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Artikel „Milde, Karl Julius“ von Andreas Ludwig Jakob Michelsen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 737–741, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Milde,_Carl_Julius&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 15:39 Uhr UTC)
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Band 21 (1885), S. 737–741 (Quelle).
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Milde: Karl Julius M., Maler, insbesondere hochverdienter Conservator und Restaurator mittelalterlicher Kunstdenkmäler des nördlichen Deutschlands, geboren in Hamburg den 16. Febr. 1803. Sohn eines durch die französische Occupation schwer betroffenen Gewürzkrämers, dessen zerrüttete Verhältnisse sich allmählich, in Folge successiver Anstellung in dem einen und anderen bescheidenen städtischen Amte etwas verbesserten, gewöhnte er sich frühe an Entbehrung und Einschränkung, vor Allem aber, nach des Vaters Vorbilde, an unermüdliche Thätigkeit. Nur in einer Elementarschule unterrichtet, hat er schon als Knabe und Jüngling es sich zur Regel gemacht, jeden Tag zwischen Handarbeit und bildender Lectüre zu theilen; einer Regel, welcher er bis ins späteste Alter treu geblieben ist. Den ersten Unterricht im Zeichnen hatte er bei Gerdt Hardorff, im Malen bei Christopher Suhr und bei Siegfried Bendixen, welchen eine lange Reihe von Hamburger Künstlern die Grundlage ihrer Technik verdankte. Zu besonderem Segen gereichte ihm das innige Verhältniß zu dem Hause Joh. Michael Speckter’s, damals Mittelpunkt für Künstler und Kunstfreunde, ja für alle geistig bedeutenden Männer Hamburgs. Hier wurde nicht allein sein Sinn für alles Große und Schöne in Kunst und Litteratur überhaupt, sondern besonders auch auf die weniger beachteten Ueberlieferungen der altdeutschen Kunst hingelenkt. Im Jahre 1823 durchwanderte er mit dem um einige Jahre jüngeren Sohn des Hauses, Erwin Speckter, die nördlich der Elbe gelegenen Grenzländer; vorzugsweise fühlten sie sich von den Städten Schleswig (Hans Brüggemann’s herrlicher Altarschrank) und Lübeck, welches ihnen so viel und mannigfaches darbot, gefesselt. Hier (in der Greveradenkapelle in der Domkirche) zeichneten sie das reiche Altarbild von Hans Memling, dessen Copie später in der Speckter’schen Steindruckerei erschienen ist. Nachhaltigen Gewinn hatten die kunsteifrigen Jünglinge von dem Besuche, welchen sie dem Freiherrn von Rumohr auf seinem nahe bei Lübeck gelegenen [738] Gute Rothenhausen, abstatteten. Durch ihn ließ M. sich bestimmen, bevor er nach Italien gehe, sich in Deutschland weiter zum Maler auszubilden. Auf seinen Rath zog er im Frühjahr 1824 nach Dresden, wo er zwei in hohem Grade anregende und förderliche Freundschaften fürs Leben schloß, mit dem Kupferstecher Thäter und dem Bildhauer Rietschel. Im folgenden Sommer trat er mit E. Speckter eine größere Reise an, zunächst nach München, wo sie zu ihrer Ausbildung sich niederließen, aber schon im Jahre darnach aufbrachen, um als aufmerksame Beobachter von Natur und Kunst Ober- und Mittelitalien bis Rom, dann Südost- und Südwestdeutschland zu durchforschen. Ueber den Rhein kehrten sie nach Hamburg zurück. Einen zweiten längeren Aufenthalt in Italien, welchen M. so glücklich war, sich bereiten zu können, füllte die Zeit vom Herbste 1830 bis ins Frühjahr 1832. Er sah Neapel, Pompeji, Pästum, Salerno, verweilte aber am längsten in Rom, Perugia und Assisi. Mit Begeisterung schloß er sich an Overbeck und dessen Schule an. Während er seine Charakterstudien vorwiegend an älteren Meistern, namentlich der deutschen Kunst machte, unterließ er nicht, sich auch in künstlerischer Anordnung größerer Compositionen, im Decorativ, Kostüm etc. zu versuchen. Gefüllte Skizzenbücher, mit theilweise sorgfältig ausgeführten Zeichnungen, enthalten werthvolle Zeugnisse seiner ebenso sinnigen als fleißigen Arbeit. Sie beweisen den besonderen Blick, den er schon damals für Architektur, Eigenthümlichkeiten der Volkstracht, für Land und Leute besaß.

