen an ihn ergangenen, sämmtlich von ihm abgelehnten Berufungen an deutsche Universitäten, so nach Breslau (1852), München und Würzburg (1854), Gießen (1855). Seinem Freunde Henle schrieb er bei einer dieser Gelegenheiten, indem er ihm das Behagen seiner bürgerlichen Stellung und seines häuslichen Junggesellenlebens schilderte, daß er nicht die geringste Neigung empfinde, sich in das Gezänk der deutschen Histologen einzumischen. Von seinen Publicationen aus der Zeit, wo er in Belgien lebte, sind noch anzuführen „Versuche über den Einfluß der Galle auf den Organismus“ (1844, 1846), ein von ihm verfaßtes anatomisches Handbuch für eine „Encyclopédie populaire“ (1855) und einige Mittheilungen an die belgische Akademie. Seine letzte Schrift („Mein Gutachten über die Versuche, die an der stigmatisirten Luise Lateau am 26. März 1869 angestellt wurden“, Köln und Neuß 1875) war ein Protest gegen einen frommen Betrug, zu dem sein angesehener Name mißbraucht werden sollte.

Am 23. Juni 1878 bereitete die Universität Lüttich ihrem weltberühmten Mitgliede zur Feier der Vollendung des 40. Jahres seines Lehramtes eine Ovation, an welcher die Universitäten und Akademien aller civilisirten Länder sich betheiligten. Bald nach jenem Ehrentage legte er (im Herbst 1880) die Professur nieder, nachdem er bis in sein 70. Jahr sich einer ungetrübten Gesundheit und Rüstigkeit erfreut, dann aber, infolge eines Herzfehlers, an Schwindel und Beklemmung zu leiden begonnen hatte. Er behielt seinen Wohnsitz in Lüttich und brachte, wie vordem, nur die Ferien bei den Verwandten in Neuß, Köln oder Düsseldorf zu. Am 11. Januar 1882 erlag er während eines weihnachtlichen Besuches im Hause seines Bruders zu Köln, nach 14tägiger Krankheit, einem apoplektischen Anfalle. – S. war von kleiner schmächtiger Gestalt, der ein feiner Kopf mit geistvoll blickenden Augen Bedeutung und frisches Leben gab. Sein ganzes Wesen zeigte eine liebenswürdige Bescheidenheit, deren Zauber alle empfanden, die ihn kennen lernten.

J. Henle im Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 21, 1882, S. I–XLIX. – Rud. Virchow in dessen Archiv für pathol. Anatomie. Bd. 87, 1882, S. 389–392. – Waldeyer in Gurlt und Hirsch, Biographisches Lexikon der hervorragenden Aerzte V, 315, 316.