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Artikel „Rannicher, Jakob“ von Georg Daniel Teutsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 269–275, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rannicher,_Jakob&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 11:44 Uhr UTC)
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Rannicher: Jakob R., gestorben in Ofen am 8. November 1875 als Sectionsrath im königl. ungarischen Ministerium für Cultus und Unterricht, ist geboren am 7. Novbr. 1823 in Hermannstadt, der Sohn eines bürgerlichen Hauses, dessen Großvater aus Kärnthen unter der Kaiserin Maria Theresia mit vielen andern „Emigranten“, der Glaubensbedrückung zu entgehen, nach Siebenbürgen eingewandert war. Auf dem Hermannstädter Gymnasium vorgebildet besuchte er (1844–46) die, eben damals von der sächsischen Nation gegründete Rechtsfacultät in Hermannstadt, wo der Professor der Diplomatik und des siebenbürgischen Staats- und Privatrechts Joseph Zimmermann mit seiner außerordentlichen wissenschaftlichen Beherrschung des Gegenstandes, die fortwährend aus den Quellen schöpfte, und mit seinem begeisternden Vortrag tiefen Einfluß auf seine Studien hatte. Unter seiner Anregung und zum Theil nach seinen Dictaten und Vorarbeiten schrieb R. noch als Student die rechtsgeschichtliche Abhandlung: [270] „Das Recht der Comeswahl“ – veröffentlicht in Kurz: Magazin für Geschichte Siebenbürgens, Band II, Heft 2. Kronstadt 1846 –, eine Arbeit, welche, damals eine schwerwiegende Tagesfrage behandelnd, mit den werthvollen urkundlichen Belegen aus Zimmermann’s Sammlung heute noch als Quellenwerk für den Gegenstand gilt. Nachdem R. seine juristischen Studien an der kgl. Gerichtstafel in Neumarkt (Maros-Vásárhely) beendigt, trat er in den Dienst der sächsischen Nation (April 1848) als Comitial-Accessist (bei dem, dem Comes oder Grafen derselben unmittelbar unterstehenden Centralamt) in Hermannstadt. Es war das Jahr der schweren Erschütterung der österreichischen Monarchie, in dem auch in Siebenbürgen seit lange bestehende nationale und politische Gegensätze zu heftigem Ausbruch kamen. Der ungarische Landtag hatte in Preßburg unter anderm die Union Ungarns mit Siebenbürgen beschlossen und Kaiser Ferdinand am 11. April 1848 mit allen tiefgreifenden Verfassungsänderungen auch diese bestätigt; es handelte sich nun darum, wie Siebenbürgen sich zur Frage stelle. Die sächsische Nation, die zum größern Theil ihr nationales Leben und ihre Verfassung durch jene Union bedroht sah, ging in ihren Vertretungskörpern und in den öffentlichen Blättern besorgt zu Rathe über die zu fassenden Entschlüsse, als der siebenbürgische Gouverneur Graf Joseph Teleki zu Besprechungen mit dem commandirenden General, Feldmarschalllieutenant Puchner, nach Hermannstadt kam. Die schnell verbreitete Kunde, daß derselbe der sächsischen Nationsuniversität und dem Magistrat der Stadt, die ihm ihre Hochachtung bezeugten, erklärt habe, die Union mit Ungarn müsse von vornherein als entschieden angenommen werden, die Geschäftssprache im Lande könne in Zukunft nur die magyarische sein, und es sei eine neue Abgrenzung der Verwaltungsgebiete nothwendig, gab hier den Ausschlag; am 4. Mai verlangte eine zahlreiche Volksmenge im Theater die österreichische Volkshymne und pflanzte unter dem Ruf: Keine Union mit Ungarn, die schwarz-gelbe Fahne auf. An der Spitze der Demonstration stand unter der Jugend R., der dadurch thatsächlich ins öffentliche Leben eintrat, für das schon frühe leitende Männer ihn ins Auge gefaßt hatten. Denn von glücklicher, wenn auch nicht ungewöhnlich rascher Auffassung besaß er einen eisernen Fleiß, der nie rastete