ADB:Rösner, Johann Gottfried

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Artikel „Rösner, Johann Gottfried“ von Franz Jacobi in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 501–504, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:R%C3%B6sner,_Johann_Gottfried&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 02:37 Uhr UTC)
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Rösner: Johann Gottfried R., geboren am 21. November 1658 zu Züllichau, wohin sich seine Eltern zeitweilig zurückgezogen hatten, war dem Hause eines Kaufmanns und Rathsältesten in Fraustadt entsprossen. 1676 schickten ihn die Eltern auf das damals weit berühmte Gymnasium zu Thorn. Noch jetzt birgt die Thorner Gymnasialbibliotbek einen dicken Band von seiner Hand, in den er allerlei Aussprüche lateinischer Classiker eintrug. So offenbarte sich schon hier seine ästhetische Begabung, die er auch in seinen Mannesjahren eifrig gepflegt hat. 1679 bezog er die Universität Leipzig, zeitweise auch die Frankfurter, um die Rechte zu studiren. Die zu Thorn gewonnenen Jugendbeziehungen führten dazu, daß ihn der dortige Rath 1687 zum Stadtsecretär berief, – ein Amt, welches gewöhnlich die erste Sprosse in der Stufenleiter städtischer Ehren bildete. Der in Thorn ohne Blutsverwandtschaft dastehende und darum sicherlich schwer emporkommende Mann gewann mehr Einfluß, als er 1694 Anna Katharina Kisling, Bürgermeister [502] Johann Kisling’s Tochter, heimführte. Bereits vier Jahre darauf wurde er zum Rathsherrn gekürt. Freilich gerieth er dadurch auch in erbitterte Fehden mit den dem Geschlechte der Kisling feindlichen Familien, wie denn Thorn damals überhaupt ein trauriges Bild inneren Bürgerzwistes bot. Zeitweilig wurde R. sogar durch die Feinde seines Schwiegervaters vom Rathe ausgeschlossen, aber durch den König von Polen wieder eingesetzt. 1706 erreichte er das mühsam erkämpfte Ziel, indem er zum Bürgermeister (die Stadt hatte deren vier) gewählt wurde. Fortan bekleidete er dies Amt ununterbrochen, wiederholentlich wurde er im Wechsel mit seinen Collegen „Präsident“ (regierender Bürgermeister des laufenden Jahres) oder Burggraf (aufsichtsführender Vertrauensmann des Königs).

Die Rösner’sche Bürgermeisterschaft fiel in die unglückselige Zeit des nordischen Krieges. Von 1703–18 marschirten fast ununterbrochen die verschiedensten Truppen durch die Stadt und brandschatzten sie, sodaß ihre Finanzen völlig ruinirt wurden. 1708–10 hauste obendrein in ihren Mauern der furchtbare Würgengel der Pest. R. blieb in den Kriegswirren der Krone Polen treu, obwohl er persönlich dabei Schaden erlitt. Daß er in solchen Zeitläuften nichts für die wirthschaftliche Hebung der Stadt ausrichten konnte, ist selbstverständlich.

Dazu kamen die Wirrsale endloser Bürgerstreitigkeiten! R. betrreb, wie die meisten Bürgermeister kaufmännische Geschäfte und war eifrig bedacht, sich den Gewinn nicht schmälern zu lassen. Auf seinem Vorwerke besaß er eine Branntweinbrennerei, welche der städtischen Brennerei in Przysiek Concurrenz machte. Da die Rathsherren ihr Amtseinkommen aus der letzteren bezogen, setzten sie gegen R. durch, daß alle Privatbrennereien eingehen sollten. R. klagte gegen diesen ihn schädigenden Beschluß der Stadtverwaltung beim Könige. Das Verhältniß zwischen dem Bürgermeister und den Rathsherren war demnach bis zur Unerträglichkeit gespannt.

