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Artikel „Ortlieb aus Straßburg“ von Herman Haupt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 714–715, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ortlieb_aus_Stra%C3%9Fburg&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 07:52 Uhr UTC)
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Ortlieb aus Straßburg, Stifter einer ketzerischen Secte, um 1200. – Von den Lebensverhältnissen des Straßburger O., des Stifters der Secte der Ortlieber oder Ortliebarier, wissen wir nur das Eine, daß er vom Papst Innocenz III. (1198–1216) als Ketzerhaupt verurtheilt wurde. Man darf damit vielleicht eine Angabe der Straßburger Annalen in Verbindung bringen, wonach im J. 1215 viele Ketzer verbrannt wurden. Die Hauptquelle für die Kenntniß der Lehren Ortlieb’s und seiner Secte ist das Sammelwerk des sogenannten „Passauer Anonymus“, eines österreichischen Geistlichen der Passauer Diöcese aus der Zeit von 1260–1270, neben dem die derselben Zeit angehörenden Angaben des Stephan v. Bourbon nur mit großer Vorsicht zu benutzen sind. Der katholischen Kirche standen die Ortlieber in schroffer Feindseligkeit gegenüber: sie lehnen namentlich die katholische Sacramentverwaltung ab, verwarfen das Priesterthum der katholischen Kirche und haben ihre eigenen Reiseprediger (Perfecti), welche priesterliche Rechte für sich in Anspruch nehmen. Sie leugnen ferner die Lehre von der Auferstehung des Fleisches, nehmen eine ewige Dauer der Welt an und betrachten jede sexuelle Verbindung, auch in der Ehe, als sündhaft. Die biblischen Berichte werden von den Ortliebern in überaus freier, allegorischer Weise ausgelegt, sodaß ihnen z. B. die Thatsachen des Lebens Christi nur als eine symbolische Darstellung der sittlichen Entwicklung des einzelnen Menschen erscheinen. Auch die Trinitätslehre wird von den Ortliebern in solcher allegorischen Weise umgedeutet. Noch in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Deutschland und im südöstlichen Frankreich weit verbreitet, ist die Ortliebersecte in der Folge durch das Waldenserthum rasch aufgesogen worden.

Während frühere Forscher die Ortlieber dem pantheistischen Sectenkreise [715] zugerechnet hatten, hat Karl Müller in ihnen einen Zweig der lombardischen Waldenser sehen wollen. Demgegenüber hat der Unterzeichnete auf das nahe Verhältniß von Ortlieb’s Lehren zum Katharerthum hingewiesen, von dem die Ortlieber, wenn sie nicht geradezu als eine Katharer-Secte anzusehen sind, jedenfalls eine tiefgehende Beeinflussung erfahren haben.

Jundt, Histoire du panthéisme populaire p. 31 ff., 37 ff. – W. Preger, Geschichte der deutschen Mystik I, 191 ff. – H. Reuter, Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter II, 237 ff. – Ch. Schmidt, Die Secten in Straßburg im Mittelalter (Zeitschr. f. histor. Theologie X [N. F. IV, 1840], S. 48 ff.). – K. Müller, Die Waldenser und ihre einzelnen Gruppen, in den Theolog. Studien und Kritiken, Jahrg. 1887, S. 106 ff., 143 ff., im Sonderabdruck S. 130 ff., 169 ff. – H. Haupt, Waldensia, in Zeitschr. für Kirchengeschichte, Bd. X, S. 316 ff.