Er kehrte durch die westliche Schweiz, meistens als rüstiger Fußwanderer, zurück. Daß es ihm versagt war, Italien noch einmal, und zwar mit gereifterem Kunstverständniß zu besuchen, hat er oft bedauert. Die Schweiz, Mittel- und Süddeutschland hat er wiederholt in Ferienreisen für sein specielles Interesse durchmustert, gelegentlich auch Dänemark kennen gelernt. Zahlreiche Streifzüge hat er in Norddeutschland gemacht, nicht allein um die jeder Landschaft eigenthümlichen älteren Kunstdenkmäler gründlich zu studiren, sondern auch zur Ausführung ihm übertragener ehrenvoller Aufgaben.

Hamburg blieb bis gegen Ende der dreißiger Jahre dss. Jahrhunderts Milde’s eigentlicher Wohnort und der Mittelpunkt seiner Wirksamkeit. Hier legte er sich besonders auf die Historienmalerei, welche er als seine Lebensaufgabe ansah. Jedoch hat er hierin, außer einigen umfangreicheren Entwürfen, nur einige zu Kirchenbildern bestimmte Oelgemälde fertig gebracht. Auch Porträts hat er gemalt, welche ihm jedoch besser in der Zeichnung gelangen, als in farbiger Ausführung, in deren Behandlung er überhaupt nicht glücklich war und in seiner Selbstkritik auffallend irre ging. Dennoch hat er in der höheren Decorationsmalerei sowohl enkaustisch wie al fresco vielfach vortreffliches geleistet. Schon während seiner Hamburger Zeit schmückte er mit E. Speckter einen Saal im Hause des Dr. Abendroth; auch stellte er die Geschichte des Rosses Bejard (Haimonskinder) am Frontispice eines zur Villa des Syndicus Sieveking gehörigen Stallgebäudes künstlerisch dar. In diesen letzten längeren Aufenthalt Milde’s in der Vaterstadt fällt aber auch die entschiedene Entwickelung seiner naturwissenschaftlichen Neigung, und zwar in inniger Verbindung mit seiner Kunstthätigkeit. Seine reichen, wohlgeordneten Herbarien, Käfersammlungen u. a. m., um welcher willen er mit dem fernsten Auslande in Verbindung stand, mögen hier nur kurz erwähnt werden; sowie denn auch nachfolgende Titel der um jene Zeit von ihm herausgegebenen Bücher hauptsächlich den Ernst, sowie das vielseitige Interesse bezeugen sollen, mit welchem er sich auch theoretisch in das Studium der Natur versetzte: G. Biedermann, Günther und C. J. Milde, „Die chirurgische Muskellehre in Abbildungen“, Hamburg, J. A. Meißner, 1838, gr. 4. Mit 40 Tafeln. color. Abbild. in 6 Heften; G. Günther, „Das [739] Handgelenk in mechanischen, anatomischen und chirurgischen Beziehungen. Mit Zeichnungen von J. Milde“, Hamburg, Meißner 1841; Dieselben, „Die chirurgische Knochenlehre, mit Abbildungen“, Hamburg, Meißner 1844 (vgl. Hamb. Schriftsteller-Lex., Bd. III. Ser. 1. Nr. 1361).

Seine größte und vielseitigste Wirksamkeit aber hat er in Lübeck entfaltet, welches er schon seit 1823 zu öfteren Malen besucht, und wo er besonders den Familien Overbeck, Curtius, Claudius freundschaftlich näher getreten war. Der ihm befreundete Architekt Lauenberg, nach dessen Tode Gascard, zogen ihn zu den im Hause des schwedischen Consuls A. Nölting unternommenen Arbeiten heran, welche auf den stilvollen Umbau und die geschmackvolle innere Ausstattung seines Hauses abzielten. Und in diesem Hause hat er, der sonst Alleinstehende, seit 1838 bis zu seinem Tode Wohnung, freundlichen Familienanhalt und die mannigfachste Anregung, sowie endlich auch die unentbehrliche Pflege gefunden. Der ihm so innig befreundete Prof. Mantels (Bd. XX, S. 253) ehelichte die Tochter des Hauses, in welchem auch Emanuel Geibel täglich verkehrte. Im J. 1841 ward er festangestellter Zeichenlehrer am Lübecker Katharineum, mit einem Gehalte, das seinen bescheidenen Lebensansprüchen genügte. An die alte Hansestadt fühlte er sich durch die zahlreichen Ueberreste mittelalterlicher Größe und Herrlichkeit, zugleich aber durch die von vielen Seiten ihm begegnende Gastlichkeit gefesselt, für welche er im besten Sinne des Wortes sehr empfänglich war. Hier bot sich überdies dem arbeitseifrigen Manne die Aussicht auf mannigfache, seinem Geschmack entsprechende Beschäftigung.

