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Artikel „Memling, Hans“ von Joseph Eduard Wessely in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 307–309, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Memling,_Hans&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 21:13 Uhr UTC)
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Memling: Hans M., durch falsche Lesart seines Namens früher lange Hemling genannt, bedeutender Maler der van Eyck’schen Schule, geb. um 1430, † zu Brügge 1495. Was man früher über seine Jugend berichtete, daß er, nachdem er sich zum Maler ausgebildet hatte, als Soldat im Heere Karls des Kühnen gekämpft, in der Schlacht bei Nancy 1477 verwundet, sich nach Brügge geschleppt und da im Johanneshospitale verpflegt wurde, hat sich als Fabel erwiesen, die wahrscheinlich dem Umstande ihre Entstehung verdankt, daß sich viele seiner Gemälde in diesem Hospitale befanden. Da Rogier van der Weyden ausdrücklich als sein Lehrer genannt wird, so wird M. seine Jugend in Brüssel verlebt haben. In der Kunst muß er bald große Fortschritte gemacht haben, da ihn sein Lehrer als Mitarbeiter bei seinen Werken verwendete; so wissen wir namentlich, daß er zu einem Mittelbilde der Pietà seines Meisters die Flügel ausführte. Ob er dann Italien besuchte, läßt sich nicht beweisen, bleibt auch unwahrscheinlich. In Brügge wohnte er seit 1470; im J. 1478 malte er für die Buchhändler ein Votivbild und 1479 trat er in die Lucasgilde ein. Zwischen Italien und den Niederlanden bestand damals ein reger Handelsverkehr, der sich selbst auf Gemälde erstreckte. Memling’s Bilder wanderten vielfach nach dem Süden; Cardinal Bembo besaß ein kleines Flügelbild unseres Meisters vom Jahre 1470, auf dem Maria mit dem Kinde einerseits und der heilige Johannes Baptista anderseits dargestellt waren. Drei Jahre später wurde durch Portinari, den Agenten des Hauses Medici, der in Brügge residirte, ein großes Bild bei M. bestellt. Das Mittelbild enthält eine Darstellung des jüngsten Gerichtes, unten steht im ritterlichen Anzug die Riesengestalt des Erzengels Michael mit der Waage, auf den Schall der Posaune gibt die Erde ihre Todten zurück. Die Flügelbilder setzen die Geschichte des Gerichtes fort; auf dem linken Flügel (rechts von Christus) werden die Seligen in das himmlische Paradies aufgenommen, auf dem anderen Flügel die Verdammten in die Hölle verstoßen. Die Außenseiten zeigen Maria und Michael, als Statuen gedacht, [308] grau in grau gemalt und das knieende Donatorenpaar. Nach dem Wappen glaubt man auf die mailändische edle Familie Branda Castiglione schließen zu dürfen, für welche das Bild gemalt war. Diese erhielt es aber nie. Das Schiff, auf dem es verladen war, hatte das Unglück, daß es von einem Danziger Schiffer gekapert wurde, denn die Niederlande befanden sich eben im Krieg mit der Hansa. Das Bild wurde der Marienkirche in Danzig geschenkt, wo es sich noch befindet, nachdem es 1807–1815 in Paris gewesen. Das Johanneshospital in Brügge bewahrt viele Werke unseres Meisters. Eines stellt die Vermählung der heiligen Katharina vor; diese geht in bekannter üblicher Form in einer gothischen Halle vor; zwei Engel und die beiden Johannes (Bapt. und Evang.) stehen gleichsam als Zeugen des Vorgangs zu beiden Seiten der Madonna. Auf den Flügeln sind apokalyptische Scenen dargestellt und auf den Außenflügeln sieht man die Stifter des Werkes: Anton Zeghers und Jacob van Kueninc, die Spitalschwestern Agnes Casembrood und Clara van Hulsen, alle mit ihren Schutzheiligen. Das Bild ist vom J. 1479 und voll bezeichnet. Derselben Zeit gehört noch ein zweiter Flügelaltar mit der Anbetung der Könige, gestiftet von Jan Floreins van der Rijst. Das am meisten bewunderte Kunstwerk unseres Meisters, welches das genannte Hospital besitzt, ist der sogenannte „Ursulakasten“, ein Reliquienschrein zur Aufnahme der Ueberreste der heiligen Ursula und ihrer Schaar. Er stellt eine gothische Kapelle im Kleinen vor; jede Langseite ist in drei Felder getheilt, denen am Deckel drei Medaillons entsprechen; da die Schmalseiten auch je ein Feld haben, so ist Raum für acht Bilder. Die sechs der Langseiten erzählen bildlich die Legende der Heiligen, an den beiden Schmalseiten aber sieht man