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Artikel „Schenk, Karl“ von Karl Geiser. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 165–171, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schenk,_Karl&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:42 Uhr UTC)
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Schenk *): Karl Sch., schweizerischer Bundesrath, wurde am 1. December 1823 in der Stadt Bern geboren, wo sein Vater Christen Schenk ein Mann von ungewöhnlichen Anlagen und großer Strebsamkeit, im Zwingelhof der alten Stadtbefestigungen den Beruf eines Mechanikers betrieb. Dieser war aus seiner Heimath Signau im Emmenthal eingewandert, wo er als Sohn eines bescheidenen Landwirthes und Webers nur eine nothdürftige Schulbildung erhalten hatte. Schon frühzeitig verrieth aber Chisten Sch. ein großes mechanisches Talent, das er mit eiserner Ausdauer weiter auszubilden suchte. Als er dann in Bern einen weiteren Wirkungskreis gefunden hatte, wurde er durch die von ihm erfundenen Saugspritzen bald auch im Ausland bekannt und hatte sich, wie später sein Bruder Ulrich, dadurch ein großes Vermögen erwerben können, wenn er sich auf die bloße industrielle Herstellung dieses Artikels verlegt hätte, statt jedes einzelne Exemplar mit neuen Verbesserungen zu versehen und immer wieder Versuche auf den verschiedensten Gebieten zu machen, wofür er sich ein eigenes physikalisch-chemisches Laboratorium emgerichtet hatte und eifrig wissenschaftliche Werke studirte. So lebte er in keineswegs glänzenden Verhältnissen, als ihm 1830 seine Frau von vierzehn lebenden Kindern wegstarb. Da ihm die nothwendige Zeit fehlte, um sich mit der Erziehung seiner Kinder so eingehend zu befassen, wie er es wohl gewünscht hätte, entschloß er sich im J. 1832, seinen Sohn Karl mit einem älteren Bruder der auch in Bern bekannten Kuller’schen Erziehungsanstalt in Kornthal (Württemberg) anzuvertrauen. Schon 1834 folgte Christen Sch. seiner Frau im Tode nach.

Nun fragte es sich, was aus dem erst elfjährigen Karl, dem jüngsten der vierzehn Kinder, werden sollte, und man darf es den Behörden seiner Heimathgemeinde zur Ehre anrechnen, daß sie den Bitten des Knaben nachgaben und einen verhältnißmäßig beträchtlichen Theil des bescheidenen Erbes für seine weitere Ausbildung bewilligten, damit er sich auf das Studium der Theologie vorbereiten könne. Vor der Hand wurde er noch in Kornthal, dann im Institut der Gebrüder Paulus in Ludwigsburg gelassen; von 1839–1842 besuchte er dann das Gymnasium in Bern. Welchen Eindruck damals der junge Karl Sch. machte, schildert uns Gustav Vogt, in dessen Familie er ein gern gesehener Gast war, mit folgenden Worten:

„Meine Mutter hatte Gefallen an ihm gefunden: das war ein Bursche, der in seiner körperlichen Vollkraft, in seiner geistigen Gesundheit, seinem Freimuth und seinem Haß gegen eitles Scheinwesen und heuchlerisches Thun sie an ihre Brüder, die Follens, und an deren Genossen von der deutschen Burschenschaft erinnerte. Was der Mann gehalten hat, versprach schon der Jüngling: wer mit ihm in Berührung kam, empfand, daß an diesem Menschen nichts Unsauberes, nichts Gemeines sei; er seinerseits brauchte sich nicht davor zu hüten, es kam nicht an ihn heran.“

