ADB:Mühlhäußer, Karl August

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Artikel „Mühlhäußer, Karl August“ von Karl Friedrich Ledderhose in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 476–481, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BChlh%C3%A4u%C3%9Fer,_Karl_August&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 05:17 Uhr UTC)
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Mühlhäußer: Dr. Karl August M., Oberkirchenrath, ein Mann, nicht blos für Baden sondern für das deutsche Vaterland von Bedeutung, geb. 26. Febr. 1825, † 10. Januar 1881. Seine Jugendzeit verlebte er im badischen Oberlande, zuerst in Kleinkems am Rheine, alsdann in Feldberg, wo sein Vater Pfarrer war. M. sagt selber: „Wir (Kinder) führten zusammen ein fröhliches Kinderleben im Genuß reicher elterlicher Liebe.“ Der Vater war ein theologisch und philologisch gründlich gebildeter Mann, und hat seine beiden ältesten Söhne Fritz und Karl für das Gymnasium tüchtig vorbereitet. Im J. 1840 zog Vater M. als Pfarrer und Dekan in die Melanchthonstadt Bretten. Jetzt kam auch die Zeit, daß die beiden Söhne in das Gymnasium von Heidelberg eintraten, dessen Director ihr Oheim war. Nach drei Jahren besuchten sie die dortige Universität und studierten beide Theologie und Philologie. Besonders Karl warf sich mit Energie auf Philologie, aber vergaß auch die Theologie nicht. Umbreit und Ullmann besonders wurden gehört. Man hat aus der Studienzeit von den Söhnen und dem Vater köstliche Briefe, die das innige Verhältniß zwischen ihnen auf das wohlthuendste beweisen. Der Vater war ein durchweg christlich gläubiger Mann und freute sich herzlich, daß sein Glaube bei seinen Söhnen ein so deutliches Echo fand. Karl M. löste im J. 1844 eine Preisfrage der philosophischen Facultät. Er schloß sich mit seinem Bruder sowol dem Kränzchen des geistreichen Dekans Sabel, als auch dem des Dr. Ullmann an. Besonders aber war es Richard Rothe, der ihn an sich fesselte. Wenn auch späterhin M. sich von Rothe, namentlich in kirchenpolitischer Beziehung trennte, so blieb er doch ein Verehrer des geistvollen Theologen und es war ihm im J. 1878 ein Bedürfniß, seine Dankbarkeit gegen Rothe in der Herausgabe von dessen „praktischen Erklärung des ersten Briefes Johannis“ aus Rothe’s Nachlaß zu bezeugen. Was für Freude die beiden Studenten mit Recht dem Vater bereiteten, drücken die köstlichen Briefe desselben aus, und die Söhne lassen es nicht an Dankesbriefen fehlen. M. äußert in einem Briefe, „welch großes Glück es ist, solche Eltern zu haben“. Als die Brüder im April 1846 das erste Examen ablegten, erklärte Prälat Hüffell, einer der Prüfungscommissäre, daß sie „ausgezeichnet gut bestanden“. Rothe war damals Director des Predigerseminars, was für M. ein reicher Gewinn war, aber er war kein blinder Anhänger Rothe’s, er widersprach manchen Behauptungen desselben. M. gründete einen theologischen Verein, der nur wissenschaftlichen und geselligen Zwecken gewidmet war. Hier erkannte man schon den gebornen Führer. „Seine gründliche und überlegene Geistesbildung, die Klarheit und Gediegenheit seiner Kenntnisse und die Energie in der Behauptung seines eingenommenen Standpunctes und in der Verfolgung seiner hochgesteckten Ziele, gleicherweise die beneidenswerthe Redegewandtheit boten den sicheren Untergrund für eine solche Stellung“, urtheilt ein ihm nahestehender Studiengenosse. Sein theologisches Examen im März 1847 bestand er vorzüglich, wie nicht anders zu erwarten war. Er ging nun die gewöhnliche Laufbahn. Als Vikar kam er zu seinem kranken Onkel nach Eppelheim. Zu seinem und der Familie Schmerz stand er am 15. Februar 1848 an des Vaters Grab, der im Vorgefühl seines baldigen Heimganges an seine Söhne in Heidelberg geschrieben hatte: „Laßt Euch von Niemand ein Joch auflegen. Ihr lebt in eine gefährliche Zeit hinein. Bleibt fest im Glauben und in der Liebe des Herrn. [477] Bei Ihm seid ihr sicher, und wenn ich Euch und Eure lieben Geschwister in seiner Gemeinschaft weiß, so kann ich ruhig leben und freudig sterben.