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Artikel „Schardt, Sophie von“ von Hermann Michel. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 733–735, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schardt,_Sophie_von&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 03:54 Uhr UTC)
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Schardt: Sophie von Sch., Mitglied der Weimarer Hofgesellschaft zu Goethe’s Zeit. Friederike Sophie Eleonore v. Bernstorff wurde am 23. November 1755 zu Hannover geboren. Ihr Vater, Andreas v. Bernstorff, Vicedirector der Justizkanzlei in Celle, hatte sich erst in vorgerücktem Alter mit Charlotte v. Holle verheirathet, die ihm einen Sohn und eine Tochter schenkte. Nach dem frühen Tode ihrer Eltern fand Sophie Aufnahme im Hause ihres Vetters, des berühmten dänischen Staatsministers Johann Hartwig Ernst v. Bernstorff, der sich durch sein edelmüthiges Eintreten für Klopstock auch um die deutsche Litteratur verdient gemacht hat. Am 28. April 1778 vermählte sie sich mit dem Weimarer Geheimen Regierungsrath Ernst Karl Konstantin v. Schardt (1743–1833), dem ältesten Bruder Charlottens v. Stein. Es wurde keine gute Ehe, zunächst durch die Schuld des selbstsüchtigen, schwunglosen und wenig charaktervollen Mannes, dem Sophie geistig weit überlegen war. Sie suchte Ersatz für den Mangel echten Familienglücks in zahlreichen Freundschaftsbündnissen mit bedeutenden und unbedeutenden Männern und Frauen. Wahre Befriedigung fand sie aber erst, als sie sich in den Schoß der römischen Kirche geflüchtet hatte; nach mehrjähriger geheimer Hinneigung zum Katholicismus vollzog sie den Uebertritt zu Ostern 1816. Sie starb drei Jahre darauf am 30. Juli 1819.

„Was kann uns auch mehr erheben und zu allem Edlen und Guten stärken als die Freundschaft eines Mannes, zu dem wir mit inniger Achtung hinaufschauen, der unseren Geist bereichert und unserem Herzen die schönste und edelste Richtung gibt“, so schreibt Sophie 1786 an Freund Knebel und bezeichnet damit, bewußt oder unbewußt, ihr Verhältniß zu Herder, der ihr bald nach ihrer Ankunft in Weimar nähergetreten war. Mehr als Freundschaft hat sie für den ernsten und reizbaren Mann kaum empfunden. Er dagegen, der ihr Lehrer im Griechischen wurde, fühlte sich gerade durch ihr heiteres Temperament, das ein wohlthätiges Gegengewicht zu seinem eigenen schwerblütigen Wesen bildete, lebhaft angezogen und hat sie ohne allen Zweifel zeitweise leidenschaftlich geliebt. „Schwester-Freundin, laß uns auf uns wachen! Daß auch der Empfindung reinster Athem nicht die Blüthe unserer Liebe trübe“, ruft er ihr einmal zu in einem der vielen kleinen Gedichte, die er ihr gewidmet hat. Deutlicher noch sprechen seine Briefe an sie, und wenn Caroline Herder in ihren „Erinnerungen“ unter den Freundinnen ihres Mannes just Sophien’s nicht gedenkt, so ist auch dieses Schweigen beredt genug.

Sophie regte den der Dichtkunst entfremdeten Herder zu erneuter Production an; aber das Tiefste, was er bieten konnte, wußte sie nicht aus ihm herauszulocken, weil sie ihn niemals ganz verstanden hat. Nur so begreift es [734] sich auch, daß die Freundin eines Herder wenige Jahre nach seinem Tode sich von dem sinnlich-übersinnlichen Freier Zacharias Werner bestricken ließ und endlich, himmlische und irdische Liebe in romantischer Art verschmelzend, als fromme Convertitin ihr unfrommes Leben beschloß. In dem Vorhaben, zur katholischen Kirche überzutreten, bestärkte sie der ihr entfernt verwandte Friedrich Leopold von Stolberg, mit dem sie seit 1812 im Briefwechsel stand. Ueberhaupt pflegte sie eine ausgebreitete Correspondenz, nicht bloß aus einem gewöhnlichen Mittheilungsbedürfniß heraus, sondern aus dem stark entwickelten Triebe zu schriftstellerischer Bethätigung, den ihre dichterischen Gaben nicht voll befriedigen konnten. Was von ihren poetischen Versuchen, meist kurzen lyrischen Gedichten, an die Oeffentlichkeit getreten ist, zeigt ein anmuthiges, aber unselbständiges und unentwickeltes Talent, das in Tonfall und Wortwahl deutlich den Stempel Herder’s trägt. Am meisten Geschick bewies sie in Nachdichtungen und Uebersetzungen aus dem Italienischen und namentlich aus dem Englischen, das ihr von Jugend auf vertraut und besonders lieb war; doch liegt davon nur Weniges gedruckt vor.

