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Artikel „Schapira, Hermann“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 732–733, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schapira,_Hermann&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 13:39 Uhr UTC)
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Schapira: Hermann Sch., Mathematiker, geboren am 16. August 1840 in Erswilken bei Tauroggen in Rußland, † am 9. Mai 1898 in Bonn. Sch. begann mit talmudistischen Studien und hat auch in seiner Heimath kurze Zeit die Stellung eines Rabbiners bekleidet. Ein ihm zufällig in die Hände gerathenes Lehrbuch der Geometrie fesselte ihn in dem Grade, daß er beschloß, Mathematiker zu werden. Mit 28 Jahren trat er 1868 in die Gewerbe-Akademie in Berlin ein und wurde ein begeisterter Schüler Aronhold’s. Schon 1871 mußte Sch. der Wissenschaft wieder entsagen, da ihm die Mittel zur Fortsetzung seiner Studien ausgingen. Er siedelte nach Odessa über und wurde Kaufmann. Mit neu Erworbenem erschien er im Herbste 1878 in Heidelberg und begann abermals von vorn. L. Fuchs[WS 1] führte ihn in die Höhen der Mathematik, deren mittlere Gebiete er bei M. Cantor kennen lernte. Schon 1883 wurde Sch. Privatdocent in Heidelberg; 1888 erhielt er den Charakter eines außerordentlichen Professors. Der Tod ereilte ihn auf einem Ausfluge nach Bonn, der nur wenige Tage in Anspruch nehmen sollte. Die Thätigkeit seiner Jugend wirkte nach zwei Richtungen bei ihm nach. Gleich manchen anderen russischen Juden betheiligte sich Sch. an der sogenannten zionistischen Bewegung. Im Vollbesitze der hebräischen Sprache wählte er als ersten Gegenstand eigener wissenschaftlicher Thätigkeit die Uebersetzung und Herausgabe des „Mischnath Ha-Midath“, einer hebräischen Geometrie aus nicht genau bestimmbarer Zeit (Zeitschr. Math. Phys., Bd. 25, Supplementheft, Leipzig 1880). Die Kenntniß der russischen Sprache befähigte Sch. zur Bearbeitung von Tchebycheff’s[WS 2] Elementen der Zahlentheorie unter dem Titel „Theorie der Congruenzen“ (Berlin 1889). Sein mathematisches Lieblingsgebiet bestand in zwei von ihm aus geringen vorhandenen Vorarbeiten neu geschaffenen Capiteln, dem der „Cofunctionen“ und dem der „Algebraischen Iteration“. Ohne Anwendung der mathematischen Zeichensprache dürfte es nicht möglich sein, die Grundgedanken dieser Untersuchung näher zu erörtern. Bei den Cofunctionen handelt es sich um Bildung neuer Functionen aus einer in Gestalt einer unendlichen Reihe gegebenen Grundfunction, indem man entweder nur gewisse Reihenglieder auswählt, oder aber die Veränderliche durch deren Product in eine Potenz einer gewissen Einheitswurzel ersetzt. Bei der algebraischen [733] Iteration wird aus einer algebraischen Gleichung die iterirte Gleichung gebildet, indem man die Wurzeln der ersten zu Coefficienten der zweiten macht. Ueber die Cofunctionen hat Sch. 1881 ein Buch in russischer Sprache in Odessa veröffentlicht, dann 1883 in Leipzig seine Habilitationsschrift: „Darstellung der Wurzeln einer allgemeinen Gleichung n-Grades mit Hülfe von Cofunctionen aus Potenzreihen in elementarer Behandlungsweise“, welche den achten Abschnitt eines umfassenden Werkes: „Theorie allgemeiner Cofunctionen“ bilden sollte. Andere Bruchstücke finden sich in den Verhandlungen verschiedener Naturforscherversammlungen seit 1883. Ueber die Iterationen sind außer dem Aufsatze: „Bemerkungen zu den Grenzfunctionen algebraischer Iteration“ (Zeitschr. Math. Phys., Bd. 32) auch nur Auszüge aus Vorträgen auf Naturforscherversammlungen in die Oeffentlichkeit gelangt. Tausende vollgeschriebener Bogen bilden den noch ungesichteten Nachlaß des rasch und vorzeitig Verstorbenen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Immanuel Lazarus Fuchs (1833–1902); deutscher Mathematiker
  2. Pafnuti Lwowitsch Tschebyschow (1812–1894); ein russischer Mathematiker