ADB:Schreiber, Johann Friedrich

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Artikel „Schreiber, Johann Friedrich“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 473–476, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schreiber,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 19:46 Uhr UTC)
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Schreiber: Johann Friedrich S. wurde am 25. Mai 1705 zu Königsberg i. Pr. geboren, woselbst sein Vater Michael S. Professor der Theologie war. [474] Im J. 1721 bezog der junge S. die Universität seiner Vaterstadt und widmete sich dem Studium der Medicin, hörte jedoch anfangs philosophische und mathematische Vorlesungen. 1726 begab sich S. nach Frankfurt a. O., dann weiter über Leipzig und Hannover nach Leyden, um hier seine medicinischen Studien fortzusetzen. Hier in Leyden beschäftigte er sich mit Botanik und Medicin unter Anleitung des großen H. Boerhave und mit Anatomie bei dem damals noch jugendlichen Professor Albin. Gleichzeitig mit S. studirten in Leyden der spätere Königsberger Professor Bohlius und der damals 18jährige Albrecht Haller. Mit Haller schloß S. ein inniges Freundschaftsbündniß, das durch regen Briefwechsel genährt, erst durch den 1760 erfolgten Tod Schreiber’s gelöst wurde. Die Briefe Schreiber’s an Haller sind 1773 gedruckt worden (Epistolarum ab erud. viris ad Hallerum scriptarum Pars I. Bernae 1773). Wiederholt besuchte S. von Leyden aus den berühmten hochbetagten Anatomen Ruysch in Amsterdam, um dessen anatomische Sammlungen kennen zu lernen. Am 19. Januar 1728 wurde S. nach stattgehabtem Examen zum Doctor der Medicin promovirt; seine Doctordissertation führt den Titel: „Meditationes philosophico-medicae de fletu“. Unmittelbar nach der Promotion ließ sich S. als praktischer Arzt in dem kleinen Städtchen Zaandam bei Amsterdam nieder. Allein der Beruf eines Arztes sagte ihm nicht zu, er sehnte sich nach wissenschaftlichen Arbeiten. So verließ er nach schon zwei Monaten Zaandam, kehrte nach Leyden zurück und wandte sich nach flüchtigem Aufenthalt in Münster, Paderborn und Kassel nach Leipzig, um sich hier dem akademischen Beruf zu widmen. In Kassel verweilte S. zwei Wochen, um die Bekanntschaft des berühmten Philosophen Wolff zu machen, dessen philosophische Ideen er für die Medicin, insonderheit für die Physiologie zu verwerthen beabsichtigte.