“ Das väterliche Vermächtniß haben sie treulich erfüllt. Unser M. wurde als Hof- und Stadtvikar nach Karlsruhe berufen, und erhielt 1851 den Titel Diakonus. Er trat hierauf in die Ehe mit Julia Wilhelmine Gockel, einer Tochter des Lyceumdirectors Gockel, die in jeder Beziehung für ihn paßte. In Karlsruhe entwickelte er seine bedeutenden seelsorgerlichen Gaben. Obwol kein glänzender Prediger wußte er doch durch seine meisterhafte Schriftauslegung die Herzen zu erbauen. Schon jetzt warf er sich mit Angelegenheit auf die Werke der innern Mission. Er nahm sich der Jugend, der Handwerksgesellen und der Lehrlinge thatkräftig an, und gründete die Blätter für innere Mission, welche Fink in Illenau späterhin redigirte. In verschiedenen Anstalten ertheilte er Religionsunterricht, den auch die Prinzessinnen des frommen Markgrafen Wilhelm genossen. – Seiner gesegneten Wirksamkeit in Karlsruhe wurde nur zu bald ein Ziel gesetzt, indem er im J. 1854 den Ruf als Pfarrer von Sulzfeld annahm. Es entsprach so ganz seinem einfachen Sinn, unter dem Landvolke mit der Predigt des Evangeliums zu wirken. Die Gemeinde hatte sich an der Revolution der Jahre 1848 und 1849 betheiligt und war in leibliche und geistliche Noth gerathen. Der junge Pfarrer mit seinem liebewarmen Herzen war der rechte Mann, der Gemeinde aufzuhelfen. Er gewann bald ihre Herzen. Wie sehr sie ihn liebten, bewiesen sie bei seinem Abschiede, der nur zu bald schon im März 1857 erfolgte, indem er zum Assessor in den Oberkirchenrath berufen wurde. Prälat Dr. Ullmann, der bekannte Theologe, hatte die Tüchtigkeit des Sulzfelder Pfarrers gerade für dieses Arbeitsfeld erkannt. Er war wie wenige dazu wie geschaffen. Seine Regierungsgabe, seine Liebe zu Kirche und Schule, seine wissenschaftliche Ausrüstung, seine Menschen- und Personalkenntniß, seine Liebenswürdigkeit im Umgange, besonders seine Arbeitskraft befähigten ihn zu einem hervorragenden Mitgliede der Kirchenbehörde. Man sah bald, daß dieser Mann für zwei arbeite. Er hatte das evangelische Volksschulwesen zu leiten, wozu er durch Studium und Praxis ganz besonders befähigt war. Ein neuer bekenntnißmäßiger Katechismus und eine neue biblische Geschichte wurden eingeführt; und eben sollte die von der Generalsynode des Jahres 1855 beschlossene treffliche Agende in den Kirchen eingeführt werden, als der Liberalismus eine wüste Agitation dagegen erhob. „Die neue Aera“ des Jahres 1860 wirkte auf Sturz des alten Oberkirchenrathes. Der damalige Präsident des Ministeriums des Innern, der liberale Dr. Lamey, drang auf Entfernung des positiven Oberkirchenrathes Heintz. Ullmann widersetzte sich, und als es nichts half, nahm er mit seinem Collegen Bähr die Entlassung. Wie sehr M. dies beklagte, läßt sich denken, aber er hielt es für seine Pflicht, auf seinem Posten auszuharren, obwol er einsah, daß er manchen Kämpfen entgegengehen werde. Mit Anfang des Jahres 1861 wurde er wirklicher Oberkirchenrath, und hat als solcher noch vier Jahre segensreich gewirkt. Von Wichtigkeit war dies in Beziehung auf die Einführung der neuen Kirchenverfassung, die von dem sogenannten „Gemeindeprincip“ ausgehend den Laien eine ausgedehntere Betheiligung an dem Kirchenwesen gestattete. Bei dem kirchenpolitischen Scharfblick und kirchlichen Verständniß Mühlhäußer’s wäre es von Interesse, seine Ansichten darüber zu vernehmen. Er hat sie in einem Aufsatze niedergelegt, worin er seine Uebereinstimmung in manchen Punkten, aber auch seinen Gegensatz in anderen ausspricht. Einen wunden Punkt, nämlich den Mangel an kirchlichen Qualitäten der Wähler hat er nicht berührt, obwol er späterhin oft diesen Mangel entschieden getadelt hat. Vom Großherzog zum