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Artikel „Langenscheidt, Gustav“ von Karl Friedrich Pfau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 581–588, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Langenscheidt,_Gustav&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 20:18 Uhr UTC)
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Langenscheidt: Johann Ludwig August[1] L., Professor und Begründer der jetzt noch bestehenden Firma Langenscheidt’sche Verlagsbuchhandlung in Berlin. Derselbe bildet als Mensch, Geschäftsmann, Gelehrter und Arbeitskraft eine so eigenartige und seltene Erscheinung im Buchhandel, wie ihr nur wenige an die Seite gestellt werden können. Mögen die vorübergehenden Erfolge anderer glänzender gewesen sein –, der Segen dieses arbeitsreichen Lebens, das so vielen Tausenden zugute kam, hat nicht aufgehört, das Gute, das er, ein guter Mensch, vollbracht, wird fortleben bis in die fernste Zeit, [582] und so wird der Name, den der Entschlafene zu hohen Ehren und zu hohem Ansehen gebracht hat, wie sein Andenken unvergänglich sein.

Er wurde geboren am 21. October 1832 zu Berlin als Sproß eines seit dem 17. Jahrhundert daselbst ansässigen, aus Westfalen stammenden Bürgergeschlechts. Anfänglich für den kaufmännischen Beruf bestimmt, verließ er nach beendigter Lehrzeit diese Laufbahn und machte – angeregt durch die Lectüre Seume’s – zu seiner Ausbildung eine über 1000 Meilen umfassende Fußreise durch Deutschland, England, Frankreich und Italien mit einem seinen damaligen bescheidenen Verhältnissen entsprechenden Reisegeld von täglich „acht guten Groschen“. Während dieser etwa ein Jahr umfassenden Wanderzeit vervollkommnete er u. a. seine Fertigkeit im Gebrauch des Französischen, und nach seiner Rückkehr kam er auf den Gedanken, seinen Landsleuten zur Erlernung dieser wichtigen Cultursprache eine Unterrichtsweise zu schaffen, die, wo nöthig, den Lehrer entbehrlich machen könnte. Noch während seiner Dienstzeit beim Militär ging er an die Ausführung dieser Idee, und nach vierjähriger Nachtarbeit (die Tagesstunden mußten größtentheils anderen Zwecken dienen) gab er seine heute der ganzen Welt bekannten „Unterrichtsbriefe zur Erlernung der französischen Sprache“ heraus. Trotz beschränkter Mittel und trotz vielfacher Anfeindung führte er die schwierige Drucklegung des Werkes mit eisernem Fleiße und zielbewußter Zähigkeit durch und wurde, da es ihm nicht gelingen wollte, einen Verleger für seine Arbeit zu erwärmen – Dr. Parthey z. B. (Nikolai’sche Buchhandlung) gab dem Suchenden das eingesandte Manuscript mit der lakonischen Bemerkung zurück: „Das ist meine Antwort!“ – im J. 1856, in seinem 24. Lebensjahre, sein eigener Verleger.

Somit verdankte L. die Richtung und den Erfolg seines Lebens ganz sich selbst. Das edle Streben, nützlich zu sein und zu wirken, beizutragen zum allgemeinen Fortschritt, wurde das Glück seines Lebens.

Die günstige Aufnahme, welche die Unterrichtsmethode in dem lernlustigen Deutschland nach und nach fand, setzte ihren Urheber in die Lage, sie auf die englische Sprache auszudehnen. Für die Herstellung jedes der beiden Werke galt als Grundsatz die Mitwirkung von Vertretern beider betreffenden Nationalitäten. Für die französischen Briefe hatte er in seinem Freund und Lehrer, dem zu Berlin lebenden Professor Toussaint, eine treffliche Unterstützung gewonnen; für die englischen fand er sie in Professor Henry Lloyd und Professor Dr. v. Dalen, Lehrern an der königlich preußischen Cadettenanstalt zu Berlin. Diesen Männern, sowie seinem verewigten Freunde und Gönner Professor Dr. Herrig (Vorsitzenden der Berliner Gesellschaft für das Studium neuerer Sprachen) hat L. viel zu verdanken, ebenso den Autoren, welche die später nothwendig gewordene Ausdehnung der Toussaint-Langenscheidt’schen Methode auf anderweitige Gebiete, wie Wörterbücher etc., förderten. Auch diese sind L. sämmtlich liebe Freunde geworden. Namen wie Professor Dr. Hoppe in Berlin, Prof. Dr. Muret in Berlin, Prof. Dr. Sachs in Brandenburg, Prof. Dr. Schmitz in Greifswald, Prof. Dr. Sanders in Strelitz, Prof. Dr. Villatte in Neustrelitz bilden eine Zierde des Katalogs der Langenscheidt’schen Verlagsbuchhandlung.

