ADB:Karstenhans
Luther’s Lehre verkündigt hat. Sein eigentlicher Name war, wie wir unten sehen werden: Hans Maurer genannt Zündauf und seine Beschäftigung die eines Arztes. Was die Stadt Straßburg anbelangt, so kam im Juli 1522 K. dahin, wo er auf öffentlicher Straße predigte und u. a. sagte „jetzt sei die Zeit, alles Erbvolk (d. h. den Clerus) gänzlich zu vertilgen, darum daß sie fälschlich bisher die Pfenning von den Laien abgezogen haben, denn das Erbvolk hab bisher gepredigt, es wär ein Fegfeuer und daß die Seelen durch Hilf und Gebet erlöset werden, die Ding doch alle falsch seind.“ Ob diese von bischöflicher Seite erhobene Beschuldigung [432] gegründet war, läßt sich aus Mangel anderweitiger Nachrichten nicht entscheiden. Dagegen nahmen sich des K. viele Bürger an und achteten ihn als einen unerschrockenen Bekenner der lang unterdrückten Wahrheit; desto bitterer war gegen ihn der Haß der Geistlichkeit: einige derselben fielen bei Nacht auf der Neuen Brücke mit langen Messern und anderer Wehr bewaffnet, über ihn her und schrieen, man solle den diebischen Bösewicht über die Schindbrücke werfen, den zur Hülfe aber herbeieilenden Bürgern riefen sie drohend zu: ihrer hundert wollten wohl drei- oder vierhundert bestehen (Tagebuch vom J. 1522, Freitags nach Margaretha). Um ferneren Unruhen vorzubeugen, wurde nun K. aus der Stadt gewiesen und er ging nach Basel, wo er jedoch ebenfalls bald weichen mußte. In einer von dem Bischof Wilhelm im J. 1523 gegen Matthias Zell, den ersten evangelischen Pfarrer zu Straßburg erhobenen Klagschrift in 24 Artikeln (abgedruckt in des letzteren „Christliche Verantwortung“, Straßb. Wolfg. Köpfel, 1523, 4., beide auch abgedruckt in Rabus’ Märtyrerbuch, Straßb. 1571, II, 227–317) wird Zell in den Artikeln 9–11 sein Umgang mit einem gewissen „Karsthans“ vorgeworfen, einem Laien und „nachgültig schweifenden Menschen und als ein alleruffrürigster und der lutherischen Ketzerei anhangend, rumor und faction wider alles Erdvolk erregend“. Hierauf entgegnet Zell: „Wolan nun geht es an die Arbeit von Karsthansen, in welches Spiel sie mich auch haben wöllen ziehen, wie dann auch manchen frummen Mann. Dem welcher jetzund ein Zeitlang vom Evangelio … geredt, oder einem Redenden zugehört, hat ein Karsthans müssen sein … Es ist kundlich, wie uff ein Zeit ein armer guter Mensch (anders ich von ihm nit sag, auch nit weiß) hie und anderswo ausgangen, vom Evangelio gesagt und predigt … Dieser so er verhasset von etlichen worden ist, von wegen seines Predigens und Sagens unter den Laien, daß er uffrürig Ding gesagt soll haben, hat sie gut gedünkt, mich ihm zu vergleichen … Daß mein Articulirer spricht: ich hab mich desselbigen angenommen, sein Predigt gehört, ihm ein Mal zugericht … Wohlan dieses alles redt er uß eigenem Muthwillen … Darum sag ich also darzu, daß ich mich sein gar nichts sonderlich angenommen hab, ein Wort oder drei hab ich mit ihm geredt oder zugeloßt (zugehört), daraus ich nichts Freventlichs hab wöllen noch können urtheilen … Daß ich ihn aber geherberget hab, da redt er was er will; uff einmal hab ich ihn geladen in mein Haus, ist aber nit kommen. Und ob er kummen wäre und mit gessen und trunken hätt, was wär das übel gethan? …“ Ueber seinen Aufenthalt in Freiburg i. Br. berichtet Schreiber a. a. O. aus dem Stadtarchive: Am 6. Decbr. 