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Artikel „Liutprand“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 9–19, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Liutprand&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 13:49 Uhr UTC)
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Liutprand, Langobardenkönig, 712–744. Sohn Ansprands, eines angesehenen Langobarden aus edler „fara“ (Geschlecht), welche in Mailand ihren Sitz hatte. Ansprand war im J. 700 von König Kuninkpert als Muntwalt seines jungen Sohnes Liutpert bestellt für den Fall seines Todes und als Reichsverweser. Noch im J. 700 starb Kuninkpert und Ansprand trat für Liutpert die Regentschaft an. Aber Herzog Raginpert von Turin, Kuninkperts Vetter, Liutperts Oheim, der Sohn weiland König Godiperts, der nach des Anmaßers Grimuald Tod in der ihm näher zustehenden Nachfolge des (von Grimuald) ermordeten Godipert durch Pertari (s. d.), Godiperts jüngeren Bruder, war verdrängt worden, nahm nun den Thron in Anspruch, [10] empörte sich und schlug Ansprand nebst dessen Verbündetem Herzog Rothari von Bergamo, bei Novara. Zwar starb Raginpert bald darauf, aber ihm folgte sein Sohn Aripert II., welcher die Besiegten von Novara, die wieder zu den Waffen griffen, wiederholt schlug: Liutpert ward gefangen und getödtet, Ansprand floh auf die befestigte Insel Comacina im Comer See und von da durch die Schweiz ca. 702 zu dem agilolfingischen Herzog Theodepert, Sohn Theodo I. von Baiern. Ansprands Familie aber war in die Hände Ariperts gefallen: er ließ dessen Gattin Theoderâda, welche sich rühmte, doch noch Königin zu werden, Nase und Ohren abschneiden, den älteren Sohn Sigiprand blenden, den Bischof Petrus von Pavia, einen Verwandten unbestimmbaren Grades, nach Spoleto verbannen, den jüngern Sohn L. aber, der als ungefährlich und „geringwerthig“ (despicabilis) galt, zu dem Vater abreisen. Im J. 712 drang jedoch Ansprand mit seinem Sohn mit baierischen Schaaren in Italien ein: nach blutiger Schlacht, wich Aripert (der Ort ist unbestimmbar: nur zwischen den Alpen und Pavia) unbesiegt, aber stark geschwächt und ohne Kenntniß von dem Stand der Dinge im Feindeslager nach seiner Residenz Pavia zurück. Dieser Rückzug entmuthigte sein Heer und schien es zum Abfall zu treiben: so fürchtete Aripert und beschloß, in das Frankenreich zu fliehen. Aber da er den Ticinus zur Nacht durchschwimmen wollte, ertrank er (März 712), nach sagenhaft gefärbtem Bericht in die Tiefe gezogen von den Schätzen, mit denen er sich allzuschwer beladen hatte. Nachdem die Leiche gefunden war, fiel das Volk Ansprand zu: aber schon nach drei Monaten starb dieser ausgezeichnete König, „dem Wenige an Weisheit glichen“ (13. Juni 712). Schon vor seinem Tode (zwischen 6. und 13. Juni) war L. zu seinem Nachfolger ernannt worden. Er vermählte sich (etwa 716) mit Guntrut, der Tochter Theodeperts von Baiern, dessen Waffen er und Ansprand die Rückkehr in das Vaterland und folgeweise die Krone verdankten. Enge Beziehungen zwischen Langobarden und Bajuvaren bestanden seit alten Zeiten, wiederholte Verschwägerungen der bajuvarischen Agilolfinger mit langobardischen Könighäusern hatten stattgefunden: beide Stämme hatten einen gemeinsamen Feind in dem Frankenreich. Gleichwol kam es unter L. zu Kämpfen zwischen Langobarden und Bajuvaren, wobei L. einige Burgen an der Etsch (Athesis), darunter Mais, nahm, bei Gelegenheit des Thronkrieges unter den Agilolfingen (a. 724–725), da nach Theodeperts Tode (a. 724) dessen Sohn Hucpert von seinem Vatersbruder Grimuald seines Erbes beraubt werden sollte: L. zog seinem Schwäher zu Hülfe und besetzte bei diesem Anlaß jene Plätze, welche er dann behielt. (Dies hat W. Martens S. 16 f. [s. unten die Litteraturangaben] scharfsinnig wahrscheinlich gemacht.) Uebrigens traten gerade unter L. die Langobarden in Freundschaft und Bündniß mit den Franken. L. und Karl Martell (s. d. Art.) waren beide hervorragende Männer und wurden enger verbunden durch die von dem Islam her drohende Gefahr, nachdem die Mauren (a. 711) das Westgothenreich in Spanien zerstört, die Pyrenäen überschritten hatten und nun alle übrigen Christenreiche zu bekämpfen sich anschickten. In den dreißiger Jahren sandte Karl seinen etwa 20 Jahre alten Sohn Pippin zu L., auf daß dieser ihn durch Abscheerung des Haares (Bartflaumes) nach germanischer Sitte (J. Grimm, Rechtsalterthümer, 2, Göttingen 1854, S. 464, es ward dadurch ein Pietätsverhältniß begründet, aber ohne ein Erbrecht zu erzeugen), an Sohnes Statt annehme. Das Treuebündniß beider Herrscher ward wenige Jahre darauf dadurch bethätigt, daß, als a. 739 die Mauren wieder in Südfrankreich eingebrochen waren, L. auf Karls Anrufen diesem ein Heer zu Hülfe sandte, bei