und den Reichthum seiner umfassenden Kenntnisse fortwährend vermehrte, dabei die schöne Gabe klarer, formvollendeter stilistischer Darstellung und, nach ernster Vorbereitung, edeln Redeschwunges, auch, was dem Politiker so förderlich ist, stets den starken rücksichtslosen Willen in der Verfolgung des gewählten Zieles. Ueber das, welches ihm und der sächsischen Nation für die Gestaltung Siebenbürgens und der Monarchie zunächst vorschwebte, gingen allerdings die Wogen der Jahre 1848 und 1849 zerstörend hinüber; als die kaiserliche Armee das Land aufgab, rettete auch er sich in die Walachei, um von dort fast nur mit dem nackten Leben nach Wien zu gehen. Hier trat er 1850 als Conceptsadjunct in das k. k. Cultus- und Unterrichtsministerium ein, das neue große Arbeitsfeld zu weiterer Fortbildung erfolgreich benützend und wurde im Mai 1856 als Secretär der k. k. Statthalterei nach Hermannstadt zurückversetzt, wo er gleichfalls in der Abtheilung für Schule und Kirche Verwendung erhielt. Für sein Verhalten in den Revolutionsjahren hatte ihm der Kaiser im August 1850 das goldne Verdienstkreuz verliehen.

Als R. in seine Heimath zurückkehrte, fand er die alte Verfassung und Verwaltung nicht mehr. Die Wiener Regierung hatte, nachdem die blutige Erhebung mit russischer Hülfe bezwungen worden, den Belagerungszustand im Lande verhängt, die alte Verfassung, auch die der treu gebliebenen sächsischen Nation, thatsächlich aufgehoben und verwaltete das Land, nicht zu seinem materiellen Schaden, durch ernannte, zum großen Theil fremde Beamte. Hiedurch war die – die sächsische Nation in sich schließende – evangelische Landeskirche A. B. [271] in Siebenbürgen zu einem Verfassungsneubau genöthigt, da der frühere politische und kirchliche Verfassungsorganismus enge verbunden war. Eine diesbezügliche Vorlage des Oberconsistoriums vom Jahre 1851 fand ihre vorläufige Erledigung durch den Cultusminister Grafen Leo Thun, dessen Wohlwollen und Rechtsachtung der evangelischen Landeskirche in Siebenbürgen gegenüber die höchste Anerkennung verdient, in der „Provisorischen Vorschrift für Vertretung und Verwaltung“ derselben vom 27. Februar 1855, die für die Einzelgemeinde und die Bezirksgemeinde 1856 ins Leben trat und nach welcher, Thuns edelem Worte entsprechend, in Zukunft „der Kern der evangelischen Bevölkerung lediglich durch das Vertrauen der Glaubensgenossen zur Vertretung und zur Theilnahme an der Verwaltung der Kirche berufen werden sollte“. Aus der alten Ordnung blieb vor der Hand noch das Oberconsistorium als höchste kirchliche Verwaltungsbehörde bestehen, dessen Mitglied, gemäß der Organisation desselben, als Secretär der obersten Landesstelle nun auch R. wurde. Das Oberconsistorium, das von weltlicher Seite aus den jeweiligen evangelischen Räthen und Secretären der Landesdicasterien, den mit diesen in gleichem Rang stehenden Oberbeamten und den Mitgliedern der sächsischen Nationsuniversität, von geistlicher Seite aus dem Superintendenten und den Dechanten der Capitel bestand, gewann in ihm sofort eine durch umfassende wissenschaftliche Bildung, durch innere Theilnahme an Religion und Kirche, durch Staatsklugheit und arbeitsfreudigen Eifer gleich bedeutende Kraft, die in die ernsten Anstrengungen jener Behörde für innere Belebung, sowie den Ausbau der ganzen Kirchenverfassung thätigst einging. Eine Frucht seiner Arbeit war zunächst die Druckschrift: „Die neue Verfassung der evang. Landeskirche A. B. in Siebenbürgen auf Grundlage amtlicher Quellen“ (Hermannstadt 1856), die den Glaubensgenossen in gelungener Darstellung zeigte, worin die neue Verfassung der Kirche bestehe, wie sie zu stande gekommen und welchen Werth