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Artikel „Levy, Moritz Abraham“ von Carl Gustav Adolf Siegfried in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 508–512, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Levy,_Moritz_Abraham&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:03 Uhr UTC)
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Levy: Moritz Abraham L., geb. 1817 in Altona. Vorgebildet zum Rabbiner, zog er eine Lehrwirksamkeit als ihm mehr Freiheit zu wissenschaftlichen [509] Studien gewährend vor. Er wirkte fast 30 Jahre als Religionslehrer an der Synagogengemeinde zu Breslau, zahlreiche ihm lebenslang herzlich ergebene Schüler ziehend. Auch schriftstellerisch hat er diesen Zweig seiner Wirksamkeit angebaut: „Die biblische Geschichte nach den Worten der heil. Schrift der israelitischen Jugend erzählt“ (3. Aufl. 1870); „Systematisch geordnetes Spruchbuch (hebräisch und deutsch) als Leitfaden für den jüdischen Religionsunterricht“ (1867). Seine wissenschaftliche Bedeutung aber hat L. auf den Gebieten der semitischen Paläographie und Epigraphik erworben, welche Leistungen ihm auch 1865 die Ernennung zum königl. Professor eintrugen. Er starb zu Breslau am 22. Febr. 1872 (vgl. Geiger, Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben, Bd. X, 1872, S. 203 f. Zeitschrift der deutschen morgenl. Gesellsch., Bd. XXVI. S. X). – Die paläographischen Arbeiten Levy’s waren außerordentlich zahlreich und wenn auch nicht in allen ihren Resultaten haltbar, so doch überall die Wissenschaft fördernd und namentlich instructiv für diejenigen, welche einen Eingang zu diesen mühsamen Studien zu gewinnen suchten. – L. trat zuerst 1855 mit einer Abhandlung über chaldäische Inschriften auf Topfgefäßen hervor, welche in der Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. IX. S. 465 ff. erschien. Daran schlossen sich in rascher Folge die an demselben Orte erscheinenden Arbeiten über die aramäische Inschrift auf einer Vase des Serapeums zu Memphis und über eine Gemme mit himjarischer Inschrift (Bd. XI. S. 65 ff.), über althebräische Siegelsteine (ibid. S. 318 ff., Bd. XII. S. 160), Bemerkungen über Arsacidenmünzen (ibid. S. 305 ff.), über eine dritte Gemme mit himjarischer Inschrift (ibid. S. 159 f.), einige Bemerkungen über altsyrische Schrift und über zwei in Nordafrika gefundene lateinisch-palmyrenische Inschriften (ibid. S. 209 ff.). – Inzwischen war bereits 1856 das erste Heft der phönizischen Studien erschienen, in welchem L. sich an einer Deutung der großen sidonischen Inschrift versucht hatte, welche auf dem Grabdenkmal des Königs Eschmunazar in der Nähe von Saida gefunden war. Von den competentesten Beurtheilern ward damals diese Erklärung mit Beifall aufgenommen (s. Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XII. S. 727, 728) und sie ist erst durch die tiefeindringende gediegene Arbeit Schlottmann’s über denselben Gegenstand (Halle 1868) übertroffen worden. – Schon in dieser Leistung traten deutlich die Vorzüge wie die Schwächen Levy’s hervor: sein unverkennbares paläographisches Talent, jener sichere unmittelbar eindringende Blick in den eigentlichen Sinn einer Inschrift, andererseits aber ein gewisser Mangel an Tact für das, was sprachlich möglich ist (vgl. Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XII. S. 723). Ebenso war es ihm wol gegeben, im einzelnen in der Lesung der Inschriften vielfach das richtige zu treffen, aber in seinen Ansichten über Ursprung und Entwickelung der phönizischen Schrift ließ er sich zu vorschnellen Conceptionen hinreißen. Er gab nämlich in eben diesem ersten Heft der phönizischen Studien einige vorläufige Grundzüge einer für später versprochenen, aber niemals ausgeführten Schrift „Ueber das phönizische Alphabet und seine Verbreitung“. Schon in der Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. IX. S. 475 hatte er den Ursprung der phönizischen Schrift in Babylon gesucht; hier führte er aus, wie die Erfindung des Alphabets die geistige That eines einzigen genialen Mannes gewesen sei, welchem es gelang, die verschiedenen Laute zu individualisiren und den einfachsten Laut der demselben Sprachorgane angehörigen Gattung durch ein Zeichen zu fixiren (S. 49 der angeführten Schrift). Er gab dann eine Tabelle des organisch geordneten semitischen Alphabets nach den vermeintlichen Urzeichen, welche er überall aus den Grundelementen des Strichs und des Winkels zusammengesetzt dachte. Daß dies aber nicht der Weg war, welchen die Sache genommen hat, dürfte heutzutage nicht mehr bestritten werden. Die hauptsächlichsten Gründe, [510] welche dagegen sprechen s. bei Wuttke in Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XI. S. 95–97, de Wette-Schrader, Lehrb. d. hist.