So wird man wohl die Bemerkung, die ihm einer seiner Lehrer in das Zeugniß geschrieben: „excellens in vitiis et virtutibus“ auf das richtige Maß zurückführen und annehmen dürfen, daß die vitia nur in den lustigen oder ausgelassenen Streichen bestanden haben, die man sich von Sch. erzählte. So wird es uns auch nicht wundern, wenn Sch., der von 1842 an die bernische Hochschule besuchte, einer der flottesten und fröhlichsten Studenten war, in jeder Leibesübung, besonders in dem nationalen Schwingen sich auszeichnend, auf der Mensur ein gefürchteter Gegner – und dabei doch ein fleißiger [166] Theologe. Die pietistischen Einflüsse, unter denen er in den schwäbischen Erziehungsanstalten stand, waren freilich spurlos an ihm vorübergegangen; den in Ludwigsburg gefaßten Plan, Missionar zu werden, „um ferne Länder sehen, Meere und Wüsten durchstreifen, Menschen von anderer Hautfarbe beobachten zu können“, hatte er auch aufgegeben. Aber mit seinem Studium nahm er es durchaus ernst und machte schon nach drei Jahren ein glänzendes Staatsexamen. Bei alledem hatte er noch Zeit zu eingehenden philosophischen Studien gefunden, die er auch später noch fortsetzte. Den vielfachen Aufmunterungen, sich der akademischen Laufbahn zu widmen, konnte und wollte Sch. aus verschiedenen Gründen nicht Folge leisten, sondern nahm eine Stelle als Vicar in dem nur wenige Stunden von Bern entlegenen Schüpfen an, wo er sich in das Pfarramt einleben konnte, ohne den Verkehr mit seinen Studienfreunden entbehren zu müssen. Das Wirthshaus, wo die Zusammenkünfte der fröhlichen Gesellschaft gewöhnlich stattfanden, muß nach den Traditionen Zeuge mancher originellen Scene gewesen sein. Der Verlockung zu einem Hosenlupf mit einem des Schwingens kundigen Gegner konnte auch der Herr Vicar noch nicht widerstehen. In der Gemeinde Schüpfen war S. außerordentlich beliebt und bei der nächsten Gelegenheit wählte ihn dieselbe als Pfarrer, nachdem er unterdessen den Sonderbundeskrieg als Feldprediger mitgemacht und nachher zwei Jahre in Laupen gewirkt hatte. Mehrere Jahre verlebte er dort in gewissenhafter Ausübung seines Amtes, daneben mit seiner weiteren Ausbildung beschäftigt und an allen gemeinnützigen Bestrebungen eifrig theilnehmend. Besonders groß war sein Interesse für die Volksschule und die Armenpflege, auf welchem Gebiete er Erfahrungen sammeln konnte, die später nicht nur ihm, sondern dem ganzen Lande nützlich sein sollten. Diese Jahre in Schüpfen gehörten zu den glücklichsten in dem Leben von Sch., bei aller Bescheidenheit der äußeren Verhältnisse. Sein Freund G. Vogt erzählt uns hierüber:

„Sch. hatte kein Vermögen, seine erste Frau, die Tochter eines Arztes in Schüpfen (Elise Kehr) ebensowenig. Es mag im Pfarrhause von Schüpfen manchmal eine spärliche Lebesucht gewesen sein, als sich die Familie von Jahr zu Jahr vermehrte, nicht ebenso auch der Quartalzapfen. Und doch hat sich, wie mich dünkt, Sch. nie glücklicher gefühlt. Was ihm vordem gefehlt hatte, das genoß er zum ersten Male: ein Familienleben. Dazu ein ziemlich behagliches Dasein: nur so viel amtliche Pflicht, daß sie nicht zur Last wurde und der Muße genug zu freien Studien; kein Ueberfluß, aber auch kein Verlangen darnach – Sch. ist nie ein Genußmensch gewesen. Er hat auch wenig Trieb und Geschick zum Erwerben gehabt; lieber als nach Gut und Geld zu jagen, schickte er sich in Bescheidenheit in die gegebene Lage. Im späteren Leben hat er sich wohl hier und da nach der idyllischen Ruhe seines Pfarrhauses zurückgesehnt.“

Aus diesem Pfarrhausidyll wurde Sch. nun aber plötzlich herausgerufen. Obschon er sich an der damals im Kanton Bern äußerst leidenschaftlichen Parteipolitik keineswegs als Agitator betheiligt hatte, wurde er mit einem Schlage auf einen der schwierigsten Posten gestellt. Eines jahrelangen Haders müde, der nicht nur das öffentliche Leben vergiftete, sondern selbst die intimsten Freundschafts- und Familienbande löste, hatten sich die streitenden Parteien im J. 1854 zu einem Compromiß geeinigt, welcher den Radicalen und Conservativen eine annähernd gleich starke Vertretung in der Regierung wie in den übrigen Behörden sicherte.

