Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Maerlant, Jacob van“ von Ernst Martin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 41–46, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Maerlant,_Jacob_van&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 05:33 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Maelson, François
Band 20 (1884), S. 41–46 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Jacob van Maerlant in der Wikipedia
Jacob van Maerlant in Wikidata
GND-Nummer 118556274
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|20|41|46|Maerlant, Jacob van|Ernst Martin|ADB:Maerlant, Jacob van}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118556274}}    

Maerlant: Jacob van M., „der Vater aller dietschen (niederländischen) Dichter“, wie Jan Boendale im Lekenspieghel 3, 15, 19 ihn nennt. Dieser Ehrenname träfe zwar nicht zu, wenn er M. als der Zeit nach allen Anderen vorausgehend bezeichnen sollte. M. nennt mehrere Vorgänger und zeigt sich namentlich durch den Dichter des Reinaert, Willem, beeinflußt. Wol aber begründete M. die bürgerlich-lehrhafte Dichtung, die seitdem in der mittelniederländischen Litteratur herrschte und in der That dem Grundzuge des Volkes selbst am besten entsprach. Ueber seine Lebensumstände ist wenig bekannt. In Urkunden scheint sein Name nicht erhalten zu sein und nur eine unsichere Ueberlieferung setzt Denkmäler des Mittelalters mit ihm in Beziehung, die sich in Damme, dem ehemaligen Hafenplatz von Brügge, vorfinden oder vorfanden. Dort, wo M. allerdings in seiner späteren Lebenszeit gewohnt hat, zeigte man noch gegen 1600 sein Grab, welches beim Volke freilich als das Till Eulenspiegels galt. Eine jetzt nicht mehr vorhandene Inschrift in leoninischen Hexametern nannte den Namen Maerlant’s und gab auch in einer freilich etwas unklaren Ausdrucksweise als sein Todesjahr 1300 an. Noch zweifelhafter ist die Beziehung eines noch jetzt vorhandenen Bildwerks an dem 1466 errichteten Rathhause auf unseren Dichter. Eine Beschreibung dieser Denkmäler und andere Nachrichten finden sich im Belgisch Museum von Willems 2, 451 ff. So sind wir denn auch für die Lebensgeschichte des Dichters auf die Angaben angewiesen, die sich in seinen Gedichten und in denen Anderer vorfinden. Der Dichter nennt sich meistens mit seinem vollen Namen Jacob van Maerlant. M. ist wol der Familienname und gibt vermuthlich die Heimath der Familie, nicht den Geburtsort des Dichters an. Als Ortsname kommt M. an verschiedenen Stellen der Niederlande vor, was sich bei seiner Bedeutung „Moorland“ leicht begreift. Man wird zunächst in Flandern nach einem Orte dieses Namens suchen, weil der Dichter selbst im St. Franciscus 125 sich einen Flaming nennt und im Alex. 1, [42] 1093 als das Land, in welchem er geboren sei, Bruxambacht angibt, d. h. das sogenannte freie Amt von Brügge, zu dem Damme gehörte. In der That kommt hier ein M. zwischen Brügge und Blankenberghe urkundlich vor, aber es scheint keine Ortschaft, sondern einen Landstrich zu bezeichnen. So hat man sich gegenwärtig wol allgemein für ein M. in Seeland bei Briel entschieden, das später mit der letztgenannten Stadt zusammenwuchs. Briel liegt auf der Halbinsel Voorne und mit den Herren von Voorne sowie mit ihren Lehnsherren, den Grafen von Holland, erscheint der Dichter in Verbindung. Als eine Eigenthümlichkeit von Westvoorne, von der er sich selbst überzeugt habe, führt er in der Naturen Bloeme 2, 2952 an, daß es dort keine Ratten gebe. Zu Maerlant verfaßte der Dichter seine „Historie van Troyen“, wie er im Spieghel historiael I, II, 16, 26 angibt. Im Merlijn 37 nennt er sich Jacob de coster van Maerlant. Damit ist nicht nothwendig gesagt, daß er zu M. das Amt eines Küsters bekleidete: es kann auch die Bezeichnung des Amtes zwischen die beiden Theile des Namens getreten sein. Er mag in Damme Küster gewesen sein: dort befand sich sein Grab unter dem Glockenthurme der Kirche. Wichtig aber ist die Angabe für die Lebensstellung des Dichters. Es war ein geistliches Amt, das er als Küster bekleidete, und für seinen geistlichen Stand spricht auch die für jene Zeit bedeutende Gelehrsamkeit, die er in seinen Werken kundgibt. Gegen diese Annahme dürfen weder seine Ausfälle gegen den Klerus seiner Zeit noch seine bürgerfreundliche Gesinnung geltend gemacht werden; auch nicht das Liebesverhältniß, das er am Schlusse seines Alexanders andeutet. Er dichtete dies Werk für eine Frau, deren Name aus den Anfangsbuchstaben von 6 der 10 Bücher, in welche das Gedicht zerfiel, gebildet wurde: er lautete Gheile. Ueber diese Frau ist freilich nichts näheres bekannt. Die Alexandreis gibt nun auch einen Anhaltspunkt zur Bestimmung der Lebenszeit des Dichters. Nach 7, 657 ff. war Papst Innocenz IV. bereits gestorben: dieser Todesfall fand im December 1254 statt. Dagegen führt die Mahnung an den Herzog von Brabant, die Räubereien auf der Schelde, die von Rupelmonde aus verübt wurden, nicht länger zu dulden (5, 1229) in die Zeit vor 1260, dem Todesjahre Heinrich III. Nun war die Alexandreis, so viel wir wissen, des Dichters erstes Werk; dürfen wir annehmen, daß er sie etwa als 20jähriger gedichtet hat, so war er etwa 1235 geboren. Gestorben ist er nach 1291, da er in dem letzten Gedicht, welches wir von ihm haben, van den lande van Oversee, den Fall von Acco beklagt. Seine letzte Arbeit am Spieghel historiael fällt in das Jahr 1290. Der von einem anderen verfaßte IV Wapene Martijn scheint ihn bereits als gestorben zu bezeichnen. Doch wäre es auch möglich, daß er nur, etwa aus Kränklichkeit, das Dichten gänzlich aufgegeben hatte und daß somit seine Grabschrift mit dem Todesjahre 1300 eine richtige Ueberlieferung darbot. Genauer und sicherer als über sein Leben läßt sich über seine Werke berichten. Von dem ersten Gedicht, „Alexanders Geesten“, ist nach der einzigen, in München befindlichen Handschrift ein Abdruck besorgt worden von Snellaert, Brüssel 1860, 1861, eine kritische Ausgabe von J. Franck, Groningen 1882, in der von Moltzer und Te Winkel herausgegebenen Bibliotheek van middelnederlandsche Letterkunde. Das Werk, das der Dichter in einem halben Jahre vollendete, besteht aus 10 Büchern. Schon diese Eintheilung weist auf das von M. benutzte Vorbild hin, auf die Alexandreis des Gauthier von Chatillon. Den Schwulst dieses Dichters hat M. allerdings vermieden und dafür die Wendungen gebraucht, die in den niederländischen Bearbeitungen französischer Volksepen herkömmlich waren. Uebrigens flocht M. auch Partien ein, die auf die Tradition des Pseudo-Kallisthenes zurückgehen. Eine Erdbeschreibung nach Honorius’ De imagine mundi fügte er bei der Schilderung eines Globus an, mit dem Apelles den Sarg des Darius verziert [43] haben sollte: 7, 837–1810; er wiederholte dies Stück in seiner Historie von Troja. Auf seine Alexandreis weist M. zurück in seinem zweiten Werk, dem „Merlijn“. Die einzige Handschrift befindet sich in Privatbesitz und war lange unzugänglich; jetzt liegt sie in der Ausgabe von J. van Vloten vor, Leiden 1880. Den Merlijn dichtete M. für Herrn