ADB:Reael, Laurens (niederländischer Staatsmann)

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Artikel „Reael, Laurens (niederländischer Staatsmann)“ von Pieter Lodewijk Muller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 476–479, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reael,_Laurens_(niederl%C3%A4ndischer_Staatsmann)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 04:47 Uhr UTC)
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Reael: Laurens R., niederländischer Staatsmann, Gelehrter und Dichter, wurde am 22. October 1583 in Amsterdam geboren. Der gleichnamige Vater, Besitzer eines bedeutenden Ostseehandelsgeschäfts, hatte als Führer der Reformirten bei den Religionswirren im J. 1566 eine hervorragende Rolle gespielt, mußte aber infolge dessen die Flucht ergreifen und war erst 1578, als die Stadt sich der nationalen Sache anschloß, zurückgekehrt. Dann hatte er, durch Reichthum und Aemter ausgezeichnet, in hohen Ehren gelebt bis zum Jahre 1601. Selber nicht ohne Bildung, denn er gehörte der sogenannten „Alten Kammer“ an, der Rhetorikergesellschaft, welche damals daselbst die erste Stelle in der Litteratur einnahm, hat er handschriftliche Aufzeichnungen über seine Erlebnisse, namentlich in den Jahren 1566–68 hinterlassen, welche von den Amsterdamer Historikern Brandt und Wagenaar benutzt sind; den Sohn erzog er sehr sorgfältig. R. erwarb sich nicht allein den Doctortitel, sondern auch bald einen Platz in jenem Kreis aufstrebender litterarischer und künstlerischer Kräfte, welche erst im Hause des bekannten Kaufmanns und Dichters Roemer Visscher und in späteren Jahren im Muydener Schloß, wo Hooft (s. A. D. B. XIII, 95 ff.), Reael’s Altersgenosse und intimer Freund Drost war, den Mittelpunkt fanden. In jenem Kreise herrschte der Geist des Humanismus, es entstand da eine holländische Spätrenaissance, welche sich nicht allein der Ausdrucksweise sondern auch den Ideen des classischen Alterthums und der italienischen Renaissance anzupassen versuchte. Man war daselbst gut protestantisch aber zugleich tolerant, namentlich den Katholiken gegenüber (gehörten doch Visscher und seine beiden begabten Töchter, die Dichterinnen Anna Roemer und Maria Tesselschade, der alten Kirche an) und durchaus freisinnig in der Religion, libertinisch, wie die Calvinisten sagten; man bewunderte Oldenbarnevelt. Von jenem Geiste der [477] Bildung und der Humanität war R. ganz durchdrungen; seine Gedichte, meistens in seiner Jugend verfaßt, haben am meisten Aehnlichkeit mit denen von Hooft; einige sind in das Geusenliederbuch aufgenommen, andere in Sammlungen von Dichtungen jenes Kreises; theilweise sind sie erst nach seinem Tode, nie in einer Gesammtausgabe gedruckt. Ihr dichterischer Werth ist nicht sehr groß. Auch in lateinischer Dichtung versuchte R. sich; später wandte er sich mehr den Naturwissenschaften zu und schrieb eine Abhandlung über den Magnetismus, die vierzehn Jahre nach seinem Tode zusammen mit einer gleichartigen Arbeit des Barlaeus gedruckt wurde. Bis zum Jahre 1611 trat R. nicht in die Oeffentlichkeit. Dann aber wurde er, man weiß nicht durch welche Veranlassung, wahrscheinlich durch Oldenbarnevelt’s Einfluß, von der Ostindischen Compagnie mit der Führung von vier nach Indien bestimmten Schiffen betraut. Es scheint fast, er hoffte sich daselbst finanzielle Vortheile zu erringen. Kaum in Indien angelangt, erlangte der begabte vornehme Patricier eine hervorragende Stellung: er wurde Gouverneur der Insel Ternate, eines Hauptortes der Niederländer im Archipel. Vier Jahre später