Diese „Fusion“ war mehr ein nothgedrungener Waffenstillstand als ein aufrichtiger Friede, und es waren nicht die schlechtesten Elemente auf beiden [167] Seiten, welche ihre Unzufriedenheit darüber äußerten. Während der conservative Pfarrer Bitzius in Lützelflüh, der bekannte Jeremias Gotthelf, in der leidenschaftlichsten Weise in Wort und Schrift dagegen polemisirte, nahm sein junger radicaler College in Schüpfen die Sache etwas ruhiger. Er suchte in philosophischer Begründung nachzuweisen, „daß diese Gegensätze (zwischen radical und conservativ) in der menschlichen Natur, in Geistesrichtung und Temperament tief begründet seien und das der Kampf, wenn auch mit weniger Haß und Leidenschaft geführt, stets fortdauern werde und müsse.“ Trotz dieser Ueberzeugung konnte Sch., als er durch den Großen Rath in die „Fusionsregierung“ gewählt wurde, den Ruf nicht ausschlagen. Es war auch weniger eine politische, als eine gemeinnützige, humanitäre Aufgabe, vor die er sich gestellt sah, indem es galt, die Direction des Armenwesens zu übernehmen. Die Zustände, welche er hier antraf, waren derart, daß er ungewöhnlichen Muth brauchte, um es zu wagen, auf diesem Gebiete Ordnung zu schaffen. Die Unterstützungspflicht der Heimathgemeinden hatte sich bei der großen Bevölkerungsverschiebung als unhaltbar erwiesen, und ein Reformversuch, welcher den Uebergang zur örtlichen und freiwilligen Armenpflege bezweckte, war vollständig mißlungen, so daß sich um die Mitte der fünfziger Jahre die bernische Armenpflege in einem Zustand völliger Gesetzlosigkeit und Zerrüttung befand. Einzelne Landestheile, die zahlreiche auswärtige Arme hatten, sahen sich geradezu vom ökonomischen Ruin bedroht. Derart war die Situation, als Sch. ans Werk ging.

Es muß uns mit hoher Bewunderung erfüllen, wenn wir seine Thätigkeit in den Jahren 1855–1857 verfolgen. Wenig mehr als ein Jahr war er im Amte, als er zwei umfangreiche Druckschriften vorlegen konnte, wovon die eine an der Hand einer genaueren Enquête und eines historischen Rückblickes die Ursache der bisherigen Mißerfolge aufdeckte, die andere ein sorgfältig ausgearbeitetes Gutachten und Reformproject für die zukünftige Gesetzgebung enthält. Nach hartem Kampfe wurden die Gesetzesvorlagen, welche die Armenpflege auf einer ganz neuen Basis, dem Princip der örtlichen Unterstützung durch die Einwohnergemeinden regelten, in den Jahren 1857 und 1858 vom Großen Rathe angenommen.

Die wohlthätigen Folgen der Schenk’schen Armenreform waren unverkennbar. Vor allem wurde die Armenpflege wieder auf einen gesetzlichen Boden zurückgeführt. Das frühere Chaos mußte einem geordneten Zustand weichen, die Armengüter wurden nach und nach wieder ersetzt, das Rechnungswesen gehörig geregelt und die Landestheile, welche dem Drucke der auswärtigen Armenlast zu erliegen drohten, konnten sich wieder erholen.

Allerdings läßt es sich nicht leugnen, daß unter dem neuen System nach und nach auch wieder Mängel und Mißstände, besonders auf dem Gebiete der Niederlassung, hervorgetreten sind. Aber dies würde gewiß in weit geringerem Maße der Fall gewesen sein, wenn es Sch. vergönnt gewesen wäre, die Gesetzgebung nach seinem Wunsche noch weiter auszubauen. Er hielt, wie wir aus seinen persönlichen Mittheilungen wissen, mit der Armengesetzgebung die Reform überhaupt nicht für vollendet, sondern gedachte dieselbe durch eine allgemeine obligatorische Krankenversicherung zu ergänzen. Damit wollte er die Gemeinden bei dem Zuzug fremder Familien desinteressiren und auch finanziell entlasten. Leider mußte Sch. dieses Project, das aus dem Jahre 1860 stammt, wieder fallen lassen, da es schon in einer Vorversammlung von Mitgliedern des Großen Rathes auf so bedeutenden Widerstand stieß, daß es nicht gerathen schien, officiell damit hervorzutreten.

