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Artikel „Knobel, August“ von Hesse. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 300–304, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Knobel,_August&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 23:34 Uhr UTC)
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Knobel: August Wilhelm K., Professor der Theologie und geheimer Kirchenrath, geb. am 7. Februar 1807 zu Tschecheln in der Niederlausitz, † zu Gießen am 25. Mai 1863. Sein Vater war ein durch die Praxis gebildeter Landwirth, hellen Auges, energisch im Wirken und Schaffen, von unbefleckter Treue, darum viel begehrt für die Verwaltung von Land- und Rittergütern. Der Sohn theilte seinen aus tiefwurzelnder Pietät geflossenen loyalen und kirchlichen Sinn, beides jedoch ohne Engbrüstigkeit. Seine wissenschaftliche Vorbildung empfing er zu Sorau in der Niederlausitz; das dortige Gymnasium war arm an Mitteln und Kräften, aber was ihm an äußerer Ausstattung fehlte, das ersetzte vielleicht reichlich die Begeisterung und Aufopferung, mit welcher die Lehrer ihre Pflicht erfüllten. Genannt sei nur der Conrector Scharbe, welcher später als Professor der altklassischen Litteratur an die Universität Kasan ging; als K. nach zweijährigem Studium seinen Vater verlor (22. April 1828), hat er ihm durch ein Darlehen die Vollendung seines Studiums möglich gemacht. Ostern 1826 nämlich hatte er die Universität Breslau bezogen; dort verstand es sich aber damals für den jungen Theologen von selbst, daß er außer seinem Fachstudium Philosophie, Philologie und Geschichte trieb. Groß war darum die Zahl der Lehrer, bei denen K. hörte, und unter ihnen gefeierte Namen, wie Schneider, Passow und Wachler, besonders aber wurden die Theologen David Schulz und Daniel von Cölln, sowie die Orientalisten Bernstein und Habicht für seinen Studiengang wie für seine Richtung bestimmend. Nach fünfjährigem Studium [301] glaubte er abschließen zu können. Die philosophische Doctorwürde erhielt er nach der öffentlichen Vertheidigung (18. Mai 1831) der Abhandlung „Jeremias chaldaizans“. Zur Erwerbung der theologischen Licentiatenwürde vertheidigte er (21. October 1831) die Abhandlung „De Marci evangelii origine“, einen frühzeitigen Versuch dem mittleren Synoptiker gegen die unglückliche Griesbach’sche Hypothese zu seinem Recht zu verhelfen, und habilitirte sich am 18. November 1831, worauf er sofort seine Vorlesungen eröffnete und damit in eine Thätigkeit trat, für welche er eine ebenso entschiedene Vorliebe wie Begabung hatte. Er stellte den Unterricht durch das lebendige Wort entschieden in die erste, das Schriftstellern nur in die zweite Linie; er docirte nicht blos auf dem Katheder, sondern auch auf der Studirstube und auf Spaziergängen, wo aufhorchende Tironen ihn begleiteten; besonders auf dem Felde der alttestamentlichen Exegese wollte er den preßhaften jungen Theologen zu Hülfe kommen und oft gelang es ihm sie bei einem Studium festzuhalten, für welches die Vorbereitung eine recht miserable zu sein pflegte. Indessen war er nicht blos alttestamentlicher Exeget, sondern auch Theolog; die vornehme Selbstbeschränkung, welche bei den Hebräern der theologischen Facultäten gewöhnlich zu werden beginnt, war ihm fremd; er hat wie in Symbolik und Moral, so auch in praktischer Theologie sich versucht, weshalb er auch eine Zeit lang als Religionslehrer am Schullehrerseminar in Breslau aushelfen und später als Director desselben in Aussicht genommen werden konnte, ein Plan, der sich an der Unverträglichkeit seminaristischer mit akademischer Thätigkeit zerschlug. Erst in Gießen hat er sich ganz auf das Alte Testament zurückgezogen, als die allmählich immer stärker werdende mit Geschäften der akademischen Verwaltung ihm Beschränkung im Dociren auferlegte. Da wurde ihm seine praktische Umsicht und Gewandtheit zum Hemmniß und nachgerade auch zur Last, wiewol sie ihm namentlich auf dem Katheder auch sehr förderlich war. Denn dort verstand er gar trefflich die Kunst seinen Zuhörern auch den sprödesten Stoff mundgerecht zu machen und sie in stetigem Fortschritt die Schwierigkeiten der Wissenschaft überwinden zu lehren; die Klarheit und Faßlichkeit seiner Darstellung, die freilich verwöhnteren Gaumen auch nicht behagte, überhob sie manch unnöthiger Mühe beim Hören. Die Folge war, daß gleich anfangs seine Auditorien sich füllten und niemals sich leerten; er war aber freilich auch ein rechter Studentenvater, denn