Alabrecht van Vorne, der 1261 zuerst urkundlich erscheint, nachdem sein Vater Heinrich zuletzt 1258 hatte nachgewiesen werden können. M. legte für diese Dichtung die französische Prosa des Robert de Borron zu Grunde. Darin ging der Lebensgeschichte Merlins die Legende vom Gral voraus, die auch nach Joseph von Arimathia genannt wird. Diesen Theil der Quelle hat M. sehr kritisch beurtheilt. Gegen die falsche Angabe, daß Jesus das Abendmahl im Hause des aussätzigen Simon gefeiert habe, zieht er die evangelischen Zeugnisse an. So benutzt er auch sonst, soweit die heilige Geschichte in Betracht kommt, neben der französischen noch lateinische Quellen, unter Anderem die Vindicta Salvatoris. An das Ende seines Werkes, bei Vers 10398, knüpfte eine umfänglichere Fortsetzung an, welche der Pastor Lodewijc van Velthem 1326 vollendete. Schon vorher ist in dem von M. herrührenden Theil ein Proceß des Teufels Maskeroen vor Gott, der sich sonst selbständig, wenn auch in etwas abweichender Form, überliefert findet, durch einen Interpolator eingeschaltet worden: s. Franck, Anz. f. deutsches Alterthum IX, 367. Noch einmal hat M. einen Stoff des bretonischen Sagenkreises behandelt, in dem 3) „Torec“. Dies Gedicht ist uns nur als Theil des großen Sammelwerks über Lancelot erhalten; aber Jonckbloet erkannte darin die Hand unseres Dichters und der neuerdings aufgefundene Trojanerkrieg Maerlant’s bestätigte diese Vermuthung. Eine Sonderausgabe des Torec veranstaltete J. te Winkel, Leiden 1875. Nach der Angabe des Dichters wäre sein Werk nach dem Französischen bearbeitet; allein ein solches Original scheint weder erhalten noch sonst bezeugt, und es ist aus inneren Gründen wahrscheinlich, daß M. selbst den abenteuerlichen, gelegentlich auch allegorischen Inhalt nach Analogie erfunden hat. Torec erscheint als sein schwächstes Produkt. Er wandte sich denn auch in seinem nächsten Werke wieder vom Ritterroman ab. Nicht auf uns gekommen sind viertens der „Sompniarijs“, ein Traumbuch, und fünftens der „Corte Lapidarijs“. Auch diese beiden Werke nennt M. in seinem sechsten „Historie van Troyen“. Von diesem Werke waren früher nur Fragmente bekannt; eine (bis auf den Schluß?) vollständige Handschrift in Privatbesitz ward 1873, leider nur auszugsweise, veröffentlicht durch J. Verdam, Groningen (Bibl. van mnl. Lk.). Angaben über die Abfassungszeit fehlen. Dagegen berichtet der Dichter, daß schon früher ein Theil dieser Erzählungen von Segher Diaregodgaf (s. oben unter diesem Namen) bearbeitet worden sei. Indem er diese Grundlage benutzte, stellte er eine vollständige Bearbeitung des französischen Gedichts von Benoit de S. More her und fügte am Schluß noch einen Auszug aus dessen roman d’Eneas an. Aber er begnügte sich nicht mit dieser neueren Quelle; er zog auch die Achilleis des Statius, die Metamorphosen Ovids und die Aeneis Virgils zu Rathe. Freilich bildet sich auf diese Weise ein buntes Gemenge romantischer und classischer Vorstellungen. Und dichterisch vielleicht noch anstößiger ist das beständige Abwägen der Quellen, wobei nicht die Schönheit oder Wahrscheinlichkeit der Erzählung an sich, sondern die Autorität des Berichterstatters den Ausschlag gibt. Am höchsten steht dem niederländischen Dichter Vergil. der weise clerc, der glaubwürdiger ist als irgend ein anderer Heide. Gegen die Vorstellung von den Centauren würde M. Einsprache erheben, wenn nicht der heil. Hieronymus auch von einem solchen Ungethüm berichtete. Aus den sich hierin äußernden Anschauungen erklärt sich der Umschlag