Es spricht genügend für den Werth des Schenk’schen Werkes, daß man [168] nach vierzig Jahren, bei einer allerdings nothwendigen Revision, die Grundzüge desselben beibehalten konnte und eine Abweichung davon nicht einmal ernstlich in Frage kam.

Bemerkenswerth ist es auch, wie Sch. bei seiner Reform stets mit dem Volke directe Fühlung suchte. Er hielt im ganzen Lande herum Versammlungen ab, um sein Project zu erläutern und seine Absichten klar zu machen, er trat überall den Gegnern in offener Discussion gegenüber. So blieb den Behörden nicht viel anderes mehr übrig, als gutzuheißen, was das Volk schon gebilligt hatte. Dieses Vorgehen entsprach nun nicht ganz dem System seiner Parteigenossen.

„Wir Berner Radicalen (erzählt G. Vogt), die in Stämpfli’s Spuren wandelten, sind eigentlich keine Demokraten gewesen: Alles für das Volk, ja gewiß, und mit vollem Herzen, aber Alles durch das Volk – doch nur mit einigem Vorbehalt, dem Vorbehalt des Fortschrittes. Sch. dagegen war ein Demokrat … er ist es vielleicht auch erst geworden durch seine Armengesetzgebung.“

Nachdrücklich vertrat Sch. die Ueberzeugung, daß man mit der repräsentativen Demokratie nicht am Ende der Verfassungsentwicklung angelangt sei. So finden wir ihn denn auch in den sechziger Jahren als Vorkämpfer für die Erweiterung der Volksrechte und die Einführung des obligatorischen Referendums (der Volksabstimmung über alle Gesetze) im Kanton Bern. Er fürchte die neue Demokratie nicht, führte er gegenüber den Zweiflern unter seinen Parteigenossen aus, welche von ihr eine Hemmung des Fortschrittes befürchteten. Sie verhalte sich zum Repräsentativsystem wie eine Anlage zu geringem festem Zins, bei der aber das Capital sicher sei, zu einer anderen, die großen Zins abwerfe, aber bei der das Capital leicht verloren gehe. Er ziehe die erstere vor.

Die Neuordnung des Armenwesens hatte das organisatorische Talent und die Arbeitskraft Schenk’s im hellsten Lichte gezeigt und ihm den Dank des ganzen Landes gesichert. Die Anerkennung, welche er fand, zeigte sich dann auch darin, daß ihm beim Hochschuljubiläum von 1859 der Doctortitel honoris causa verliehen wurde, daß ihn der Große Rath kurz nacheinander mehrere Male zum Regierungspräsidenten ernannte und als Vertreter des Kantons Bern in den Ständerath abordnete. Mitten in diesen Erfolgen sehnte sich Sch. aber nach der Ruhe seines Pfarrhauses zurück. Der starke Mann war kurz nacheinander von zwei schweren Krankheiten heimgesucht worden, seine Hauptaufgabe war erfüllt und die Regierung befand sich zu Anfang der sechziger Jahre in einer keineswegs beneidenswerthen Lage. Infolge unglücklicher Experimente auf dem Felde der Eisenbahnpolitik war das finanzielle Gleichgewicht gestört und eine tiefe Verstimmung hervorgerufen worden, die ein fruchtbares Wirken erschwerte und sich zwar nicht gegen Sch. direct, wohl aber gegen einzelne seiner Freunde und Collegen in persönlich sehr unangenehmer Weise äußerte. Bei solchen Verhältnissen können wir den Wunsch, vom öffentlichen Leben zurückzutreten, wohl begreifen. Statt der ersehnten Ruhe wartete aber auf Sch. ein neuer, viel größerer Wirkungskreis.

Im Herbste 1863 schied Jacob Stämpfli aus offen eingestandenen ökonomischen Rücksichten auf seine Familie aus dem schweizerischen Bundesrathe, um die Leitung der eidgenössichen Bank zu übernehmen. Da war Sch., damals Präsident des Ständerathes, der gegebene Nachfolger.

