ADB:Meyfart, Johann Matthäus

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Artikel „Meyfart, Johann Matthäus“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 646–648, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyfart,_Johann_Matth%C3%A4us&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 06:09 Uhr UTC)
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Meyfart: Johann Matthäus M. oder Mayfart, berühmter lutherischer Theologe, wurde am 9. November 1590 zu Jena im Hause seines Großvaters, des Rathsherrn Johann Fidler, geboren. Sein Vater war damals Pastor zu Walwinkel bei Waltershausen in Thüringen und ward später nach Haina an der Nesse versetzt. Auf der Schule zu Gotha ausgezeichnet vorgebildet, besuchte er vom J. 1608 an die Universitäten Jena und Wittenberg. Zunächst studirte er mit besonderem Eifer Philosophie; nachdem er zu Jena im J. 1611 Magister geworden, wandte er sich dem Studium der Theologie zu. Im J. 1616 erhielt er eine Anstellung als Adjunct bei der philosophischen Facultät in Jena; noch in demselben Jahre ward er dann als Professor an das Gymnasium Casimirianum zu Coburg berufen. Mit dieser Anstalt, die im J. 1605 vom Herzog Johann Casimir gestiftet ward, war eine Art Universität verbunden. Das Hauptabsehen war bei ihrer Gründung auf Sittenreinheit und Ausübung strenger Zucht unter den Studirenden gerichtet; in diesem Sinne an ihr zu wirken entsprach ganz der eigenthümlichen Geistesrichtung Meyfart’s, der selbst ein innerliches, bei aller Gelehrsamkeit der Mystik zugeneigtes Wesen hatte, und dem das rohe und oft gemeine Treiben auf den Universitäten höchst zuwider war. So wurde er denn auch schon im J. 1623 mit der Direction der Anstalt betraut; im darauf folgenden Jahre erwarb er sich auf Wunsch des Herzogs zu Jena die theologische Doctorwürde. Auf die Schüler hatte er einen großen Einfluß; in persönlichem Verkehr mit ihnen wußte er ihr geistliches Leben zu fördern; für ihre Erbauung sorgte er durch ein lateinisches Gebetbuch. Dabei waren die wissenschaftlichen Leistungen der Anstalt nicht gering. M. gab außerdem durch eine Reihe tüchtiger theologischer Arbeiten von seinen eigenen Studien einen Beweis. Die Richtung derselben zeigt, um nur einige hier zu nennen, einerseits sein „Grawerus continuatus“, Jena 1622, eine Fortsetzung der Disputationen des Albert Grawer (vgl. Bd. IX, S. 617) gegen die Jesuiten, andererseits sein „Nodus Gordius sophistarum solutus“, Coburg 1625, ein Versuch, die philosophischen Systeme des Aristoteles und des Petrus Ramus zu vermitteln und die Philosophie in den Dienst der Theologie zu stellen; ein größeres dogmatisches Werk, „Prodromus elucidarii theologici“, das er im J. 1620 (zu Coburg) zu veröffentlichen begann, hat er nicht vollendet. Bekannter und wichtiger als diese wurden aber seine praktischen deutschen Schriften. Zu ihnen gehören zunächst eine Anzahl ascetischer Werke, in denen er vor Allem seine [647] eschatologischen Gedanken als „einen gewaltigen Wächterruf an die schlafende Christenheit“ aussprach; es sind hauptsächlich fünf, die „Tuba novissima“, die „Tuba poenitentiae prophetica“, „Das höllische Sodoma“, „Das himmlische Jerusalem“ und „Das jüngste Gericht“, welche er in den Jahren 1625 (1626) bis 1632 zum ersten Male ausgehen ließ und die hernach mehrfach, theilweise vielfach wieder aufgelegt wurden. In der zuerst genannten, welche aus vier Predigten über die letzten Dinge besteht, befindet sich am Schluß der dritten Predigt sein berühmtes Lied: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt“, ein Lied, das allein schon genügte, seinen Namen der deutschen evangelischen Christenheit unvergeßlich zu machen. In allen diesen Schriften zeigt sich eine Innigkeit des Glaubens, verbunden mit poetischer Kraft und Anschauung wie sonst selten; Henke (vgl. unten) sagt von ihnen: „ein deutscher Dante, voll Gelehrsamkeit und Phantasie, wie dieser, wird kaum irgendwo, so wie er sich in diesen Werken darstellt, anzutreffen sein“. – Durch die strenge Zucht, die er im Gymnasium hielt, verfeindete er sich einen Theil seiner Collegen und der Geistlichen; und als er im J. 1633 eine Dissertation „de disciplina ecclesiastica“ veröffentlichte, wurde er von seinen sämmtlichen Lehrern außer einem, die sich durch den Inhalt verletzt fühlten, bei der Regierung verklagt. Schon sollte er zum Widerruf genöthigt werden, als er einen Ruf nach Erfurt als Professor der Theologie an die durch Gustav Adolph wiederhergestellte lutherische Universität erhielt, dem zu folgen er vom Herzog nur mit Mühe die Erlaubniß bekam. Schon am 13. Juli 1633 hielt er in Erfurt, als die Leiche Gustav Adolph’s nach Schweden abgeführt werden sollte, bei einem feierlichen Actus im großen Colleg die Trauerrede; am 6. November 1633, dem Jahrestage der Schlacht bei Lützen, hielt er eine hernach gedruckte „Gedenkpredigt“ zur Erinnerung an Gustav Adolph. Seine Professur trat er wahrscheinlich an mit der am 30. September bei der Jahresfeier der Universität von ihm gehaltenen Rede über das „Bildniß eines wahren Studenten der heiligen Schrift, genommen aus dem Leben des Propheten Daniel auf der königlichen Akademie zu Babylon“, die dann im J. 1634 (zu Erfurt) im Druck erschien. Mit ihrer Herausgabe eröffnete er eine weitere Reihe deutscher Schriften, in welchen er die sittlichen Gebrechen seiner Zeit, namentlich die Zustände auf den Universitäten und das Unwesen der Hexenprocesse scharf geißelte. Im J. 1635 ward er Rector der Universität, am 2. Februar 1636 ward er als Pastor an der Augustinerkirche ordinirt, so daß er fortan neben seinem akademischen ein kirchliches Amt versah; hernach wurde er auch noch Senior des Ministeriums. Nachdem ihm im J. 1636 seine Frau gestorben war, verheirathete er sich im J. 1637 zum zweiten Male und starb dann schon am 26. Januar 1642, wenig über 51 Jahre alt. Durch seine Schrift: „Christliche Erinnerung von den aus den hohen Schulen in Deutschland entwichenen Ordnungen und ehrbaren Sitten“, Schleusingen 1636, hatte er sich wieder viele Feinde erweckt; glaubte doch selbst ein Johann Gerhard sich Meyfart’s Urtheil nur als aus „Melancholie“ und „einer gewissen Verstandesverwirrung“ hervorgegangen erklären zu können (vgl. Tholuck, a. unten a. O., S. 213). Daß Meyfart’s Schilderungen dadurch, daß er einzelne Vorfälle verallgemeinert, und durch die Art und Weise seiner Darstellung der Sache an Uebertreibungen leiden, wird man zugeben können, ohne die Berechtigung seiner Klagen und Warnungen zu verkennen; es handelte sich in der That um einen Unfug, der noch unzählig Vielen den größten Schaden an Leib und Seele gebracht hat und gegen den schärfstes Einschreiten nöthig war. M. fand deshalb auch bei vielen ernsten Theologen und Laien Zustimmung und sein Mahnruf ist doch auch nicht ohne alle Wirkung geblieben. Er ward nicht müde, auch nach andern Seiten hin seine mahnende Stimme laut werden zu lassen; besonders genannt zu werden [648] verdient noch sein Programm „de concilianda pace inter ecclesias per Germaniam evangelicas“, Schleusingen 1636, weil es uns erkennen läßt, worauf es ihm denn doch bei allem Streite schließlich ankam. Mit dem Wunsche, unter den Evangelischen Deutschlands einen Frieden aufgerichtet zu sehen, steht er in jener Zeit freilich auch ziemlich einsam; er begegnet sich aber in ihm mit dem (vermuthlich pseudonymen) Rupertus Meldenius (s. o. S. 293), den wir vielleicht in seiner Nähe zu suchen haben, und den Verfassern einiger anderen, kurz vor 1636 erschienenen Schriften. Es war sein Schicksal, mehr in künftigen Tagen, als zu seiner Zeit völlig verstanden zu werden.