Erwähnen wir zunächst der Leistungen, die von seiner bis ans Ende treu gepflegten naturwissenschaftlichen Liebhaberei zeugen. In Prof. Günther’s Auftrage zeichnete er Irre, für Dr. Trier zu Hamburg sogar Leichen und Leichenpräparate. Pflanzen, Insecten, Schmetterlinge hat er aufs Sauberste ausgemalt, und einzelne Gruppen vollständig ausgeführt. Hervorzuheben sind Milde’s Verdienste um das Lübecker naturhistorische Museum. Als Vorsteher, nachheriger Conservator hat er hier dreißig Jahre lang so gut wie allein gearbeitet. Er katalogisirte und numerirte, er conservirte und correspondirte und trug wesentlich zum steten Wachsthum der Sammlungen bei. Das Museum enthält auch eine Menge von ihm secirter und präparirter Thierskelette, darunter den ersten hierher gelangten Gorilla.

Hauptsächlich aber verdienen unsere Aufmerksamkeit diejenigen Arbeiten Milde’s, welche als Früchte der kunstgeschichtlichen Studien seiner Wanderjahre zu betrachten sind. Der oben genannte Consul Nölting hatte, als einer der Vorsteher der Marienkirche, die Leitung aller baulichen Angelegenheiten derselben übernommen. Als fachkundiger Rathgeber trat M. ihm zur Seite. Und die während der letzten fünfzig Jahre durchgeführte würdige Wiederherstellung der herrlichen Kirche ist vorzugsweise sein Verdienst. Mit der Zeit gewöhnten sich sämmtliche, nicht nur kirchliche, sondern auch bürgerliche Vorsteherschaften, seinen Beirath bei allen wichtigen Fragen zu benutzen. Immer gründlicher lebte er sich in die norddeutsche Kunst und den eigenthümlichen Stil der Stadt ein, welche ihm jetzt als seine Heimath galt, und zwar in Anbetracht aller Kunstgewerbe. Dies bewährte er besonders da, wo er, mit Benutzung des Alten Neues im Geiste der alten Kunst herstellen sollte. Hierbei hat er nicht nur gezeichnet und gemalt, sondern geschnitzt, geformt, modellirt, womit er dem ausführenden Techniker den richtigen Weg zeigte. So sind u. A. ein von ihm modellirter Hängeleuchter und einer der Pfeifer vom Fries des Marstallthors nach Formen, die er gefertigt hatte, in Messing gegossen worden. Ja, er scheute sich auch nicht vor der schwierigeren Technik graphischer Darstellung. Zu sieben Heften der Lübeck’schen Siegel hat er die Tafeln, und noch vieles Andere selbst [740] auf Stein gezeichnet; ja, sogar in Kupfer hat er geätzt. Unter emsiger Einübung immer neuer Vervielfältigungsweisen hat er folgende auf Lübeck bezügliche Werke veröffentlicht. Mit Prof. Deecke gab er 1843–1847 heraus: „Denkmäler bildender Kunst“ (Grabplatten, Mosaikfußböden, Glasfenster), Ansichten von Lübeck zu „Deecke’s Freie- und Hansestadt Lübeck“, das ebenfalls mehrfach aufgelegte charakteristische „Lübecker ABC“, „der Todtentanz in der Marienkirche“. Außerdem lieferte er für verschiedene Vereinszeitschriften, nicht Lübeckische nur, in großer Zahl die erforderlichen Abbildungen. Was er alles der Vergessenheit entrissen oder erst in seinem ursprünglichen Werthe hinstellte, ist hier nicht aufzuzählen. Behalten wir allein die Marienkirche im Auge: so möge nur hingewiesen werden auf die dorthin übergesiedelten prächtigen Glasfenster, das restaurirte hohe Sacramentshaus, die Sacristei mit den Resten des interessanten alten Altars, die Orgel mit Rettung der schönen Façade, das neugebaute Westportal, unzählige Bilder, Grabmonumente etc. Und sowie der Ausbau der Overbeck’schen Kapelle, so war nicht minder die geschmackvolle Ausschmückung des Saales der Handelskammer sein Werk. Die neuen monumentalen Brunnen Lübecks hat er in den Entwürfen, wie in der Ausführung mit begutachtet. Bei dem Vertrauen, das Jedermann nicht nur zu seinem Geschick und feinsinnigem Geschmack, sondern auch zu seiner Freundlichkeit und unerschöpflichen Dienstwilligkeit hegte, wurde er bei den verschiedenartigsten Veranlassungen und von den verschiedensten Leuten um Beihülfe angegangen. So entstanden gar viele zierliche Illustrationen von Titeln, Zuschriften, Widmungen, Randverzierungen u. dgl. In diesem Interesse legte er große und wohlgeordnete Sammlungen von Initialen u. dgl. aus den schönsten Manuscripten des Mittelalters an.