dessen Anmarsch die Feinde das bereits eroberte Arles räumten und abzogen. (Man hat neuerlich diese Angabe des Paulus Diaconus in Zweifel gezogen: meines Erachtens ohne voll ausreichende Gründe; vgl. auch [11] Martens, S. 23.) Die gesammte übrige Thätigkeit Liutprands galt der Befestigung des Königthums gegenüber den nur allzu gewaltigen großen Herzogen und der Ausdehnung der Grenzen oder doch des Ansehens des Reiches gegenüber den anderen Mächten auf der Halbinsel. Um diese ziemlich verwickelten Verhältnisse zu erklären, muß man vorausschicken eine gedrängte Uebersicht des Entwickelungsganges der Dinge und der Gruppirung der gegeneinander ringenden Kräfte in Italien seit der langobardischen Einwanderung. Dieses Eindringen geschah (a. 568) von Nordosten her: die damalige Provinz Venetien, dann Istrien, Friaul und die Lombardei wurden zuerst überströmt, Pavia (Ticinum) zur Hauptstadt des Reiches erhoben. Von hier aus breiteten sich die Einwanderer erst allmählig über den Süden und Westen der Halbinsel aus. Niemals aber gelang es ihnen, ganz Italien in ihre Gewalt zu bringen: im Süden, sowie in dem „Exarchat von Ravenna“ behaupteten sich die Byzantiner: diese unbezwingbare Festung der Sümpfe hätte nur durch Hunger bewältigt werden mögen: aber das war unmöglich, so lange sie durch ihre Hafenstadt Classis die freie Verbindung mit dem Meere hatte und die Langobarden begingen den schwer begreiflichen Unterlassungsfehler, niemals eine irgend nennenswerthe Kriegsflotte herzustellen: sie wurden nie eine Seemacht. Dazu kam, daß die vier großen Grenzherzogthümer des Langobardenreiches, Trient im Norden, Friaul im Nordosten, im Süden Spoleto und namentlich Benevent von der Krone fast unabhängige kleine Sonderstaaten bildeten: in weit höherem Maße noch als von den drei anderen galt dies von Benevent. (Vgl. die vortreffliche Darstellung in Pabst, Geschichte des langobardischen Herzogthums, Forschungen zur deutschen Geschichte, II. und Hirsch, Das Herzogthum Benevent bis zum Untergang des langobardischen Reiches, Leipzig 1871.) Endlich aber war eine weitere selbstständige Macht in Italien der römische Bischof. Für die großartige Entfaltung der katholischen Hierarchie mit ihrer Weltherrschaft im Mittelalter war es von wichtigster Bedeutung gewesen, daß seit dem Untergang des Ostgothenreichs der Papst keinen weltlichen Herrn in Rom, in Ravenna, auf der ganzen Halbinsel über sich hatte. Seit a. 555 war der oströmische Kaiser wieder sein einziger und unmittelbarer Souverän: aber dieser saß fern in Byzanz und nur einmal in den Jahrhunderten bis auf Karl den Großen ist ein Imperator von dorther zu kurzem Besuch nach Italien gekommen. Zwar residirte sein Statthalter zu Ravenna, aber eben – zu größtem Vortheil für den Papst – nicht in Rom. Und seit der Einwanderung der Langobarden hatte der Exarch so viel mit diesen zu schaffen, daß er nicht daran denken konnte, das Bestreben nieder zu drücken, mit welchem der Bischof von Rom sich in dieser Stadt und ihrer Umgebung eine weltlicher, staatlicher Souveränität immer ähnlicher sich gestaltende Machtstellung kühn und klug und beharrlich emporbaute. Sehr viel trug hierzu bei, daß gegen die langobardische Bedrängung Kaiser und Exarch sehr selten Beistand und ausgiebige Hülfe fast nie leisteten, daß dagegen die Päpste mit den Mitteln ihres geistlichen Ansehens, wie durch Klugheit und Muth wiederholt den Widerstand der Bürger geleitet oder die bedrohenden Fürsten abgelenkt hatten. Die Langobarden mußten nach dem Besitz von Rom trachten: daran ward durch ihren Uebertritt zum Katholicismus durchaus nichts geändert. Die natürlichen Verbündeten der Päpste gegen die Langobarden waren nun aber die Franken: anfangs schon deshalb, weil diese im ganzen Abendland die einzigen katholischen Germanen waren. Aber auch nachdem die Langobarden das orthodoxe Bekenntniß angenommen, blieb es für die Regel bei jener Gruppirung, da ja Franken und Langobarden fast stets feindselige Nachbarschaft hielten. Die ungünstigste, weil fast ganz isolirte Stellung unter den mit einander ringenden italischen Mächten war hienach die der langobardischen Könige, welche zugleich [12] Byzanz (Ravenna), den Papst, die Stadt Rom, die Franken und oft die eigenen Grenzherzoge wider sich hatten. Zum Glück für die Herrscher zu Pavia stellten sich aber unter ihren Feinden manchmal Spannungen, ja Kämpfe ein: Byzantiner und Franken hielten zwar meist, doch nicht immer zusammen: die Stadt Rom, d. h. die Adelsparteien, der dux des ducatus Romanus und der „Senat“ waren nicht mit jedem Papst in gutem Vernehmen. Von höchster Bedeutung aber ward es, daß zwischen dem Kaiser zu Byzanz und dem römischen Bischof der sogen. „Bilderstreit“ ausbrach, der beide Mächte auf