die Madonna und Ursula, ihre Gefährtinnen unter dem Mantel beschützend, und dies mit einer Naivetät, mit einem Ausdruck der herrlichsten Formen- und Farbenschönheit, mit einer Anmuth bei aller Raumbeschränkung, daß M. nur dieses Werk hinterlassen konnte, um doch als einer der ersten vlämischen Künstler zu gelten. Der Schrein, auf Anregung des Spitalbruders van der Rijst hergestellt, ist im J. 1486 vollendet worden. In demselben Spitale befand sich sonst auch eine Tafel Memling’s, auf welcher im Rahmen einer Landschaft die sieben Schmerzen der Maria dargestellt sind. Es wurde 1624 verkauft, um eine Orgelbühne bauen zu können und befindet sich jetzt in Turin. Wie es hinkam, läßt sich nicht nachweisen. Die wahrscheinlich dem Künstler durch den Besteller vorgeschriebene Art, verschiedene, im Laufe der Zeit sich abwickelnde Begebenheiten in einem Raume nebeneinander darzustellen, die übrigens der Kunst des Mittelalters nicht unbekannt ist, muß Anklang gefunden haben, da im J. 1480 Peter Bultynck und dessen Gemahlin beim Meister ein Gemälde herstellten, welches in gleicher Weise die sieben Freuden der Maria zum Ausdruck bringen sollte. Das Bild wurde der Gerberzunft überwiesen, die es in der Liebfrauenkirche in Brügge aufstellte. Nach mannigfachen Wanderungen kam es nach München, wo es sich jetzt befindet. Gewissermaßen derselben Auffassungsweise gehört noch ein drittes Altarwerk des Meisters aus dem Jahre 1491, also aus seiner letzten Zeit. Das Hauptbild zeigt, oberflächlich betrachtet, die Kreuzigung, enthält aber über den landschaftlichen Hintergrund vertheilt die ganze Passionsgeschichte, vom Gebete am Oelberg bis zur Himmelfahrt. Die äußeren Flügel zeigen die Verkündigung der Maria, die inneren vier lebensgroße Heilige. Das Altarwerk befindet sich im Dome zu Lübeck; wie es dahin kam, ist unbekannt. Es werden noch viele Bilder in öffentlichen Sammlungen unserem Meister zugeschrieben, doch werden ihm in der That nur wenige angehören; zu den echten und vorzüglichsten aber wird die Madonna in den Uffizien zu Florenz gerechnet. Sie sitzt mit dem Kinde auf dem Throne, von vier Engeln umgeben. Eine belebte Landschaft bildet den Hintergrund. Auch als Bildnißmaler ist M. hervorzuheben, die Bildnißmalerei ist als Vermächtniß [309] J. van Eyck’s in der vlämischen Schule stets mit großem Geschick gepflegt worden. Wir haben bereits mehrere Bildnisse von Donatoren erwähnt. Ein Hauptbild dieser Art ist das von Willem Moreel 1484 für die St. Jacobskirche in Brügge gestiftete Altarwerk mit dem heiligen Christoph; auf dem linken Flügel ist der Stifter mit fünf Söhnen, auf dem anderen dessen Frau mit 13 Töchtern dargestellt; alle in Lebensgröße und von größter künstlerischer Durchführung. Im J. 1575 verbarg man es vor den Bilderstürmern, jetzt ist es ein Juwel der Akademie zu Brügge. Derselbe Stifter mit seiner Frau sind vom Meister nochmals als selbständige Porträts in betender Stellung gemalt worden (Museum von Brüssel). Das männliche, leider unbekannte Bildniß eines Betenden in den Uffizien dürfte ursprünglich auch dem Flügel eines Altarwerkes angehört haben. Zu den vollendetsten Bildnissen des Meisters wird aber das des Martin Newenhoven gerechnet, das die eine Hälfte eines von diesem 1487 gestifteten Diptychons bildet, während auf der anderen Maria mit dem Kinde zu sehen ist. Newenhoven war ein Patrizier von Brügge (wie die Inschrift meldet, auf dem Bilde im Alter von 23 Jahren), der später viele Aemter seiner Vaterstadt verwaltete. Das Bild befindet sich im Johanneshospital zu Brügge. Nach dem Zeugnisse des Anonymus des Morelli soll M. auch Miniaturen für das berühmte Brevier des Cardinals Grimani in Venedig geliefert haben. Da keine Bezeichnung vorhanden ist, dürfte es schwer werden die ihm gehörigen Darstellungen zu bestimmen. M. repräsentirte nach R. van der Weyden’s Tode den Hauptmeister der vlämischen Schule. Als solcher war er von nah und fern anerkannt und mit Aufträgen überhäuft. Von seinen Lebensschicksalen wissen wir sehr wenig; er besaß in Brügge zwei Häuser und ein Stück Land. Im J. 1487 verlor er seine Frau Anna, die ihm drei Kinder schenkte. Diese waren, als der Meister acht Jahre später starb, noch nicht volljährig, da ihnen Vormünder bestellt wurden.