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Artikel „Schuh, Franz“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 653–655, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schuh,_Franz&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 13:10 Uhr UTC)
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Schuh: Franz S., berühmter Chirurg, war geboren zu Ybbs in Niederösterreich am 17. October 1804; sein Vater war ein unbemittelter Mann, wahrscheinlich Küster oder Kirchendiener und Musiker. Den Gymnasialunterricht erhielt er in den Stiftern Seitenstetten und Kremsmünster; in letzterem hatte er als Kirchenmusiker Wohnung und Kost und erwarb sich seinen weiteren Unterhalt dadurch, daß er Unterricht im Violinspiel ertheilte. Schon zu jener Zeit wurde er von einem Leiden gequält (Wassersucht der Oberkieferhöhle), das ihn in Gestalt von Neuralgieen sein ganzes Leben lang nicht verlassen hat. Zum Studium anfänglich der Rechte, dann der Medicin kam er 1825 nach Wien und wurde 1831 daselbst zum Dr. med. et chir. promovirt, mit der Inaug.-Dissert. „Experimenta de influxu venenorum nonnullorum in oeconomiam animalem c. tab.“, gestützt auf ganz neue, in dem Institut des Professors der Physiologie Czermak gemachte Versuche. 1832 wurde er in das unter Leitung des Prof. Baron v. Wattmann stehende Operateur-Institut aufgenommen, darauf zum klinischen Assistenten desselben und 1836 an der Chirurgen-Schule zu Salzburg zum Professor ernannt, indessen nicht für die Chirurgie, sondern für die Vorbereitungswissenschaften Chemie, Physik, Naturgeschichte. Jedoch schon 1837 wurde er nach Wien als Primarchirurg des Allgemeinen Krankenhauses zurückberufen [654] und, nachdem er 1840 eine Theilung der chirurgischen Klinik durchgesetzt hatte, wurde er 1841 zum außerordentlichen, 1842 zum ordentlichen Professor, 1843 zum Vorstande des Operateur-Institutes ernannt, Stellungen, in welchen er bis zu seinem Lebensende verblieben ist. – Die medicinische Bildung Schuh’s fiel in eine Zeit, in welcher die neue Wiener Schule im Entstehen begriffen war. Johann Wagner, Professor der pathologischen Anatomie, der 1832 starb, hatte zu der pathologisch-anatomischen Schule den ersten Grund gelegt, auf welchem der geniale Rokitansky fortbaute. Ihm schloß sich Skoda an, dessen Verdienste um die Diagnostik der Brustkrankheiten weltbekannt sind. Streben nach Wahrheit, auf dem Wege der treuen naturwissenschaftlichen Forschung, war der Wahlspruch der Gründer der jungen Schule, welcher sich mit Leidenschaft S. als Vertreter der Chirurgie angeschlossen hatte. Gründliche Kenntniß der pathologischen Anatomie, genaue Beobachtung des Kranken, die Benutzung aller diagnostischen Hilfsmittel, skeptische und klare Erwägung des Gegebenen, strenge Logik in seinen Schlüssen zeichneten S. bei Stellung der Diagnose aus; aus der richtigen Erkenntniß des pathologischen Processes entwickelte er die Prognose und die Anzeigen zu seiner stets einfachen Therapie. Seine sichere Diagnose, reiche Erfahrung, seltene Umsicht und mit Besonnenheit und Geistesgegenwart verbundene Sicherheit gestalteten ihn zu einem ausgezeichneten Operateur, selbst unter den schwierigsten Verhältnissen. Unvergessen ist die von ihm zum ersten Male (1840) auf Skoda’s Abtheilung ausgeführte Punction des Herzbeutels, zu welcher Operation unter den damaligen Verhältnissen ein Muth gehörte, den nur die aus dem Wissen hervorgegangene Ueberzeugung geben kann. Schuh’s erfolgreiche Thätigkeit als Schriftsteller begann im J. 1838. 97 Aufsätze, welche er von dieser Zeit an, bis zur letzten Woche seines Lebens, in verschiedenen Fach-Zeitschriften (namentlich den Oesterreich. med. Jahrbüchern, der Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte in Wien, Prager Vierteljahrschrift, Roser’s und Wunderlich’s Archiv, Wiener med. Wochenschrift, Zeitschr. f. prakt. Heilkunde, Allgemeine med. Zeitung, Medic. Presse) niederlegte, bilden einen überaus wichtigen Beitrag zur Geschichte der Chirurgie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, indem er in ihnen seine vorurtheilsfreien Ansichten und seine werthvollen Erfahrungen über die wichtigsten Fragen und Erfindungen dieser Zeit mittheilte. Epochemachend waren darunter die Abhandlungen: „Ueber den Einfluß der Perkussion und Auskultation auf die chirurgische Praxis, nebst einigen Versuchen über das Eindringen der Luft in die Brusthöhle“ und die „Erfahrungen über die Paracentese der Brust und des Herzbeutels“. Besonders ausgezeichnete und lehrreiche Abhandlungen sind noch die über Contracturen des Kniegelenks und Ankylosen, über Verengerungen der Harnröhre und den äußeren Harnröhrenschnitt, über die Einklemmung der Unterleibsbrüche, über Nervenresectionen, über das pyämische Fieber und über Pseudoplasmen. Den letzteren hatte S. eifrige Studien gewidmet und die Früchte derselben zuerst in einzelnen Aufsätzen, dann in einem eigenen Werke „Ueber die Erkenntniß der Pseudoplasmen“ 1851, welchem als neue Auflage die „Pathologie und Therapie der Pseudoplasmen“ 1854 folgte, gewidmet. In beiden Werken wurde die Mikroskopie in die Praxis der Chirurgie eingeführt und der Lehre von den pathologischen Neubildungen ein festerer Halt zu geben versucht. Eine weitere, höchst werthvolle Schrift war: „Ueber Gesichtsneuralgien und über die Erfolge der dagegen vorgenommenen Operationen“, 1858. S. konnte aus eigenster Erfahrung an sich sprechen, da er selbst ein Märtyrer der Gesichtsneuralgien war. Nach seinem Ableben erschienen noch: „Abhandlungen aus dem Gebiete der Chirurgie und Operationslehre. Nach des Verfassers Tode gesammelt“, 1867, jedoch nur einen Theil seiner zahlreichen Arbeiten enthaltend.

