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Artikel „Reiffenstuel“ von Paul Johannes Rée in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 693–695, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reiffenstuel&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 10:14 Uhr UTC)
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Reiffenstuel, ein zuerst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auftretendes bairisches Geschlecht, von dem sich mehrere Glieder theils als Bautechniker, theils als Gelehrte und Geistliche Ruhm und Ansehen erworben haben. Ihre Heimath ist die am Tegernsee gelegene Pfarrei Gmund, die von 1321–1803 zu dem gefreiten Klostergericht Tegernsee gehörte, weshalb in den Urkunden des 16. und 17. Jahrhunderts die R. durchweg als aus Tegernsee stammend genannt sind. In der älteren Zeit trieben sie vornehmlich Landwirthschaft und Gerberei, doch werden auch verschiedene als tüchtige Bauleute genannt, und es scheint, als hätten sie das Erbzimmermeisteramt für Baiern innegehabt. 1596 wurde ihnen wegen ihrer Verdienste als herzoglich bairische Werkmeister „in welcher Kunst sy dann, biszhero ain sonder Lob erlangt“ vom Kaiser ein Wappen verliehen. Zu jener Zeit finden wir am Münchner Hofe als Werkmeister das berühmteste Glied dieser Familie Hans R., geb. um 1548 im Seeklafengütl bei Gmund als Sohn des Zimmermanns und Wirthes Leonhard R. Schon früh zeigte er Vorliebe und Geschick für das Baufach und ward dem Herzog Wilhelm als Bautechniker empfohlen. Als solcher war er von 1570 bis 1580 vornehmlich in Ingolstadt thätig, am 1. Juli 1587 wurde er bei dem fürstlichen Hofbauamt in München mit 170 fl. Jahresgehalt als Werkmeister angestellt, von 1592 an erhielt er jährlich 200 fl. und im J. 1597, in dem er Baumeisteramtsverwalter wurde, eine Aufbesserung von 50 fl. Im ersten Quartal dieses Jahres starb sein um 1562 geborener Bruder Georg (Jörg) [694] der 1588/89 mit 125 fl. Jahresgehalt als Werk-, Wuer- und Klausenmeister angestellt worden war, und an dessen Stelle nunmehr sein um 1564 geborener Bruder Quirin trat, der auch als Trift- und Holzmeister genannt wird und seit 1602 144 fl. 30 kr. Jahreseinkommen hatte. Er nahm Theil an der Herstellung der reich geschnitzten Decke in der Maximilianischen Gallerie der Münchner Residenz und starb am 21. Februar 1623, worauf sein Sohn Georg, der ihn schon seit 1612 beim Triftwesen vertreten hatte „da er schon alt sei und nicht überall hinsteigen kann“, an seiner Stelle als Werkmeister erscheint. Nach den verschiedenen Arbeiten, die uns urkundlich von Hans R. überliefert sind, war es kein künstlerisch durchgebildeter Architekt, sondern vielmehr ein erfahrener Praktiker, deshalb ist die neuerdings aufgestellte Ansicht, R. habe die Pläne zu dem unter Maximilian errichteten Residenzbau in München geliefert, ganz unhaltbar. Ob und inwieweit er an der Bauleitung betheiligt war, ist nicht ersichtlich. Vornehmlich scheint er sich auf dem Gebiete des Wasserbaues bethätigt zu haben. 1596 wurde er dem Herzoge empfohlen „als ein ernstlich, redlich und getreuer Mann, der die Wassergespän, auch was sonst einem Zimmermann gebührt gar wohl versteht“. Er hatte auf jenem Gebiete eine solche Berühmtheit erlangt, daß im J. 1599 Erzherzog Mathias von Oesterreich an Maximilian schrieb, man möge „zu einer vorhabenden Wasserbesichtigung und Berathschlagung“ den R. senden. Er wurde jedoch nicht fortgelassen, da er unentbehrlich war. Von diesem Jahre an wird er stets als Baumeister angeführt und seine Besoldung wächst bis zum Jahre 1602 auf 300 fl., die er bis zu seinem am 29. Juni 1620 erfolgten Tode beibehielt, 1611 hatte er „in ansehung er nun mehr vil jar lanng gediennt aus g(naden) semel pro semper“ 300 fl. als Geschenk erhalten. Seitdem wird er meist als alter Baumeister angeführt. Sehr häufig erhielt er Reisegelder „in besichtigung etlicher gepeu“. Es ist daher anzunehmen, daß er einer der beiden Baumeister war, die nach dem Commissionsbeschlusse vom Jahre 1597 zur Inspicirung des Bauwesens in Baiern eingesetzt wurden. In diesem Jahre wurde er ja Baumeisteramtsverwalter. Die bedeutendste Leistung Hans Reiffenstuel’s war die Salzsoolenleitung von Reichenhall nach Traunstein, die er mit seinem natürlichen Sohne Simon, der, 1574 in der