Mitgliede der Generalsynode berufen, hielt er mit Redegewandtheit seinen Standpunkt fest, aber vergeblich, der Liberalismus hatte die Oberhand. Bei der Annahme [478] der Verfassung enthielt er sich der Abstimmung. Ihm wurde noch die Ueberleitung des Volksschulwesens von dem Oberkirchenrath auf den neuen Oberschulrath übertragen. Seiner Geschicklichkeit und Entschiedenheit war es zu verdanken, daß dem Oberkirchenrathe die Aufsicht über den Religionsunterricht verblieb. Es trat aber auch für ihn der Fall ein, daß er von seinem Posten zurücktrat. Das geschah, als der ganz linksstehende Hausrath, jetzt Professor in Heidelberg, als Assessor in die Kirchenbehörde berufen wurde. Es wurde M. nicht leicht, seine ihm liebgewordene Stellung aufzugeben. Die Entlassung wurde zur Freude der Feinde gewährt, er mußte aber noch so lange im Collegium bleiben, bis eine Gemeinde ihn wählte. In dieser Wartezeit legte er noch ein entschiedenes Bekenntniß ab in Sachen der 118 bekenntnißtreuen Geistlichen gegen Schenkels Buch „Das Charakterbild Jesu“ und dessen Stellung als Seminardirector in Heidelberg. Was M. am 17. August 1864 bei der Verhandlung in dieser Angelegenheit dargelegt hat, besitzt man noch in schriftlicher Aufzeichnung von seiner Hand. Es ist ein mannhaftes Bekenntniß in einer kirchlichen Prinzipienfrage, das aber zum Schaden der Kirche nicht angenommen worden ist. Die Gleichberechtigung zweier sich entgegenstehender Richtungen ist ihm nach seiner kirchlichen Stellung ein Ding der Unmöglichkeit. „Ich fühle mich verpflichtet“, erklärte er, „daß ich die hier niedergelegten Principien für unverträglich mit dem Wesen der evangelischen Kirche und für verderblich insbesondere für unsere Landeskirche halte.“ Demgemäß legte er in der Schenkel’schen Angelegenheit protokollarisch Protest ein. Ein Ruf der Barmer Missionsgesellschaft, ihre Missionsgemeinden in Südafrika zu einer Kirchengemeinschaft zu organisiren und nach Ausrichtung dieses Werks in der preußischen Landeskirche eine Stelle zu erhalten, hatte für ihn etwas Verlockendes, und doch glaubte er nicht gehen zu dürfen, besonders da ihn die Gemeinde Wilferdingen zwischen Karlsruhe und Pforzheim am 11. October 1864 zu ihrem Pfarrer wählte. Er hat als Pfarrer in dieser nicht großen Gemeinde durch Treue in Predigt und Seelsorge gesegnet gewirkt, aber gerade von hier aus hat sich seine Arbeit auf seine heimathliche Kirche, auf sein engeres Vaterland Baden und auf Deutschland in großartigem Maaßstabe ausgedehnt. Was ging nicht alles von dem unscheinbaren Wilferdinger Pfarrhause aus! Man konnte schon auf der Generalsynode von 1861 erkennen, daß M. eigentlich der Führer der positiven Minderheit ganz ungesucht geworden war, wie er es bis zu seinem Tode geblieben ist. Wie entschieden stellte er sich auf der Pfarrkonferenz von Durlach im Mai 1865 auf das Bekenntniß der Kirche und namentlich auf den Mittelpunkt desselben, nämlich die Gottheit Jesu Christi. Wenn man auch dem Unglauben nicht wehren könne, so dürfe man doch nicht zugeben, daß er mit dem Glauben Gleichberechtigung in der Kirche erhalte. Das sagte er mit Beziehung auf Schenkel und sein Buch. Und auf diese Gkeichberechtigung schien auch die Kirchenbehörde hinwirken zu wollen. Dieser Macht hatte die Minderheit nichts gegenüber zu stellen, als ihre Ueberzeugung von Wahrheit und Recht. Schon in dieser meisterhaften Rede in Durlach sprach er es bestimmt aus, daß das Evangelium auf allen Lebensgebieten zur Geltung gebracht werden müsse. Dazu sei aber eine Vereinsorganisation nöthig, und es gelang ihm, einen solchen Verein derer, „welche auf dem Grunde der heiligen Schrift und der reformatorischen Bekenntnisse stehen“, zu Stande zu bringen. Es ist die „Evang. Conferenz“, welche gewöhnlich im Frühjahr und Herbst zusammentritt und die kirchlichen Fragen beräth. Seine Führerschaft der Positiven bewährte er auf