-krit. Einl. in das Alte Testament, 1869, S. 190, Blau, Zeitschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XII. S. 723. – Das J. 1857 brachte das zweite Heft der phönizischen Studien, welches auf S. 1–20 mit einer geharnischten Polemik gegen Ewald und dessen Inschriftenlesungen begann. Darauf folgten die Deutungen von semitischen Inschriften, die sich auf fünf Backsteinen befanden, hierauf die Erklärung der semitischen Legenden von 16 Gemmen und Siegeln. Den Schluß bilden die Deutungen der neupunischen Inschriften, welche in Gesenius, monument. tab. 27–29 und in den neueren Sammlungen von Judas (étude démonstrative, Paris 1847) und Bourgade (toison d’or etc., 2. A., Paris 1856) stehen. Blieb bei der Zerflossenheit und Unbestimmtheit dieser Schriftzeichen und den Störungen, welche zufällige Steinrisse der Lesung in den Weg legten, auch manche Unbestimmtheit zurück, so kann doch kein Zweifel sein, daß L. in sehr vielen seiner Lesungen glücklich war und manches besser bestimmte, als es in dem sehr fragwürdigen Versuche Ewald’s (Gött. gel. Anz. 1852, St. 172–175) geschehen war (vgl. Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XII. S. 726). – Im J. 1859 erschien die Erklärung einer neuen phönizischen Inschrift aus Constantine (Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XIII. S. 651 ff), 1860 die Arbeiten über die nabatäischen Inschriften von Petra, Hauran etc. (ibid. XIV. 363 ff. u. 594), über ein ehernes Gewicht mit phönizischer Inschrift aus Nordafrika (S. 710 ff.), 1861 über drei palmyrenische Inschriften (ibid. XV. S. 615 ff.), Beiträge zur aramäischen Münzkunde Kleinasiens (ibid. S. 623 ff.), 1863 Bemerkungen zur phönizischen Münzkunde von Nordafrika und Nachträge zu den nabatäischen Inschriften (ibid. XVII, S. 75 ff.), desgl. über phönizische Inschriften in Aegypten (ibid. XVII. S. 394). 1864 kamen Arbeiten über eine lateinisch-griechisch-phönizische Inschrift aus Sardinien (ibid. XVIII. S. 53 ff.), über die palmyrenischen Inschriften (ibid. S. 65 ff.). Außerdem erschien im selben Jahre zu Breslau das dritte Heft der phönizischen Studien, in welchem er die in den letzten Jahren gefundenen und vereinzelt veröffentlichten oder auch unbekannt gebliebenen Denkmäler sammelte und so diese periodischen Hefte zu einer Art Repertorium der phönizischen Paläographie gestaltete. Es waren darin enthalten: neue cyprische Inschriften, die sechste Inschrift von Athen, die Inschrift von Ipsambul, die zweite sidonische, drei Inschriften von Um-el-Awamid, eine trilinguis aus Sardinien, 90 karthagische Inschriften, andere neupunische Inschriften aus Nordafrika und zwei unedirte Siegelsteine. Leider war die Sache wol etwas übereilt betrieben und daher besonders im Sprachlichen nicht ohne Mängel (vgl. Blau in Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XIX. S. 352–354). Aehnlich war es mit dem ebenfalls 1864 zu Breslau erscheinenden „Phönizischen Wörterbuche“, dessen Titel ohnehin zu anspruchsvoll gewählt war, da es in Wirklichkeit nur ein Wortregister der von L. bisher an verschiedenen Orten erklärten Inschriften und Legenden enthielt, keineswegs aber, was man doch nach dem Titel berechtigt war zu erwarten, ein lexikalisches Verzeichniß aller bis jetzt in Inschriften gefundenen Wörter, von dem Stoffe der griechischen und römischen Glossen zu geschweigen. Auch der Mangel eines festen kritischen Prinzips betreffs der Auswahl der einzelnen Worte ward gerügt, da oft die Worte derselben Inschriften nach verschiedenen Entzifferungen eingestellt sind (vgl. Blau a. a. O. S. 355 f.). – Endlich erschienen damals noch die Abhandlungen zur phönizischen Münzkunde Mauritaniens (Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XVIII. S. 573 f.), über nabatäische Inschriften (ibid. S. 630). Im J. 1865 ward L. von der deutschen morgenländischen Gesellschaft beauftragt, den Nachlaß Osiander’s zur himjarischen Alterthumskunde herauszugeben, welches Auftrages er sich in der [511] Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XIX. S. 159 ff., Bd. XX. S. 205 ff., entledigte. Das Jahr 1867 brachte Arbeiten über jüdische Grabsteine aus Aden (ibid. XXI. S. 156 ff.), Beiträge zur aramäischen Münzkunde Eran’s und zur Kunde der älteren Pehlevi-Schrift (ibid. S. 421 ff., vgl. Bd. XXIV. S. 635). 