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Artikel „Mahu, Stephan“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 98–99, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mahu,_Stephan&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 04:46 Uhr UTC)
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Mahu: Stephan M., ein Componist aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts, der den besten Meistern an die Seite gesetzt wird; und doch ist uns über sein Leben auch nicht ein Merkzeichen übrig geblieben, denn die Angabe der Lexika, daß er an der kaiserlichen Kapelle in Wien angestellt gewesen ist, wird nur aus dem Vorhandensein einiger Compositionen in Joanelli’s Novus Thesaurus von 1568 geschlossen, doch sagt derselbe in der Dedication, daß die Gesänge nicht nur von den Hausmusikern der kaiserlichen Capelle, sondern auch von anderen componirt seien. Die Annahme wird daher sehr fraglich. Auch das Todesjahr, was Fétis mit 1564 verzeichnet, beruht nur auf Vermuthung. Desto besser kennen wir ihn aber aus seinen uns erhaltenen Werken, die sogar zum Theil im Neudruck erschienen sind und ihn unter die ersten Meister seiner Zeit einreihen. Es sind dies fünf weltliche deutsche Lieder zu 4 und 5 Stimmen, sieben geistliche deutsche Lieder, fünf Motetten und die Lamentationes Hieremiae. Die Letzteren erschienen in Venedig, die übrigen in den Jahren 1536 bis 1564 in deutschen Druckereien, hauptsächlich in Nürnberg, während der Wittenberger Drucker Georg Rhaw 1544 die geistlichen Lieder herausgegeben hat. Daß Mahu’s Satz über „Ein feste Burg ist unser Gott“ erst nach 1529 geschrieben sei, schließt Dreher aus der Annahme, daß diese Melodie erst in diesem Jahre durch den Druck (im Kluge’schen Gesangbuche) bekannt geworden sei. Seine weltlichen Lieder „Ach hilf mich leid und senlich klag“ und „Wer edel ist zu dieser Frist“, beide in der Forster’schen Liedersammlung, zeichnen sich durch ihre einfache Innigkeit und durch die gewandte Schreibweise aus; ohne große Kunst zur Schau zu tragen, schafft er doch ein echtes, unvergängliches Kunstwerk. Ueber das Lied „Es ging ein wohlgezogener Knecht“, in Finck’s Sammlung von 1536 aufgenommen, sagt Ambros: Im Texte ein merkwürdiges Denkmal reichsstädtischen Patricierstolzes: der wohlgezogene Knecht wird übel heimgeschickt, weil er einige tanzende Patriciertöchter grüßend anredet. Die Musik hat ganz die Balladen- und Romanzenfärbung deutscher Art, der Tanz der jungen Damen wird in wiegender Bewegung leicht und artig angedeutet. Zu dieser halbmodernen Form nimmt sich freilich die grade in diesem Stücke alterthümliche Färbung der Harmonie sonderbar aus.“ Diese alterthümliche [99] Färbung bekommt aber das Lied durch das ihr zu Grunde liegende Volkslied, und dadurch erhält dasselbe für den Historiker noch ein ganz besonderes Interesse, denn das Lied muß aus grauer Vorzeit sich erhalten haben. Nur noch eine einzige Melodie ist uns erhalten, die eine ganz ganz gleiche Färbung hat und das ist der sogenannte Herzog-Ernst-Ton, der freilich in seiner Ursprünglichkeit uns nur in den ersten 6 Versen erhalten ist, während wir das Uebrige aus geistlichen Umarbeitungen kennen, die ihm zum großen Theil das alte Gepräge abstreifen. Die drei resp. 6 Verse befinden sich in einem Quodlibet in der Forster’schen Liedersammlung; 2. Theil von 1540, Nr. 60, in der secunda pars und lautet der Text: „Es fur ein herr, was erenreich, geheißen Keyser Friedereich, als ihr noch höret sagen“. Es liegt eine wunderbare Wirkung in diesen alten Melodien und trotz ihrer Einfachheit kann man sich nicht satt an ihnen hören. – In den Motetten ist M. ganz vortrefflich, einerseits nähert er sich in der Kraft des Ausdrucks seinem Zeitgenossen Josquin Dèpres, anderseits greift er aber der Zeit weit voraus und man glaubt einen Satz von Palestrina vor sich zu haben. Diese Vorzüge vereinigt vorzüglich die Motette: Ecce Maria genuit nobis, welche der Wiener Drucker Melchior Kriesstein 1540 veröffentlichte. Sein Hauptwerk sind aber die Litaneien, die Joanellus 1568 in Venedig druckte. Sie liegen uns heute im Neudruck vor (Frz. Commer’s Musica sacra, Bd. 17) und lassen uns M. als echten Vorgänger Palestrina’s erkennen. Da ist nichts von dem künstlichen Contrapunkt zu bemerken, der die Niederländer dieser Zeit kennzeichnet. In breiten Accorden, gemischt mit Durchgangsnoten fließt der Gesang dahin und entwickelt dabei eine Klangschönheit und Fülle der Harmonie, wie sie erst in späterer Zeit allgemein wird. Bei der Länge des Werkes, dessen Partitur im Neudruck 48 Seiten umfaßt, abgetheilt in viele kleine und größere Sätze, kann es freilich seine rechte Wirkung nur in Verbindung mit der heiligen Handlung üben. Einzelne Sätze werden aber auch ohne dieselbe einen tiefen Eindruck hervorrufen. Die alten kirchlichen Tonsätze dürfen überhaupt nicht ohne die feierliche Weihe der kirchlichen Handlung gedacht werden und eine Vorführung in Concerten wird nie den gedachten Eindruck hervorbringen. Es ist wie mit einer Oper am Clavier ohne Handlung gesungen. Hier fehlt das belebende Element, dort die weihevolle Stimmung.