das bitterste verfeindete. – Zunächst nahm König L. die Gelegenheit wahr, das bis dahin von der Krone völlig unabhängige Herzogthum Benevent näher heran zu ziehen: er vermählte mit Herzog Romuald II. seine Schwester-Tochter Aurona, a. 728 leistete Romuald dem König den Eid der Treue; als er a. 732 starb, schützte L., in Person nach Benevent eilend, dessen Söhnlein Gisulf wider eine Gegenpartei, führte dasselbe mit sich fort und setzte seinen eigenen Neffen Gregor zum Herzog ein. Den Herzog Faroald II. von Spoleto nöthigte L., die den Byzantinern abgenommene Hafenstadt von Ravenna, Classis, wieder herauszugeben (ca. 716), ein Schritt, dessen Motivirung sich unserer Kenntniß ebenso entzieht, wie fast alles Andere in dieser Politik außer der nackten Thatsache selbst. Weshalb L. Ravenna nicht für sich verlangte, aus welchen Gründen er darauf verzichten mußte, – wir wissen es nicht. Wir finden nur mehrere Jahre später (a. 728) den König im Bunde mit dem Patricius Eutychius zu Ravenna gegen Transamund II. von Spoleto (der 723–724 seinen Vater Faroald II. entthront hatte), gegen Benevent (s. oben S. 11) und wol auch gegen Papst Gregor II., wider welchen sich der Exarch wandte, während der König die beiden Herzoge wenigstens dahin brachte (ohne Waffengewalt, so viel wir wissen), zu Spoleto den Treueid zu schwören. Auch in die Verhältnisse des dritten mächtigsten Herzogthums, Friaul, griff L. kräftig ein: hier war es der sehr tüchtige Herzog Pemmo, der die Slaven (Avaren), die alten Plagegeister dieser Marken, Niederlagen seiner Vorgänger und gräuelvolle Verwüstungen des Landes rächend, tapfer zurückgeschlagen hatte. Er gerieth in heftigen Streit mit dem von L. eingesetzten und begünstigten Patriarchen Calixtus von Aquileja, der eigenmächtig seinen Sitz von Cormona nach Friaul (Forum Julii), der Residenz des Herzogs, verlegt und den mit Zustimmung des letzteren hier residirenden Bischof Amatus von Julia Carnica gewaltthätig aus dessen bisherigem Palatium vertrieben hatte. Pemmo verhaftete Calixtus und soll dessen Leben bedroht haben. Sofort entsetzte ihn aber der König des Herzogthums und verlieh es des Entsetzten erstgeborenem Sohn, Ratchis (s. den Art.): dieser vermittelte zwischen seinem Vater und dem König, hielt den ersteren ab mit seinem Anhang zu den Slaven zu flüchten und verschaffte ihm freies Geleit zu dem Königsgericht zu Pavia, wo freilich dann alle Anhänger Pemmo’s verurtheilt, nur er selbst mit seinen beiden jüngern Söhnen Aistulf (s. den Art.) und Ratchait begnadigt wurde. Papst Gregor II. (715 bis 731) hatte in dem Bestreben, die langobardische Macht nicht auf Kosten der kaiserlichen erstarken zu lassen, noch im J. 718 (ungefähr) den byzantinischen dux Johannes von Neapel ermahnt, dem Herzog Romuald II. von Benevent das feste Cumae, das dieser mitten im Frieden überrumpelt, wieder zu entreißen und ihm nach glücklicher Ausführung dieser That das dafür versprochene Gold ausgezahlt (außer Neapel und Cumae gehörten zu diesem ducatus Amalfi, Nuceria, Sorrent, Bajae, Puteoli, Acerrae). Nach Ausbruch des Bilderstreites (a. 726) geriethen aber der Papst und Kaiser Leo III. in heftigsten Gegensatz: die Italiener erhoben sich in offener Empörung gegen die „bilderstürmenden“ Byzantiner zum Schutz der altverehrten Heiligthümer: die Gelegenheit war L. höchst günstig zur Ausbreitung seiner Macht, wenn auch der Papst niemals [13] mit voller Entschiedenheit sich auf Seite der Langobarden gegen das Kaiserreich stellte: nur dem einzelnen ketzerischen Kaiser trat er gegenüber. L. nahm den Byzantinern Narni (a. 726?) und, mit Aufgebot der ganzen Heeresmacht, die Hafenstadt von Ravenna, Classis, vielleicht auch auf kurze Zeit Ravenna selbst. (Dies bisher allgemein angenommen, ist neuerlich durch Martens, Excurs, S. 66, mit unverächtlichen Gründen in Zweifel gezogen worden, s. unten S. 19 die Litteraturangabe.) Der außerordentliche Erfolg gelang nur, weil die Ravennaten in blutigem Aufruhr sich gegen die Besatzung erhoben hatten. Es ist auffallend, daß bald darauf (a. 728–729) L. mit dem byzantinischen Patricius Eutychius zusammen gegen den Papst und die Herzoge (s. oben S. 12) auftritt: die Langobarden, welche (fast) gleichzeitig dem Papst Beistand gegen die Byzantiner leisteten, sind daher keinesfalls Unterthanen Liutprands, sondern wol der empörten Herzoge. In denselben Jahren (726–728) vernehmen wir aber wieder von der Wegnahme mehrerer Städte in der Aemilia, darunter Bologna, und in dem „Fünfstädte-Gebiet“ („Pentapolis“): Ancona, Ariminum, Pisaurum, Fanum, Numana) durch den König. Auch weist er die Friedensvorschläge des Patricius ab. In den Jahren 728 und 729 zog L. zwei Mal in das römische Gebiet und nahm 728 Sutri: aber schon nach 140 Tagen gab