Jung verheiratet, fand er in seiner Gattin nicht nur eine wichtige und treue Stütze, sondern auch eine unermüdliche und eifrige Mitarbeiterin, welche ihm in den ersten bescheidenen Anfängen seines Unternehmens mit allen Kräften zur Seite stand. Wie er in seiner Gattin die liebevollste und aufopferndste Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder hatte, so zeigte sich das Verhältniß zu seinem (Halb-)Bruder J. C. F. Schwarze in Berlin, der in wohl beispielloser Weise dem jüngeren Bruder seine Bruderliebe bethätigte, [583] als ein ideal schönes. Im ganzen Leben stand dem zu sehr raschen und kurzen Entschlüssen geneigten L. der bedächtige, weitersehende, kaufmännische Blick des rathenden älteren Bruders zur Seite, und nicht nur der Rath, sondern auch die helfende That.

Das jähe Ableben seines Bruders in voller Rüstigkeit und ohne vorhergegangene Krankheit war der letzte Schmerz, der L. traf, und mag wohl sein eigenes, neun Wochen später erfolgtes Hinscheiden beschleunigt haben.[2]

L. war eine durchaus eigenartige Erscheinung, der echte Typus „self made man“ im edelsten Sinne des Wortes. Man möchte sich zu dem Ausspruche geneigt fühlen: er sei unter einem glücklichen Sterne geboren, denn alles, was er anfaßte, wurde von Erfolg gekrönt, alles, was er nach dem Grundsatze: „Erst wägen, dann wagen“ anfing, setzte er durch und vollendete er. Aber wer sein Zusammenhalten aller Kräfte und Vortheile, seine wunderbare Ausnutzung der Zeit, seine außerordentliche Beschlagenheit auf allen Gebieten, seine scharfe Beurtheilungskraft von Leuten und Verhältnissen, seine Einfachheit, seinen braven, goldechten Charakter, seine Menschenfreundlichkeit und Liebenswürdigkeit, seine edle Gesinnung, die Fülle seiner väterlichen Liebe, seine mit dem Streben nach Vereinsamung seltsam gepaarte Leutseligkeit kennen zu lernen das Glück hatte, der trug die Ueberzeugung mit sich hinweg, daß er einen wirklich seltenen Menschen gesehen habe, einen Mann, der weniger dem Glück als dem eigenen Fleiße, der persönlichen Tüchtigkeit und Charakterstärke die großen Erfolge in geistiger und materieller Hinsicht zu danken hatte, die von ihm errungen worden sind. Aber niemand scheint ewig die Sonne – Herzeleid und Ungemach sind auch an ihn herangetreten, und eine infolgedessen etwas zugeknöpfte Außenseite Langenscheidt’s hat vielleicht verschiedene Urtheile erzeugt.

Jeder, dem es vergönnt gewesen ist, dem Dahingeschiedenen bei seiner rastlosen Thätigkeit einmal zur Seite zu stehen, wird die Erfahrung gemacht haben, daß der Verstorbene in gleicher Weise, wie er an sich selbst die höchsten Anforderungen stellte, auch ebenso von seinen Mitarbeitern Freude am Schaffen und Wirken beanspruchte. Jedes ehrliche Streben fand seine gerechte Anerkennung und Belohnung nicht allein mit Worten, sondern auch durch die That.

Nach und nach wuchs die Beliebtheit der Toussaint-Langenscheidt’schen Unterrichtsmethode, welche außer der Kenntniß der fremden Sprachen auch die Kenntniß der Muttersprache in hohem Grade fördert, von Jahr zu Jahr in einer Weise, wie sie L. in der Anfangszeit seines Schaffens wol selbst nicht geahnt haben mag, und mit voller Berechtigung darf man heute sagen, daß überall, wo Deutsche leben, der Name L. und der Begriff Selbstunterricht einander decken.

