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Artikel „Scheppler, Louise“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 752–754, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scheppler,_Louise&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:22 Uhr UTC)
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Scheppler: Luise Sch., Mitbegründerin der Kinderbewahranstalten, wurde am 4. November 1763 in einem armseligen Dörfchen des unterelsässischen Steinthals, Bellefosse, als Kind ganz armer Bauersleute geboren. Dort verlebte sie ihre Jugend ohne irgendwelche reelle Bildung zu empfangen. Aber schönste Beispiele edelster Herzensgüte fallen schon in ihre Kindheit. In ihrem 15. Jahre kam sie als Magd in das Haus des berühmten Joh. Frdr. Oberlin (s. A. D. B. XXIV, 101, wo L. Sch. erwähnt ist), evangelischen Pfarrers aus Straßburg, der, seit 1766 Pfarrer zu Wald(ers)bach (Ban-de-la-Roche) im Steinthale, damals einer der wildesten und armseligsten Gegenden des Vogesengebiets, bereits mitten im rührigen Betriebe seiner großartigen philanthropischen Neigungen stand. Während Oberlin nun die traurige ökonomische Lage der Steinthal-Bewohner durch vorbildliche Pflege der Landwirthschaft und Einführung von Industrie verbesserte, erwarb er sich um die geistige und seelische Wohlfahrt seiner Pfarrkinder und der Umgebung hohe Verdienste, vornehmlich durch Begründung der sog. Kleinkinderschulen seit 1779. Leiteten ihn dabei auch dieselben Ideen wie den genialen Zeitgenossen Pestalozzi, der 1775 seine Armenschule für Armeleutkinder auf „Neuhof“ geschaffen hatte, so verfuhr doch Oberlin bei der Anlage ganz selbständig. Und in diesem seinem erfolggekrönten Walten unterstützte ihn, zumal nach dem allzufrühen Tode seiner geistesverwandten Gattin (Jan. 1783), die sich an all diesen humanitären Bestrebungen warm betheiligt hatte, von Anfang an hauptsächlich seine getreue Dienerin Luise Scheppler. Als Oberlin ins Steinthal übersiedelte, fand er in den fünf Dörfern seiner Gemeinde 80–100 nothbedrängte und arg herabgekommene Familien vor, nach einem Vierteljahrhundert waren die 3000 Menschen pekuniär und moralisch stark gehoben. Unter Luise Scheppler’s thätigster Beihilfe [753] verwirklichten die Oberlin’schen Anstalten, zuerst Strickschulen genannt, den Pestalozzi’schen Gedanken, „Noth- und Hilfskinderschulen für die armen Leute, die wegen des Tagelohns oder wegen ihres Frondienstes den Tag über ihre Wohnungen verschließen müssen“, und „Kinderhäuser, darin arme Mütter ihre noch nicht schulpflichtigen Kinder bringen und den Tag über versorgen lassen können“, zu schaffen, in originaler Weise. Oberlin miethete auf eigene Kosten geräumige Zimmer und richtete diese dafür ein, daß ungenügend überwachte oder sich selbst überlassene Kinder vom 3.–7. Jahr unter mütterlicher Aufsicht und Anleitung den Tag angenehm und nützlich verbrachten. Da war es nun eben die einfach aufgezogene Luise Sch., die diese hochherzige Idee völlig in sich aufnahm und die eigentliche Mutter dieser ersten „salle d’asile“ ward. Neben den vielen Mühen des Pfarrer-Haushalts, wo es oft genug Augenblickssorgen, die Oberlin’s weitsinnige Freigebigkeit veranlaßt hatte, zu beseitigen galt, fand sie vollauf Zeit, sich tagtäglich der Wartung und Beaufsichtigung der großen Kinderschar sowie deren Belehrung in Sitte, Glauben, häuslichen Arbeiten zu widmen. Die ältesten hielt sie zu Stricken, Spinnen, Nähen an, um sie mit den einfachsten Mitteln zu selbständigem Erwerb auszurüsten. Außerdem wurden den Kindern, nachdem sie lange genug sich mit derartigen