der Generalsynode des Jahres 1867. Es waren drei Fragen, welche diese Versammlung beschäftigten, das Seminar, der Katechismus und das Bekenntniß. M. vertrat die Sache der Minorität so mächtig, daß wenn auch die Linke die Majorität [479] auf ihrer Seite hatte, die Rechte doch den moralischen Sieg davontrug. Es ist eine seiner gewaltigsten Reden, die er in der Bekenntnißfrage gehalten hat. Der Beschluß der Synode von der Gleichberechtigung der Richtungen fand nicht die Genehmigung des Großherzogs. Auf der Friedenssynode des Jahres 1871 hatte M. die Freude, das Häuflein der Positiven vermehrt zu sehen, aber auch die, daß manche seiner Vorschläge angenommen wurden. Doch unausgeglichen blieben die alten Gegensätze und werden es wohl auch bleiben, denn es handelt sich, wie M. einmal sagte, um zwei verschiedene Religionen. Aber er war nicht für Austritt aus der Kirche, wie er im Mai 1872 auf einer Conferenz erklärte: „Wollen wir den Bestand unserer Landeskirche erhalten, solange es möglich ist, so müssen wir eben den jetzigen Zustand in Geduld ertragen, bis Gott bessere Zeiten giebt.“ Etwas günstiger gestalteten sich die kirchlichen Verhältnisse seit der Generalsynode von 1876, deren Mitglied M. wieder war. Vier Synoden gehörte er an, und er war wirklich hervorragend, sowie er auch Manches durchsetzte. Jedoch weder hier, noch im Landtage erlangte er die Besetzung eines theologischen Lehrstuhls mit einem positiven Professor. Aber M. war kein so steifer Kirchenmann, daß er nicht ein Herz für die Bestrebungen der innern Mission gehabt hätte. Er war der Prediger des Schlußgottesdienstes der Generalsynode 1876, der letzten, der er anwohnte, die Wahl seines Textes (Matth. 9, 26–28) von der Liebe Christi zu dem verschmachtenden und zerstreuten Volke zeigte ihn als den Mann der innern Mission. Deshalb war er auch Wichern mit Begeisterung zugefallen, als derselbe im J. 1848 die Fahne der inneren Mission entfaltete. Von M. stammen die Lesesäle für Gesellen und Lehrlinge, so wie die Volksbibliothek in Karlsruhe. Alle die christlichen Anstalten in Baden fanden an ihm einen eifrigen Förderer. Er war der Gründer und die eigentliche Seele der „Südwestdeutschen Conferenz für innere Mission.“ Sie umfaßt Baden, Württemberg, Hessen und die Rheinpfalz. Dieser Verein gedieh rasch und stellte Reiseprediger auf, die in seinem Interesse gesegnet wirken. M. erkannte tief die religiösen, sittlichen und socialen Nothstände des Volkes und mit dem Evangelium von Jesu Christo als dem einzigen Heilmittel wollte er geholfen wissen. Und wie viel Erfreuliches durfte er erleben! Er sah ein, daß er sich, so wie alle, die seinen Glaubensstandpunkt einnahmen, an den staatlichen Verhältnissen betheiligen müsse. Und so sehen wir denn M. auf der politischen Arena als einen ungewöhnlichen Mann auftreten. Nicht aus Liebhaberei am politischen Kampfe, noch weniger aus Ehrgeiz, sondern aus Liebe zum Volke wurde er Politiker. Schon im J. 1867 hatte ihn der conservative Landbezirk Karlsruhe als seinen Abgeordneten in die zweite badische Kammer gesandt, und man muß sagen, daß er zu einem Parlamentarier wie geschaffen war. Selbst die liberale Mehrheit schenkte ihm ihre Aufmerksamkeit. Seine Sachkenntniß, sein staatsmännischer Blick, seine schlagfertige Beredsamkeit, seine große Ruhe, und sein deutsch-nationaler Sinn und die Liebe zum Volke mußten Jeden anziehen. Er bekämpfte das liberale Schulgesetz, auch als noch nicht die Mischung der Confessionen ausgesprochen war. Er trat wider die obligatorische Civilehe, die Abschaffung der geistlichen Eidesvorbereitung, und wider das Stiftungsgesetz des Ministers Jolly entschieden auf, und es trafen alle die üblen Folgen ein, welche M. vorausgesagt hatte. Daß ein solcher Mann die Zielscheibe ordinärer Angriffe in der freisinnigen Presse geworden ist, war zu erwarten, er beachtete sie aber nicht. Noch im