Der Werth der Unterrichtsbriefe liegt in dem von L. erfundenen System der Aussprachebezeichnung. Es ist das einzige System, nach dem sich ein Schüler eine correcte Aussprache angewöhnen kann, ohne mündlichen Unterricht zu erhalten. Um dieses System weiter auszunutzen, entwarf L. den Plan zu dem großen, in der internationalen Lexikographie einzig dastehenden „Encyklopädischen Wörterbuch der französischen und deutschen Sprache“ von Sachs-Vilatte. Dieses Werk ist ein Unikum in seiner Art, zu dessen Ausführung eben nur ein L. die Arbeitskraft, Ausdauer und Befähigung hatte. Die Herstellung dieses Werkes kam auf über 400 000 Mark zu stehen. Schon seine Ankündigung und die erste Lieferung im J. 1868 mußte die freudigste Ueberraschung und die gespannteste Erwartung unter den Studirenden der neueren Sprachen erregen; als aber diese Erwartung mit jeder neuen Lieferung auf das beste befriedigt wurde und das ganze im Spätsommer 1873 mit der [584] 21. Lieferung, ganz nach den eingegangenen Versprechungen, in lückenloser Vollständigkeit vorlag, konnte man sich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß man hier ein Werk von ungewöhnlichem Verdienste vor sich hatte. Bietet es doch nicht nur das vollständigste Verzeichniß des französischen Wortschatzes, welches überhaupt existirt, es enthält auch die bündigste Verdeutschung und alle für den Deutschen nur immer mögliche und wünschenswerthe Erklärung und Erläuterung dieses Wortschatzes auf dem möglichst geringen Raume und zu einem unverhältnißmäßig billigen Preise. Kurz, es stellte sich dar als ein Wörterbuch, welches in Hinsicht auf Reichhaltigkeit des Inhaltes, Uebersichtlichkeit der Anordnung, Correctheit des Druckes und Schönheit der Ausstattung alles Dagewesene weit hinter sich ließ.

Wer einen tieferen Einblick in die typographischen Werkstätten gehabt hat, kann die Genialität und die Ausdauer Langenscheidt’s nicht genug bewundern, mit welchen er die schwierige Aufgabe, die Forderungen der Lexikographie und der Typographie zu einem harmonischen, das Herz des Typographen erwärmenden Ganzen zu fügen, glücklich löste. Hiermit reihte sich L. den hochragenden Säulen wissenschaftlich und technisch gleich gebildeter Typographen an, von welchen namentlich die Geschichte der Buchdruckerkunst im Mittelalter erzählt und zu denen alle mit Verehrung emporblicken.

Bei jedem Titelworte des Sachs-Villatte ist die Aussprachebezeichnung nach dem Langenscheidt’schen System angegeben, und um diese festzustellen, ließ L. die einzelnen Wörter von vier aus verschiedenen Provinzen Frankreichs stammenden Franzosen vorsprechen, und vier aus verschiedenen Gegenden Deutschlands stammende Deutsche hatten dann nach ihrem Gehör die Aussprache festzustellen. Bei der Drucklegung dieses Werkes wurde mit einer ganz außerordentlichen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit verfahren. Der Umfang und die Vielseitigkeit dieses, das ganze menschliche Wissen berührenden Werkes würden wol ein halbes Jahrhundert erfordert haben, hätte eine menschliche Kraft auch der Drucklegung ganz allein vorstehen sollen. Es fanden sich nun fünf Fachgelehrte beider Nationalitäten (die Herren Prof. Dr. v. Dalen, Prof. Dr. Malm, Prof. Dr. Muret, Dr. v. Muyden und Prof. Pariselle, alle in Berlin), welche dem Verfasser durch Uebernahme theils der zweiten, theils der dritten und vierten Correctur zur Seite standen. Vier Litteraten beider Nationalitäten widmeten ihre Kräfte unausgesetzt der typographischen Correctheit des Wörterbuches in der Druckerei selbst. Im ganzen passirte der Satz, ehe der Verfasser seine Druckerlaubniß ertheilte, eine achtzehnfache Durchsicht und Prüfung, da jede der ersten, zweiten, dritten und vierten Correcturen von vier oder fünf verschiedenen Correctoren nacheinander gelesen wurde.