Sie besaß eine geistige Regsamkeit, die über das gewöhnliche Maaß hinausging. Sie verfügte über einen reizvollen Frohsinn, der mit einem leisen Hange zur Melancholie gepaart war. Sie empfand lebhafte Theilnahme mit fremdem Leid und suchte es auf ihre Weise zu lindern. Sie war, auch als alternde Frau, nicht frei von Coquetterie und der Sucht, Eroberungen zu machen. Sie blieb stets eine rasch entzündliche, innerlich ungefestigte Natur, die dem Leben halb leichtfertig, halb sentimental gegenüber stand. Die zierliche Frau mit den dunkeln, schmachtenden Augen konnte bezaubernd liebenswürdig sein; sie wußte angenehm, bisweilen geistreich zu plaudern, und die graziöse Art ihres Auftretens machte sie in den erlesensten Kreisen zu einem willkommenen Gast. Frau v. Staël sah in ihr nach Frl. v. Göchhausen die sympathischste unter allen Damen Weimars. Knebel hat ihr Huldigungen dargebracht, Wieland ihr unbefangenes Urtheil geschätzt. Auch Goethe weilte nicht ungern in der Gesellschaft der „kleinen Schardt“, wie er sie gewöhnlich nennt; er hat sich meist freundlich über sie geäußert, obgleich er ihre Schwächen sehr wohl kannte. Ihr und anderen im November Geborenen widmete er 1783 sein Novemberlied; um dieselbe Zeit erregte ihr Gedicht „An die Erinnerung“ im Tiefurter Journal“ seine Aufmerksamkeit. Nur zu Schiller wollten sich keine näheren Beziehungen herausbilden: was er in den Briefen an Körner (29. Aug. 1787; 12. Juni 1788) über sie sagt, ist nichts weniger als schmeichelhaft, und mag er auch später über sie milder denken gelernt haben, in ihrem Wesen lag etwas, was ihn stets abstoßen mußte.

Auf Grund ungedruckten Materials, doch mit mangelhafter Kritik und in formloser Breite hat Düntzer ein Lebensbild Sophien’s entworfen: „Zwei Bekehrte. Zacharias Werner und Sophie v. Schardt.“ Leipzig 1873, S. 281 ff. – Die beste Charakteristik liefert Haym in seinem „Herder“, Bd. 2 (Berlin 1885), S. 43 ff. – Außerdem vgl. Herder, Werke ed. Suphan XXIX, 675 ff. – Lady Blennerhasset, Frau v. Staël Bd. 3 (Berlin 1889), S. 155, 247 f. u. ö. Gaedertz, Ungedruckte Briefe von und an K. L. v. Knebel: Deutsche Revue, Novemberheft 1890, S. 219 ff., 227 ff. – Gaedertz, Zwei Damen der Weimarer Hofgesellschaft zur Zeit Goethe’s: Westermann’s Monatshefte, Januarheft 1892, S. 550 ff. – Bobé, Efterladte Papirer fra den Reventlowske Familienkreds III (Kopenhagen 1896), S. XLV, 380 f. u. ö. – Aage Friis, Bernstoffske Papirer I (Kopenhagen-Christiania 1904), S. 346, 485, 642, 644 und Anm. S. 20 f. zu Nr. 328. – Briefe Sophien’s an Christoph Albrecht v. Seckendorff, mitgetheilt von [735] K. Obser: Goethe-Jahrbuch, Bd. 25 (Frankfurt a. M. 1904) S. 68 ff. – Die zahlreichen Stellen, an denen Frau v. Schardt in den Briefen ihrer Zeitgenossen, insbesondere Goethe’s, erwähnt wird, können hier nicht aufgezählt werden.
Hermann Michel.