M. hatte für das Weimarische Bibelwerk, die sog. Kurfürstenbibel, die Bearbeitung der Sprüche Salomo’s übernommen; doch wurde diese Arbeit hernach nicht aufgenommen, weil sie Glassius nicht gefiel. Außer seinem genannten Hauptliede sollen auch noch einige andere Lieder von ihm gedichtet sein; sicher ist das aber nur von dem Liede: „Wach auf, wach auf vom tiefen Schlaf der Sünden.“ Im Gothaer Cantional vom J. 1657 wird ihm auch das Lied: „Sag’, was hilft alle Welt mit allem Gut und Geld“ zugeschrieben; und das mag mit Recht geschehen, obschon Sprache und Inhalt nicht gerade sicher auf ihn hinweisen. Außerdem wird er von manchen Hymnologen, wie z. B. von Olearius und Wetzel, für den Dichter des Liedes: „O großer Gott von Macht und reich von Gütigkeit“ gehalten; doch scheint es wahrscheinlicher, daß Balthasar Schnurr dieses Lied verfaßt hat, wie Rambach, Fischer u. A. annehmen.

Gottfried Ludwig, Ehre des Casimiriani in Coburg, 1725 ff., Bd. II, S. 261. Motschmann, Erfordia literata, 1. Sammlung, 1729, S. 58–80. Jöcher III, Sp. 500. Rotermund zum Jöcher IV, Sp. 1631 ff.; hier werden noch viele Schriften Meyfart’s angeführt, doch ist auch dieses Verzeichniß nicht vollständig. Henke in der theol. Realencyklopädie von Herzog u. s. f., 2. Aufl., IX, S. 738 ff. Tholuck, Lebenszeugen der luth. Kirche, Berlin 1859, S. 209 – Wetzel, hymnopoeographia II, S. 174 ff., III, S. 15. Rambach, Anthologie II, S. 316 ff. Koch, Geschichte des Kirchenlieds u. s. f., 3. Aufl., III, S. 117 ff. – Ueber sein Hauptlied: Fischer, Blätter für Hymno1ogie 1883, S. 120 ff.; über das Lied: „O großer Gott“ vgl. Fischer, Kirchenliederlexikon, 2. Hälfte, S. 159.