In seiner Schlußbemerkung zu dem Wörterbuche durfte denn L. im Hinblick auf die riesigen Anstrengungen, welche die Herstellung des Werkes verlangt hatte, sagen: „Im allgemeinen müssen wir die paradox erscheinende, darum aber nicht weniger wahre Behauptung aufstellen, daß derartige Werke schwerlich das Licht der Welt erblicken würden, wenn jeder Autor von vornherein wüßte, welche Herkulesarbeit er unternimmt, will er ernstlich einen Fortschritt erzielen, und nicht einfach der Aus- und Abschreiber des Vorhandenen sein. Ebenso wenig aber würden Lexika dieser Natur einen seine Aufgabe ernst und gewissenhaft nehmenden Verleger finden, wenn dieser wüßte, was es heißt, derartige Werke ,correct‘ auf Druckpapier zu bringen. In der Regel werden solche Werke wol nur vollendet, weil sie angefangen worden sind, die litterarische Ehre engagirt ist, Jahre voller Mühe und vorbereitender Arbeit vergingen, ehe die ganze Aufgabe zu übersehen war, und weil alle mit derartigen Unternehmen verbundenen Umstände und Kosten eisern und unerbittlich [585] die Vollendung erheischen. Diese aber wird vom Autor und Verleger wol in der Regel nur durch übermenschliche Anstrengung, durch Entsagung der Freuden des Lebens und der Familie erkauft. Von jener Muße und Behaglichkeit, welche aus der Arbeit einen Genuß macht, kann hier keine Rede sein – sonst würde die Arbeit die Dauer eines Menschenlebens erfordern und der Anfang vor Vollendung des Schlusses veraltet sein.“

Ein Parallelwerk zu diesem berühmten Wörterbuche von Prof. Dr. Karl Sachs und Dr. Césaire Villatte bildet das „Encyklopädische Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache“ von Prof. Dr. Ed. Muret und Prof. Dr. D. Sanders. Nicht weniger als 20 Jahre Arbeit wurden auf die Herstellung des Manuscripts für den englisch-deutschen Theil durch Herrn Prof. Muret aufgewendet. Die erschienenen Lieferungen zeigten denn auch, daß hier ein Werk geboten wurde von derselben phänomenalen Reichhaltigkeit und Gewissenhaftigkeit, die das Sachs-Vilatte’sche Wörterbuch auszeichnen. Interessant ist es, die Entstehung dieses Werkes und dessen Drucklegung zu verfolgen. Das Originalmanuscript umfaßte 8000 engbeschriebene Blätter[WS 1]. Es sollte bereits 1890 zum Drucke gelangen: – da stellte sich die Nothwendigkeit einer Umarbeitung heraus, weil inzwischen das „Century-Dictionary“ in Amerika erschienen war, welches, in großartigem Maßstabe angelegt, das vollständigste Wörterbuch der englischen Sprache bildet. Getreu seinem Grundsatze, das menschenmöglich Vollkommenste zu bieten, vereinigte Professor L. einen Stab von sprachwissenschaftlich gebildeten Mitarbeitern, welche unter Heranziehung aller bis dahin erschienenen Hülfsmittel das Manuscript einer gründlichen Durchsicht und Umarbeitung unterzogen.

Je nach der Individualität der Mitarbeiter oder auch in Beobachtung technischer Rücksichten erfolgte die Vertheilung des Manuscripts. Jeder erhielt zur Zeit 40 Seiten und überarbeitete diese nach allen denjenigen Gesichtspunkten, welche durch einen die Einheitlichkeit der Leistungen sichernden „Leitfaden“ sowie durch einen ausführlichen Arbeitsplan festgelegt wurden. Das aus den Händen der verschiedenen Mitarbeiter hervorgegangene Manuscript erhielt der Autor zur Durchsicht. Die gemachten Aenderungen und Zusätze wurden sorgsam von ihm geprüft, und wo es nöthig war, wurde die redactionelle Fassung dem Gesammtcharakter besser, als etwa geschehen, angepaßt. So erscheint das Buch trotz der vielköpfigen Mitarbeit wie aus einem Gusse.

