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Artikel „Oswald von Wolkenstein“ von Joseph Schatz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 137–139, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oswald_von_Wolkenstein&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 04:54 Uhr UTC)
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Wolkenstein: Oswald von W. (1367–1445). Er wurde als der zweite Sohn Friedrich’s v. W. auf dem Schlosse Trostburg in Südtirol geboren. Wie er in seinen Gedichten angibt, hat er schon als zehnjähriger Knabe sich aus der Heimath entfernt und durch eine Reihe von Jahren ein abenteuerliches Leben geführt. Wenn auch genaue Angaben fehlen, so ist doch aus den Gedichten bestimmt zu entnehmen, daß er außerordentlich weit herumgekommen ist. Er rühmt sich der Kenntniß von zehn Sprachen; er hat sich an den Kämpfen in Lithauen betheiligt und vielleicht schon in seiner Jugend den Markgrafen Sigmund von Brandenburg, den nachmaligen Kaiser, kennen gelernt. Im September 1397 tritt er zum ersten Male auf und zwar in Tirol. Sein Vater, der 1400 starb, hatte seinen ererbten Besitz bedeutend vermehrt und eine angesehene Stellung unter dem Tiroler Adel erlangt. Unter seinen neu erworbenen Gütern war auch die Burg Hauenstein, gegenüber von Kastelrutt, auf welche der in Südtirol begüterte Edelmann Martin Jäger rechtmäßige Ansprüche hatte. Der Rechtsstreit um Hauenstein währte über dreißig Jahre und hatte für Oswald’s Leben einschneidende Folgen. Ihm fiel bei der Erbtheilung im J. 1407 Hauenstein zu und damit die Pflicht, die Familie Jäger für das, was ihr die Wolkensteiner seit Jahren entrissen hatten, zu entschädigen. Oswald hatte nie die Absicht, es zu thun und wurde erst 1427 durch Herzog Friedrich von Tirol zu einem endgiltigen Ausgleich gezwungen. Ein Liebesverhältniß zu Martin Jäger’s Tochter, das auf diese ein ungünstiges Licht wirft, brachte ihm schlimme Enttäuschungen; sie veranlaßte ihn, wol um seiner los zu werden und ihn zu entfernen, eine Fahrt ins heilige Land zu machen und heirathete inzwischen den Hausmann in Hall. Trotzdem hielt der verblendete Dichter an ihr durch dreizehn Jahre fest; sie heirathete ihn auch nicht, als sie Wittwe geworden war. Im October 1401 machte er den Zug König Ruprecht’s nach Oberitalien mit, 1402 war er nach einem Zeugnisse seiner beiden Brüder nicht im Lande. Als der mächtige Adel Tirols sich vereinigte, um dem Landesfürsten gegenüber sich soviel Rechte als möglich zu sichern, waren die Wolkensteiner lebhaft betheiligt. W. gab sich leidenschaftlich den politischen Bestrebungen des Tiroler Adels hin und als Herzog Friedrich mit König Sigmund in Feindschaft gerieth, war er es, der die Verbindung zwischen dem Tiroler Adel und Sigmund unterhielt. Im J. 1415 war W. bei Sigmund, vielleicht ist er in dessen Auftrag nach Spanien geschickt worden; nach einer Bemerkung in einem Gedichte hat er die Gewinnung von Ceuta mitgemacht. Am 18. September d. J. traf er mit Sigmund in Perpignan zusammen. 1417 ist er als Zwischenhändler um die Sache des Tiroler Adels bei Sigmund zu vertreten, [138] beim Concil zu Constanz anwesend; in diesem Jahre heirathete er Margareta von Schwangau und hielt sich in der Folgezeit größtentheils in Tirol auf. Der Streit mit Jäger wurde heftiger denn je geführt; da er auf rechtlichem Wege kein Ende nehmen wollte, nahm Martin Jäger im Herbste 1421 den Dichter gefangen: mit Gewalt und durch schwere Mißhandlung sollte W. zur Zahlung einer Entschädigung für Hauenstein gezwungen werden. Im März 1422 wurde er auf Veranlassung des Herzogs Friedrich frei; aber schon im August nahm ihn dieser selbst gefangen, nachdem er ihn und seine Brüder am 8. August noch mit Trostburg belehnt hatte. W. hatte sich jedenfalls in politischen Dingen viel zu Schulden kommen lassen, der unermüdliche Gegner des Landesfürsten sollte gezwungen werden, auch im politischen Leben endlich sich ruhig zu verhalten. König Sigmund’s drohende Haltung verschaffte dem Gefangenen im December 1423 die Freiheit. 