sie besitze. Schon nach einem Monat wurde eine neue Auflage nothwendig, die in einem Anhang eine werthvolle Vermehrung brachte durch die Mittheilung der Grundzüge des „Entwurfs zu einem Gesetz über die Vertretung und Verwaltung der Kirchenangelegenheiten der Evangelischen beider Bekenntnisse in dem Königreich Ungarn, in der serbischen Woiwodschaft und dem Temescher Banat“, der nach Berathungen mit Vertrauensmännern aus den evangelischen Superintendenzen Ungarns (Mai 1855) im August 1856 vom Ministerium „zur unbedingt freien Meinungsäußerung“ veröffentlicht worden war und für Siebenbürgen zu guter Andeutung dienen konnte, wie und wo auch die „Provisorische Vorschrift“ zu weiterer Ausbildung gebracht werden könne. In den Dienst seiner Kirche stellte R. auch seine weitere, groß angelegte Arbeit: „Handbuch des evangelischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf die evang. Landeskirche A. B. in Siebenbürgen“ (Hermannstadt 1859), das über Aufforderung des Oberconsistoriums begonnen, auf dem Boden und Hintergrund des gemeinen Kirchenrechts den eigenthümlich ausgebildeten Rechtsorganismus der evangelischen Kirche Siebenbürgens in seinem geschichtlichen Entwicklungsgang und seinem gegenwärtigen Bestand zeigen sollte. R. hatte dabei zugleich die theologischen Prüfungen vor dem Oberconsistorium, in welchem er als Prüfungscommissär das Kirchenrecht vertrat, im Auge; sein Werk sollte dem tiefern Studium desselben im Vaterlande den Boden bereiten und den Reichthum der Ernte auf diesem, hier lange Zeit weniger bearbeiteten Rechtsgebiet aufdecken, damit die sammelnden, sichtenden, verwerthenden Hände sich mehrten. Leider ist von dem Buche nur das erste Heft, die Einleitung, erschienen, die nach der Klarheit und dem Reichthum ihres Inhalts doppelt bedauern läßt, daß es nicht zum Abschluß gekommen. Inzwischen war R. in anderer Richtung für seine Kirche thätig. Während diese auf den beiden untern Stufen ihrer Vertretung und Verwaltung (Gemeinde und Bezirk) seit [272] 1856 einer entsprechenden Organisation sich erfreute, dauerte die Amtswirksamkeit des Oberconsistoriums, das doch von der Kirche ein Mandat sie zu vertreten nicht besaß, als kümmerlicher Nothbehelf fort. Um so mehr drang dieses selbst auf endgültige Erledigung der kirchlichen Verfassungsfrage, die nach dem Wunsch der Kirche zugleich wesentliche Ergänzungen und Verbesserungen der „Provisorischen Vorschrift“ bringen sollte. In diesem Zusammenhang berief, dem Ansuchen der Kirche entsprechend, der Cultusminister Graf Leo Thun im Sommer 1860 Vertrauensmänner nach Hermannstadt zu Berathungen, welche unter der Leitung des Ministerialraths Joseph Zimmermann die definitive Ordnung der evangelischen Kirchenangelegenheiten Siebenbürgens anbahnen sollten. R. war einer dieser Vertrauensmänner und entwickelte in den Sitzungen, die vom 1. bis letzten August dauerten, eine hervorragende Thätigkeit; die Denkschrift, welche die Vertrauensmänner am 31. August an den Minister richteten, hat ihn zum Verfasser. Nicht minder bedeutend und durch ungewöhnliche Kenntniß, sowie sachliche und treue Darlegung der geschichtlichen Rechtsentwicklung und des gesetzlichen Standes der evangelischen Kirchenverfassungsfrage ausgezeichnet sind seine lichtvollen Arbeiten, die er als Statthaltereireferent in dieser Angelegenheit verfaßte, der sich der Gouverneur Fürst Friedrich zu Liechtenstein pflichtgemäß und warm annahm. So erschienen mit Erlaß des Cultusministeriums vom 4. December 1860 die „Provisorischen Bestimmungen für die Vertretung und Verwaltung der evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen“, welche mannigfache werthvolle Verbesserungen der „Provisorischen