wurde er vom Rath von Indien, als der Generalgouverneur Reynst gestorben war, zu dessen Nachfolger gewählt und als solcher von den Directoren im Mutterlande bestätigt, 1616. Es fehlten ihm aber die Eigenschaften, welche in jener schwierigen Zeit dem Oberhaupt der niederländischen Macht in Indien unentbehrlich waren, Beharrlichkeit, Entschlossenheit und Selbstvertrauen. Niemand wußte dieses besser als R. selbst, und so kam es, daß er, noch bevor er von den Directoren bestätigt war, drei Monate nach seiner Wahl seine Entlassung einreichte, in einem merkwürdigen Briefe, der den ganzen Mann zeichnet. Er sagt darin, er habe die Würde nur widerwillig angenommen, dieselbe verursache ihm Kosten, die von der Besoldung ganz und gar nicht gedeckt würden, es gäbe viele Menschen in Indien und dem Mutterlande, die den Schwierigkeiten der Stellung viel besser gewachsen seien, und namentlich könne er den Generalhandelsdirector Coen (A. D. B. IV, 391 ff.) als Nachfolger empfehlen. Jedoch, fügte er am Ende hinzu, er sei zwar jetzt fest entschlossen, seinem Amte zu entsagen, doch wisse er nicht, wie er später darüber denken könne, vielleicht lasse er sich später bewegen, namentlich durch finanzielle Vortheile, in Indien zu bleiben. Kein Wunder gewiß, daß die Directoren einem so wenig festen Charakter nicht trauten und seine Entlassung annahmen. Es dauerte indessen an die zwei Jahre, bevor er dieselbe erhalten konnte, so langsam und spärlich waren die Verbindungen zwischen Indien und Holland in jenen Tagen. Während derselben hat R. sich redlich bemüht, sein Amt nach Kräften zu führen: es waren schwierige Zeiten, die Concurrenz mit den Engländern drohte in offene Feindseligkeit umzuschlagen; den Eingeborenen, namentlich in den Molukken und der Bandagruppe mußte man entweder das niederländische Monopol aufzwingen, oder sie den Spaniern, Portugiesen und Engländern überlassen; gegen die mächtigen Fürsten in Java mußte eine fest eingehaltene Politik durchgeführt, ihnen die Superiorität der Niederländer gezeigt werden. Dem unentschlossenen, alle Extreme scheuenden, von seiner Verantwortlichkeit niedergedrückten R. ging es bei aller Begabung und Gewandtheit schlecht, entweder er fügte sich widerwillig den Anordnungen seiner Vorgesetzten, der Directoren, oder dem Entschluß seiner Räthe, namentlich dem Einflusse seines Generaldirectors Coen. Dies gilt namentlich inbetreff der Behandlung der Eingeborenen. R. war ein viel zu humaner, rechtlicher und edler Charakter, um sich nicht gegen eine Politik zu sträuben, die um die Nagelpflanzungen nicht sich vermehren und den Preis der Nagel nicht sinken zu lassen, die Nagelinsel theilweise wüst und entvölkert wissen wollte, doch ließ er sich bewegen, die Bandanesen durch Aushungerung zu einem Tractat zu zwingen, der, wie er schrieb, ihnen Verpflichtungen [478] auflegte, welche sie unmöglich erfüllen könnten. So muß es ihm eine Erlösung gewesen sein, als Coen im Anfang des Jahres 1619 die Zügel der Regierung übernahm. Er begleitete seinen Nachfolger als erster Rath auf dessen Zug zum Entsatz der niederländischen Factorei in Jacatra und wohnte der Erstürmung und Verwüstung der javanischen Stadt (30. Mai 1619) bei. Nachdem er noch über die pflichtvergessenen Beamten und Officiere, die fast die Festung den Engländern und Javanen überliefert hätten, mit zu Gericht gesessen hatte, kehrte R. nach Holland zurück. Hier lag damals die Partei, welcher R. mit Leib und Seele angehörte, vollständig am Boden, und es währte bis zum Tode des Prinzen Moritz von Oranien, ehe R. wieder ein Amt erhielt. In