Das Thorner Gymnasium verwaltete R., wie bei seinen ästhetischen Neigungen vorauszusehen, als „Protoscholarch“ mit voller Hingabe. Gerne unternahm er selber Streifzüge ins Reich der Musen, hielt elegante lateinische Reden und übersandte Verwandten und Bekannten selbstgemachte Gedichte. Die Lehrer des Gymnasiums waren zum Theil die lutherischen Geistlichen der Marienkirche, und auch bei R. war die Liebe zu den Wissenschaften mit der Anhänglichkeit an die lutherische Kirche aufs festeste verbunden. Trotz seiner kaufmännischen Geldliebe war er ein überzeugter Anhänger des angestammten Glaubens. Man sah ihn nicht bloß Sonntags, sondern auch bei Wochengottesdiensten häufig in der Kirche. Damit hing eine starke Abneigung gegen die Jesuiten zusammen, welche damals in Polen allmächtig waren, und alles daran setzten, den evangelischen Glauben ebenso wie im eigentlichen Polen, auch in polnisch Preußen mit Stumpf und Stil auszurotten. In Thorn besaßen die Jesuiten ebenfalls ein Kloster und eine Schule. Sie waren ein Pfahl im Fleische der fast ausschließlich lutherischen Bürgerschaft, und ihre unbändigen Zöglinge, meist Söhne des umwohnenden polnischen Adels, mit ihrem fortwährenden Böllerschießen und Steinewerfen ein Schrecken für jeden auf der Straße Gehenden.

So war es ein vulkanischer Boden, auf dem R. stand, und ein geringer Stoß konnte genügen, die in der Tiefe wühlenden Flammen zum Ausbruch zu bringen. Dieser Anstoß fand sich in dem am 16. Juli 1724 in Thorn entstehenden Tumult. Bei einer Procession war es zu Prügeleien zwischen Jesuitenschülern und lutherischen Bürgern gekommen, die sich auch am 17. fortsetzten. Da überfielen die Jesuitenzöglinge einen an den Händeln ganz unbetheiligten [503] evangelischen Gymnasiasten Nagurny, der im Schlafrocke vor der Thüre seines Hauswirths stand, und schleppten ihn unter Mißhandlungen in ihre Schule. Die Kunde von der Gewaltthat verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den von den vorstädtischen Biergärten heimkehrenden Handwerksgesellen, die dort soeben in üblicher Weise den Montag gefeiert hatten. Der erbitterte Volkshaufe sammelte sich am Jesuitenkloster und begann es regelrecht zu belagern. R., der in jenem Jahre Präsident war, sandte auf die Meldung vom Tumult Stadtsecretär Wedemeyer ins Kloster und ließ Rector Czyzewsky auffordern, Nagurny herauszugeben, was aber erst nach einer nochmaligen Aufforderung geschah. Die Stadtmiliz hatte sich inzwischen unter Capitän Graurock’s Führung gänzlich unzuverlässig gezeigt, statt den Volkshaufen auseinander zu treiben, war sie wieder auf die Stadtwache zurückmarschirt. R. bot jetzt die Bürgerwache des „Altthorner“ und später noch die des „Johannisquartiers“ auf, doch vermochten auch die erschienenen Bürger die überschäumende Volkswuth nicht zu dämpfen. Nun ließ das Stadtoberhaupt Graurock vor sich kommen und befahl ihm in die Schule einzurücken und von dort auf die Menge zu schießen. Der feige Capitän erwiderte, „hierzu könne er sich nicht resolviren, wo würde er mit seiner Mannschaft bleiben? Wenn er auf das Volk schieße, würde die [polnische] Krongarde sich desselben annehmen und wieder auf die Stadtsoldaten feuern. Auch das Volk würde sich zur Wehr setzen, und es möchte ein Blutvergießen entstehen, welches er nicht verantworten könne. Er könne und wolle es nicht thun.“ R. zuckte die Achseln und hielt ebenso wie Wedemeyer und andere anwesende Bürger die geplante Maßregel für gefährlich, sodaß von ihr Abstand genommen wurde. Diese augenblickliche Schwäche, die zu seiner sonstigen Energie wenig stimmt, ist das Einzige, was R. hierbei vorgeworfen werden kann. Sie ist wohl aus der unsicheren Stellung Rösner’s im Rathe zu erklären. Wären einige lutherische Bürger von der Stadtmiliz niedergeschossen, so hätte er sich vor den Angriffen seiner Collegen kaum retten können.

Der Tumult nahm so weiter seinen Lauf. Schließlich drang der bis zur Siedehitze entflammte Volkshaufe in die Schule und ins Kloster, zerschlug Alles, was nicht niet- und nagelfest war, warf die Trümmer zu den Fenstern hinaus und zündete auf der Straße ein Feuer an. Die Jesuiten behaupteten, daß dabei Heiligenbilder, auch eine Bildsäule der Maria unter Spottreden verbrannt seien. Schließlich machte die Krongarde den Pöbelausschreitungen ein Ende.