Immermehr ward sein Name auch nach auswärts hin bekannt. So fertigte er, im Auftrage Hamburgs, einen Ehrenbürgerbrief mit sämmtlichen Porträtfiguren des Senats und der angesehensten Bürger (dem hansischen Stahlhofsmeister Colquehoun in London 1835 überreicht), sowie das Dankschreiben Hamburgs an Lübeck nach dem Brande 1842. Auch seine vielfachen Arbeiten für die Zeitschrift d. V. f. Lüb. Gesch. und Alterth. verdienen Erwähnung; noch mehr vielleicht diejenigen für das Lüb. Urkundenbuch, wobei sich ihm, zur Zeichnung der Siegel, das Stadtarchiv öffnete. Der Verein beschloß die Herausgabe eigener Siegelhefte (außer den Siegeln lüb. Bürger, auch die der holsteinischen und mecklenburgischen Städte, des holsteinischen Adels und der Fürsten aus dem schauenburgischen Hause bis jetzt). Zum Theil hat er auch den Text zu den Zeichnungen geliefert. Den Heraldikern und Sphragistikern in immer weiteren Kreisen bekannt, hat er noch mehr derartige Arbeiten ausgeführt.

Den Höhepunkt des Künstlerthums erreichte er durch eine große Arbeit am Abend seines Lebens. Schon frühe hatte er sich auch mit der Glasmalerei, einem altlübischen Kunstzweige, und zwar eingehend beschäftigt. Im bewußten Widerspruch gegen die moderne Technik, hielt er an der alten Kunst fest, welche das Fenster, als zur Architektonik gehörig, mit teppichartigem Untergrunde der Scheiben, behandelte. Er hat außer einem ganz eigenen in der Marienkirche, auch ein von den Künstlern Hamburgs gestiftetes Fenster für die Petrikirche daselbst gemalt. Bei einem Besuche der pommerschen Landkirche Semlow, deren Ausbau er leitete, erregte er gelegentlich eines Besuches, das Interesse des Kronprinzen von Preußen und seiner Gemahlin. Im J. 1865 erhielt er den Auftrag, die oberen Fensterlüchter zwischen den Thürmen des Kölner Domes mit einer zusammenhängenden Composition auszufüllen. Die Aufgabe war das jüngste Gericht. Mit Hilfe eines kunstsinnigen, dazu wohlhabenden Lübecker Glasers und seines geschickten Gehilfen vollendete M. die, achtzehn einzelne große Bilder umfassende [741] Aufgabe. Zu Pfingsten 1870 lieferte er die Fenster ab, wo man sie gegenwärtig, als Bestandtheil des Portals, besonders im Lichte der Abendsonne leuchten sieht. –

Trotz eintretender Altersschwäche während der letzten sechs Jahre, arbeitete er unverdrossen fort, bis er am Schluß des Jahres 1874 seine Functionen als Conservator der verschiedenen Sammlungen der Ges. z. Beförd. gemeinnütziger Thätigkeit aufgeben mußte. Die Gesellschaft ehrte ihn durch Verleihung ihrer goldenen Medaille. Er starb, von allen seinen Mitbürgern geehrt und geliebt, am 19. Novbr. 1875. Seine Sammlungen sind an die verschiedenen Institute Lübecks übergegangen. „Sein lebensgroßer Kopf im Hochrelief erhält – wie Mantels seine Skizze schließt – in der kulturhistorischen Sammlung, der Stätte seiner Wirksamkeit, das Andenken eines Conservators, wie Lübeck keinen zweiten besitzen wird.“ –

Lübeck. Blätter 1875. Nr. 93. S. 521. Zeitschrift des Ver. für Lüb. Gesch. u. Alterthumsk., Bd. III. S. 625 ff. Der deutsche Herold. Siebenter Jahrg. 1876. Nr. 3. S. 29.