Sofort wurde er auch zum Vicepräsidenten des Bundesrathes gewählt. Mehr als dreißig Jahre hat von da an Sch. ununterbrochen der obersten Behörde des Schweizerlandes angehört. Was er hier geleistet hat, können wir [169] auf dem beschränkten Raume, der uns zur Verfügung steht, nicht einmal skizziren; als Vorsteher der verschiedensten Departemente hat er sich nicht nur als trefflicher Administrator gezeigt, sondern vielfach auch anregend und bahnbrechend gewirkt.

Am längsten stand Sch. dem Departement des Innern vor, dessen Geschäftskreis sich beinahe mit jedem Jahr erweiterte. Zu den Geschäften der Centralverwaltung kamen eine ganze Reihe von Materien der verschiedensten Art: das Gesundheitswesen und die Medicinalprüfungen, einzelne Gebiete des höheren Unterrichts (Polytechnikum), die Förderung von Wissenschaft und Kunst, die Erhaltung von vaterländischen Alterthümern, Landesmuseum und Landesbibliothek, die Unterstützung verschiedener gemeinnütziger Unternehmungen usw. und zu allem dem noch die Abtheilung Bauwesen mit Inbegriff der vom Bund unterstützten Straßen- und Wasserbauten. Gewiß war es oft sehr schwierig, wenn immer neue Subventionen verlangt wurden, diesen Ansprüchen in billiger Weise gerecht zu werden und die Creditforderungen, die bei diesen Geschäften gewöhnlich auf sehr hohe Summen anstiegen, in den eidgenössischen Räthen zu verfechten. Von allen Seiten mußte zugegeben werden, daß Sch. diese Aufgabe in musterhafter Weise gelöst hat.

Ein Lieblingsgedanke Schenk’s war es, die Fürsorge des Bundes auch auf die Volksschule auszudehnen. Schon zu Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts wagte er einen derartigen Versuch, dem gegenüber sich aber die Mehrheit des Schweizervolkes ablehnend verhielt. Es waren damals hauptsächlich föderalistische und confessionelle Bedenken, welche den Ausschlag gaben – die Religionsgefahr wurde heraufbeschworen und Sch. in einer Weise angefeindet, wie es ihm weder vorher noch später je begegnet ist. Mehr als zehn Jahre später trat aber Sch. mit einem neuen Entwurf für die Subventionirung der Volksschule hervor, den er wenige Wochen vor seinem Tode dem Bundesrathe vorlegte. Bei diesen Berathungen soll er mit einem jugendlichen Feuer gesprochen haben, das deutlich erkennen ließ, wie sehr ihm diese Angelegenheit am Herzen lag. Die Durchführung seines Projectes sollte ihm nicht mehr vergönnt sein; trotzdem muß ihm aber das Hauptverdienst an dem seither durchgeführten Werke zuerkannt werden.

Auch mit großen Fragen volkswirthschaftlicher Natur hatte sich Sch. als Bundessrath wiederholt zu befassen. So war er ein eifriger Förderer des Gotthardunternehmens; Entwurf und Botschaft zu dem eidgenössischen Fabrikgesetz wurden von ihm persönlich mit peinlicher Sorgfalt ausgearbeitet; in der Alkoholfrage erwarb er sich die größten Verdienste bei der Ausarbeitung und Motivirung des grundlegenden Verfassungsartikels und war nachher in den Räthen der Verfechter des Monopols; später lag ihm als Departementschef die Aufsicht über die Verwendung des zu gemeinnützigen Zwecken bestimmten Alkoholzehntels ob.

Es verdient auch noch hervorgehoben zu werden, daß Sch. jedes Mal, wenn es sich um eine Revision der Bundesverfassung handelte, bei den Vorarbeiten wie bei den Verhandlungen einen großen Theil der Arbeit zu übernehmen hatte und mit gewohnter Sorgfalt durchführte.

Die Lösung der großen Aufgaben, vor die er sich immer aufs neue gestellt sah, hinderte ihn aber nicht, auch den rein administrativen Geschäften fortwährend die genaueste Aufmerksamkeit zu widmen, wie er denn überhaupt in jeder Beziehung ein äußerst gewissenhafter Departementschef war.

Sechs Mal, 1865, 1871, 1876, 1878, 1885 und 1893, hat Sch. die Würde des Bundespräsidenten bekleidet und wußte in dieser Stellung unter [170] oft sehr schwierigen Verhältnissen den an ihn gestellten Anforderungen in jeder Beziehung gerecht zu werden und auch würdig zu repräsentiren.