für den Musensohn hatte er immer Zeit, immer ein offenes Ohr und ein offenes Herz, auch, soweit seine anfangs schmalen Mittel reichten, eine offene Hand; dafür nahmen sie es aber auch willig an, wenn er ihnen zu Hause ein Kapitel aus der Studentenmoral las. So günstig an sich alle diese Verhältnisse waren, so schaffte ihm doch seine an Schulz sich anlehnende Theologie, so maßvoll sie auch nach allen Seiten hin war, nach oben hin keine Gunst; es war eben eine Zeit gekommen, wo die kirchliche Reaction sich wieder einmal beikommen ließ die Facultäten nach ihrem Sinn zurechtzuschneiden. Manche tüchtige Kraft ist dabei verkümmert, und konnte man auch nicht umhin K. zum außerordentlichen Professor zu ernennen (2. Juni 1835), so gab man ihm doch keinen Gehalt und gewährte ihm nicht die Mittel das gedeihliche Bündniß zwischen öffentlicher Wirksamkeit und häuslichem Leben auch seinerseits zu vollziehen. Was er damals nothgedrungener Weise versäumt hat, hat er später in einer glücklicheren Situation nicht nachgeholt – er hat nie ein Weib heimgeführt. Die gehaltlose Zeit dauerte ja fort, bis er nach Gießen ging und die Anerkennung von oben her blieb aus; doch da gewährte ihm die Facultät einen Ersatz, indem sie – obgleich bereits zur Hälfte orthodoxirt – ihn aus eigener Bewegung und durch einstimmigen Beschluß zum Doctor der Theologie ernannte (29. September 1838). Bald nach seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor habilitirte er sich durch die Vertheidung seiner Dissertation [302] „De carminis Jobi argumento, fine ac dispositione“ Vratisl. 1835; er wiederholte darin den Versuch, den ächten Kern dieses köstlichen Gedichtes von den Schlacken zu befreien, welche im Laufe der Zeiten sich angesetzt hatten. Indessen war das eine Leistung, welche die akademische Sitte forderte; die Bahn freier schriftstellerischer Thätigkeit betrat er erst mit seinem „Commentar über das Buch Koheleth“, 1836. Ihn reizte die Dunkelheit des Inhalts, die fast unhebräische Eigenthümlichkeit der im Buche vertretenen Lebensansicht, die scheinbare, scheinbar auch bis zu Widersprüchen sich steigernde Zusammenhangslosigkeit der Darstellung; er fand, daß dem Buche sein Recht noch nicht angethan war und suchte ihm gerecht zu werden. Mit fester Hand erfaßte er seine Aufgabe und suchte ihre Lösung durch energische Arbeit; fast will es scheinen, als sei die Folgezeit nicht viel über ihn hinausgekommen. Schon nach einem Jahre folgte „Der Prophetismus der Hebräer“, 2 Bde., 1837, eine verdienstliche Arbeit, welche ihren Gegenstand vielleicht zu wenig im Zusammenhange mit verwandten Erscheinungen auf nichthebräischem Boden betrachtete, übrigens aber manche damals noch landläufige Vorstellungen über das Wesen der Prophetie theils abwies, theils berichtigte. Knobel’s Schreibart hat man oft den Vorwurf gemacht, daß sie schlicht und schmucklos sei über die Linie des Erlaubten hinaus, die Phantasie und den Witz von jeder Betheiligung an der Darstellung ausschließe. Wer K. persönlich kannte, der mußte darin ein Räthsel finden. Man mußte ihn gesehen haben den stattlichen breitgebauten Mann, voller Leben und Beweglichkeit, das dunkle Auge bald von Lust funkelnd, bald von sittlichem Zorn, wie sein Mund bald launige, bald sarkastische Einfälle sprudelte, daß er Aller Aufmerksamkeit gefangen nahm – dann konnte man beim Lesen seiner Schriften es nur seltsam finden, daß sie so wenig ein Wiederschein seiner Persönlichkeit waren. Aber es war eine Zeit, wo vielfach die Sucht grassirte tief zu sein oder zu scheinen, womit oft der Unklarheit und Verworrenheit Vorschub geleistet wurde, ein religiös gerichtetes Herz zur Schau zu tragen, was oft mit falschem Pathos, Schwulst und Bombast sich verband, ein Feuerwerk geistreicher Einfälle abzubrennen, was oft nicht mit der Schonung des Heiligen verbunden war. Die Keuschheit der Sprache ließ vielfach sich vermissen und damit konnte K. sich nicht befreunden, weshalb er es sich förmlich zum Studium machte den Ausdruck so schlicht und einfach und gradezu als möglich zu wählen und lieber gar kein Feuer als fremdes Feuer auf den Altar zu bringen. Damit hing zusammen, daß er sich sorglich hütete seine Bücher, auch deren Vorreden zur Austragung wissenschaftlicher Fehden zu benutzen und zu Ablagerungsplätzen wissenschaftlicher Verstimmungen zu machen; so leicht er auch erregt und verstimmt werden, so heftig er auflodern konnte – so war er die Ruhe und Besonnenheit selbst, sobald er die Feder führte.