Vorschrift“ enthielten und mit dem Ersuchen um die weiteren Einleitungen ihrer Vollziehung „im Sinne des der Kirche gesetzlich zustehenden Selbstbestimmungsrechtes“ an das Oberconsistorium geleitet wurden. Dieses war eben im December 1860, mit infolge des erlassenen Octoberdiploms, verstärkt durch Entsendete aus allen Kirchenbezirken, in Hermannstadt versammelt; eine eingehende, den Rechtsstand der Kirche und die bisherige Entwicklung der Verfassungsfrage quellengemäß und lichtvoll beleuchtende Arbeit Rannicher’s – „Denkschrift über die Angelegenheit der Verfassung der evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen“, Hermannstadt 1860. Groß octav. 67 S. – leitete am 13. Decmber die ernsten Berathungen ein, die unter seiner wesentlichen Mitwirkung am 19. December zum Beschluße führten, es sei zur Schlußfassung über die „Provisorischen Bestimmungen“ eine nach § 111 derselben zusammengesetzte constituirende Versammlung in möglichst kurzer Frist einzuberufen. Zugleich wurde mit Stadtpfarrer Schuller aus Schäßburg R. nach Wien entsendet, um hier wesentliche, den Bestand der Kirche berührende Fragen der Erledigung zuzuführen. Er ist, wie aus den Acten dieser Deputation erhellt, dort zielbewußt, mit großer Einsicht und unermüdet thätig gewesen, bis der Kaiser, voll Huld und Gerechtigkeit gegen seine „allzeit getreue“ evangelische Landeskirche A. B. in Siebenbürgen, mit Allerhöchstem Handschreiben vom 19. Februar 1861 dieser eine jährliche Dotation von 16 000 Gulden ö. W. aus dem Staatsschatz gewährte, nachdem Karl VI. bereits 1715 der römisch-katholischen Kirche des Landes eine, wesentlich in Grund und Boden bestehende Dotation aus Staatsmitteln (Fiscalgütern) zugewandt hatte. Die erste Landeskirchenversammlung (12.–22. April 1861), welche die neue Kirchenverfassung mit einigen Aenderungen unter wesentlicher Mitarbeitung Rannicher’s annahm, wählte ihn in das erste Landesconsistorium, das ihm die Schriftführerstelle der neuen Oberbehörde übertrug; als solcher verfaßte und unterschrieb er den ersten Act dieser, das ehrfurchtsvolle Dankschreiben für die Dotation der Landeskirche an den Kaiser vom 24. April 1861.

Aus diesem, von erfolgreicher Arbeit für die Rechts- und Culturinteressen seiner Kirche erfüllten Wirkungskreise schied R., als er im Mai 1863 zum [273] siebenbürgischen Gubernialrath ernannt wurde. Das führt uns auf ein neues Feld seiner Thätigkeit, das des Politikers. Der Versuch, der 1850 begonnen wurde, die österreichische Monarchie durch allgemeinen Absolutismus zu einem Einheitsstaat zu verschmelzen, war fehl geschlagen; das kaiserliche Manifest und Diplom vom 20. October 1860 und das darauf folgende kaiserliche Patent vom 26. Februar 1861 brach damit. Die alte siebenbürgische Verfassung trat zu einem großen Theile wieder ins Leben, mit ihr zugleich die schwere Aufgabe, die Ansprüche der früher berechtigten Confessionen, Nationen und Stände mit den Anforderungen der früher an den politischen Berechtigungen nicht theilhabenden Nationalitäten, Confessionen und Classen auf dem Boden einer neuen staatsrechtlichen Ordnung auszugleichen. Nach Wiederherstellung des sächsischen Municipalrechts und der autonomen Verwaltung durch gewählte Beamte versammelte sich die Nationsuniversität – die durch Wahl der Kreise entsendete Vertretung der sächsischen Nation – am 25. Nov. 1861 in Hermannstadt; eines ihrer bedeutendsten Mitglieder war R., Vertreter auch in den Sessionen von 1862 und 1863 der Stadt und des Stuhles Hermannstadt. Nach seiner tiefsten politischen Ueberzeugung Anhänger des neu zu schaffenden österreichischen constitutionellen Einheitsstaats, in dem er mit seiner Nation die