So ist die Wirksamkeit Schenk’s im Dienste der Eidgenossenschaft eine ganz außergewöhnlich vielseitige und fruchtbare gewesen. Für sein Vaterland, für sein Schweizervolk hat er die ganze Kraft eines hochbegabten Mannes eingesetzt. Als er im December 1888 fünfundzwanzig Jahre dem Bundesrath angehört hatte, wollte er diesen Ehrentag bescheiden im Kreise seiner Freunde verleben. Aber der Kreis der Verehrer war so groß, daß die bescheiden geplante Feier sich zu einem patriotischen Feste gestaltete, an dem alle Schichten der Bevölkerung herzlichen Antheil nahmen. Als die Redner ihrer Freundschaft und Verehrung für den Jubilar mit dem freudigen Gefühl, ihn noch so kräftig in ihrer Mitte zu sehen, Ausdruck verliehen, antwortete Sch. bescheiden und bewegt: Wenn er einen Stolz habe, sei es der, einer Majestät zu dienen, die älter als alle Majestäten, die wahrhaft von Gottes Gnaden sei, ein einfacher Diener eines einfachen Souveräns, der keinen prunkenden Hofhalt liebe, der, der Freiheit stets ergeben, sich nicht darum zu kümmern brauche, ob sein Kronprinz das Gleiche wolle wie er, eines Souveräns, der nie alt werde; sondern stets neu seine Jugendkraft bewähre.

Einen treueren Diener als Sch. hat dieser Souverän wohl kaum finden können. Jahrzehnte lang war sein Name auf das engste mit der politischen und socialen Entwicklung der Schweiz verknüpft. Dieser Mann sollte nun seinem Volke, seinen Freunden, seiner Familie durch einen plötzlichen Tod entrissen werden. Als er einem taubstummen Armen eine milde Gabe reichte, wurde er am Morgen des 8. Juli 1894 auf offener Straße von einem Wagen zu Boden geworfen und erlitt durch den Sturz so schwere Verletzungen im Gehirn, daß er nie mehr zu vollständiger Besinnung gelangte und nach zehn Tagen trotz der sorgsamsten Pflege dem Tode erlag. Seine Beerdigung fand am 21. Juli in Bern statt unter gewaltiger Betheiligung aus allen Schichten der Bevölkerung; sein tragisches Geschick hatte weit über die Grenzen des Schweizerlandes hinaus herzliche Theilnahme erweckt.

Nun erst wurde man aber auch recht gewahr, was man an Sch. besessen hatte. Von allen Seiten wurde rückhaltlos anerkannt, daß die Schweiz einen ihrer hervorragendsten Politiker, einen Staatsmann von tadelloser Integrität verloren habe. Auch seine politischen Gegner mußten zugeben, daß an der Aufrichtigkeit von Sch. nie ein Zweifel herrschen konnte, daß man bei ihm auch immer gewußt habe, daß er nach reifer Ueberzeugung und in besten Treuen handle. „Das war es ja (sprach Bundespräsident Zemp in seinem Nachruf), was uns Sch. so überaus lieb und theuer gemacht hat. Ein Mann ohne Falsch, war er jederzeit offen, aber auch ausgerüstet mit dem Muthe, jederzeit und in jeder Lage zu seiner Ueberzeugung zu stehen. Was er für Recht befunden hatte, dafür setzte er den ganzen Mann ein mit dem Aufwande einer getragenen Beredsamkeit.“ Wie einer seiner Freunde (J. Kummer) in einem Nachruf mit Recht hervorgehoben hat, war das, was man an Sch. bewunderte, nicht allein die Arbeitskraft, Klarheit und Sorgfalt bei seiner amtlichen Thätigkeit, sondern noch weit mehr die körperlich und geistig so kräftig, so harmonisch, so sympathisch entwickelte Persönlichkeit. Bis zuletzt war er noch vollkommen rüstig und mit seiner kraftvollen Gestalt und den ausdrucksvollen Gesichtszügen eine imposante Erscheinung. Die Berner erblickten in ihm geradezu die Verkörperung ihrer besten Eigenschaften. „Der Rasse nach war er ein richtiger Emmenthaler, bedächtig, ja schwerfällig, nicht leicht aufzurütteln; seine geistige Regsamkeit war nicht Unruhe, seine Kampfbereitschaft nicht Streitsucht, sein Selbstvertrauen nicht Ehrgeiz.“ Mit diesen [171] Worten hat ihn G. Vogt vortrefflich charakterisirt. Mit diesen Eigenschaften, die ihn so beliebt machten, verband er aber noch die Gabe einer außergewöhnlichen Beredsamkeit. In seinen Reden findet man nicht den esprit des Franzosen, nicht die scharfe Schlagfertigkeit des Norddeutschen oder Engländers, aber einen warmen, zu Herzen gehenden Ton, ein Pathos im besten Sinne des Wortes, das im Rathssaal wohl mitunter seine Wirkung verfehlen mochte, aber die Gemüther einer empfänglichen Volksmasse unfehlbar erobern mußte. In den Volksreden, die er bei vaterländischen Festen oder bei großen Versammlungen unter freiem Himmel hielt, war Sch. der Redner von Gottes Gnaden, der aus dem Urquell der deutschen Sprache schöpfte. Seine schriftlichen Kundgebungen sind ohne Ausnahme auf das sorgfältigste ausgearbeitet und nie in dem langweiligen bureaukratischen Ton gehalten, der Vielen für officielle Acten unerläßlich scheint. Wo er aber etwas weiter ausholen konnte, treffen wir auch hier auf die sprachlichen Vorzüge seiner Reden. Seine Vorarbeiten zum bernischen Armengesetz von 1857 enthalten geradezu meisterhafte Beiträge zur Culturgeschichte, und einzelne Abschnitte dürften sich wohl dem Besten aus der deutschen Prosa gleichstellen lassen. Hier haben wir in den kräftigen Bildern und Gleichnissen die Sprache der deutschen Bibelübersetzung und Worte, die unmittelbar aus der Volksseele stammen.