Pfarrei Gmund geboren, auf größeren Reisen vornehmlich die Wasserbaukunst studirte, 1601 als Hofzimmermeister angestellt wurde und am 8. Februar 1620 als fürstlicher Hofbrunn- und Zimmermeister in seinem Heimathsorte starb, in den Jahren 1617 bis 1619 ausführte. Vor Beginn des Baues hatte er 1000 fl. erhalten, weitere 1000 fl. sollten ihm nach Vollendung desselben gegeben werden, er erlebte aber nicht ihre Auszahlung. Sein Grabstein befindet sich in der Klosterpfarrkirche zu Tegernsee. Er war zweimal verheirathet und hatte außer dem genannten natürlichen Sohne Simon fünf Söhne: Leonhard, Wolfgang, Johannes, Abraham und Nikolaus sowie eine Tochter Marie. Das im königlichen Salinenarchive zu München hängende Bildniß, von dem sich in Flurl’s Aelterer Geschichte der Saline Reichenhall eine Lithographie befindet, stellt nicht wie hier und von Nagler angenommen ist, den Baumeister Hans dar, sondern dessen Sohn Simon. Seine Söhne Wolfgang und Johannes, geboren 1575 und 1576 in Gmund, widmeten sich dem geistlichen Stande. Ersterer wurde 1603 Caplan in Holzolling, einer Filiale des Klosters und Chorherrenstiftes Weyarn, 1607 Administrator des letzteren und ein Jahr später erster Propst desselben. Als solcher starb er in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar 1626. Letzteren finden wir 1587/88 als Student in Ingolstadt eingeschrieben und 1595 in der Jesuitenschule zu Wien. Weder die Bemühungen seines Vaters, noch das vom 9. Juli 1595 datirte Empfehlungsschreiben Herzog Ferdinand’s [695] vermochten den Abt Paul von Tegernsee, dem „geschickten, eingezogenen und exemplarischen Priester Hannsen, den Sohn des herzoglichen Werkmeisters Hanns Reiffenstuel“ die Pfarrei Gmund zu überlassen. 1601 wurde er auf Wunsch des Herzogs Maximilian Chorherr und Stiftspfarrer bei St. Martin in Landshut und 1610 Pfarrer in Geisenhausen, als welcher er am 28. Mai 1615 starb. Ein Enkel des Hofbaumeisters, Sohn des Wirthes Leonhard R. in Gmund ist der 1608 geborene kaiserliche Hof- und Pfalzgraf Paulus v. R., der 1630 nach Wien ging, wo er vier Jahre später Doctor der Rechte und 1642 Hofrichter wurde, als solcher wie als kaiserlicher Landesgerichtsverwalter erscheint er später in der fürstlichen Cistercienserabtei Lilienfeld in Niederösterreich. 1645 machte er sich in den Kämpfen gegen die Schweden zumal gegen Torstenson verdient und wurde deshalb am 4. April 1652 von Ferdinand III. geadelt und zum Hof- und Pfalzgrafen gemacht. Seine beiden Söhne erster Ehe scheinen früh gestorben zu sein, der aus seiner zweiten Ehe stammende 1664 geborene Sohn Ignatius (s. S. 696) trat in den Jesuitenorden. Den geistlichen Beruf erwählte auch der am 2. Juli 1642 geborene Sohn des Gutsbesitzers Quirin R. zu Kaltenbrunn, Johann Georg gen. Anaklet (s. u.). Einen ähnlichen Lebensgang wie dieser hatte sein Vetter Pater Albert R., der am 30. April 1665 als Sohn eines Wirthes in Gmund geboren und gleichfalls Johann Georg getauft wurde. Am 19. August 1681 wurde er ins Franciscanerkloster zu Freising aufgenommen, empfing hier 1687 die Weihe zum Ordenspriester unter dem Namen Albert und hörte in den Jahren 1689 und 1699 die kirchenrechtlichen und moraltheologischen Vorträge seines Vetters Anaklet. Von 1690 bis 1701 docirte er Theologie in Tölz, Altötting und München, dann wurde er Lector der Theologie in Ingolstadt, im folgenden Jahre Guardian in Neuburg und 1704 Superior in Straubing, um dann von 1706 bis 1708 sowie auch später mehrere Male das Amt des Definitors der Provinz zu verwalten. Hierauf wurde er zum Lector des Kirchenrechts am Lyceum zu Freising ernannt, 1710 in die päpstliche Curie nach Rom berufen, aber schon 1711 als nicht mehr entbehrlich zurückerbeten. Seit 1717 wirkte er als Studienrector. Er starb am 10. Juni 1723. Die wichtigste unter seinen dogmatischen, kirchenrechtlichen und homiletischen Schriften ist die 1701 erschienene „Coena magna, seu tractatus eucharisticus nach Duns Scotus“.

M. Flurl, Aeltere Gesch. d. Saline Reichenhall. 1809. – G. K. Nagler, Neues Allgem. Künstlerlexikon XII (1842). – Oberbayer. Archiv für vaterl. Gesch. XIV (1853–54), S. 112. – Jos. Obermayr, die Pfarrei Gmund am Tegernsee. 1868. – Chr. Haeutle, Geschichte der Residenz in München, 1883. – P. J. Rée, Peter Candid (1885), S. 156 f.