Aus der beengten und aussichtslosen Lage, in welcher er in Breslau sich befand, erlöste ihn ein Ruf (6. December 1838) an die theologische Facultät in Gießen. Damit concurrirte ein Ruf nach Göttingen, wo durch Ewald’s Abgang die Professur der orientalischen Litteratur erledigt war. Den letzteren lehnte er ab – er wollte nicht die Stelle eines Vertriebenen einnehmen. Mit dem 1. Januar 1839 traf er in Gießen ein und damit begann für ihn die Zeit einer fröhlichen und gedeihlichen Wirksamkeit. Die Studirenden liebten und ehrten ihn, seine Genossen legten auf seinen Rath Gewicht, nahmen gern sein Votum in Anspruch und legten zweimal (Michaelis 1845 und 1854) die Leitung der akademischen Angelegenheiten in seine Hände, die außerakademischen Kreise sahen ihn wegen seiner Munterkeit und Gediegenheit gern in ihrer Mitte; die Behörden aber hielten seine Person und Wirksamkeit werth und der Fürst des Landes zeichnete ihn aus auf mehrfache Weise. Sein rasches und entschiedenes Wesen [303] weckte bisweilen wol Verstimmung gegen ihn, schuf ihm aber keine Feinde; kam er zu der Einsicht in einem Falle zuviel gethan zu haben, so wurde es seiner Versöhnlichkeit nicht schwer Frieden und gutes Einvernehmen wieder herzustellen. Seine schriftstellerische Thätigkeit gehörte fortan dem „Kurzgefaßten exegetischen Handbuche zum alten Testament“, welches seit 1838 erschien; die fünfte Lieferung brachte 1843 die Bearbeitung des Propheten Jesaias, bei welcher es darauf abgesehen war „eine möglichst concrete Anschauung der jesaianischen Zeit- und Volksverhältnisse zu gewinnen, ohne daß jedoch die Ausmittelung der allgemeinen Ideen, von welchen der Prophet sich leiten läßt, für überflüssig erachtet worden wäre.“ K. selbst war es vergönnt 1854 die zweite und 1861 die dritte Auflage einer Bearbeitung zu liefern, welche in der Erklärung des zweiten Theils des jesaianischen Buches ihr Hauptverdienst zu haben scheint. In den Göttinger gelehrten Anzeigen von Ewald in ebenso fahriger wie abschätziger Weise nicht sowol beurtheilt als angegriffen, fühlte er sich veranlaßt einem allgemein verbreiteten Gefühl des Unwillens über des Recensenten dictatorisches Wesen Ausdruck zu geben und die Freiheit der wissenschaftlichen Discussion einem Manne gegenüber zu wahren, welcher da, wo er gesprochen hatte, die Sache abgethan zu haben meinte und jede Abweichung von seinen Dictaten als einen Rückschritt in die Unwissenschaftlichkeit hinein zu brandmarken suchte. Er schrieb sein „Exegetisches Vademecum für Herrn Professor Ewald in Tübingen“, 1844. Diesmal aber war der berühmte und bei allen Kleinlichkeiten seines Wesens hochverdiente Mann auch großherzig genug, als die morgenländische Gesellschaft 1845 in Darmstadt tagte, K. einen Waffenstillstand anzubieten mit dem Bemerken, daß sie beiderseits besseres thun könnten als miteinander zu hadern – so bewahrt wenigstens mein Gedächtniß die Erinnerung an diese Worte. – Nach Vollendung des Jesaiacommentars übernahm K. für das Handbuch eine Bearbeitung des Pentateuchs. Diese sollte auch eine vollständige Erklärung der Völkertafel bringen; da jedoch dieser Gegenstand innerhalb der Grenzen des exegetischen Handbuchs nicht genügend abgehandelt werden konnte, so wurde er der Vorwurf einer besonderen Schrift. Diese, ein Denkmal strammen deutschen Gelehrtenfleißes und ausgedehnter