er diese Stadt gegen Geld – dem Papste, nicht den Kaiserlichen – heraus zu eigenem Besitz, „die erste Schenkung einer Stadt an die Kirche, der erste Keim des Kirchenstaates außerhalb Roms“. Es ist ungerecht, ohne alle Kenntnisse der Verhältnisse die Handlungsweise des Königs zu verurtheilen. Aber soviel dürfen wir sagen, daß sie uns hier und in den folgenden Zugeständnissen an den Papst geradezu unbegreiflich scheint, wenn anders wir L. den Gedanken, Ravenna, Rom und ganz Italien zu gewinnen, beilegen wollen: fromme Gesinnung gegen Papst und Kirche, auch innere Schwäche seiner Regierungsgewalt – es fehlte auch, abgesehen von den rebellischen Herzogen, nicht an Widersachern (s. unten) – mögen Manches erklären, namentlich eine mystische Stimmung, welche auch andere Herrscher jener Tage zu Handlungen fortriß, für deren Würdigung uns fast der Maßstab fehlt. – Unerachtet der Schenkung von Sutri an den Papst, im J. 728, zog im folgenden Jahre (729) L., diesmal mit Eutychius zusammen, in das römische Gebiet: ja er lagerte auf dem „Felde des Nero“, dicht vor den Thoren der Stadt. Doch gelang es dem Papst, bei einer Zusammenkunft den König durch die Mittel geistlicher Ueberredung zu friedlichem Abzug zu bewegen, ohne daß dieser unseres Wissens irgend etwas erreicht hätte. Er häufte auf den Papst und die römische Kirche hohe Ehren und suchte ihn zur Annäherung an Byzanz zu gewinnen. Wahrscheinlich sollte der Papst vor allem bewogen werden, nicht die rebellischen Herzoge zu unterstützen. Allein gerade dies that Gregors Nachfolger, Gregor III. (a. 731–741), der auch den Bilderstreit mit Byzanz heftig fortführte: sodaß nun Langobardenherzoge, Langobardenkönig, Papst, Italiener und byzantinische Besatzungen als unter einander kämpfende, gelegentlich verbündete Parteien zu unterscheiden sind. Römer, unter byzantinischer Führung, versuchten, L. Bologna wieder zu entreißen, wurden aber von des Königs Feldherrn blutig zurückgeschlagen. Dagegen gelang es der emporstrebenden Lagunenstadt Venedig, den Langobarden Classis (und Ravenna) durch Ueberfall wieder abzunehmen (s. unten). L. machte unseres Wissens damals wenigstens keinen Versuch, diese für weitergreifende Pläne so wichtige Stellung wieder zu gewinnen. Doch könnte ein langobardisches Heer, welches in Abwesenheit des Königs (damals?) bei Ariminum bis zur Vernichtung geschlagen ward, gegen Ravenna bestimmt gewesen sein. Gleichzeitig führten die Byzantiner aber auch Krieg gegen die wider den bilderstürmenden Kaiser empörten Italiener, welche sich, folgerichtig, dem Langobardenkönig näherten: eine [14] Anzahl derselben, die L. Ehrengeschenke bringen wollte, ward von den Kaiserlichen erschlagen oder gefangen. L. hatte zweifellos die Bändigung der Herzoge als Hauptwerk seiner Regierung sich vorgesteckt und wer daran rütteln wollte, forderte seine ganze Willenskraft zur Abwehr heraus. Das that aber Gregor III., als er, frühere Feindschaft mit Transamund II. von Spoleto in Freundschaft verwandelnd, sich von diesem durch reiche Geschenke die Abtretung von Gallese am Tiber, an den „ducatus Romanus“, in welchem aber thatsächlich der Bischof von Rom gebot, erkaufte und mit diesem Herzog, sowie mit dem von Benevent ein Bündniß schloß, welches wol einerseits die Vertheidigung der Romagna durch die Herzoge bezweckte, andererseits deren Unterstützung durch die materiellen und geistlichen Mittel des Papstes für Losreißung von der Staatsgewalt des Königs. Daher versagten diese Herzoge dem König offen den Gehorsam, als er (a. 738) den Heerbann gegen den römischen ducatus aufbot. Sofort wandte sich L., unter empfindlicher Schädigung die Campania nach Osten hin durchziehend, gegen Transamund. Dieser floh nach Rom. An seiner Stelle setzte L. Hilderich zum Herzog ein (a. 739). Der Papst verweigerte die Auslieferung des Rebellen. Auch der kaiserliche Feldherr Stephanus, der dux des ducatus Romanus, trat für den Papst und den Herzog auf. Aber L. entriß nun den Byzantinern die Städte Orte, Ameria, Bieda und Pomarzo, ließ gleichzeitig das Exarchat von Ravenna durch seinen Neffen Hildeprand verwüsten und belagerte, unter starken Verheerungen des flachen Landes, den Papst in Rom. Hart bedrängt rief dieser Karl Martell um Hülfe an: aber auch L. schickte Gesandte an diesen seinen Freund und bewog diesen, die Verlogenheit und Treulosigkeit der Politik des heiligen Vaters aufdeckend, neutral zu bleiben, so flehentlich der Papst Karl (bei den von ihm zum Geschenk übersendeten Schlüsseln des heiligen Grabes) um Beistand gebeten hatte. Jedoch diese langobardische Belagerung Roms endete wie alle anderen: der König konnte die Stadt weder erstürmen, noch, mangels einer Flotte von der See absperren und aushungern. Vor September 739 zog er