Gewährleistung sowohl für den Bestand und die gedeihliche Entwicklung der Monarchie, als den gerechten Schutz für alle Nationalitäten und die Förderung ihrer materiellen und Bildungsinteressen sah, stellte er sich freudig unter dieses Banner und den ganzen Reichthum seiner geschichtlichen und juridischen Kenntnisse, die volle Macht seiner mündlichen und schriftlichen Redegabe in den Dienst dieser Arbeit. Die bedeutungsvolle Repräsentation an den Kaiser vom 29. März 1862, betreffend die Frage der praktischen Durchführung der nationalen Gleichberechtigung in Siebenbürgen, worin die sächsische Nationsuniversität erklärte: sie betrachte das kaiserl. Diplom vom 20. October 1860 und das Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung vom 26. Februar 1861 als die Grundlagen für den nothwendig gewordenen Aufbau des öffentlichen Rechts auch des Großfürstenthums Siebenbürgen und werde ihrerseits dahin wirken, daß die Verfassungsfrage Siebenbürgens im Weg der Gesetzgebung des Landes auf denselben Grundlagen einer befriedigenden Lösung zugeführt werde, ist von seiner Meisterhand, ebenso die große grundlegende Arbeit der Universität von 1863, das „Statut über die Grundzüge zur Regelung des Gemeindewesens im Sachsenlande“, das unter dem 11. Mai jenes Jahres dem Kaiser zur Bestätigung unterbreitet wurde.

Inzwischen war die Verfassung und Verwaltung auch der übrigen Theile Siebenbürgens wenn auch mit theilweisen Aenderungen, ebenso die siebenbürgische Hofcanzlei und das Landesgubernium gleichfalls hergestellt worden und es handelte sich um das Zustandekommen des Landtags, dessen Competenz nach dem kaiserl. Handschreiben vom 21. December 1860 an den Präsidenten der Hofkanzlei, Baron Kemeny, innerhalb der Grenzen des Octoberdiploms durch die Grundsätze des früheren siebenbürgischen Staatsrechts bestimmt sein sollte. Daß die sächsische Nation ihn beschicken werde, war schon nach den Erklärungen der Universität zweifellos; zur Vorbereitung für denselben veröffentlichte R. die „Sammlung der wichtigern Staatsacten, Oesterreich, Ungarn und Siebenbürgen betreffend, welche seit dem Manifest vom 20. October 1860 bis zur Einberufung des siebenbürgischen Landtags erschienen sind“ (Hermannstadt, 3 Hefte 1861–63). Es ist ein Werk bei all seiner Unscheinbarkeit von bleibendem Werth; für den, der jene Zeit mit ihren Strömungen und Verheißungen gründlich kennen lernen will, voll überraschender Aufschlüsse. Der Landtag, für den eine provisorische Landtagsordnung gegeben war, wurde auf den 1. Juni 1863 nach Hermannstadt berufen und [274] infolge späterer Festsetzung am 15. Juli eröffnet. Die Sekler und ungarischen Abgeordneten und Kronberufenen fehlten zum weitaus größten Theil; die sächsische Nation war vollständig vertreten, da sie ganz auf dem Boden der Rechtsüberzeugung stand, in der die hervorragendsten Notabeln Ungarns in ihrer Adresse vom 9. Mai 1857 an den Kaiser unter Anderm erklärt hatten: „wir haben es begriffen, was die nothwendige Consequenz dieser Ereignisse (von 1848 und 1849) ist; wir betheiligen uns bereitwillig mit allen Unterthanen Euerer Majestät an Allem, was die Aufrechthaltung, Mehrung und Kräftigung des Ansehens, der Sicherheit, der Macht der Gesammtmonarchie erheischt. Die Macht Euerer Majestät und die Kraft der Monarchie ist unsere Sicherheit, die allgemeine Wohlfahrt der Monarchie ist unser Gedeihen; die Einheit der Monarchie, Allergnädigster Herr, ist der Erwerb von Jahrhunderten, sie ist das Ergebniß des Zusammenwirkens der natürlichen Kräfte der Monarchie“. Unter den sächsischen Mitgliedern des Landtags stand R., von Hermannstadt entsendet, unter den ersten in der ersten Reihe; an allen