1424 ist W. auf einer Reise nach Heidelberg und an den Rhein. 1425 war er bei Sigmund in Preßburg, eifrig thätig für seine adeligen Verbündeten gegen den Tiroler Herzog und erhielt vom Könige freies Geleite zur Aussöhnung mit diesem. Er benützte es jedoch nicht, sondern kämpfte nur heftiger gegen seine Feinde. Als die Macht des tirolischen Adels mit der Niederwerfung der Starkenberger gebrochen war, scheint sich W. an die Grafen von Görz gewendet zu haben, um der verlornen Sache des Adels weiter zu helfen. Im Februar 1427 wurde er vom Herzoge zum Landtage in Bozen vorgeladen; er entzog sich der Verantwortung durch die Flucht, wurde aber in den Vorlanden aufgegriffen und vom Herzog gefangen gesetzt. Nur durch die Bitten seiner mächtigen Freunde entging er der Todesstrafe und söhnte sich endlich am 1. Mai 1427 endgültig mit Herzog Friedrich und Martin Jäger aus. Friedrich hatte den beweglichen Gegner dauernd zur Ruhe gebracht und dessen Freunde durch die Aussöhnung sich nicht zu Gegnern gemacht. W. wurde vom Herzoge verpflichtet, einen Zug gegen die Hussiten mitzumachen; schon 1419 war er einmal in Mähren. 1430 war er auf dem Reichstage in Nürnberg, 1431 begleitete er Sigmund nach Italien und reiste im Mai 1432 im Auftrage des Königs nach Basel zum Concil. Er ist wol nicht mehr nach Italien zurückgekehrt, im März 1433 ist er in seiner Heimath nachzuweisen. Auch noch nach der Aussöhnung mit dem Herzoge war er im öffentlichen Leben in der Heimath thätig; in Streitigkeiten mit dem Bischof von Brixen spielt er Ende 1427 eine Rolle; einem Schreiben seiner Frau Margareta, die ihn überlebte (sie wird am 26. Februar 1448 als todt erwähnt), ist zu entnehmen, daß er im öffentlichen Leben viel beschäftigt war und sich vor Feinden zu hüten hatte (28. Mai 1443). Eine Urkunde vom 2. August 1445 bezeichnet ihn als todt.

Sein unruhiges Leben spiegelt sich in seinen Dichtungen. Zwar fehlt es sehr an der Klarheit der Darstellung und seine Gedichte lassen sich nur mühsam für seine Lebensgeschichte verwerthen; eine Reihe von ihnen behandeln ausschließlich, andere in Anspielungen Begebenheiten aus seinem Leben, wieder andere Zeitereignisse, an denen er Antheil nahm, ohne persönlich daran betheiligt gewesen zu sein. Er verfügt über ein bedeutendes dichterisches Talent und vermag jeden Stoff den er aufgreift, in den verschiedensten Strophenformen des Liedes unterzubringen; bei manchen Gedichten ist deutlich zu erkennen, daß es dem Dichter in erster Linie darum zu thun war, seiner Neigung zu gekünstelter Technik in Verwendung der Strophenformen und des Reimes nachzugehen. Daß seine musikalische Ausbildung, die von Musikkennern hoch angeschlagen wird, dieser Neigung Vorschub leistete, ist leicht ersichtlich. Originell ist er seiner ganzen Natur nach. Gerade jene Gedichte, in welchen er einen allbekannten, vorhandenen Stoff behandelt, wie die Sprüche Freidanks, das sündige Leben der Welt, das Leiden Christi nach Art der Passionsspiele, sind poetisch schwache [139] Leistungen. Ganz anders sind seine Liebeslieder; hier weiß er alle Saiten der sinnlichen Leidenschaft anzuschlagen und in lebhaftem, freilich oft ungeordnetem Wechsel zu verwerthen. Er zeigt sich als Kenner des Minnesanges, hat das Tagelied in verschiedenen Formen