In Leipzig erlangte S. das Recht Vorlesungen zu halten; und las seit 1729 mit Erfolg Philosophie, Mathematik, Medicin, daneben trieb er etwas Botanik. S. hatte bereits in Leyden eine kleine Abhandlung drucken lassen und hatte außerdem des englischen Arztes Douglas Beschreibung der Muskeln ins Lateinische übersetzt. In Leipzig verfaßte er die „Elementa medicinae physico-mathematica“ (1. Bd. Frankfurt und Leipzig 1731). Durch wissenschaftliche Arbeiten, durch Vorlesungen hatte S. sich schon so bekannt gemacht, daß man ihn nach Halle zu berufen gesonnen war. Allein es wurde nichts aus diesem Plan; S., statt im akademischen Berufe auszuharren, verließ seine bisherige Laufbahn und wurde Militärarzt. Die russische Regierung brauchte Aerzte für ihre Armee; sie hatte sich an Prof. Hofmann in Halle und Prof. H. Boerhave in Leyden gewandt mit der Bitte, je drei tüchtige Aerzte anzuwerben. Infolge dieser Aufforderung entschloß sich S., dem Rufe Folge zu leisten. Im Mai des Jahres 1731 trat er in den russischen Dienst, zunächst nur auf fünf Jahre; doch es sollte anders werden. Aus dem ruhigen akademischen Dasein gelangte S. in das unruhige Leben und Treiben eines Militärarztes in Kriegszeiten. – Erst mit dem Beginn des Jahres 1739 endigte die militärische achtjährige Wanderperiode, nun erst wurde S. wieder seßhaft. Im Sommer 1731 verließ S. seine Heimath und begab sich nach Moskau, um seinen Dienst anzutreten. Er erhielt die Weisung, sich sofort in Riga bei General Lascy, dem Oberbefehlshaber des in Livland stehenden russischen Armeecorps, zu melden, um daselbst als Militärarzt Verwendung zu finden. In Riga konnte S. ruhig leben und sich sogar wissenschaftlich beschäftigen. Er verfaßte hier seine bekannte biographische Abhandlung über Fr. Ruysch, der unterdeß am 22. Februar 1731 hochbetagt gestorben war („Historia vitae et meritorum Frederici Ruysch“, Amstelodami 1732). Auch faßte S. den Plan, wie er seinem Freunde Haller mittheilte, ein Specimen historiae naturalis, de aere, aquis et locis Livonicis zu schreiben. Doch dazu kommt es nicht, denn mit dem [475] Anfang September 1733 zieht S. mit der russischen Armee in den Krieg und erst 1739 kommt er in Moskau zur Ruhe. Versuchen wir uns in Kürze die Kriegszüge Schreiber’s zu vergegenwärtigen. S. zieht als Feldarzt der russischen Armee unter Lascy im Herbst 1733 durch Littauen nach Warschau, dann zu Anfang 1734 nach Danzig; betheiligt sich bei der Belagerung und der Einnahme von Danzig und marschirt mit Lascy dann nach Schlesien und im Frühjahr 1735 durch Böhmen und die Oberpfalz an den Rhein, um daselbst zu überwintern. Als Lascy auf Befehl der russischen Regierung seine Truppenabtheilung verlassen muß, um auf den russisch-türkischen Kriegsschauplatz zu gehen, schließt sich S. ihm an; sie reisen über Wien, Kiew und sind im Mai 1736 vor Asow; die schon seit März belagerte Stadt muß sich am 4. Juli den Russen übergeben. Im nächsten Jahr 1737 zieht S., nun zum Generalstabsmedicus ernannt, abermals unter Lascy’s Führung in die Krim und nimmt theil an der Eroberung und Verwüstung der Stadt Kara Basar. Doch nun scheint S. das unruhige Hin- und Herziehen überdrüssig geworden zu sein – sein Contract mit der russischen Regierung war abgelaufen – er bittet um Entlassung und um eine ruhige Stellung. Er wird zu Beginn des Jahres 1738 zum Stadtphysikus von Moskau ernannt, muß aber dennoch an dem Sommerfeldzug in die Krim theilnehmen und dann, weil unterdeß an der damals russisch-türkischen Grenze die Pest ausgebrochen ist, als Pestarzt bei der Armee bleiben. Erst im März 1739 kann er seine Stellung in Moskau als Stadtarzt mit einem Gehalt von 700 Rubel antreten. Im Februar 1740 verheirathet er sich und beginnt aufs neue sich wissenschaftlich zu beschäftigen, indem er seine Erfahrungen über die Pest zusammenfaßt: „Observationes et cogitata de pestilentia, quae annis 1738 et 1739 in Ucrainia grassata est“. Petropoli 1739. S. ließ später die Abhandlung noch einmal drucken (Berolin. 1744) und dann eine deutsche Uebersetzung anfertigen (St. Petersburg 1752). Doch auch in Moskau blieb S. nicht lange: man war an maßgebender Stelle auf den strebsamen jungen Mann aufmerksam geworden. S. wurde mit dem Titel eines Professors zum Lehrer der Anatomie und Chirurgie an der Hospitalschule zu St. Petersburg ernannt. Seit Anfang 1742 ist S. in Petersburg als Lehrer ununterbrochen thätig gewesen bis zu seinem Tode 1760. So hatte er das Ziel, nach dem er einst gestrebt, erreicht: er war Lehrer geworden. Freilich nicht an einer Universität, sondern an einer sogenannten Chirurgenschule. Rußland besaß damals noch keine Universität; doch waren zuerst in Moskau, dann später auch in St. Petersburg chirurgische Schulen gegründet worden, um den Bedarf an Militärärzten durch Einheimische decken zu können. Hier in St. Petersburg entwickelte S. eine rege Thätigkeit als Lehrer, als Arzt, als Schriftsteller. Tschistowitsch, der Verfasser einer Geschichte der ersten medicinischen Schulen in Rußland (St. Petersburg 1883), lobt den Eifer und den Fleiß Schreiber’s außerordentlich und erkennt die großen Verdienste Schreiber’s um die medicinische Bildung in Rußland bereitwillig an. S. lehrte Anatomie, Chirurgie, las über Männerkrankheiten, machte Sectionen und versuchte, seine medicinischen Erfahrungen auch wissenschaftlich zu verwerthen. Er veröffentlichte eine Reihe kleiner Aufsätze in den Commentarien der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften (Tom. VII, 1740, Nov. Comment. Tom. III, 1753), schrieb einen „Kurzen Unterricht, wie man bei vorfallendem Viehsterben zu verfahren habe“ (1750), ferner eine „Anweisung zur Erkenntniß und Cur der vornehmsten Krankheiten des menschlichen Leibes“ (Leipzig 1756) und verfaßte das „Almagestum medicum. Introductio et physilogiae medicae Pars I.“ Viennae 1757. In den letzten Jahren seines Lebens fing er an zu kränkeln; es spricht in seinen Briefen an Haller sich hier und da die Sehnsucht nach der deutschen Heimath aus; er wünscht an einer deutschen Universität als Lehrer wirken zu können. Doch dieser Wunsch sollte nicht erfüllt [476] werden; er verließ St. Petersburg nicht mehr – am 28. Januar 1760 starb er. – S. hat außer den bereits angeführten Abhandlungen noch eine Reihe anderer verfaßt, die hier nicht alle aufgezählt werden können. Ein Verzeichniß findet sich bei Recke-Napiersky (IV, 120–122). Er erfreute sich unter seinen Zeitgenossen des Ruhmes eines fleißigen Schriftstellers und eines vielseitig gebildeten Gelehrten. Er hat nicht allein medicinische, sondern auch anatomische, nicht allein philosophische, sondern auch botanische Abhandlungen verfaßt. Als Mediciner gehörte S. mit Boerhave und Wolff der durch Wolff besonders vertretenen iatro-mathematischen Richtung an. Seine bezüglichen Schriften haben heute nur einen historischen Werth.

Vgl. Büsching’s Gelehrte Abhandlungen aus Rußland, Leipzig, 1. Bd., 179–186; die hier abgedruckte Lebensbeschreibung ist aber nicht von Büsching, sondern vermuthlich von Müller verfaßt. – Ferner vgl. v. Richter’s Geschichte der Medicin. 1817. 3. Bd., S. 251 und Tschistowitsch, Geschichte der ersten medicinischen Schulen in Rußland. St. Petersburg 1883 (Russisch).