leicht, der in den späteren Werken Maerlant’s ersichtlich ist. Mit ausgesprochener Mißachtung der romantischen [44] Poesie, ja seiner eigenen früheren Werke dieser Art, wendet sich M. fortan ausschließlich der lehrhaften Gattung zu, sei diese nun erbaulichen, geschichtlichen oder naturwissenschaftlichen Inhalts. Jede französische Ueberlieferung ist ihm von jetzt an verdächtig: Walsch reimt ihm auf valsch. Glaubwürdig sind ihm allein lateinische Quellen. Den menestrelen und boerderers gegenüber macht der clerc M. seine Gelehrsamkeit geltend. Und daß M. allerdings auf diesem Wege die volle Zustimmung seiner Landsleute erwarb, geht nicht nur aus den späteren Fortsetzungen und Nachahmungen hervor. Auch die handschriftliche Ueberlieferung ist für die jüngeren Gedichte Maerlant’s eine ganz andere: während jene älteren nur in einzelnen Handschriften und nur in Umschreibungen in die niederdeutschen Mundarten sich erhalten haben, stehen uns für Maerlant’s Didaktik meist zahlreiche und gute Quellen zu Gebote, und selbst alte Drucke bezeugen ihre fortdauernde Beliebtheit im Heimathlande. An die Spitze dieser geistlichen Werke dürfen wir wohl stellen 7) „Der Naturen Bloeme“. Dies Gedicht ist von J. H. Bormans, Brüssel 1857, herausgegeben worden, dann von E. Verwijs, Groningen 1878 (Bibl. van mnl. Lk.). In 13 Büchern von sehr ungleichem Umfang beschreibt es die einzelnen Naturgegenstände, im 12. z. B. die Steine, im 13. die Metalle. Immer steht der lateinische Name eines jeden Gegenstandes voran; dann folgen die ihnen beigelegten, zum Theil fabelhaften Eigenschaften sowie etwaige moralische Lehren, die sich aus der Vergleichung mit menschlichen Verhältnissen für diese ableiten lassen. Als Quelle nennt M. ein lateinisches Buch De naturis rerum, das er irrig dem Bruder Albrecht von Köln, d. h. Albertus Magnus, zuschreibt; denn Thomas von Chatimpré ist als Verfasser sicher gestellt. Absprechend äußert sich M. über einen uns nicht erhaltenen Bestiaris, den Willem Uten Hove, Priester zu Aardenburch, nach dem Wälschen gedichtet habe. Er widmet sein Werk Herrn Niclaus van Cats und scheint ihn als edlen Jüngling anzusprechen. Nicolaus ward 1272 Ritter, man nimmt an, daß M. ihm sein Werk in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zueignete. Bemerkenswerth ist die Sorgfalt, mit welcher M. mehrmals neben die allgemein niederdeutschen Ausdrücke (dietsch) die der flämischen Mundart setzt. Aehnlichen Charakters ist 8) die „Heimelichede der Heimelicheit“, eine Uebertragung der Secreta secretorum, die man im Mittelalter auf Aristoteles, den Lehrer Alexanders, zurückführte. Eine Ausgabe veranstaltete J. Clarisse, Dordrecht 1838 (Nieuwe Werke van de Maatschappy van Nederlandsch Letterkunde); einen Abdruck der Comburger Handschrift Ed. Kausler, Denkm. altniederl. Spr. u. Litt. 2 (1844), 483–556. Das Buch ist einem ungenannten Neffen des Dichters zugeeignet. Umfänglicher und bedeutender ist 9) die „Reimbibel“, oder wie der Dichter selbst das Werk anführt, die Scolastica. Es ist eine Bearbeitung der Historia scholastica des Petrus Comestor, eine biblische Geschichte, welcher am Schluß die Wrake van Jerusalem, die Geschichte der Zerstörung Jerusalems nach Flavius Josephus angehängt ist. Sein Werk vollendete der Dichter am 25. März 1271, dem ersten Tage dieses Jahres nach damaliger Zählung. Eine Ausgabe veranstaltete J. David, I–III, Brüssel 1858, 1859. Daß der Dichter hierdurch die Bibel den Laien bekannt gemacht, ward ihm nach seinem eigenen und dem Zeugnisse Anderer zum Vorwurf