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Artikel „Kuhn, Bernhard Friedrich“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 336–338, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kuhn,_Bernhard_Friedrich&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 18:18 Uhr UTC)
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Kuhn: Bernhard Friedrich K. von Bern (1762–1825) war der Sohn des Pfarrers Friedrich Kuhn zu Grindelwald, der diesem entlegenen Bergthale [337] zugleich als Arzt und Geburtshelfer diente und sich durch seine Thätigkeit einen geachteten Namen gemacht hat. Er wurde den 26. Septbr. 1762 in Grindelwald getauft. Von seiner Jugend ist nichts Näheres bekannt. Er studirte die Rechte, wurde bald Professor des vaterländischen Rechts an der Berner Akademie, 1791 als solcher förmlich anerkannt und in ungewöhnlich ehrender Form als Mitglied des Schulraths erwählt. Heller Blick, strenges Rechtsgefühl und große Uneigennützigkeit machten ihn auch als Anwalt beliebt. Im J. 1785 veröffentlichte er in einer Bernischen Zeitschrift eine vielleicht theilweise schon von seinem Vater herstammende Arbeit „Ueber den häuslichen und sittlichen Zustand der Einwohner des Grindelwaldthales“, welche bemerkenswerthe Beobachtungen enthält über das Wesen und Wachsthum der Gletscher. Trotz seiner der herrschenden Aristokratie abgeneigten Gesinnung und ausgesprochenen Sympathie mit den Tendenzen der französischen Revolution, nahm er, als im Anfange 1798 der Krieg mit Frankreich zum Ausbruch kam, lebhaften Antheil an der Vertheidigung des Landes. Er trat freiwillig als Offizier in die Armee, und in einem Gefechte am 5. März 1798 spaltete er mit eigener Hand einem Franzosen den Schädel. Als nun die besiegte Eidgenossenschaft sich als „Eine und untheilbare helvetische Repubkik gemäß“ ihrer von Frankreich auferlegten Verfassung neu constituirte, wurde K. am 12. April zum ersten Präsidenten des Großen Rathes, der obersten Landesbehörde, erwählt. Er galt als einer der entschiedensten Anhänger der neugeschaffenen Zustände, zeigte aber dabei eine einsichtsvolle Mäßigung und Besonnenheit, die ihn wesentlich von den politisch unreifen Schwärmern unterschied. So widerstrebte er der übereilten und unvorbereiteten Aufhebung der Feudallasten; er erklärte im gesetzgebenden Rathe, daß er lieber einem Volksaufstand entgegensehen, als eine Ungerechtigkeit begehen wolle, und hatte den Muth, diese Ueberzeugung in einer eigenen Schrift zu vertreten. Er wurde in die Ostschweiz gesandt, als 1799 die österreichische Armee das Land betrat, und verhandelte gleich darauf mit General Massena über die Mitwirkung der helvetischen Truppen zur Vertreibung derselben. Neben den beiden Zürichern Escher und Usteri war er eines der Häupter derjenigen Partei, die man als die „republikanische“ bezeichnete, und führte mit den Genannten durch den Staatsstreich vom 8. Januar 1800 den Sturz des ganz französisch gesinnten Directoriums und des bisher allmächtigen Cäsar Friedrich Laharpe herbei. Die absolute Abhängigkeit der helvetischen Regierung von den Winken der französischen Generale schien damit gebrochen zu sein; aber um so bedenklicher offenbarte sich jetzt der Zwiespalt der Parteien im Innern und die Unmöglichkeit, zwischen den entgegengesetzten, zudem in den zwei Mächten Frankreich und Oesterreich verkörperten Prinzipien zur Ruhe zu kommen. Die Schweiz war der Anarchie preisgegeben, eine provisorische Regierung stürzte die andere, ein Verfassungsproject trat nach dem andern auf, ohne daß eines allgemein anerkannt oder auch nur