J. 1867 lernte ihn sein Wahlkreis als einen volksthümlichen Redner kennen. Er besuchte mehrere Gemeinden, um Rechenschaft über seine Landtagsarbeit abzulegen. Eine dieser Volksreden ist gedruckt. Bei späteren Wahlen unterlag er durch die Agitation des damals allmächtigen Liberalismus. Die Liberalen fürchteten besonders M. weil sie die gemischte oder Simultanschule obligatorisch gegen die Wünsche des Volkes einzuführen im Sinne hatten. [480] Ruhig saß M. aber nicht in seiner Pfarrei. Er hielt Versammlungen ab und namentlich betheiligte er sich lebhaft in der Presse. Die Errichtung des deutschen Kaiserreichs begrüßte er mit Freude, denn er war ein guter deutscher Patriot, aber er war es auch, der mit Helldorf und Geffcken die deutsch-conservative Partei gründete und an dem Programm derselben nahm er hervorragenden Antheil. Auch in Baden sammelten sich die conservativen Elemente und ihr Organ, die „Badische Landpost“, hatte an ihm von Anfang an bis zu seinem Tode einen der thätigsten Mitarbeiter. Große Genugthuung gewährte es ihm, daß zwei conservative Männer, Katz von Gernsbach und der staatsmännisch hochbegabte Freiherr von Marschall in den Reichstag gewählt wurden. Er selbst wurde im J. 1879 wieder von seinem alten Wahlbezirke in die badische Kammer gewählt. Bei Abschaffung des Culturexamens erhob er im Interesse der evangelischen Kirche seine Stimme mächtig. Ja er gab sogar, obwohl schon leidend, seinen Namen zur Wahl in den Reichstag her, als durch den Tod des Reichsboten Katz jener Bezirk nicht vertreten war. Daß er nicht gewählt wurde, war für den kranken Mann sehr gut. Obgleich in die Stille gewiesen, betheiligte er sich noch immer auf’s angelegentlichste an der conservativen Sache durch viele Briefe. Er machte manche schmerzliche Erfahrungen, ließ aber seinen Muth nicht sinken. Er schrieb im October 1880: „Halten wir für die Zukunft unsere Fahne aufrecht. Es wird schon vielen eine Ermuthigung sein, daß wir sie nicht sinken lassen.“ Der Erfolg hat dies Wort gerechtfertigt. Nicht wenig trug dazu die conservative Presse bei, welcher er seine Feder lieh. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift, die „Zeitfragen“ erschien sein Vortrag: „Christenthum und Presse“. Er ging von dem gewiß richtigen Grundsatze aus, daß der unchristlichen Weltanschauung die christliche entgegengesetzt werden müsse. Er kannte genau den Einfluß der schlechten Presse auf das Volk, aber wußte auch wie absolut nothwendig die gute christliche Presse sei. Längere Zeit redigirte er das „Evangelische Kirchen- und Volksblatt“ für Baden. Er besorgte sogar aushülfsweise die Redaction der badischen Landpost, deren Entstehen hauptsächlich sein Verdienst ist. Er pflegte manchmal zu sagen, daß ihm die Presse auch eine Kanzel sei. „Wenn ich einen Zeitungsartikel schreibe oder ein gutes Blatt verbreite, so diene ich meinem Gott gerade so gut, wie wenn ich eine Predigt halte.“ Wenn er auch kein Buch geschrieben hat, so sind doch eine hübsche Reihe von zum Theil größeren Aufsätzen in verschiedenen Zeitschriften erschienen, z. B. „die Zukunft der Menschheit“, worin, wie er sagt, „ein Stück seines Glaubensbekenntnisses“ enthalten sei. Wie in der Presse, so war er auch in der Rede von tiefem, nachhaltigem Einflüsse. Obgleich er aber viel auswärts war, ist seine Pfarrei doch nicht zu kurz gekommen. Seine Pünktlichkeit und seine Gabe, leicht zu arbeiten, ließen ihn nichts vernachlässigen. Er schrieb alle seine Predigten, selbst auf die Wochengottesdienste bereitete er sich vor. Auch die Kranken bediente er seelsorgerlich. Noch 14 Tage vor seinem Tode erhob sich der kranke Mann von seinem Bette, um einem Typhuskranken auf dessen Wunsch Worte des Trostes zu sagen. Die Gemeinde erkannte diese Treue, setzte „Ihrem treuen Seelsorger“ nach seinem Tode einen Grabstein und wählte einstimmig seinen Bruder zu seinem Nachfolger.