Arbeiten und Ergebnissen desselben in den beiden Sessionen 1863 und 1864 hat er durch Wort und Schrift thätigsten Antheil genommen; die Adresse auf das kaiserliche Rescript an den Landtag mit ihrem tiefernsten Worte: „Wahrheit zu sprechen und das Versprochene zu halten, ist für Fürsten und Völker das höchste Gebot“ hat ihn zum Verfasser; auf alle andern bedeutenden Arbeiten desselben, so das Gesetz über die Gleichberechtigung der rumänischen Nation, das Gesetz betreffend den Gebrauch der drei Landessprachen im öffentlichen amtlichen Verkehr, das Gesetz über die Aufnahme der beiden kaiserlichen Diplome vom 20. October 1860 und vom 26. Februar 1861 in die Landesgesetze des Großfürstenthums Siebenbürgen, das Gesetz über die Art und Weise, wie im Großfürstenthum Siebenbürgen die Wahl der Abgeordneten zum Reichsrath durch den Landtag zu geschehen habe, hat er wesentlichen Einfluß geübt. Der Landtag entsandte ihn 1863 in das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsraths; im folgenden Jahr zeichnete die Verleihung des Ritterkreuzes des Eisernen-Kron-Ordens sein politisches Wirken aus. Als im Sommer 1865 der Gang der Dinge in Wien nach dem Sturze Schmerling’s die Frage nach dem Ausgleich mit Ungarn und damit nach der Union Siebenbürgens mit Ungarn wieder in den Vordergrund rückte, beschäftigte sich naturgemäß mit der letztern auch die sächsische Nationsuniversität. R. war Mitglied des Ausschusses, der jene ernste Repräsentation an den Kaiser entwarf, worin (vom 6. November 1865) diese die Anschauungen, Wünsche und Erwartungen aussprach, welche die sächsische Nation über die, durch das kaiserl. Manifest vom 20. Sept. 1865 und die Einberufung eines neuen, auf andrer Grundlage zusammengesetzten Landtags (Rescript vom 1. September 1865) eingeleitete Regelung des staatsrechtlichen Verhältnisses von Siebenbürgen zu Ungarn erfüllten. Im vollen Bewußtsein der verantwortungsschweren Lage veranstaltete er die Herausgabe der zwei umfangreichen Hefte: „Amtliche Actenstücke, betreffend die Verhandlungen über die Union Siebenbürgens mit dem Königreich Ungarn“ (Hermannstadt 1865 u. 1866), die die Möglichkeit allseitiger Erwägung der Frage in weitere Kreise tragen und das Urtheil sicher machen sollte. Auf dem Landtag zu Klausenburg, dessen Zusammensetzung im vornhinein die Unionsfrage als entschieden voraussehen ließ, war R. der Führer der sächsischen Vertreter; nur sechs wichen in der Form ab, wollten aber auch die Sicherung des nationalen Bestandes, des territorialen und municipalen Eigenrechtes der Sachsen, doch diese nachträglich vom ungarischen Reichstag ausgesprochen. In tief durchdachten, mit allem Rüstzeug der siebenbürgischen Rechtsgeschichte wohl versehenen Reden vom 2. und 6. December 1865 stellte und vertheidigte er den Antrag: die Bedingungen der Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn nach allen Richtungen hin, besonders auch zur Sicherung [275] der Rechtslage der verschiedenen Nationen und Kirchen in Siebenbürgen seien vom siebenbürgischen Landtag festzustellen und durch einen, unter Sanction der Krone gegenseitig abzuschließenden Staatsvertrag zwischen Ungarn und Siebenbürgen bleibend zu verbürgen. Der Antrag ging, von 28 sächsischen Landtagsmitgliedern unterschrieben, als Sondermeinung nach Wien mit der Repräsentation der Stände vom 18. December 1865, die schlechthin die Einberufung zum Pester Reichstag begehrten, um dort die 1848 unterbrochenen Unionsverhandlungen wieder aufnehmend, „an der, alle Interessen befriedigenden Durchführung derselben“, an der Lösung der die Gesammtmonarchie betreffenden Lebensfragen und an der bevorstehenden Krönung des Königs Theil nehmen zu können.