Die Jesuiten klagten nun die ganze Stadt aufs leidenschaftlichste beim Warschauer Hofgericht an und gaben R. Schuld, er habe den Volksaufstand absichtlich angestiftet und gewähren lassen, obwohl doch schon das Aufgebot der beiden „Bürgerquartiere“ das Gegentheil bewies. Das Hofgericht sandte im September eine Untersuchungsscommission von nicht weniger als 23 Würdenträgern nach Thorn, welche viele Verhaftungen vornahm, höchst verdächtige Personen Zeugenaussagen (die dem Rathe nicht mitgetheilt wurden, auch später nie veröffentlicht sind) machen ließ, die Entlastungszeugen der Angeschuldigten hingegen ablehnte und schließlich 2800 Dukaten für ihre Mühe von der verarmten Stadt zu erpressen suchte. Das unter dem 30. October erlassene Urtheil des Hofgerichts erfüllte die kühnsten Hoffnungen der Kläger. R. sowie Vicepräsident Zernecke und zwölf Bürger wurden zum Tode verurtheilt, die Hälfte des Raths, der Schöppenschaft und der dritten Ordnung sollte fortan mit Katholiken besetzt werden. Den Lutheranern wurde die letzte Kirche, die ihnen noch geblieben war, die Marienkirche abgenommen, das Gymnasium sollte aufgehoben oder auf ein Dorf verlegt werden.

[504] R. scheint bis zuletzt gehofft zu haben, daß dies ungeheuerliche Urtheil nicht in seiner vollen Strenge vollstreckt werden würde. Der Rath und die Bürgerschaft, durch Uneinigkeit aufs tiefste zerspalten und durch die Kriegsjahre finanziell zu geschwächt, um die in Polen erforderlichen „Devinctionen“ den Machthabern in genügender Höhe zu zahlen, vermochte dem Unheil nicht zu wehren. Der Kronunterkämmerer Fürst Georg Lubomirski, das fanatischste Commissionsmitglied, erschien Anfang December und polnische Truppen wurden in die Stadt gezogen.

Bei R., der in seinem Hause bewacht wurde, liefen noch am Tage vor seinem Tode Mönche und katholische Laien ein und aus und versprachen ihm sofortige Begnadigung, wenn er katholisch würde. Daß diese Lockungen keine leeren waren, bewies das Schicksal des einen der zum Tode Verurtheilten, David Heyder, der übertrat und sofort aus der Haft entlassen und von den Jesuiten in Schutz genommen wurde. R. bestand die schwere Anfechtung. Nachdem er sich zunächst Bedenkzeit ausgebeten, erklärte er den beiden Bernhardinermönchen, die man an ihn abgesandt hatte, er sei auf den evangelischen Glauben getauft und wolle, wenn keine Gnade für ihn wäre, auf ihn auch sterben, wiewohl er den Tod nicht verschuldet habe. Noch in der Nacht drang man aufs neue in ihn, da rief er den Quälgeistern das heldenmüthige Wort zu: „Vergnüget Euch mit meinem Kopf, die Seele muß Jesus haben.“ In der Frühe des 7. December um 5 Uhr wurde er auf dem Hofe des Rathhauses, bis zuletzt Gesangbuchsverse betend, durch den Scharfrichter mit dem Schwerte zu Tode gebracht und Tags darauf in aller Stille vor dem Altare der vorstädtischen Georgenkirche bestattet.

Das „Thorner Blutgericht“ rief in ganz Europa ungeheuere Aufregung hervor, namentlich Friedrich Wilhelm I. gerieth in hellsten Zorn und hätte am liebsten deswegen mit Polen Krieg angefangen.

R. ist demnach, obwohl ein Weltmann und zunächst irdischen Interessen zugethan, den Märtyrern der evangelischen Kirche zuzuzählen.

Urkunden und Actenstücke im Thorner Rathsarchive und der Privatbibliothek des Rittergutsbesitzers v. Sczaniecki-Nawra. – Vom polnisch-kath. Standpunkte Kujot, Sprawa Toruńska Z. R. 1724. In Roczniki towarzystwa przyjaciol nauk Poznańskiego. XX. Poznań 1894 und XXI. Poznań 1895. – F. Jacobi, Das Thorner Blutgericht. Verein f. Reformationsgeschichte, S. 51 f. Halle 1896. – Derselbe in Zeitschr. des Westpreuß. Geschichtsver., Heft 35. Danzig 1896.