verwerthet, weiß vom Verheimlichen des Liebesverhältnisses, von Merkern, Meldern, aber nur zu häufig wird in diesen Gedichten der Ausdruck des innigen Empfindens durch das unverhüllte Aussprechen sinnlichen Begehrens begleitet und thut der lyrischen Wirkung Eintrag. Hierin zeigt sich der gelehrige Schüler der höfischen Dorfpoesie und unter den Gedichten dieser Gattung sind solche, welche den ärgsten der früheren Zeit bezüglich der Unsittlichkeit nicht nachstehen. Ein anderes für W. bezeichnendes Moment ist es, daß er seine Gattin Margareta mit derselben sinnlichen Leidenschaft besingt und von ihr mit den gleichen Ausdrücken spricht, wie von den Mädchen, denen die Gedichte seiner „niedern“ Minne gelten. Als er sie heirathete, war er fünfzig Jahre alt; später hat er mehrere Anspielungen in seine Gedichte einfließen lassen, aus denen hervorgeht, daß sein Familienleben nicht ohne Trübung war. Das Volkslied, und die Volkspoesie überhaupt, hat stark auf ihn gewirkt. Daß W. Ausbildung im Gesange erhalten hat, erzählt er selbst; daß er die Technik des Meistergesanges kennen lernte, ersieht man aus seinen lehrhaften Gedichten, in welchen er die Mutter Gottes verherrlicht, Betrachtungen über die Nichtigkeit des weltlichen Getriebes macht und voll Reue sich sein sündiges Leben zu Herzen nimmt. Die Darstellung ist realistisch; überaus häufig hat der Dichter seine Persönlichkeit eingeflochten, besonders liebt er es, über seine widrigen Schicksale ironische Worte zu machen. Die sprunghafte Erzählung seiner geschichtlichen Gedichte ist ebenso wie die Liebeslieder von Anrede und Gegenrede durchzogen und einige seiner Gedichte sind geradezu lyrische Gespräche. In der Composition vermißt man oft jegliche Sorgfalt. Planlos sind nicht zusammengehörende Dinge nebeneinander erwähnt, der Dichter bewegt sich viel in unvermittelten Gegensätzen; ausführliche Darstellung neben lückenhafter Erwähnung, grobe Kleinmalerei zeigen, daß er an eine künstlerische Glättung seiner Producte nicht dachte. Mit dem Maßstabe seiner Zeit gemessen, ist W. eine hervorragende Erscheinung, ein gut begabtes Talent, in dem sich die Ueberlieferungen des Minnegesanges fruchtbar gezeigt haben, sodaß er nicht mit Unrecht der letzte Minnesänger genannt wird. Aber auch der Meistergesang hat ihn bedeutend beeinflußt und es ist von Interesse zu beobachten, wie sich diese beiden litterarischen Strömungen in diesem Lyriker geltend gemacht haben. Zeitlich ist seine dichterische Thätigkeit vom Ende des 14. Jahrhunderts bis in seine späten Lebensjahre zu verfolgen. – Sein Charakter weist, abgesehen von seiner politischen Thätigkeit, alle Schattenseiten des absterbenden Ritterthums auf; man erkennt ihn aus seinen Gedichten zur Genüge.

Oswald von Wolkenstein und Friedrich mit der leeren Tasche. Von Beda Weber. Innsbruck 1850. – Wichtige Untersuchungen zur Lebensgeschichte von Anton Noggler, Zeitschrift des Ferdinandeums. N. F. Bd. 26 und 27. Innsbruck 1882 und 1883. – Ders. Zeitschrift für deutsches Alterthum 27, 179. – O. v. Zingerle, ebenda 24, 268. – G. Bösch, Anzeiger für die Kunde der deutschen Vorzeit 27, 79. – Max Herrmann, Seuffert’s Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte 3, 602. – Die Gedichte Oswalds von Wolkenstein. Herausgegeben von Beda Weber. Innsbruck 1847. – Ignaz v. Zingerle, Oswald von Wolkenstein, Wiener Sitzungsberichte, 64, 617 ff. 1870. – J. Bächtold, Deutsche Hdsch. aus dem britischen Museum 1873. S. 95–108. Uebersetzungen der Gedichte von J. Schrott. Stuttgart 1886 und L. Passarge, Leipzig (Reclam). – Weitere Litteratur verzeichnet Goedeke, Grundriß I² 306 und Wurzbach, Biogr. Lexikon 58, 64 ff.