angerechnet. Mehr im Charakter der durch die Geistlichen geförderten Poesie waren mehrere Legenden Maerlant’s: bei der Auswahl des Stoffes bewährte M. aber wieder seine Vorliebe für die volksthümlichen Bettelorden und für den Mariendienst, welchen die Franziskaner besonders verbreiteten. Verloren ist uns 10) „S. Clara“; wir kennen sie nur aus der Anführung in 11) „S. Franciscus“. Zu Grunde liegt hier die vita, welche der Cardinal Bonaventura 1261 verfaßt hatte. M. dichtete auf Wunsch seiner Freunde in Utrecht, unter denen er seinen Gevatter, Bruder [45] Alaerd, besonders anredet. Eine Ausgabe lieferte J. Tideman, Leyden 1848 („Werken van de Vereeniging ter bevordering der oude nederl. Lk.“). Mit Unrecht hatte dagegen Tideman das von ihm 1844 (gleichfalls in den Werken van de Vereeniging) herausgegebene boec van den houte ebenso M. zugeschrieben, die Geschichte von drei Apfelkernen vom Baume des Paradieses, die gepflanzt und zum Baume erwachsen später das Holz zum Kreuze Christi lieferten. S. Serrure, Vaderlandsch Museum 4, 171 ff. Endlich ist 12) das größte von Maerlant’s Werken zu nennen, sein „Spieghel historiael“. Es ist eine Bearbeitung des Speculum historiale von Vincenz v. Beauvais, aber mit Weglassung aller clergie, d. h. aller nur für Geistliche bestimmten dogmatischen Erörterungen, und mit Einschaltung der für niederländische Laien besonders wichtigen geschichtlichen Ereignisse. Hierbei benutzte M. außer Orosius, Paulus Diaconus, Jordanis, Gotfried v. Monmouth insbesondere Martinus Polonus, für die Kreuzzüge Albertus Aquensis, für holländische Geschichte das chronicon Egmondanum. Das holländische Interesse vertritt er auch den Friesen gegenüber, deren angeblichen Freiheitsbrief Karls des Großen er p. III, b. VIII cap. 93 witzig abweist. Begreiflich, da er für den Grafen von Holland, Floris V., schrieb. Ueber die Abfassungszeit der einzelnen Theile erfahren wir, daß die erste Partie um 1284 geschrieben wurde, die dritte 1286, und daß der Dichter an der vierten bis 1290 thätig war. Aus der ersten Partie sind die Marienlegenden (7. Buch, Kap. 56 bis 91) auch für sich handschriftlich überliefert: möglich, daß sie schon früher selbständig vom Dichter bearbeitet worden waren. Die zweite Partie, die Heiligenlegenden, hatte M. vorläufig bei Seite gelassen. Nach seinem Tode dichtete sie Philipp Utenbroeke, ebenfalls zu Damme wohnhaft. Die vierte Partie, welche bis zu Kaiser Heinrich V. gelangt war, wurde von Lodewijc van Velthem, Pastor zu Corbeke, bis auf das Jahr 1256 nachgetragen, und durch eine fünfte Partie die Geschichte bis 1315 fortgesetzt. Eine Ausgabe des Maerlant’schen Werkes veranstalteten Clignett und Steenwinkel, Amsterdam 1784–1849; und in wissenschaftlich hervorragender Weise M. de Vries und E. Verwijs, III, Leiden 1859 bis 1863. Dazu kam noch die Ausgabe der zweiten Partie nach einer inzwischen in Wien aufgetauchten Handschrift, welche Ferd. v. Hellwald mit den eben genannten Gelehrten zusammen herausgab, Leiden 1879. Vergleicht man Maerlant’s Spieghel mit den deutschen Weltchroniken, so wird man ihm nicht nur weit gründlichere Gelehrsamkeit zuerkennen, man wird auch die Wärme der Darstellung an geeigneten Stellen und den Fluß der Rede loben. Immerhin bleibt das Ziel des Dichters, die Mittheilung gelehrter Kenntnisse, ein allzu niederes, und die Vers- und Reimkunst, welche auch Inhaltsangaben, Geschlechtsregister und Aehnliches in ihren Bereich zieht, ist verschwendet. Weit mehr dichterischen Werth besitzen daher, und dies gilt allen erzählenden