1868 erschien: „Erklärung von drei nabathäischen Inschriften aus dem Hauran“ (ibid. XXII. S. 261 ff.). 1869 erschien zu Breslau die Schrift: „Siegel und Gemmen mit aramäischen, phönizischen, althebräischen, himjarischen, nabathäischen und altsyrischen Inschriften erklärt“. Ferner „Bemerkungen zu den palmyrenischen Inschriften“ (ibid. XXIII. S. 282 ff.), ebenso zu einigen anderen Denkmälern (ibid. S. 434 ff., 652 ff.), 1870 desgl. zu himjarischen Inschriften (ibid. XXIV. S. 188 ff., 194 ff.), zur dritten malthesischen Inschrift (ibid. S. 711 ff., cf. XXV. S. 178 ff.). In demselben Jahre erschien auch das vierte Heft der phönizischen Studien zu Breslau, welches eine Uebersicht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der phönizischen Wissenschaft seit 1863 gab, außerdem für einige ältere Denkmale bessere Copien herstellte und eine Reihe von Inschriften aus Cossura, Saida, Abydos, Sardinien, Spanien und Nordafrika erklärte. Außerdem waren einige Ergänzungen[WS 1] zum phönizischen Wörterbuche darin. In das J. 1871 gehört die Schrift über „Das Mesa-Denkmal und seine Schrift“, ferner die Arbeiten über eine neue nabathäische Inschrift aus Ammonitis (Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XXV. S. 429 ff., S. 508) und die deutsche Uebersetzung von S. Munk’s Palästina. Levy’s paläographischer Nachlaß, welcher sich auf die himjarischen Inschriften bezog, ist durch Franz Prätorius in Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges. Bd. XXVI. S. 417 ff. veröffentlicht worden. – Wenn man diese Fülle wissenschaftlicher Produktion überblickt, so wird man von vornherein glauben, daß dieselbe eine Sichtung, auch wenn dieselbe nach dem vorigen in mancher Beziehung sich als nöthig erweisen sollte, wol werde überstehen können. Immerhin wird L. der Ruhm bleiben, nach Gesenius der erste gewesen zu sein, der die semitische Paläographie in umfassender Weise wieder in Angriff genommen und dadurch, daß er ihr seine ganze Arbeitskraft zuwandte, die reichsten Früchte auf ihrem Gebiete gezogen hat. Nicht nur altphönizische und althebräische Inschriften, auch neupunische, aramäische, himjarische und neuhebräische zog er in den Bereich seiner Forschung, nicht nur die Monumente, auch die Siegel, Gemmen und Münzen in ihrem ganzen Umfange waren der Gegenstand seines Studiums. In dieser Ausdehnung des Arbeitsgebiets ist ihm unter den Deutschen Niemand gleich gekommen, wenn auch Movers an historischen, Gildemeister, Blau, Nöldeke und Schlottmann an sprachlichen Kenntnissen ihn weit übertrafen. Doch auch hier leitete ihn ein gewisses instinctives Gefühl für das Richtige oft sicherer als hervorragende Sprachkenner, so in der Erkenntniß, daß die Hauraninschriften uns auf die wichtige Thatsache führen, nach welcher es in den Anfängen unserer Zeitrechnung dort ein arabisches Volk gab, welches aramäische Sprache und Schrift anwandte (vgl. Nöldeke in Ztschr. d. deutschen morgenl. Ges., Bd. XIX. S. 637 ff.), Seine Glanzseite war aber das bereits oben hervorgehobene paläographische Talent, dieser meist glückliche Treffer in der Auffindung des Sinnes der Inschriften, in welcher Beziehung er an den genialen Ulrich Friedrich Kopp erinnerte. – Noch sei eines Parergon gedacht, das er für das Institut zur Förderung der israelitischen Litteratur ausarbeitete: „Die Geschichte der jüdischen Münzen gemeinfaßlich dargestellt“, 1862. Die Schwierigkeit, einen solchen Gegenstand gemeinfaßlich zu behandeln, hat sich der Verfasser in der Vorrede nicht verhehlt, ebenso wenig auch das Bedenken, ob wir denn wol schon so weit seien, eine Geschichte der jüdischen Münzen zu schreiben. Der Versuch, die Sache so anzufassen, daß an der Hand der Geschichte des jüdischen Volks an den betreffenden Stellen die in jede Periode gehörigen Münzen eingereiht würden, [512] konnte unmöglich glücklich ablaufen. Es hat eben zu viel der Sache Fremdartiges mit hineingezogen werden müssen und die in die Anmerkungen verwiesene Gelehrsamkeit macht oft seltsame Sprünge (vgl. u. a. die Etymologie von Adarkon und Darkemon, S. 19, 20). Indessen wenn man sich damit begnügt, eine Menge Münzenabbildungen und -legenden zu haben und manche belehrende Bemerkung dazu, so kann man sich auch dies Buch immerhin gefallen lassen. – Der jüdischen Geschichte gehört an eine Arbeit über „Don Joseph Nasi, Herzog von Naxos, seine Familie und zwei jüdische Diplomaten seiner Zeit“, 1859.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Eegänzungen