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Artikel „Odilia, die heilige“ von Wilhelm Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 149–150, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Odilia&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 11:10 Uhr UTC)
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Odilia, die heilige, soll nach der Legende die Tochter des elsässischen Herzogs Eticho und seiner Gemahlin Berswinde gewesen sein. Blindgeboren wurde sie durch die Mutter von den mörderischen Plänen ihres Vaters, dem ihr Unglück als seine Schmach erschien, gerettet, in verborgener Stille im Kloster Palma auferzogen und durch den bairischen Bischof, den heiligen Erhard, in der Taufe von ihrer Blindheit befreit. Durch die Vermittlung ihres Bruders, der dabei unter den Streichen Etichos sein Leben verlor, heimgeführt überwand sie in ihrer gottseligen, bescheidenen Haltung den feindlichen Sinn des Vaters, der ihr die Hohenburg, auf dem Hochrande der Mittelvogesen gelegen, zur Einrichtung eines Klosters übergab. Hier hat sie inmitten einer großen Schaar frommer Gefährtinnen, nachdem sie auf halber Höhe des Berges noch das bequemer liegende Kloster Niedermünster gegründet hatte, im wunderthätigen [150] Wandel den Rest ihrer Tage verbracht und ist eines seligen Todes entschlafen. Derselbe wird auf den 13. December verlegt, der im Mittelalter, vorzugsweise in der Straßburger Diöcese, als der Festtag der heiligen Odilie gefeiert wurde. Die in der Legende erzählten Begebenheiten würden in die spätere Merovingerzeit, um das Jahr 700 etwa zu setzen sein, die Legende selbst ist schwerlich vor dem 12. Jahrhundert entstanden. Urkundlich sicher beglaubigt erscheint die heilige Odilia zum ersten Male in dem Privileg des Papstes Leo IX. vom 17. December 1050 für das Kloster Hohenburg „ubi requiescit corpus sancte virginis Odiliae“, ein Altar ist ihr geweiht und wenigstens andeutungsweise wird Odilia als die Stifterin des Klosters schon hier bezeichnet. Die frühern, sehr dürftigen Nachrichten über die Geschichte desselben, die bis in die Zeit Karls des Großen zurückreichen, erwähnen sie nicht. Ein Legendenfragment, das den Anspruch erhebt, gleichzeitige Quelle zu sein und bis vor Kurzem fast allgemein als glaubwürdig anerkannt wurde, auch von Forschern wie Rettberg und Hegel, ist durch die jüngsten Untersuchungen eines französischen Gelehrten, Julien Havet, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit als eine Fälschung des 17. Jahrhunderts nachgewiesen worden. Vom 12. Jahrhundert ab tritt uns jedenfalls die Tradition über das Leben der heiligen Odilia völlig ausgebildet und auf der Hohenburg localisirt entgegen. In diese Zeit ist auch ihr gefälschtes Testament zu setzen und fällt die Entstehung der merkwürdigen Sandsteinreliefs im Kreuzgang des Klosters, die uns u. a. Odilia in der Tracht der Stiftsschwestern zeigen, wie sie vom Herzog Eticho ein Buch empfängt d. h. belehnt wird. Ob diese Reliefs nach ältern verlorenen Sculpturen des 8. Jahrhunderts gearbeitet sind, wird sich wohl ebenso wenig erweisen lassen, wie die Annahme, daß die Odilienlegende von jenseits der Vogesen, vom lothringischen Kloster Moyenmoutier entlehnt und durch die Mönche von Ebersheimmünster ins Elsaß verpflanzt wurde.

Die beste ältere Litteraturübersicht bei J. Gyß, der Odilienberg, Legende, Geschichte und Denkmäler, Rixheim 1874. – Kraus, Kunst und Alterthum in Elsaß-Lothringen I, 219 ff. Zur Kritik vergl. den Aufsatz von K. Roth in der Alsatia 1856–57, S. 65 ff. und Bibliothèque de l’école des chartes 1885 S. 205 ff.