ab und nach Pavia zurück. Sofort drang Transamund wieder in sein Herzogthum ein: die Byzantiner des ducatus Romanus unterstützten ihn, da er versprach, die vier von L. eroberten Städte dem dux (oder dem Papst) zurückzugewinnen. Bald fielen ihm die meisten Burgen in seinem Herzogthum zu. Gegen Ende des Jahres zog er wieder in Spoletium selbst ein, Hilderich ward getödtet. Auch Benevent focht damals gegen L. Doch zögerte Transamund, die vier Städte dem König zu entreißen, der einen weiteren Angriff auf Rom vorbereitete und sich durch die Fürbitte seiner eigenen Bischöfe, deren Vermittelung der Papst nun (740) anrief, schwerlich hätte abhalten lassen. Da starb Gregor III. (November 741) und sein Nachfolger, ein höchst milder und sanfter Mann, Zacharias, von griechischer Abkunft und Klugheit, beschloß alsbald, die bisherige Parteistellung des römischen Stuhles völlig zu wechseln. Transamund, der jene vier Städte seinem Versprechen gemäß zu erobern bisher nicht einmal versucht hatte, ließ er fallen, schickte eine Gesandtschaft nach Pavia, erbat und erhielt von dem König die Zusage der Rückgabe jener vier Städte und bewirkte als Gegenleistung, daß die Truppen des römischen Ducatus mit L. gegen jenen Herzog auftraten. Da gab dieser jeden Widerstand auf und stellte sich freiwillig dem König, der ihn in ein Kloster schickte und an dessen Stelle seinen (des Königs) Neffen, Agiprand, früher Herzog von Clusium, setzte. Sofort wandte sich L. gegen Benevent: hier war sein Neffe Gregor (oben S. 12) um das J. 738 erschlagen und zu seinem Nachfolger von der Gegenpartei ein gewisser Gottschalk erhoben worden, welcher bisher (738–742) stets mit Transamund und den anderen Feinden des Königs gemeinsame Sache gemacht hatte. Aber jetzt zog L. von dem nun unterworfenen Spoleto heran: Gottschalk ward, bevor er zu Schiff entfliehen [15] konnte, von seinen Feinden erschlagen und nun (a. 742) setzte der König Romualds (oben S. 12) inzwischen herangewachsenen Sohn, jenen Gisulf (II.), zum Herzog ein, den er mit einer edeln Langobardin Skauniperga, vermählt hatte und in völliger Abhängigkeit von der Krone hielt. Da nun aber auch L. mit der versprochenen Herausgabe der vier Städte zögerte, faßte der Papst den ebenso muthigen, als klugen Beschluß, zu König L. selbst zu gehen. Irgend welche Gefahr lief der römische Bischof dabei durchaus nicht. Das schlimmste, was Zacharias widerfahren konnte, war Abweisung seiner Forderung. Aber der Papst setzte alle seine Forderungen durch und zugleich bereitete die im höchsten Maß ehrfurchtreiche Behandlung, welche ihm von König, Adel und Volksheer der Langobarden zu Theil ward, dem römischen Stuhl einen bedeutungsreichen Triumph. Zacharias zog an der Spitze eines großen Theils des römischen Clerus nach Interamna (Terni) im ducatus Spoletanus, wo L. mit seinem Heere lagerte, der ihm sofort einen vornehmen Beamten, Grimuald, bis nach Orte entgegensandte, ihn bis Narni zu geleiten: in dieser festen Stadt ward der Papst von einigen Herzogen mit deren Schaaren begrüßt und L. selbst eilte ihm bis auf acht (römische) Meilen zwischen Narni und Interamna entgegen. Hier waren Adel und Heer um die Basilika des heiligen Valentinus zum feierlichen Empfang aufgestellt. Nach der Messe führte der König den Papst abermals eine römische Meile weit bis an dessen Zelt. Am folgenden Tag erwirkte Zacharias bei dem König in einer Unterredung Alles, was er wollte, mehr als Transamund und früher L. selbst zugesagt hatte. Denn nun schenkte der König die vier Städte mit dem Gebiet und den Bewohnern einfach und unverhüllt der römischen Kirche: nicht, wie es früher wenigstens ausgedrückt (wenn auch nicht gemeint) gewesen war, dem ducatus Romanus, d. h. dem Kaiser, ihrem früheren Herrscher. – Aber außerdem gab der König der römischen Kirche alles Land in der Sabina zurück, welches seit 30 Jahren schon langobardisch gewesen war und dazu noch das große Thal bei Sutri, endlich die Gebiete von Ancona, Narni, Auximum (Osimo) und Numana. Ferner wurden alle Kriegsgefangenen – Byzantiner und Römer – welche L. in Tuscien und jenseit des Padus (Po) detinirt hatte, darunter sehr vornehme Männer und hohe Beamte, ohne Lösegeld frei gelassen und schließlich dem römischen Stuhl und seinen Besitzungen für 20 Jahre Friede zugesagt! – Wahrlich, nicht ohne Berechtigung mochte die Lebensbeschreibung des Papstes rühmen, daß er mit der „Palme des Sieges“ nach Hause gekehrt sei. Die letzten Gründe dieser ganz erstaunlichen Zugeständnisse Liutprands sind gewiß in der frommen Gesinnung des Königs und der gewaltig eindringenden geistlichen Beredsamkeit der zugleich klugen und ehrwürdigen Persönlichkeit des Papstes zu suchen. Freilich durfte sich L. auch nicht in Widerspruch setzen gegen