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Artikel „Pauline“ von Rudolf Falkmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 275–277, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pauline&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 23:42 Uhr UTC)
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Band 25 (1887), S. 275–277 (Quelle).
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Paulina, Tochter des Fürsten Friedrich Albrecht von Anhalt-Bernburg, geboren am 23. Febr. 1769, hat sich als Vormünderin und Regentin des Fürstenthums Lippe nicht nur bei ihren Lebzeiten in weiten Kreisen einen hochgeachteten Namen, sondern auch durch ihre kraft- und weisheitsvolle Regierung im lippischen [276] Lande ein bis auf den heutigen Tag dauerndes dankbares Andenken erworben. Erzogen zu Ballenstädt unter Leitung ihres Vaters als dessen stete Gefährtin und Gehülfin bei seinen Regierungsgeschäften entwickelte sie schon früh neben allen Vorzügen edler Weiblichkeit Charakter- und Geisteseigenschaften wie sie sonst nur Männern eigen sind. Wiewol von Natur und durch Anregung Gleim’s mehr zur Beschäftigung mit Litteratur und Poesie und ruhigem Stillleben geneigt, hatte doch ihr Geschick sie zu einer hervorragenden politischen Thätigkeit bestimmt, indem sie sich im Januar 1796 mit dem Fürsten Leopold zur Lippe vermählte, welcher, nachdem er in seiner Jugendzeit mehrere Jahre an Geisteskrankheit gelitten, schon am 4. Februar 1802 mit Hinterlassung von zwei Söhnen starb. Sie genoß schon damals ein solches Vertrauen, daß man ihr, gegen die Regel der lippischen Hausgesetze, die Vormundschaft und Landesregentschaft übertrug, welche sie mit einem aus zwei landständischen und einem Regierungsmitgliede bestehenden Collegium 18 Jahre lang mit rastloser Thätigkeit und Selbstaufopferung geführt hat. Die geistreiche Fürstin war die Seele dieser Regierung; von ihr ging fast immer der Anstoß aus zu dem, was während ihrer Regierung zum Wohle des Landes geschah. In der schwierigen Zeit während des Kaiserthums und der Napoleonischen Kriege war ihr ganzes Bestreben darauf gerichtet, ihr Land vor Bedrückungen und Gefahren möglichst zu schützen, und das ist ihrer geschickten Hand in solchem Maße gelungen, daß Lippe damals der Umgegend als eine Oase in der Wüste erschien. Selbstverständlich trat sie, wie zahlreiche deutsche Fürsten, dem Rheinbunde bei, die einzige Möglichkeit, die Integrität und Selbstständigkeit des Landes zu erhalten und seine Lasten zu erleichtern. Sie wirkte für diesen Zweck mit unglaublicher Thätigkeit durch Correspondenz mit französischen und westfälischen Staatsmännern, sowie durch Reisen nach Mainz und Paris, um bei Napoleon, seiner Gemahlin, seinen Ministern, dem Fürsten Primas für ihr Land persönlich das Wort zu führen. (Ein interessantes Tagebuch ihrer Reise nach Paris 1807 ist in der Zeitschr. Germania von Rud. Wagner 1863 auszugweise veröffentlicht worden.) Der Erfolg war, daß Lippe nicht dem Königreiche Westfalen oder dem Großherzogthum Berg incorporirt und von Einquartierungen und Requisitionen bis Ende 1813 fast ganz verschont wurde. Das Truppencontingent des Landes nahm zur Rheinbundszeit an den Feldzügen in Spanien, Tirol und Rußland theil und wurde nach dem Umschwung sofort zur Armee der Alliirten gestellt. Mit gleichem Eifer wandte sich die Fürstin während und nach der Kriegszeit den damals noch sehr patriarchalischen Institutionen des Landes zu, welche sie in zeitgemäßem und freiheitlichem Geiste, ohne Schonung veralteter Standesvorrechte, zu verbessern suchte. Dahin gehört die Einführung