Mit gleicher Gewissenhaftigkeit wurde die Drucklegung besorgt. Die gröbsten Satzfehler wurden in einer Vorcorrectur berichtigt, dann folgte eine sorgfältige Hauscorrectur, bei der alle Eigennamen, Jahreszahlen, Hinweise etc. nachgeschlagen und verglichen wurden. Diese Hauscorrecturen wurden auf gelbem Papier abgezogen; außerdem wurden noch Abzüge auf weißem Papier gemacht, die an einen großen Kreis auswärtiger Mitleser – Sprachgelehrte deutscher, englischer und amerikanischer Nationalität – versandt wurden. Das eingegangene Correcturenmaterial wurde nun genau geprüft und dasjenige, was eine Verbesserung oder Bereicherung des Werkes herbeiführte, auf das oben erwähnte, schon durch zwei Hände gegangene gelbe Exemplar der Hauscorrectur übertragen. Die so vorbereitete erste Correctur ging nun an den Autor, welchem die Aufgabe oblag, jede Einzeichnung zu prüfen. Der Autor corrigirte mit rother Tinte, und jeder Corrector benutzte, um die Controlle zu ermöglichen, eine andersfarbige Tinte. Dieses Sammelsurium sah deshalb wol mehr wie eine Landkarte als wie eine gewöhnliche Druckcorrectur aus.

Nachdem der Setzer die angezeichneten Correcturen vorgenommen hatte, wiederholten sich für die zweite Correctur dieselben Manipulationen, die bereits geschildert sind. Auswärtige Leser erhielten weiße Abzüge, auf denen sie ihre [586] Bemerkungen auszeichneten, und die dann auf den in der Druckerei verbleibenden gelben Abzug übertragen wurden. Nach Erledigung dieser zweiten Correctur erfolgte die Revision. Diese unterschied sich von den Correcturen nur dadurch, das dafür je 12 Spalten, zu 4 Seiten umbrochen, abgezogen wurden; auch diese Revision ging wiederum durch die Hände mehrerer Leser. Schließlich wurden die genau revidirten Seiten stereotypirt.

Wie gewissenhaft es die Verlagsbuchhandlung mit der Drucklegung nimmt, beweist die Correcturkostenaufstellung über eine Lieferung (die siebente) des Muret; man findet da folgende Ausgaben aufgezeichnet:

Correcturen auf dem Blei Mk. 979.10,
Plattencorrecturen Mk. 5.—,
Gehälter für 5 Hauscorrectoren, 2 Monate Mk. 2000.—,
Prämien Mk. 65.—,
Correctur-Honorar für auswärtige Leser Mk. 700.—,
Portokosten der Correcturen-Versendungen       Mk. 20.—,
Sa.
Mk. 3769.10.

Man bedenke: allein die Correcturkosten für nur 104 Seiten des Wörterbuches betragen 3769 Mk.

In der Zeit vom December 1888, wo die vorbereitenden Arbeiten zur Drucklegung des Muret begannen, bis zum Februar 1891, wo die Ausgabe der 1. Lieferung erfolgte, beliefen sich die Kosten auf 35 220 Mk. Das Unternehmen erforderte bis zum Ende des Jahres 1894 (bis Lfg. 24 inkl.) 290 865 Mk., so daß die Kosten des Muret die des Sachs-Villatte noch übersteigen. Die Herstellung beider Wörterbücher kam demnach auf über 1 Mill. Mark zu stehen.

Dieses Beispiel kann wol als einzig in der buchhändlerischen Welt gelten, und man muß demnach der Versicherung Langenscheidt’s , daß er bei allen seinen Unternehmungen die Ehre seines Hauses, das Bestreben, nur das Beste zu schaffen, obenan stellte, wol Glauben schenken; denn ein Verleger, der nur des materiellen Nutzens halber verlegt, läßt sich auf solche Unternehmungen nicht ein.

So lange L. nur sein eigener Verleger (Selbstverleger) blieb, war es nach dem vor etwa 25 Jahren bestehenden preußischen Gesetze nicht nöthig, daß er die Qualifikation eines Buchhändlers erwarb. Als indessen nun die Arbeiten Anderer den Langenscheidt’schen Verlag vermehrten, mußte L. „zünftiger“ Buchhändler werden und das erforderliche Examen machen. Als Curiosum sei erwähnt, daß er in Preußen der letzte war, der diese preßgesetzliche, bald nachher aufgehobene Prozedur durchmachte.

