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Artikel „Pietsch, Johann Valentin“ von Max von Waldberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 123–124, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pietsch,_Johann_Valentin&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 00:19 Uhr UTC)
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Pietsch: Johann Valentin P., Dichter, geboren am 23. Juni 1690 zu Königsberg in Preußen. Er studirte Heilwissenschaften an der Universität seiner Geburtsstadt und später in Frankfurt an der Oder, wo er 1713 zum Doctor medicinae promovirt wurde. In seine Heimath zurückgekehrt, erlangte er als Anerkennung für das ursprünglich anonym veröffentlichte Gedicht „Ueber den ungarischen Feldzug des Prinzen Eugen“ die Professur der Poesie an der Universität und die Würde eines Magisters der Philosophie. 1719 wurde er Hofrath, königl. Leibmedicus und Oberlandphysicus. Er starb am 29. Juli 1733. Diesem wenig bewegten Lebensgang entspricht auch seine litterarische Wirksamkeit. P. war keiner derjenigen, die es auch nur versucht haben, der Dichtung neue Bahnen zu weisen. Er blieb innerhalb der engen Grenzen, die ihm sein bescheidenes Talent gezogen, und auf Wegen, die begabtere Genossen vor und neben ihm ausgetreten haben. Er wäre wol mit seinen Leistungen nicht über die Berühmtheit einer Localgröße hinausgekommen, wenn nicht die mit berechneter Erwartung auf Gegendienste allezeit dienstbereiten kleineren Poeten seiner Zeit ihn auf ihren Schild gehoben hätten. Dazu kamen freundschaftliche Beziehungen zu Neukirch, Besser und Gottsched, so daß man in der hyperbolischen Art jener Zeit dem deutschen Publicum „Entzücken“ einreden konnte, „Wenn Pietschens Helden-Lied durch Phöbus Hayne schallet“ und auf ein unbedeutendes kleines Bruchstück einer Cäsartragödie hin, in ihm einen zukünftigen „anderen Sophokles“ sah. Besonders warm gestaltete sich das Verhältniß zu Gottsched, der in P. seinen früheren Lehrer schätzte. Als Gottsched aus Anlaß eines Disputes und einer Wette zwischen dem Kronprinzen Friedrich von Preußen und Keyserling über Pietschens Werth als Dichter, um seine Meinung befragt wurde, äußerte er sich mit großer Wärme über ihn. Bei dieser Gelegenheit erwähnte Gottsched eine im Drucke befindliche neue Ausgabe von Pietsch’s Werken, die unbekannt geblieben ist. Die bald darauf 1740 erschienene, von J. G. Bock besorgte kann nicht gemeint gewesen sein, weil Gottsched seine Ausgabe dem Prinzen Friedrich widmen wollte, „wenn er wüßte, daß dem Kronprinzen damit ein Gefallen geschehe“. Möglich, daß durch die Ausgabe von Bock die neue vielleicht noch nicht fertiggestellte Gottscheds überflüssig gemacht und daher nicht der Oeffentlichkeit [124] übergeben wurde. Pietsch’s Dichtungen sind zumeist aus Anlaß verschiedener Zeit- und Hofereignisse geschrieben. Sein Amt verpflichtete ihn, den Krönungstag des Königs und das Geburtsfest der Königin poetisch zu feiern, dazu setzte er noch bei der Geburt eines Prinzen oder bei Hochzeits- und Leichenbegängnissen hoher Gönner oder befreundeter Königsberger Familien seine Muse in Contribution. Seine poetische Ausdrucksweise ist im Gegensatze zur „italienischen Schreibart“ der sogenannten zweiten schlesischen Schule, frei von Bilderwulst und zusammengebettelten Prunkworten, vom Schwelgen in Blut und Greuel, dagegen nüchtern und trocken nach der Weise der ihm geistesverwandten „Hofpoeten“ Canitz, Besser, König, die alle die mangelnde leidenschaftliche Gluth durch Strohfeuer ersetzten. Wie früher mit Kraftworten, so wird jetzt mit pathetischen Fragesätzen und Ausrufungszeichen die Stimmung in die Gedichte hineingetragen. Alle diese Staats- und Heldengedichte nehmen einen Anlauf zum Fluge und bleiben niedergedrückt von Langeweile und Nüchternheit auf der Erde. Am höchsten zeigt sich Pietsch’s Leistungsfähigkeit in seinem Heldengedichte „Karl des Sechsten im Jahre 1717 erfochtener Sieg über die Türcken“, das als Fragment, vier Bogen stark im Druck erschien, öfter nachgedruckt, später von Gottsched und endlich von Bock, von diesem aber aus den nachgelassenen Schriften vermehrt und mit Verbesserungen von des Herausgebers Hand veröffentlicht wurde. Aber mehr als einzelne Anläufe zu lebendiger Darstellung und hie und da glücklich geformten Gedanken sind auch diesem Werke nicht nachzurühmen. Die Schilderungen sind breit und ungegenständlich, und das Fortschreiten der Erzählung bei jeder etwas bewegten Handlung durch öde Reflexionen des Dichters aufgehalten. Aber dies Gedicht erregte in Deutschland großes Aufsehen und erwarb dem Verfasser allgemeine Anerkennung, die auch der Aufnahme seiner anderen Gedichte zugute kam. Nur Friedrich der Große hatte für sein zum 15. Juni 1733 gedichtetes Vermählungslied wenig Dank übrig. Einzelne Gedichte von P. wurden häufig nachgedruckt, so z. B. das König Friedrich Wilhelm am 14. August 1732 gewidmete Geburtstagsgedicht in Bernanders verirrten Musen u. s. w. In seinen wenigen Gedichten, die außerhalb des Rahmens der Helden-, Staats-, Trauer- und Vermählungsgedichte fallen, zeigt er Spuren eines Einflusses des Horaz und Boileau. In seinen geistlichen Gedichten versucht er u. a. durch eine merkwürdige Verbindung von Cantaten, Arien, Recitativen, Chören u. s. w. „Ausführliche Abbildung aller Leidens-Marten und Todes-Qualen JEsu Christi des Erlösers der Welt“ betitelt, eine neue Art von Oratorientexten zu schaffen. Diese geistliche Dichtung enthält neben schlechter Prosa vergleichbaren Versen auch Stellen von tiefer, warmer Empfindung und frommer Innigkeit. Er soll auch ein „Carmen heroicum de Jesu Christo pacis reparatore“ 1725 gedichtet haben. In lateinischer Sprache sind auch mehrere medicinische Schriften, z. B. „De impedito medicinae progressu“, die er pro gradu schrieb, de stibio veterum etc. verfaßt. P., der seine Persönlichkeit nie in den Vordergrund schob, ist durch die damaligen erbärmlichen litterarischen Verhältnisse und durch die Seichtheit der zeitgenössischen Dichtung zu unverdienter Bedeutung emporgeschraubt worden. Nur insofern er dadurch zur Charakterisirung jener Zeit beiträgt, verdient er historische Beachtung.

D. H. Arnoldts ausführliche und mit Urkunden versehene Historia der Königsberger Universität. Königsberg 1746. Bd. 2. – Herrn D. Johann Valentin Pietschen Gesamlete Poetische Schrifften ed. Gottsched, Leipzig 1725. – Des Herrn Johann Valentin Pietschen gebundene Schriften in einer vermehrtern Sammlung ans Licht gestellet von J. G. Bock. Königsberg 1740.