die sehr fromme Gesinnung seines Volkes, – zumal es ihm an einer Gegenpartei nicht fehlte (s. unten S. 18). Aber nach Allem, was wir von der Lage der Dinge wissen, war diese Nachgiebigkeit doch ein schwerer politischer Fehler – vorausgesetzt, daß wir L. den Gedanken der Eroberung von ganz Italien als der Zukunftsaufgabe des Langobardenreiches beilegen. – Alsbald sollte sich die Verderblichkeit jener Politik der Schwäche nach anderer Richtung hin wiederholen, ihre übeln Consequenzen offenbaren. L. versuchte im folgenden Jahre (742–743) die Lähmung der byzantinischen Macht durch die Kämpfe zwischen Kaiser Constantin V. (Kopronymos), dem ebenfalls bilderstürmenden Nachfolger Leo’s III., und dessen Schwager, dem bilderschützenden Artabasdos, in neuen Angriffen auf Ravenna zu benützen. Seine Heere verwüsteten das Flachland des Exarchats, eroberten Cesena, bereiteten die Belagerung von Ravenna vor. Da wandten sich Exarch, Erzbischof und Volk von Ravenna an des Königs Freund, den Papst, mit der [16] Bitte, durch seine Vermittelung L. zur Umkehr zu bewegen. Wirklich schickte Zacharias Gesandte an L., welche ihm die Herausgabe von Cesena und Beendung der Feindseligkeiten ansannen, da die Zumuthung („mit schroffem Starrsinn“, sagt die Biographie des Papstes) abgewiesen ward, begab sich dieser selbst von Rom – nach dem bedrängten Ravenna, wobei es ohne Wunderzeichen nicht abging. L. weilte nicht im Exarchat, sondern in Pavia. Ihn wollte der Papst aufsuchen. Der Weg von Rom nach Pavia führte Zacharias nicht direct über Ravenna. Vielmehr war diese Abbiegung ein Umweg, eine Verzögerung. Daher muß den römischen Bischof hierbei ein ganz besonderes Motiv geleitet haben. Es war gewiß die Absicht, Ansehen und Einfluß des Papstthums auch im Exarchat und in dessen Hauptstadt ganz außerordentlich zu erhöhen, indem Zacharias als der einzige Retter aus der Noth langobardischer Bedrängniß erschien. Wenigstens ward diese Wirkung auf das umfassendste erreicht: Exarch und Volk von Ravenna empfingen den Papst wie einen Boten des Himmels, dem ja auch zum Schutz gegen den Sonnenbrand Gott von Rom bis zu der Basilika San Apollinare vor Ravenna eine Wolke über dem Haupte schweben und ebenso auf der Reise nach Pavia feurige Heerschaaren in den Wolken vorauf ziehen ließ. Der feine Grieche auf dem römischen Stuhl trachtete danach, für den Papst in Ravenna allmählig eine gleiche – zunächst geistliche und politische – thatsächliche Autorität zu gewinnen, wie sie in Rom schon längst bestand und auf der sich hier wie dort auch juristische Gewalt, Rechte der Herrschaft empor bauen konnten. Nun ließ Zacharias durch Gesandte den König wissen, daß er alsbald bei ihm in Pavia eintreffen werde. Es macht fast humoristischen Eindruck, wie sich der Heldenkönig vor dieser bedrohlichen Annäherung des „waffenlosen Greises“ fürchtet. Der König scheute sich vor dieser abermaligen persönlichen Begegnung. Und der Erfolg sollte lehren, wie wohlbegründet solche Besorgniß war! Die vorausgeschickten Boten des Papstes erfuhren, daß die Langobarden in Imola von ihrem König beauftragt waren, die Reise des Papstes nach Pavia, nöthigenfalls mit Gewalt, zu verwehren. Sie warnten Zacharias und mahnten ihn, einen andern Weg einzuschlagen. Der Papst soll darüber sehr erschrocken sein. – Das ist glaublich, da ihm an dem Durchdringen bis zum König selbst Alles gelegen war. Wenn er aber wirklich äußerte, „er fürchte für sein Leben“, so wird man solche Worte kaum für ernst gemeint halten dürfen. Jedesfalls überwandt Zacharias seine Besorgnisse, machte sich, unerachtet jener Warnung, auf den Weg und gelangte, den Maßregeln des Königs zum Trotz, nach Pavia. L., sehr ungehalten und beunruhigt über diese abermalige Heimsuchung, deren Absichten ihm natürlich klar waren, weigerte sich, Krankheit (oder „Schmerz“) als Grund angebend, die beiden Gesandten des Papstes zu empfangen. Als aber am 28. Juni 743 dieser selbst am Padus eintraf, ward er von den vornehmsten Großen feierlich eingeholt und nach der Residenz begleitet, vor deren Thoren sich die ecclesia celi aurei (Ciel d’Oro), von L. gegründet, erhob. Hier celebrirte er die Messe und zog dann in die Stadt ein. Am folgenden Tag wiederholte er die Messe auf Einladung des Königs, der ihn hier, vor den Thoren, zuerst begrüßte. Am 30. Juni erst ward er in das „Palatium“ entboten, wo er, höchst ehrenvoll empfangen, sofort seine früheren Zumuthungen eindringlichst wiederholte. Und der König – gab abermals nach. Wenigstens in allem Wesentlichen: er versprach Einstellung der Feindseligkeiten und Rückgabe von zwei Drittel des den Ravennaten abgenommenen Gebietes sofort, das letzte Drittel mit der Festung Cesena sollte am 1. Juni 744[WS 1] zurückgegeben werden „nach