Am 1. October 1881 feierte L. das fünfundzwanzigjährige Bestehen seines Unternehmens.

Heute gehört die Langenscheidt’sche Verlagsbuchhandlung (deren Erzeugnisse seit 1869 eine eigene, im J. 1885 nach einem großen prächtigen Neubau übergesiedelte Druckerei, eine der schönsten und zweckmäßigsten Berlins, ja vielleicht Deutschlands, fast ausschließlich beschäftigen) zu den Weltfirmen des Buchhandels, und man kann an ihr sehen, daß wahres Verdienst und wahre Schaffensfreude auch ihren Lohn finden. Der preußische Staat hat das Verdienst Langenscheidt’s durch die Verleihung des Professortitels (1874) anerkannt, viele Staaten haben ihn durch Verleihung von Auszeichnungen geehrt; auf zahlreichen Lehrmittelausstellungen sind seinen Werken erste Preise zu Theil geworden, und seit etwa 30 Jahren gehörte er der Berliner Gesellschaft für das Studium neuerer Sprachen an. Alle Unternehmungen, welche L. auf seine Unterrichtsbriefe folgen ließ, stehen auf dem Boden der neusprachlichen Philologie und bezweckten den Ausbau des, wie kaum ein zweiter, [587] völlig in sich abgerundeten Verlags; alle tragen den Stempel der praktischen Brauchbarkeit und zeugen auf jeder Seite von einem außerordentlichen Fleiße, einer gründlichen Beherrschung des Stoffes, einer geradezu phänomenalen Opferwilligkeit, die alles daran setzte, soweit Menschenwollen, Menschenwissen, Menschenkönnen reicht, Vollkommenes oder wenigstens das zur Zeit Beste seiner Art zu schaffen. Nicht der Erwerb, sondern das Interesse, die Liebe für die Sache waren der Beweggrund und die Triebfeder jeder einzelnen Unternehmung; der äußere, materielle Erfolg kam, wenn auch nicht immer, so doch in den meisten Fällen von selbst. Der Verlag bewegte sich in den 44 Jahren seines Bestehens in stets aufsteigender Richtung und hat bisher noch kein Blatt verramscht: ein Geschäftserfolg, dessen sich heutzutage wol kaum eine zweite Verlagsfirma rühmen kann. Mehrere Unternehmungen Langenscheidt’s haben ganz beispiellose Erfolge zu verzeichnen: so hatte eine nach der großen Ausgabe des „Encyklopädischen Wörterbuches“ von Sachs-Villatte hergestellte kleine Ausgabe nach 15 Jahren bereits die 88. Auflage erlebt, 1900 die 125.

Eine neue Entwicklungsstufe des Langenscheidt’schen Verlags bildete die Erwerbung der „Bibliothek sämmtlicher griechischen und römischen Klassiker“ (110 Bände oder 1164 Lieferungen aus dem Hoffmann’schen Verlage in Stuttgart). Die Art und Weise, in welche diese durch mehrfachen Besitzwechsel in ihrem Ansehen nicht eben geförderte Bibliothek durch L. wieder zu ihrem alten Ruhme geführt wurde, fand die ungetheilte Anerkennung des gesammten deutschen Buchhandels um so mehr als diese Bibliothek thatsächlich das Beste bietet, was deutsche Gelehrte im Punkte der Uebersetzungskunst geleistet haben.

Professor L. war die Seele des ganzen umfangreichen Geschäfts. Er entwarf den Plan zu den wichtigsten und größten Unternehmungen seines Hauses. Er ließ für die verschiedenen Mitarbeiter seiner großen Wörterbücher „Leitfäden“ drucken, welche die Grundlage für das Gelingen des Ganzen bildeten. Diese Leitfäden sowol wie auch die Geschäftsordnung, die verschiedenen Instructionen für die einzelnen Abtheilungen seines Hauses verrathen ein Organisationstalent ersten Ranges. Auch die technische Leitung und der buchhändlerische Vertrieb gingen in allen Einzelheiten von Prof. L. selbst aus.