seiner Ernennung zum Viceadmiral einer Flotte, welche mit einer englischen gegen die spanische Küste operiren sollte, sahen die Gesinnungsgenossen ein Vorzeichen ihrer Erhebung. Jedoch das Unternehmen, in viel zu später Jahreszeit, dem Herbst des Jahres 1625 angefangen, mißlang vollständig. Ohne Kampf kehrten die Verbündeten vom Sturm gejagt nach dem Hafen zurück. Doch von jetzt an galt R. wieder etwas in der Republik, namentlich in den damals äußerst verwickelten Geschäften der Ostindischen Compagnie wurde sein Rath gehört. Die Haltung derselben den Engländern gegenüber und namentlich die zweite Ernennung von Coen zum Generalgouverneur im J. 1627 wird seinem Einfluß zugeschrieben. Bald nachher wurde R. von den Generalstaaten mit einer geheimen Mission nach Dänemark betraut; es galt, König Christian IV. zu einer engen Verbindung mit der Republik zu veranlassen, und zwar weniger im Interesse der deutschen Protestanten als um des baltischen Handels willen. Denn R. wollte bei König Christian durchsetzen, daß einige tausend Mann niederländischer Truppen die Festungen am Sunde besetzten, damit, für den Fall, daß er, wie vorauszusehen war, von den Kaiserlichen allzuarg bedrängt würde, jene vor ihnen sicher wären und die freie Durchfahrt unbehelligt bliebe. Als er dann Anfang 1628 vom Könige einen abschlägigen Bescheid empfangen hatte und die jütische Küste umschiffte, scheiterte sein Schiff, und er selbst, ans Land unter die Kaiserlichen gerathen, wurde gefangen nach Wien abgeführt, wo er bis nach dem Lübecker Frieden verbleiben mußte. Er verdankte, sagt man, seine Befreiung weniger den Beschwerden der Generalstaaten, die in seiner Haft eine Verletzung des Völkerrechts sahen und den Bemühungen des staatischen Residenten in Hamburg, des gewandten Diplomaten Foppe van Aitzema, als dem Beistande der Jesuiten. In welchem Sinn dies aufzufassen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Von jetzt an lebte R., wenn auch in der städtischen Regierung sitzend, doch hauptsächlich den Wissenschaften und der Litteratur. Mit allen namhaften Gelehrten der Zeit scheint er in Verbindung gestanden zu haben, in dem Amsterdamer Dichter- und Künstlerkreis war er eine hervorragende Gestalt. Als Galilei, mit welchem er schon lange in Verkehr stand, sein Buch über die Bestimmung der Länge geschrieben hatte, suchte er demselben einen Lehrstuhl an dem neuen Amsterdamer Athenaeum illustre zu verschaffen, welches so recht eigentlich eine Schöpfung jener wissenschaftlichen Kreise in der Handelshauptstadt war und an dessen Entstehen R. großen Antheil hatte. Fünf Jahre später, den 10. October 1637, ist R. an der Pest gestorben, von allen Besten, namentlich aber von seinen Freunden beweint, wie Hooft schrieb. – Wenn auch R. weder als Staatsmann noch als Dichter und Gelehrter eine hervorragende Stelle in der Geschichte der Republik einnimmt, so ist doch seine Persönlichkeit bedeutend genug, um es verwunderlich erscheinen zu lassen, daß ihm noch keine ausführliche Biographie zu Theil ward.

Einige Artikel über R. schrieb van Hoëvell in der Tijdschrift van Nederl. Indien, Jahrgang I und V. – Ueber seine Regierung in Ostindien: De Jonge, [479] Opkomst van het Nederlandsch gezag in Oost Indien, 4 vol. – Weiter Aitzema, Saken van Staet en Oorlogh T. I. – Wassenaer, Historisch Verhael T. XVII. – Wagenaar, Beschrijving van Amsterdam und Vaderlandsche Historie. – Arend, van Rees und Brill, Alg. Gesch. des Vaderlands T. III., 4, die Briefsammlungen von Hooft und Barlaeus. – Jonckbloet, Gesch. der Nederl. Letterkunde T. III, 3. Ausgabe etc.