Die Krone entschied im Sinn der Repräsentation; Siebenbürgen wurde zum Reichstag nach Pest berufen; Stadt und Stuhl Hermannstadt entsandten als den einen ihrer Abgeordneten R. dahin, und wiederholten die Wahl im J. 1869 und 1872. Nun schlug er dort an der Donau sein Zelt auf, nachdem ihn der Cultusminister Eötvös 1867 als Sectionsrath in das Ministerium berufen; aber ein eigentliches freudiges Heimathsgefühl hat er hier nie empfunden, wie er oft schmerzlich in Wort und Schrift klagte. Der magyarischen Sprache durch außerordentliche Anstrengung in nicht langer Zeit so mächtig, daß er sie in Wort und Schrift zunächst ausreichend, später vorzüglich beherrschte, versuchte er in den neuen Verhältnissen vorerst seiner Abgeordnetenpflicht zu genügen, da ihn Monate lang sein Amt von jeder Arbeit frei ließ. Er wußte bald auch im Pester Reichstag sich eine angesehene Stellung zu verschaffen. Seine Reden, immer sachlich, würdig, „europäisch“, formvollendet riefen selbst in der gewöhnlichen Unruhe jener Versammlungen Stille und ernste Aufmerksamkeit hervor, so, um nur Einiges hervorzuheben, in den Verhandlungen über das Gesetz betreffend die Ausübung der richterlichen Gewalt (Juli 1869), über das Municipalgesetz (Mai und Juli 1870), über das Gemeindegesetz (März 1871), über das Gewerbegesetz (November 1871). Der schweren Aufgabe, im ungarischen Abgeordnetenhaus das gute Recht der sächsischen Nation, das auch §§ 10 und 11 des 43. Gesetzartikels von 1868 gewährleistete, gegen zahlreiche Angriffe, auch solche, die von einem ehr- und ränkesüchtigen Streberthum des eigenen Volkes ausgingen, zu vertreten, ist er pflichtfreudig und mit starker Ueberzeugung nachgekommen, so in der Comesfrage (April 1868), bei der Verhandlung des Nationalitätengesetzes (November 1868), des Unionsgesetzes (December 1868) und sonst. Eine Verschiedenheit der Ansichten, die aus Anlaß der sächsischen Municipalfrage 1873 zwischen R. und seinen politischen Freunden zum Ausdruck kam, fiel schmerzlich in sein Leben, das durch ein schleichendes Uebel schon seit länger bedroht war, bis eine zuletzt rasch verlaufende Miliartuberculose am 8. Novbr. 1875 den Faden desselben zerriß. Damit stand ein, für die Größe und Ehre Oesterreichs, für Ungarns Entwicklung zu einem europäischen Culturstaat auf dem Boden der Rechtsgleichheit aller seiner Völker warm schlagendes Herz viel zu frühe still. Mit den Zielen, insbesondere den Arbeiten, den Hoffnungen, den Freuden und Leiden der sächsischen Nation in Siebenbürgen und ihrer evangelischen Kirche aus den Jahrzehenten 1845–75, um die er sich reiche Verdienste erworben, wird Rannicher’s Name in Ehren dauernd verbunden bleiben.

Einige biographische Notizen in Joseph Trausch: Schriftstellerlexikon der Siebenb. Deutschen. Kronstadt 1871. III, 80.