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Artikel „Mesmer, Franz Anton“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 487–491, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mesmer,_Franz_Anton&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 15:03 Uhr UTC)
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Mesmer: Friedrich Anton M., Arzt, ist den 23. Mai 1734 in der in der Nähe von Radolfszell am Bodensee gelegenen Ortschaft Iznang geboren. Von seinem Vater, einem im Dienste des Erzbischofs[1] von Constanz stehenden Jäger, zum geistlichen Stande bestimmt, wurde er in seinem 16. Lebensjahre, mit einem Stipendium versehen, in das Priesterseminar Dillingen geschickt, wo er sich vorzugsweise mit Mathematik und Physik beschäftigte. Später ging er nach [488] Ingolstadt, beendete hier seine theologischen Studien, ohne jedoch in den Priesterstand einzutreten, wandte sich dann in Wien dem Studium der Jurisprudenz, später dem der Medicin zu und erlangte im J. 1766 nach Vertheidigung seiner Inauguraldissertation „De influxu planetarum in corpus humanum“ den medicinischen Doctorgrad. Hierauf habilitirte er sich daselbst als Arzt und verheirathete sich mit einer vermögenden Wittwe, von welcher er sich jedoch nach kurzer Zeit häuslicher Mißhelligkeiten wegen trennte. – Schon in seiner Dissertation hatte M. die Grundzüge einer Theorie entwickelt, welche er später weiter ausbildete, mit dem Namen des „thierischen Magnetismus“ belegte und auf welcher er ein eigenthümliches Heilverfahren begründete. – Diesem zufolge ist das Weltall von einem überaus feinen, wellenartig wogenden Fluidum erfüllt, welches eine Wechselwirkung aller in dem unendlichen Raume sich bewegenden Massen auf einander bedingt, von welchem die Gesetze der allgemeinen Attraction, also auch die Bewegungen der Himmelskörper abhängig sind, welches modificirend auf die Eigenschaften der Materie, Schwere, Zusammenhang, Erregbarkeit etc. einwirkt, indem es diese Eigenschaften bald verstärkt, bald schwächt, und welches einen Rapport zwischen dem Planetensystem und allen irdischen Körpern, also auch dem Menschen vermittelt, in den Lebenserscheinungen desselben, besonders in der Einwirkung auf das Nervensystem, der Ebbe und Fluth ähnliche Schwankungen hervorruft und so die directe oder indirecte Ursache pathologischer Vorgänge abgeben kann. – Anfangs glaubte er, daß dieses Fluidum elektrischer Natur sei, später, nachdem er die Heilkräfte natürlicher oder künstlicher Magnete bei Behandlung zahlreicher Krankheiten kennen gelernt hatte, identificirte er dasselbe mit dem Magnetismus, fortgesetzte Beobachtungen aber belehrten ihn, daß der Magnet wesentlich nur den Leiter einer von ihm selber ausgehenden Kraft abgäbe; er fand, daß dieselben Wirkungen, welche er durch das nach bestimmten Polen erfolgte Bestreichen des Kranken mit einem Magnet erzielt hatte, auch eintraten, wenn er diese Manipulationen mit unbewaffneten Händen ausführte, ja daß sogar sein bloßer, auf den Kranken gerichteter Wille sich heilkräftig bewies; so gelangte er zu der Ueberzeugung, daß das dem magnetischen Fluidum analoge, aber noch weit wirksamere Agens von ihm selbst ausgehe und bezeichnete dasselbe mit den Namen des „thierischen Magnetismus“. – Im J. 1775 war er dahin gelangt, seine Theorie systematisch zu begründen und in seinen Erfahrungen eine volle Bestätigung derselben zu finden; in einem „Sendschreiben an einen auswärtigen Arzt über die Magnetkur“ legte er der wissenschaftlichen Welt und namentlich den bedeutendsten Akademien seine Lehre zur Begutachtung vor, gleichzeitig aber