Handarbeiten – auch die Knaben (also liegen hier auch Anfänge des modernen Handfertigkeitsunterrichts) – beschäftigt hatten, Landkarten vorgelegt, insbesondere solche der näheren Umgebung, auch Kupferstiche über biblische Geschichten, und die eigens für dieses Amt herangebildeten Aufseherinnen gaben die nöthigen Erklärungen. Rund hundert Kinder hat sich Luise Sch. regelmäßig in solch beispiellos edler Hingabe angenommen. Bis an ihr Ende hat sie 58 Jahre lang in opferwilligster Treue diesen Dienst an der Jugend der Armuth uneigennützigst besorgt, und als ihr, nach heimischen Ehrungen ihres philanthropischen Wirkens, 1829 das Pariser Institut de France auf Cuvier’s Antrag den Montyon’schen Tugendpreis von 5000 Frcs. verlieh, diese Summe den fünf Oberlin’schen Anstalten der Pfarre Waldersbach zugewandt. Luise Sch. überlebte ihren Herrn und Meister (auf ihren Wunsch als „Luise Scheppler-Oberlin“) um 11 Jahre und leitete die Kleinkinderschulen, die Oberlinstiftung für die Aufseherinnen, die Oberlin’sche Leihcasse sicher weiter. 74 Jahre alt, starb sie am 25. Juli 1837, nachdem sie, Dutzenden von Zöglingen und (87!) Pathen stets ein Muster naturgemäßer Lebensweise bietend, nur fünf Tage krank gewesen, und wurde drei Tage darauf zu Waldersbach begraben.

Gebührt auch das Verdienst der allgemeinen Verbreitung und systematischen Durchführung der Kinderbewahranstalten den Briten, besonders nach des Schotten Robert Owen (1800) Methode, so steht doch Luise Sch., die Deutsch-Elsässerin, als leibhaftige Verkörperung der Kleinkinderschule für die verwahrloste oder vernachlässigte Jugend beiderlei Geschlechts in deren Uranlage und glücklichen Einrichtung da. Diesen Rechtstitel verweigern ihr sogar viele Werke, die die „Geschichte der Pädagogik“ breit vortragen, z. B. K. Schmidt-W. Lange (3. Aufl., 4 Bd., S. 154 f.) gelegentlich der Oberlin-Bestrebungen. Es sei drum anerkannt, daß ein allgemeines Nachschlagewerk, Meyers Conversationslexikon, s. v. Kleinkinderschule und Oberlin, ihr die geziemende Ehre erweist.

Vgl. François de Neufchâteau, Rapport fait à la Société royale d’agriculture sur l’agriculture et la civilisation du Ban – de la Roche (1818), sowie die Litteratur über J. J. Oberlin, besonders dessen vollständige Lebensgeschichte, Schriften u. s. w. von Hilpert, Stöber, (deutsch von) Burckhardt (1843), das französische Buch über ihn von Bernard (1867), [754] G. H. v. Schubert’s (11. Aufl. 1890) und Bodemann’s Biographien desselben (3. Aufl., 1879) und L. Spach, Le pasteur (1865). Die Specialschriften über Kinderbewahranstalten von F. Marbau (7. Aufl., Paris 1873), dem Stifter der ersten französischen (1844), Diesterweg (5. Aufl., 1852), J. F. Ranke (8. Aufl., 1892), Hübener (1888) u. A. sind wesentlich theoretisch. Ein längerer Bericht über einen, Anfang Januar 1904 in einem kirchlichen Frauenverein zur Förderung einer entsprechenden Institution gehaltenen Vortrag des Pfarrers Ernst Widmann zu Darmstadt, „Luise Scheppler und die Kleinkinderschule“, steht „Därmstädter Tägl. Anzeiger“ Nr. 10 v. 13. Jan., S. 2 – R. Zoepffel’s Oberlin-Artikel A. D. B. XXIV, 99–102 bietet für die Sch. nichts. – Der Ostdeutsche Jünglingsbund zu Berlin hat 1897 in seine Schriftenserie „Für Feste und Freunde der Inneren Mission“ (darin H. 13: J. Oberlin von P. Todt) als Heft 8 eine kleine Monographie (16 S.) von P. Karl Müller-Wölsickendorf: „Luise Scheppler, eine Magd des Herrn“ (2. Aufl.), zur Propaganda und Erbauung aufgenommen; darin sind außer allerlei bezeichnenden Einzelheiten mehrere Briefe u. ä. urkundliche Stücke mitgetheilt.