Es ist begreiflich, daß ein so viel beschäftigter Mann den größten Theil des Tages in seiner Studirstube verbrachte. Seine Erholung suchte er in seiner Familie und in seinem Garten, in dem er seine Lieblinge, die Blumen pflegte. Er unterrichtete seine Kinder selber, wie sein Vater that. Das Wilferdinger Pfarrhaus, in dem die Gastfreiheit zu Hause war, erfreute sich zahlreichen Besuches. Wenn er seiner theologischen und politischen Richtung wegen von Oben in seinem Heimathlande keine Anerkennung fand, so hat doch die theologische [481] Facultät der Universität Bonn bei ihrer 50jährigen Jubelfeier den Pfarrer von Wilferdingen der theologischen Doctorwürde würdig geachtet. In seinem Dankschreiben lernt man M. recht schätzen. Manchmal äußerte er: „Leben ist Arbeit, und Arbeit ist Leben“, oder auch: „Mein Leben in Arbeit, meine Ruhe in Gott“. Fast bis zum letzten Tage seines Lebens hat der thätige Mann gearbeitet, aber leider sollte dieses köstliche Leben nur zu bald stille gestellt werden. Im J. 1879 quälte ihn ein beschwerliches Nierenleiden, das trotz allerlei Heilmittel nicht weichen wollte. In der Typhusepidemie, die seine Gemeinde heimsuchte, rieb der leidende Seelsorger, welcher die Kranken treulich besuchte, seine Kräfte vollends auf. Trotz des Fiebers, das ihn im November 1880 befiel, hielt er noch den Confirmandenunterricht und alle Gottesdienste, ja sogar bei starker Kälte die Beerdigungen. In seiner Schlußpredigt im alten Jahre schluchzte die ganze Gemeinde. Er raffte seine letzten Kräfte noch zusammen, um am Neujahrstage und am ersten Sonntage 1881 zu predigen. Er rüstete sich auf eine lange Krankheit, und äußerte einmal zu seiner Frau: „Ich habe meinem Gott im Leben mit meiner Arbeit gedient, nun will ich es auch im Leiden thun.“ Die Leidenszeit währte aber nicht lange, der Geist blieb klar bis zum 18. Januar, noch dictirte er von seinem Schmerzenslager aus der Tochter, sprach mit allen freundlich, man hörte nie eine Klage. Er stärkte sich an den Psalmen und an seinem Lieblingsliede: „Freu dich sehr, o meine Seele“. Am 20. Januar 1881 gleich nach Mitternacht hatte er ausgelitten. Am 22. Januar fand die Beerdigung statt. Trotz furchtbarer Kälte war die Betheiligung von allen Seiten eine außerordentliche. Es ist ein besonderes Schriftchen darüber mit einem kurzen Lebenslaufe des Verewigten erschienen.

Die Hauptschrift über ihn in den „Zeitfragen des christlichen Volkslebens“ ist: Dr. Karl August Mühlhäußer, ein Bild seines Lebens und Wirkens, von Pfarrer Reinmuth.