Gedichten Maerlant’s gegenüber, 13) eine Reihe von Werken in strophischer Form, in denen der Dichter persönliche und volksthümliche Anliegen zur Sprache bringt, zum Theil in dialogischer Einkleidung. Gesammelt sind diese strophischen Gedichte zuletzt und am besten von E. Verwijs, Groningen 1879, 1880 (Bibl. v. mnl. Lk.). Von den unter dem Namen Wapene Martijn zusammengefaßten Gesprächen besteht auch ein alter Druck, der 1496 zu Antwerpen erschien. Es sind drei Stücke, nach den Anfangsworten des ersten genannt. Der sich mit Jacob unterhaltende Martijn gibt an, daß er zu Utrecht wohne; nach dem Eingang des zweiten Gesprächs scheint er ein Kaufmann zu sein. Die Gespräche bewegen sich über sehr verschiedene Gebiete hin. Der Dichter bekämpft den Hochmuth des Adels und weist nach dem Sachsenspiegel den Ursprung der Knechtschaft im Zwange auf; er beklagt das unselige Mein und Dein; er preist die Frauen und versucht mehrere minnigliche Fragen zu entscheiden; aber auch die Ewigkeit der Höllenstrafen und [46] andere theologische Gegenstände werden erörtert. Das dritte Gespräch, „van der drievoudichede“, ist ganz ernst, eine Umschreibung des Glaubensbekenntnisses. Auch eine ironische Parodie des ersten Gespräches, „van den verkeerden Martine“, worin der Adel gelobt und Schmeichelei empfohlen wird, setzt man unter Maerlant’s Namen: der fragmentarische Zustand der Ueberlieferung erschwert die Entscheidung. Auf jeden Fall fanden die Gedichte auch Nachahmung durch Andere: so ward nicht nur eine Uebersetzung in das Lateinische durch den Priester Jan de Bukelare veranstaltet, sowie eine, noch nicht veröffentlichte, in das Französische. Wir haben noch einen IV Wapene Martijn, der, 1299 verfaßt, vielleicht von Hein van Aken herrührt (s. oben unter diesem Namen). Ferner hat Jan de Weert aus Ypern 1350 einen Wapene Rogier verfaßt (Kausler, Denkm. 3, 15 ff.), worin ebenfalls auf Maerlant’s Vorbild hingewiesen wird. In der Form des Wapene Martijn, einer 13zeiligen Strophe mit der Reimstellung aabaabaabaabb, wobei entweder a oder b klingend reimt, sind noch vier religiöse Gedichte verfaßt: „Ene disputacie van onser vrouwen ende van den heiligen cruce“, eine Abwägung ihres Werthes, wobei Maria die Süßigkeit des Glaubens, das Kreuz die Bitterkeit des von Christus verlangten Leidens vertritt; die „clausule (‚Strophen‘) van der bible“, eine Zusammenfassung der mit Maria verglichenen Gegenstände aus der biblischen Geschichte; „der kerken claghe“, vielleicht bezüglich auf die Wirren im Utrechter Bisthum nach der Wahl Jans von Nassau 1267; endlich „van den lande van Oversee“, das wegen seiner sicheren Datirbarkeit (1291) bereits erwähnt wurde. Dagegen muß es zweifelhaft bleiben, ob auch zwei kürzere Gedichte religiösen Inhalts von M. herrühren, die formell durch das Fehlen der 13. Strophenzeile von den übrigen abweichen, sich auch inhaltlich allzu sehr auf die kirchliche Ueberlieferung beschränken: sie sind betitelt van den V vrouden und van ons heren wonden. Für alle lyrischen Gedichte Maerlant’s wäre eine genaue Vergleichung der gleichartigen Poesie Frankreichs, zunächst Rutebeuf’s, noch zu wünschen.

Vgl. Jonckbloet, Gesch. der mnl. Lk. 3, 1–163. – Ders. Gesch. d. nl. Lk. 1, 165–199 (deutsche Ausgabe 1, 215–253). – De Vries, Einleitung zum Spieghel historiael. – Verwijs, Einl. zu der Naturen Bloeme. – Franck, Einl. zu Alexanders Geesten. – C. A. Serrure, J. v. M. en syne werken. 2e. uitg. Gent 1867. – J. te Winkel, Maerlants werken beschouwd als spiegel van de XIIIe eeuw. Leiden 1877.