Rückkehr der vom König nach Byzanz gesendeten Unterhändler“. Wir wissen von dem Zweck dieser Gesandtschaft nichts. Vielleicht sollte sie mit einem der beiden sich immer noch bekämpfenden [17] Machthaber (oben S. 15) ein Bündniß gegen den Anderen anbahnen. Nachdem der Papst so wenn nicht alle, doch die meisten seiner Forderungen durchgesetzt, kehrte er, ehrenvoll vom König bis an den Padus, von mehreren Herzogen noch weiter begleitet, nach Rom zurück. – Diese Herzoge bewirkten auch sofort die versprochene Räumung des ravennatischen Gebietes: „und Ravenna und die Pentapolis, von Bedrängniß befreit, sättigten sich, Dank dem Papste, wieder an Korn, Wein und Oel“. In Rom veranstaltete der Papst eine große kirchliche Feier, in welcher aber noch immer Gottes Beistand angerufen wurde wider den Verfolger und Bedränger der Römer und Ravennaten, König L. „und Gott erhörte dies Gebet und rief den König noch vor jenem Termin (1. Juni) aus der Welt, worauf alle Verfolgung zu hoher Freude der Römer und Ravennaten aufhörte“. Wahrscheinlich ist das so zu verstehen – der Hinweis auf jenen Termin hat doch wol diesen Sinn – daß sich der König vorbehalten hatte, Cesena und das letzte Drittel je nach der von seinen Gesandten aus Byzanz zurückgebrachten Antwort zu behalten oder, nach seiner Wahl, für den einen oder den anderen der Machthaber zwar als byzantinisches Gebiet anzusehen, aber selbst, in Vertretung seines Verbündeten, besetzt zu halten. Mag letztere Vermuthung zu sehr in das Einzelne sich wagen, – jene Verhandlung mit Byzanz, von der wir nur ganz gelegentlich erfahren, mußte von entscheidender Bedeutung für Liutprand’s Haltung gegenüber Papst und Exarchen werden. Die richtigste Politik für ihn wäre gewesen, sich des einen byzantinischen Kaisers gegen den anderen zu bedienen. Jedesfalles aber – und dies ist, soweit ich sehe, bisher nicht richtig erfaßt worden – bildete den Grund der Unzufriedenheit des Papstes mit dem Erfolg seiner Mission und die Ursache, weshalb er nach seiner Rückkehr gegen seinen „Freund“ und Verehrer Kirchengebete und öffentliche Bittgänge veranstaltete, gerade ein an jenen Termin geknüpfter Vorbehalt des Königs, der also doch wenigstens für Cesena und das letzte Drittel seiner Eroberungen sich die Entscheidung vorbehalten hatte bis zur Rückkehr seiner Gesandten. Allerdings scheint der Wortlaut der Quelle eine Befristung, nicht eine Bedingung anzudeuten. So erklärt es sich, daß die ganz einseitig kirchliche Quelle (die vita Zachariae), den doch so frommen König gewissermaßen als „todt gebetet“ darstellt und seine „Abberufung“ noch vor dem gottlos von ihm festgestellten Termin als eine ihn strafende oder doch Rom und Ravenna, in Erhörung der päpstlichen Gebete, rettende Wunderthat Gottes. Das war der Dank der kirchlichen Auffassungen für die bis an unbegreifliche Schwäche streifende ehrerbietige Nachgiebigkeit des wackeren, aber nun auch schon sehr betagten Königs. L. starb im Januar 744: er ward bestattet in der Basilica des heiligen Hadrianus neben seinem Vater, nach einer minder glaubhaften Nachricht in der Basilica ad Perticas vor dem Thore, welche diese Quelle, die vita Liutprandi, irrig von ihm statt von der Gattin Grimualds erbaut sein läßt. Im 12. Jahrhundert (1173 oder 1174) wurde die Leiche nach Ciel d’Oro übertragen. Seit dem J. 735 bereits hatte mit ihm zugleich als Mitkönig regiert sein Neffe Hildeprand, (ältester? Sohn von Sigiprand oben, S. 10), welcher bei einer schweren Erkrankung Liutprands von einer Partei, in sicherer Voraussetzung des Todes, den sie in ihrer Ungeduld gar nicht erwarten zu können schien, in die Basilica Sanctae Mariae vor den Thoren geführt und zum König erhoben worden war. „Aber auf den Speer, welchen sie dem neuen König „„nach der Sitte““ in die Hand gaben, flog ein Kukuck, was weisen Männern vorzubedeuten schien, diese Regierung werde nicht frommen“. Diese von Paulus Diaconus überlieferte Sage und das daran geknüpfte Urtheil zeigt, daß, nach richtiger Auffassung des Volkes, dieser Schritt ein Unrecht war. Auch war L. nach seiner Genesung über solche Vorschnelligkeit nicht erfreut [18] und ließ sich nur gefallen, was er ohne Bürgerkrieg nicht ändern konnte. Denn freiwillig zurückzutreten, fiel dem Neffen nicht ein. So urkunden denn beide fortab zusammen als Könige. Schon vor diesem Gewaltstreich waren wiederholt Anschläge gegen das Leben des Königs geplant worden. Zuerst gleich nach seiner Thronbesteigung von einem Verwandten, Rothari, der ihn als seinen Gast beim Mal ermorden wollte, ein ander Mal von zwei Waffenträgern. In beiden Fällen erwies der König, gewarnt, hohen persönlichen Muth. – Paulus deutet aber an, daß er „auch noch manche andere ähnliche Schuld“ zu verzeihen hatte. Sind politische