der allgemeinen Militärpflicht mit kurzer Dienstzeit und einer ohne Rücksicht auf Steuerprivilegien gleichmäßig auf das Einkommen der Bevölkerung, auch des Domaniums gelegten Kriegssteuer, Reform des Finanzwesens, der Justiz, ausgedehnte Wegebauten, festere Stellung der Staatsdiener, Aufhebung der Leibeigenschaft, endlich Einführung einer Repräsentativ-Verfassung. Sie drang vor allem auf Vertretung des im Laufe der Zeit kräftig entwickelten und bei den Staatslasten am stärksten betheiligten Bauernstandes, fand aber bei den allen Neuerungen widerstrebenden, von Selbstsucht und Kastengeist beseelten Ständen von Ritterschaft und Städten einen Widerstand, an welchem alle Einigungsversuche scheiterten. Sie entschloß sich deshalb, zur Erfüllung einer Verpflichtung der Bundes-Acte im J. 1819 eine landständische Verfassung zu octroyiren, welche jedoch durch den Bundestag auf Beschwerde von Ständen und Agnaten sistirt wurde. Diese landständischen Kämpfe sind erst lange nach ihrem Tode zum Abschlusse gelangt. Neben den legislativen Reformen war es vor allem das Schulwesen, die Armenpflege, [277] Gründung wohlthätiger und gemeinnütziger Anstalten, Hebung der allgemeinen Sittlichkeit und Religiosität des Volks, was das Herz der Regentin beschäftigte. Zu den bedeutenden Kosten solcher Reformen trug sie mit freigebiger Hand aus eigenen Mitteln bei und wußte die Privatwohlthätigkeit dafür anzuregen. Ihre pädagogischen Ideen veröffentlichte sie zuweilen in den damals vom Gen.-Sup. von Cölln redigirten „Beiträgen zur Beförderung der Volksbildung“, correspondirte darüber mit auswärtigen Sachverständigen, wie Zeller in Zürich. suchte sich durch Abgeordnete nach der Schweiz über die Pestalozzi’sche Methode zu informiren und wußte zur Ausführung ihrer Pläne überall die richtigen Werkzeuge zu finden. So ist namentlich das Schulwesen des Landes durch ihre Fürsorge zu einer damals beispiellosen Blüthe gelangt. Unter den von ihr geschaffenen Wohlthätigkeitsanstalten verdient besonders die mit dem Lehrerseminar verbundene „Pflegeanstalt“ zu Detmold genannt zu werden, welche zu einem Waisen-, Kranken-, freiwilligen Arbeitshause, einer Schule für Handarbeit und einer Kleinkinderbewahranstalt, jetzt Paulinenanstalt genannt – der ersten in Deutschland – bestimmt war. Für Bettler und Vagabunden wurde ein Zwangsarbeitshaus errichtet und schon seit 1804, als man noch wenig an Pflege der Geisteskranken dachte, sorgte die Fürstin für Gründung einer Irrenanstalt zu Brake, welche im J. 1811 eröffnet wurde. Ueberhaupt war sie in socialpolitischen Bestrebungen ihrer Zeit weit voran. Erfüllt von einem strengen Pflichtgefühl nahm sie persönlich an den Sitzungen der Regierung und der Rentkammer theil und hielt zweimal wöchentlich Audienzen, wo jeder Unterthan mit Bitten und Beschwerden bei ihr Zutritt und stets gerechte und humane Behandlung fand. Was die edle Frau ihrer näheren Umgebung durch Eigenschaften des Geistes, durch den mächtigen Zauber ihrer Persönlichkeit gewesen ist, lebt noch fort im Munde der Nachkommen. Nachdem sie im J. 1820 mit einer feierlichen Abschiedsrede die Regierung in die Hand ihres ältesten Sohns Leopold niedergelegt hatte, wurde ihr von der Stadt Lemgo das Amt des regierenden Bürgermeisters angetragen, sie starb aber schon am 29. December dess. J. Die Regierung Paulinens, so schreibt ein zeitgenössischer Schriftsteller mit Recht, „wird in der lippischen Geschichte stets eine ihrer glänzendsten Perioden bleiben“.

Reiches Material enthält Clostermeiers Krit. Beleuchtung. 1817. – Vgl. Zeitgenossen (Leipzig 1822) Bd. II, Heft VI, S. 7–74.