Belesenheit, entstand unter den Unruhen und Aufregungen der Jahre 1848/49 und erschien unter dem Titel „Die Völkertafel der Genesis. Ethnographische Untersuchungen“ etc., 1850. Ihr Verfasser brach vollständig mit der bis dahin vielgeübten Methode, die in der Tafel aufgeführten Völkernamen blos nach Combinationen mit ähnlich lautenden oft nur schwach anklingenden Namen zu deuten, darüber aber sachliche Momente außer Acht zu lassen; vielmehr ging er von der Ansicht aus, daß der alte Verfasser der Tafel gleichsam einen Grundriß der Ethnographie, eine Uebersicht der zu seiner Zeit vorhandenen Hauptvölker habe geben wollen und demgemäß bei der Aufführung der Völker eine bestimmte Ordnung in der Art beobachtet habe, daß er die verwandten Völker miteinander verband und von den nichtverwandten sonderte. – Das letzte große Werk seines Lebens war die Bearbeitung des Pentateuchs, dessen Erklärung, von der Genesis abgesehen, noch im Argen lag und vielfach neu geschaffen werden mußte. Sie ist namentlich in den beiden letzten Bänden reich an zum guten Theil neu zur Erklärung beigebrachten und mit großem Fleiß gesammelten Realien; in der Kritik vertritt sie maßvoll und consequent die Ergänzungshypothese. Das Werk erschien in drei Bänden; der erste Band (1853) in zweiter noch von K. selbst besorgter Ausgabe (1860) bringt die bis dahin schon vielfach bearbeitete Genesis; die dritte Ausgabe, eine völlige Umarbeitung, ist von Knobel’s Nachfolger Dillmann (jetzt in Berlin) 1875 besorgt worden. Der zweite Band erstreckt sich über die Bücher Exodus und Leviticus, 1857; auch hier hat Dillmann die zweite Auflage (1880) bearbeitet. Der dritte Band (1861) endlich [304] enthält die Bücher Numeri, Deuteronomium und Josua und darf wol einer baldigen Neubearbeitung entgegensehen. Kaum war das große Werk beendet, so zeigten sich bei K. die ersten Spuren des Magenleidens, das seinem Streben und Leben ein Ziel setzen sollte. Vorerst blieb er freilich noch thätig, aber unter zunehmender Pein; er entzog sich weder seiner Pflichterfüllung noch seinen Freunden, hielt unter wachsender Schwäche seine Vorlesungen, bis völliger Mangel an Kraft ihn nöthigte ihnen zu entsagen. Zuletzt las er über Hiob; als er zu der Stelle kam: „der Herr hat es gegeben“ etc. erklärte er sie für die schönste des Alten Testaments, bei ihr mußte er abbrechen. Er zog sich in die Einsamkeit der Studirstube zurück, von Todesahnungen heimgesucht, mit Vorbereitungen zum Tode beschäftigt. Endlich fand er Erlösung. Am 25. Mai 1863, am zweiten Pfingstfeiertage gegen Abend, schlief er ein; unter den Klängen der von ihm selbst gewählten, mit Posaunen geblasenen Choräle haben wir ihn zu seiner letzten Ruhe gebracht. Er war ein Mann, ein frommer Christ, ein wackerer Lehrer, ein nicht rechtgläubiger, aber gläubiger Theolog.

Vgl. Nowack, Schlesisches Schriftstellerlexikon I, 83. – Scriba, Bibliographisch-litterärisches Lexikon der Schriftsteller des Großherzogthums Hessen im 19. Jahrhundert, 2. Abth., Darmst. 1843, S. 387–91. – Dr. Friedrich Hermann Hesse, Freundesworte am Grabe Dr. Karl August (soll heißen August Wilhelm) Knobel’s. Gießen 1863. – Darmstädter Zeitung 1863, Nr. 152. – Neue evangelische Kirchenzeitung 1863, Nr. 152. – Herzog, Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 1. Aufl., 19. Band (1865) S. 715–717.
Hesse.