[655] S. war ein vortrefflicher Lehrer; nicht verschwenderisch mit Worten, war er immer klar und leicht faßlich. Alles, was er sprach, war wohl überlegt und von eigenthümlicher Bedächtigkeit bei dem sonst so raschen und sanguinischen Manne. Wie er als Lehrer gewirkt, zeigt die Reihe glänzender Namen, die unter seiner Leitung in dem Operateurinstitut aus der großen Zahl von dessen Schülern hervorgegangen sind. Mit vorzüglichem Takte erkannte er bald den Charakter eines jeden Einzelnen. Allen war er ein wohlwollender, gütiger Freund, den Mittellosen ein zartfühlender Wohlthäter, besonders wenn er in denselben Strebsamkeit und Talent erkannte. Für ihre Zukunft sorgte er väterlich und viele seiner ehemaligen Schüler haben eine glänzende Existenz gefunden. Unkenntniß, Nachlässigkeit und Ungeschicklichkeit hatten aber in ihm einen erbitterten Feind und bei solcher Gelegenheit trat seine ganze Energie und Derbheit zu Tage. In seinen Operationen zeigte S. die größte Präcision, Schnelligkeit und Gewandtheit, nach zuvoriger sorgfältigster Erwägung und Erörterung des Krankheitsfalles. Wenn Gefahr im Verzuge war, da folgten Erkenntniß des Uebels und operatives Einschreiten Schlag auf Schlag. Sein Instrumentenapparat war der denkbar einfachste, wie ihn jeder praktische Chirurg haben kann, von complicirten Instrumenten wurde nur sehr selten Gebrauch gemacht. – Als Arzt war S. voll Theilnahme und Aufopferung für die Kranken; seiner Klinik und Poliklinik widmete er viel Zeit und Mühe. Seine Therapie war von wunderbarer Einfachheit, mit wenigen äußerlichen Mitteln und einer geringen Zahl von Medicamenten sich begnügend; Aderlaß und andere Blutentziehungen waren auf das äußerste eingeschränkt. – Als Mensch war S. von liebenswürdiger und gewinnender Einfachheit und freundlichem Entgegenkommen, ein treuer, opferfähiger Freund, ein nachgiebiger College, Kriecherei und Schmeichelei waren ihm unbekannt und die Dummheit geißelte er mit ätzendem Spott bei Hoch und Niedrig. Seit frühester Jugend ein leidenschaftlicher Verehrer der Musik, fehlte er bei keinem größeren Concert und selbst Virtuose auf der Violine, versammelte er allwöchentlich bei sich einen gewählten Kreis von Musikern zur Aufführung classischer Musik. – Die äußeren Ehrenbezeigungen, welche einem Manne von solchem Verdienst hätten zu theil werden können, waren sehr gering; er erhielt 1860 den Titel eines k. k. Regierungsrathes, das war Alles. – Nach einem Krankenlager von nur wenigen Tagen, starb er am 22. December 1865, an einer nicht näher aufgeklärten Krankheit. Die dankbare Nachwelt stellte, 10 Jahre nach seinem Tode, 1875, seine Büste zum Andenken auf einem der Höfe des Allgemeinen Krankenhauses, des Schauplatzes seiner vieljährigen ruhmvollen Thätigkeit, auf.

Wiener Medicinische Presse 1866. S. 26, 52, 89. Ein Nachruf. – v. Dumreicher in Wiener Medicinische Wochenschrift 1866. S. 409. Gedenk-Rede. – v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 32, 1876. S. 137.