förmlich angenommen worden wäre. K. spielte bei allen diesen Veränderungen eine hervorragende Rolle, jeweilen stand er eifrigst auf der Seite, welche die unitarischen Tendenzen verfocht, und schrieb auch in diesem Sinne seine bekannteste Schrift: „Ueber das Einheitssystem und den Föderalismus als Grundlage einer künftigen helvetischen Staatsverfassung“, Bern 1800. In Form und Inhalt zeichnete sich diese nach dem übereinstimmenden Urtheil schon der Zeitgenossen vortheilhaft aus vor der großen Zahl entweder seichter oder leidenschaftlicher Tageserzeugnisse. Sie erschien bald in zweiter Auflage und gleichzeitig in französischer Sprache. K. war Mitglied des gesetzgebenden Rathes, der am 7. Aug. 1800 an die Stelle der bisherigen obersten Behörde trat, und am 7. Septbr. 1801 Präsident einer neuen constituirenden helvetischen Tagsatzung. Er war es auch, der am 17. April 1802, als der eben erst zu Ende [338] berathenen Verfassung neuer Umsturz und ihm selbst Verhaftung drohte, in einer berühmt gewordenen Rede den Antrag stellte, eine eigene Notabelnversammlung zu berufen. Er drang damit durch; doch auch die hier geschaffene Constitution vom 25. Mai 1802 brachte keine dauernde Ruhe. Kleine Aufstände in verschiedenen Theilen der Schweiz zeugten von der Aufregung und allgemeinen Unzufriedenheit. Im Wadtlande namentlich kam es zu argen Ausschreitungen. Erbittert über die theilweise Wiedereinführung der Zehentpflicht, rotteten die Bauern sich zusammen und plünderten und verbrannten eine Anzahl öffentlicher Archive. K. wurde als Regierungscommissär abgesandt, um die Ordnung herzustellen; es gelang ihm aber nur theilweise, da die Regierung weder zu energischer Unterdrückung noch zu einer Amnestie-Erklärung sich verstehen wollte. Im Juli 1802 wurde K. Minister des Justiz- und Polizeiwesens, trat aber sofort wieder zurück, als seine durchgreifenden Reformvorschläge keine Unterstützung fanden. In einem Gutachten über die Grundideen einer neuen Einrichtung des Criminalwesens in der helvetischen Republik hatte er schon 1799 seine Gedanken ausgesprochen. Am 18. Septbr. 1802 wurde Bern im Bürgerkrieg eingenommen, und die helvetische Regierung zur Flucht gezwungen. Bekanntlich war es nun der erste Consul von Frankreich, der endlich den permanenten Umwälzungen in der Schweiz ein Ende zu machen beschloß. K. war eines der Mitglieder der von Napoleon nach Paris berufenen sogenannten Consulta, und ebenso eines engeren Ausschusses, der am 12. Decbr. 1802 in St. Cloud mit dem nunmehrigen Mediator der Schweiz conferirte. Nach der Einführung der hier dictirten sogenannten Mediationsverfassung, welche, den Einheitsgedanken fast ganz preisgebend, die staatliche Selbständigkeit der Kantone wiederherstellte, zog K. sich gänzlich vom politischen Leben zurück. Durch den Tod seiner Gattin († 1815), wol mehr noch durch das vollständige Erlöschen aller seiner politischen Ideale vergrämt, versank der geist- und kenntnißreiche Mann zuletzt in Trübsinn und starb im J. 1825 im Irrenhause. K. war unzweifelhaft einer der bedeutendsten und zugleich einer der edelsten Männer, welche die Schweiz in jenen traurigen, aber in mancher Hinsicht großartigen Uebergangsjahren besaß.

Neuer Nekrolog der Deutschen, 1825. II, S. 1321. – M. Lutz, Moderne Biographien, S. 167. – Höpfner, Gemeinnützige helvetische Nachrichten, 1802, Nr. 63 ff. – Tillier, Geschichte der helvetischen Republik, 1843. 3 Bde. – Hilty, Vorlesungen über die Helvetik, Bern 1878 (vorzügl. S. 679). – Tageblatt der Gesetze und Dekrete der gesetzgebenden Räthe der Helv. Rep. Bern, 6 Bde.