lenkte er in einem zweiten „Sendschreiben über die Magnetkur“ auch die Aufmerksamkeit des Publicums auf seine Heilmethode. – Die gelehrten Gesellschaften, mit Ausnahme der Berliner Akademie der Wissenschaften, welche in einem Antwortschreiben an M. seine Beobachtungen als Täuschungen bezeichnet, verhielten sich schweigend, die Wiener Aerzte erklärten M. für einen Schwärmer oder gar für einen Gaukler, in dem Publicum aber fand er Gläubige und Kranke, die sich seiner Kur unterzogen, ja selbst über die Grenzen Oesterreichs hinaus verbreitete sich sein Ruhm, so daß er nicht blos zu Consultationen nach Ungarn, sondern auch auf höhere Veranlassung nach München zur Behandlung hochgestellter Personen berufen, und in Anerkennung seiner Leistungen zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. – In Wien machten ihm die Schwierigkeiten und Kränkungen, welche er von Seiten der Aerzte erfuhr, den Aufenthalt unerträglich, namentlich aber machte ein Fall, in welchem er einem seit ihrer Kindheit blinden Mädchen, einem Schützlinge der Kaiserin, durch magnetische Behandlung das Sehvermögen wiedergegeben zu haben behauptete, und der sich bei ärztlicher Untersuchung der Kranken als eine grobe Täuschung [489] herausstellte, ein seinen Ruf in hohem Grade compromittirendes Aufsehen, und so sah M. sich veranlaßt, Wien im J. 1777 zu verlassen. Er ging zuerst zu seiner Erholung für einige Zeit nach der Schweiz und im Anfange des Jahres 1778 nach Paris, wo er einen für Ausübung seiner Kunst geeigneteren Boden als in Deutschland zu finden erwartete. Aber auch hier erfuhr M. eine Enttäuschung; die Aerzte wollten von seinen Inspirationen nichts hören, die an ihn von Seiten der medicinischen Facultät und der Gesellschaft der Aerzte gerichtete Aufforderung, seine Lehre und seine Heilmethode durch eine von ihnen zu erwählende Commission prüfen zu lassen, wies er mit dem Bemerken, daß ein derartiges Verfahren den Schein erwecken müsse, als sei er ein gewöhnlicher Charlatan, und mit der Erklärung zurück, daß sein neues Heilverfahren vom Standpunkte der älteren Medicin überhaupt nicht richtig beurtheilt werden könne. Auch im Pariser Publicum fand M. mit seiner Methode keinen großen Anklang. Eine mächtige Stütze für seine Bestrebungen glaubte er in dem Leibarzte des Grafen von Artois, Charles d’Eslon, gewonnen zu haben; er hatte denselben mit seiner Theorie und seiner Behandlungsweise bekannt gemacht und, wie es heißt, in Gemeinschaft mit ihm 1779 ein „Mémoire sur la découverte du magnétisme animal“ veröffentlicht, in welchem er die wesentlichsten Gesichtspunkte der Lehre vom animalischen Magnetismus in 27 Thesen niedergelegt hatte. Aber auch dieser Schritt, sich bei der medicinischen Facultät Geltung zu verschaffen, hatte nicht den gewünschten Ersolg: d’Eslon, der als Mitglied dieser gelehrten Körperschaft dieselbe für die Mesmerische Methode zu interessiren versucht hatte, wurde von der Facultät für ein Jahr seiner Stimme verlustig erklärt und mit vollkommener Ausschließung aus derselben bedroht, wenn er nicht nach Jahresfrist seine in der Sitzung geäußerten Ansichten über den animalischen Magnetismus widerriefe. – In einem eigenthümlichen Lichte erscheint M. den Anerbietungen gegenüber, welche ihm von der Regierung gemacht wurden; auf Verwendung der Königin Marie Antoinette wurde ihm ein Jahrgehalt von 20 000 Franken und die Anlage einer ihm zu übergebenden Heilanstalt, für welche ein jährlicher Etat von 10 000 Franken aufgestellt war, angeboten, wenn er sich entschlösse in Paris zu bleiben und in der Anstalt fortdauernd drei von der Regierung