Beweggründe dieser Pläne zu suchen, so liegen sie wol in dem Widerstreben der alten unbotmäßigen Adels-, zumal Herzogsgeschlechter gegen die verdienstlichste Richtung von Liutprand’s Regierung: nämlich die Befestigung des Königthums über der gebändigten Aristokratie und die Unterwerfung der großen Herzogthümer. Wir wissen nicht eben viel von den Verwaltungsmaßregeln des Königs: er gründete bei Modena eine Colonie zum Schutze eines Passes via Aemilia gegen Räuber: die Inschrift einer Kirchenfaçade ist unsere einzige Quelle hierüber (Muratori, IV. S. 270). Dagegen können wir aus seiner Thätigkeit als Gesetzgeber manches seiner Ziele erkennen: so vor allem den Schutz des Rechts gegen Willkür der Richter, die schriftliche Fixirung ungewissen Gewohnheitsrechts. Eine Reihe von „Edicta“, auf den Reichstagen während seiner langen Regierung erlassen, hat das Langobardenrecht in höchst bedeutsamer Weise ergänzt, geändert, fortgebildet. Er verdiente gewiß in vollem Maße das Lob, das ihm (fast) gleichzeitige Quellen als Krieger und Held, als frommem Christen, als tugendlichem Mann ertheilen. Paulus erblickt in der wunderbaren Errettung des Knaben aus der Gefährdung seiner ganzen Sippe ein wohlthätiges Wunder Gottes, welches den Langobarden diesen Mann erhalten wollte, der ohne Zweifel einer ihrer allerbedeutendsten Könige werden sollte. Auch die Sage hat ihn früh verherrlicht, die glaubwürdigste, weil unbestechlichste Bezeugerin des Dankes eines Volkes. – Ueber seine schwer erklärliche Schwäche gegenüber dem Papst und – mittelbar – auch gegen die Byzantiner wiederholen wir unser Urtheil dahin, daß man ihm entweder den Gedanken der Eroberung von ganz Italien absprechen oder seine Ehrerbietung gegen die Kirche als hauptsächlichen Beweggrund für schwere Verfehlungen des Gealterten betrachten muß. Es ist ja möglich, daß auch rein politische Gründe mitgewirkt haben. Die Erkenntniß innerer Schwäche, die Furcht vor Gegenparteien, vor der Opposition der Großen, welche bei einem schroffen, dauernden Conflikt mit der Kirche das fromme Volk gegen die gottlose Krone empört haben würde: auch Rücksicht auf etwaige Intervention der Franken, falls der Kirche ihre weltliche Stellung mit Gewalt entrissen worden wäre – ob zwar das gute Einvernehmen mit Karl Martell und dessen Sohn (s. oben S. 10) hiergegen ausreichend zu sichern versprach. Jedenfalls wissen wir viel zu wenig von diesen politischen Verhältnissen, um mehr als ziemlich vage Vermuthungen an sie knüpfen zu können über die Beweggründe für die hierin befremdende Handlungsweise des bedeutenden Herrschers.

Vgl. Bluhme, Edictus ceteraeque Langobardorum leges, in Monumenta Germaniae historica, Legum IV., Hannoverae 1870. (Prolog des Königs Ratchis ebenda.) (Doch ist die neue von Boretius vorbereitete Ausgabe stets heranzuziehen.) Türk, Das langobardische Volksrecht, 1829. – Stobbe, Geschichte der Deutschen Rechtsquellen, I, Braunschweig 1860, S. 119 f. Abgesehen von den oben angeführten Edicten: Paulus Diaconus, Historia gentis Langobardorum ed. Waitz, Berol. 1877, deutsch durch Abel, zweite Ausgabe bearbeitet von Jacobi, Leipzig 1878. Vgl. auch die kleineren Quellen in den Script. rer. Langob. ed. Waitz und Holder-Egger. Liber [19] pontificalis („Agnellus“). Muratori, Scriptores rer. Italicar., III. (vgl. aber auch Script. rer. Langob., vitae Gregorii II., Gregorii III., Zachariae Paparum, vita Liutprandi regis ed. Waitz l. c. Troya, Storia d’Italia, I–IV. Napoli 1841). – Leo, Geschichte der italien. Staaten, I., Hamburg 1829. – Hegel, Geschichte der Städteverfassung von Italien, I, II, Leipzig 1847. – Flegler, Das Königreich der Langobarden in Italien, Leipzig 1851. – Bethmann, Archiv d. Gesellschaft für ältere Deutsche Geschichtskunde, X. – Dahn, Langobardische Studien, I. Leipzig 1876. – Jacobi, Die Quellen d. Langobardengeschichte des Paulus Diaconus, Halle 1877 (dazu Dahn, Bausteine, II. Berlin 1880, S. 341 f.). – Gregorovius, Gesch. d. Stadt Rom im Mittelalter, II., 2. Aufl., Stuttgart 1872. – Meyer, Langobardische Sprachdenkmäler, Paderborn 1877. – Breysig, Die Zeit Karl Martells (Jahrbücher des fränk. Reichs), Leipzig 1869. – Oelsner, Jahrbücher des fränk. Reichs unter Pippin, Leipzig 1871. – Pabst, Geschichte des langobardischen Herzogthums, Forschungen zur Deutschen Geschichte, II. – Hirsch, Das Herzogthum Benevent bis zum Untergang des langobardischen Reichs, zweite Bearbeitung, Leipzig 1871. – Reumont, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, I. II., Berlin 1867, 1868. – Baxmann, Die Politik der Päpste, I, II, Elberfeld 1868, 1869. – Martens, Politische Geschichte des Langobardenreichs unter König Liutprand, Heidelberg 1880.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1744