Mit seiner geschäftlichen Thätigkeit hingen die Verdienste eng zusammen, die sich L. um die Sprachwissenschaft erworben hat. Auch diese werden seinem Namen ein bleibendes ehrendes Gedächtniß sichern. Haben doch alle, die Beziehungen haben zu den großen Culturvölkern, sich der Früchte erfreut, die sein arbeitsreiches Leben zeitigte. Dankbar gedenken alle, denen die schöne Aufgabe obliegt, geistige Mittler der Culturvölker zu sein, wie seine rastlose Schaffenskraft und sein reger Erfindungsgeist ihnen Werke schuf, die sie zu immer höheren Leistungen befähigten. So war er ein stets treuer, eifriger Kämpfer auf der Bahn des geistigen Fortschritts.

Durchaus eigenartig war Langenscheidt’s Art und Weise zu arbeiten. Schon aus dem Vorstehenden ist ersichtlich, daß er nicht zum wenigsten durch seinen eisernen Fleiß und seine unermüdliche Pflichttreue zu so hoher, allgemein geachteter Stellung gelangt ist.

Die Grundsätze, die ihm bei seiner geistigen Thätigkeit als Norm dienten, sind in der „Kunst, geistig zu arbeiten“ niedergelegt (im 1. Briefe der französischen Unterrichtsbriefe). Seine Arbeitszeit begann Nachts um 2 Uhr und dauerte bis Morgens 9 Uhr, dann einige Stunden der Ruhe und Wiederaufnahme der Thätigkeit von Nachmittags 2 Uhr bis Abends um 9 oder 10 Uhr. Als Sprechstunde stand lange Zeit im Berliner Adreßbuch die Stunde von 6–7 Uhr früh angegeben; er wollte sich dadurch lästige, ihm die [588] kostbare Zeit raubenden Besucher fern halten. Von dieser Sprechstunde wurde denn auch niemals Gebrauch gemacht bis auf den einen Fall, wo ein polnischer Student früh um 6 Uhr um ein Viaticum vorsprach.

Als bereits infolge der unerbittlich fortschreitenden Krankheit die Schmerzen immer unerträglicher wurden, ließ er sich doch niemals von seinem Leiden übermannen, sondern mitten in und über der Arbeit setzte der Tod seinem Leben ein Ziel. Sein letzter Blick fiel noch auf seine von ihm erbaute Buchdruckerei, an deren Front die Inschrift prangt:

„Hat Gott für dich die Hände mit Arbeit immer voll,
Sag’ mir, du frommer Beter, womit er segnen soll.“

In Einem werden Alle einig sein: Die gewaltige Thatkraft, die ihn beseelte, die schönen Erfolge, von denen sein rastloses Bemühen gekrönt gewesen ist, die Förderung, welche sein Wirken der Sprachwissenschaft gebracht hat, verdienen die größte Hochachtung; die Werke aber, welche L. geschaffen hat, haben der universellen Ausbreitung deutscher Cultur und deutschen Einflusses in der Welt große Dienste geleistet – sie werden ihn überleben, werden seinen Namen der Nachwelt überliefern; denn er gehört zu den wenigen Menschen, die „den Besten ihrer Zeit genug gethan“.

Nachdem die Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei nach Ableben des Gründers derselben durch Kauf in den Besitz seines jüngsten Sohnes, Karl L., übergegangen war, ist ein neuer Aufschwung des Unternehmens zu verzeichnen: die englischen Wörterbücher von Muret sind vollendet oder nähern sich dem Abschlusse, so daß die dafür jährlich aufgewandten Kosten von 60 000 bis 75 000 Mk. für andere Unternehmungen flüssig werden, neue Unternehmungen auf dem Gebiete der wichtigeren europäischen Sprachen sind eingeleitet oder im Gange. Endlich ist bewirkt worden, daß keine andere Firma mehr die Bezeichnung „Methode Toussaint-Langenscheidt“ führen darf. Auf dem Fundament, das Professor G. Langenscheidt gelegt hat, wird also rüstig und in seinem Geiste weiter gebaut und man darf mit lebhaftem Interesse der weiteren Entwicklung seiner Schöpfung entgegensehen.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Langenscheidt LI 581 Z. 8 v. u. l.: Gustav (statt Joh. Ludw. Aug.). [Bd. 56, S. 397]
  2. 583 Z. 7 v. o. l.: haben. Er starb in Berlin am 11. Nov. 1895. [Bd. 56, S. 397]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bllätter