zu ernennende Aerzte in seiner Kurmethode zu unterrichten. Die letzte Bedingung mochte M. nicht annehmen, auch scheint das ihm gebotene Honorar seinen Erwartungen nicht entsprochen zu haben und so verließ er, da seine Hoffnungen sich auch hier nicht erfüllt hatten, Paris und ging nach Spaa. – Inzwischen war es d’Eslon gelungen, der magnetischen Heilmethode einen Boden in Paris zu schaffen; von seinem Meister in die Geheimnisse der Methode eingeweiht, hatte derselbe die freundschaftlichen Beziehungen zu M. aufgegeben, die magnetische Kur selbständig betrieben und einen Kursaal in Form einer Poliklinik angelegt, welche sich eines steigenden Zulaufes erfreute. Hiervon unterrichtet kehrte M. nach Paris zurück, nachdem durch das Betreiben seiner Freunde ihm eine glänzende Aussicht nicht nur für seine Existenz sondern auch für die Verbreitung seiner Lehre eröffnet worden war. – Auf Anregung seines Freundes Bergasse war unter den Anhängern seiner Heilmethode eine Subscription eröffnet worden, an welcher sich etwa 100 Personen mit einer Einzahlung von je 100 Louisd’or betheiligten; dafür wurde jeder in die Geheimnisse des magnetischen Verfahrens eingeweiht, mußte aber das Versprechen ablegen, über dasselbe das tiefste Schweigen zu beobachten. So bildete sich unter dem Namen der „Gesellschaft der Harmonie“ ein Geheimbund, an dessen Spitze M. stand, und der sich durch Anlage zahlreicher Tochterschulen in anderen Städten des Landes in weitem Umfange über Frankreich verbreitete. Damit war dem Mesmerianismus nicht blos hier die Bahn eröffnet, sondern [490] auch in andern Ländern Europas fand er Evangelisten, welche das Interesse des ärztlichen und Laien-Publicums für diese neue Heilmethode wachriefen. – Besonderes Aufsehen erregte M. durch eine Modification seines Verfahrens in Form des magnetischen Baquets, d. h. großer, mit magnetischem Wasser gefüllter Kübel, aus welchen eiserne Stäbe als Conductoren des Magnetismus herausgingen, die mit dem erkrankten Theile des Patienten in Verbindung gebracht wurden; die Kranken saßen in einem Kreise um das Baquet und bildeten, indem sie sich wechselseitig mit den Händen berührten, einen geschlossenen Kreis. – Der Zulauf zu diesen gemeinschaftlichen magnetischen Sitzungen, welche übrigens auch sein Concurrent d’Eslon eingerichtet hatte, war so groß, daß M. in kurzer Zeit aus denselben eine Einnahme von 400 000 Franken erzielt haben soll. – Die Regierung konnte sich diesen Vorgängen gegenüber nicht passiv verhalten, sie ernannte zwei Untersuchungscommissionen, die eine aus Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften und der medicinischen Facultät (darunter Franklin, Leroy, Bailly, Lavoisier, Guillotin), die andere aus Mitgliedern der Société de médecine (darunter Jussieu), welchen die Aufgabe zufiel, die Theorie und die Resultate der magnetischen Heilmethode zu prüfen; da M. sich fortdauernd weigerte, sich und sein Verfahren einer derartigen Censur zu unterwerfen, wandten sich die Commissionen an d’Eslon, der sich den Anordnungen der Regierung fügte und derselben sein Institut zur Disposition stellte. – Die Untersuchungen, welche im April 1784 ihren Anfang genommen, wurden mehrere Monate hindurch fortgesetzt, und ergaben ein für den Mesmerismus sehr ungünstiges Resultat; beide Commissionen erklärten ziemlich übereinstimmend den thierischen Magnetismus für ein Hirngespinnst und die magnetischen Kuren für Täuschungen; nur Jussieu gab ein davon abweichendes Separatvotum ab, wiewohl auch er nicht in Abrede stellte, daß viele, als Beweise für die Wirkung des thierischen Magnetismus geltend