Von einer anderen Seite war Sch. mehr nur einem engeren Kreise bekannt. Bei den regelmäßigen Zusammenkünften mit seinen Freunden kam auch der Humor zur Geltung, den er sich von seiner Jugend her bis ins Alter bewahrt hatte. Auch in seinen Tagebüchern kommt diese humoristische Anlage reichlich zur Geltung. Köstliche Züge werden auch von den Fußreisen erzählt, die er mit seinen Freunden oder seinen Söhnen zu machen liebte. Daß Sch. gegenüber seinen Freunden und Bekannten stets hülfsbereit war, braucht wohl kaum noch besonders hervorgehoben zu werden. Sein Leben war ja zum großen Theil Werken der Humanität gewidmet. Daß er dabei aber nie weiter ging, als sich mit seinen Amtspflichten vertrug, verdient noch besonders hervorgehoben zu werden. Jeder Protectionswirthschaft war er gründlich abhold. In treuer Liebe wetteiferten er und seine erste Frau in der guten Erziehung von fünf Söhnen und zwei Töchtern, und auch an der zweiten Gattin hatte er eine Lebensgefährtin gefunden, mit der er ein Herz und eine Seele bis zur Todesstunde war. In seiner Lebensführung war Sch. äußerst schlicht und einfach, jedem Prunk, jedem leeren Schein abhold. Weit entfernt davon, daß dies seiner Würde irgendwie Eintrag gethan hätte, trug es nur dazu bei, die Achtung vor ihm zu erhöhen. Ueberhaupt vereinigte er in seiner Person in seltener Weise die Anforderungen, welche das Schweizervolk an seine Behörden stellt. So dürfen wir heute auch nach Jahren ohne Rückhalt die Worte wiedergeben, die wir unmittelbar nach seinem Tode geschrieben hatten: „Mit Bundesrath Dr. Karl Sch. wurde einer der besten Söhne unseres Landes, ein treuer, liebevoller Familienvater und Freund, ein Mann von geradem, offenem, durch und durch edlem Charakter zu Grabe getragen.“

Eine größere Biographie von K. Schenk existirt noch nicht, sie wird aber gegenwärtig von dessen Freund J. Kummer bearbeitet. So sind wir vorläufig hauptsächlich auf die Nekrologe angewiesen, die 1894 nach dem Tode von Schenk erschienen, wovon wir besonders diejenigen von J. Kummer und G. Vogt hervorheben.
Karl Geiser.

[165] *) Zu Bd. LIII, S. 749.