gemachte Erscheinungen und die vermeintlichen Heilerfolge durch denselben auf Täuschungen beruhten. – M. protestirte gegen die Gutachten der Commissionen, indem er erklärte, daß aus der Verfahrungsart von d’Eslon ein Urtheil über seine Methode nicht gefällt werden könne. – Auf die Stimmung der großen Massen für den Mesmerismus blieben die abfälligen Commissionsvoten ohne erheblichen Einfluß; in Frankreich wurde die Lehre vom thierischen Magnetismus durch die von den Gebrüdern, dem Grafen und dem Marquis Puiségur entdeckte Clairvoyance in eine neue Phase ihrer Entwickelung geführt und in Deutschland, wo die Naturphilosophie alsbald jeder supranaturalistischen Richtung einen besonders günstigen Boden für das Gedeihen bot, traten Lavater (damals in Bremen), Wienhold, Eberhard, Gmelin, Wolfart etc. als die Evangelisten des Mesmerismus auf. – M. hielt sich dabei von allen weiteren Discussionen über sein System fern; nach dem Ausbruche der Revolution verließ er, mit Verlust des größten Theiles seines Vermögens, das er in französischen Staatspapieren angelegt hatte, Paris, indem er mit Noth der Guillotine entging, und begab sich nach Frauenfeld im Thurgau, wo er in vollkommener Zurückgezogenheit lebte. Im J. 1798 ging er noch einmal nach Paris, um seine Vermögensverhältnisse zu regeln; die Regierung bewilligte ihm als Ersatz für die schweren Verluste, die er gehabt, eine jährliche Rente von 3000 Franken als Pension. Dann kehrte er nach Frauenfeld zurück, später siedelte er nach Constanz, schließlich nach Meersburg über und hier ist er am 5. März 1815 gestorben.

Der thierische Magnetismus bildet eine Episode in der Geschichte der sogegenannten Nachtseite der Naturwissenschaften; er steht als solcher mit zahlreichen vorhergehenden und ihm nachfolgenden Episoden derselben in einem inneren causalen Zusammenhange und ist seinem Ursprunge und seiner Bedeutung nach [491] nicht anders zu beurtheilen, als die Lehre vom Tischrücken, vom Spiritismus, von der vierten Dimension und zahlreichen anderen Träumereien, welche im aufgeklärten 19. Jahrhunderte die Welt erfüllt haben und noch erfüllen und die von schlauen Betrügern für ihre Zwecke benützt worden sind. Mit Unrecht hat man M. als Charlatan stigmatisirt; er war ein Schwärmer, der von einer phantastischen Idee erfüllt, sich den gröbsten Selbsttäuschungen hingab und mit seinen Inspirationen auch andere, für magische und mystische Anschauungen empfängliche Gemüther fesselte und in den Kreis seiner Phantasmagorieen bannte. In ernsten Gelehrten, wie Eschenmayer, Kieser, Nasse, Schubert, Justinus Kerner, Ennemoser, Perty etc. haben die Mesmerischen Träumereien bis auf den heutigen Tag fortgelebt, gelehrte Denker haben sich in die Lehren des Spiritismus vertieft, indem sie demselben gegenüber nicht etwa im Geiste Lavater’s urtheilten: „es giebt viele Dinge in der Natur, wobei der Philosoph den Finger auf den Mund legen und schweigen muß“, sondern ihn als ein wissenschaftliches Problem behandelten. Von dem Standpunkte, den diese Männer eingenommen haben, ist M. zu beurtheilen, und somit gebe man es auf, ihn für die Betrügereien verantwortlich zu machen, mit welchen der große Haufen der „Magnetiseure“ nach ihm das leichtgläubige Publicum ausgebeutet hat.

Ueber Mesmer’s Leben vgl. besonders Justinus Kerner, Franz Anton Mesmer aus Schwaben, Entdecker des thierischen Magnetismus etc., Frankfurt a. M. 1856 und Wilh. Wurm, Darstellung der mesmerischen Heilmethode etc., München 1857.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 487. Z. 4 v. u. l.: Bischofs (statt Erzbischofs). [Bd. 29, S. 775]