1522 habe „Römisch kaiserl. und Hispanisch königl. Majestät Landvogt, Regenten und Räthe im oberen Elsaß“ an die Stadt Freiburg geschrieben, es halte sich daselbst der Karsthans auf, den sie einfangen und über seine Conspiration und Meuterei peinlich befragen sollten. Durch eifrige Erkundigung brachte es Freiburg endlich dahin, am 21. Febr. und 21. März des folgenden Jahres (1523) an die österreichische Regierung zu Stuttgart folgendes berichten zu können: „Hans Maurer, von seinem hier gesessenen und verstorbenen Stiefvater Zündauf genannt, der sich auch Karsthans nennen lasse, ziehe das Land auf und ab, Luther’s Opinion in Winkeln predigend, eine kurze dicke Person, in grauem Rock ohne Aermel, schwarzen Hosen und breiten grauen Hut. Vor Jahren habe er sich als Arzt in Freiburg aufgehalten und sich gerühmt, in der Türkei und Böhmen gewesen zu sein. Letzten Winter habe er einen Bürger, dessen Tochter von ihm „geartznet“ (behandelt) worden, wieder besucht und demselben eröffnet, er sei nun evangelisch und ihrer vier und zwanzig, darunter Doctoren und andere namhafte Leute hätten es sich zugesagt, unter Todesgefahr den wahren christlichen Glauben wieder an den Tag zu bringen …“ Dieser Karsthans, fügte der Stadtrath noch weiter [433] bei, triebe sich gegenwärtig am Neckar umher, wo er auch eingefangen und zu Tübingen eingesetzt wurde. Ein Jahr später, 1523, berichtete die Obrigkeit zu Freiburg an die württembergische Regierung, daß ein gewisser, Namens Karsthans, hin und her dem gemeinen Volke die lutherische Lehre predige und unter evangelischem Scheine es zu einem Bundschuh aufwiegele. Dieser Mann kam auch nach Balingen, wo ihn der Keller zur Rede stellte, warum er predige, da er doch ein Laie und ungeweiht sei. Dieser aber bekam zur Antwort, daß er von den Leiden Christi geweiht und nicht weniger als die Bischöfe und Päpste erlöst sei. Es wäre niemanden verboten, Gottes Wort zu verkünden und er wolle es auch ferner thun oder das Leben verlieren … „Wegen dieser Bekanntnuß wurde er also gefangen genommen und den 4. Martii 1524 nach Tübingen abgeführt.“ Hier erhielten die Amtleute den Befehl, „den Karsthans mit ernstlicher peinlicher Frage wegen seines unchristlichen Predigens und ketzerischen Gemüths zu erkundigen, ob er nicht das gemeine Volk zu Ungehorsam gegen die Obrigkeit verleite …“ Nach dieser amtlichen Urkunde verlieren sich alle und jede Spuren des räthselhaften Mannes und weitere urkundliche oder sonstwie zuverlässige Nachrichten über denselben sind bis jetzt nicht zu ermitteln gewesen. Sein Leben aber endigte wahrscheinlich im Gefängnisse zu Tübingen und vermuthlich in der Folge der „peinlichen Frage“. Man könnte versucht sein, K. für ein Werkzeug Sickingens zu halten, der etwa die Gesinnungen des Volkes untersuchen wollte, inwiefern es dessen Plane zur Erregung eines allgemeinen Aufstandes zu Gunsten der Reformation geneigt sei (vgl. auch über diesen Plan Sickingen’s „Gesprächbüchlein Neu Karsthans“ in Hutten’s Werken V, 455 [Münch] und Münch’s Sickingen I, 208), wenn man nicht mit mehr Wahrscheinlichkeit in diesem K. eine der ersten Spuren jenes unseligen Feuereifers erblickte, der schon in Karlstadt’s Bilderstürmerei zu Wittenberg und bei den Wiedertäufern sich gezeigt hatte. Unter dem Titel „Karsthans“ erschien auch um dieselbe Zeit eine mit vielem Witz geschriebene Satyre mit Holzschnitten, welche so großen Beifall fand, daß sie mit geringen Titel- und Textänderungen neun Auflagen erlebte, und man war früher nicht abgeneigt, den Laienprediger K. selbst oder auch Ulrich von Hutten als Verfasser anzusehen. Beides bleibt nur Vermuthung und selbst Murner in seinem „Großer Lutherischer Narr“ (Kurz v. 2660) sagt deutlich, daß er nicht wisse, wer der Verfasser sei und nennt ihn „der vnbekant vnd verborgen Karsthanß“. Die wirkliche Autorschaft ist auch noch heute unermittelt und selbst die Druckorte der verschiedenen Ausgaben werden uns nicht genannt. Daß aber Süddeutschland, wahrscheinlich Straßburg, die Heimath der Schrift sei, tritt aus ihr selbst, ihrem Namen und ihrem Dialekte deutlich genug entgegen. Die Abfassungszeit fällt höchst wahrscheinlich in das J. 1520, da es auf der ersten Seite des 6. Blattes heißt „Witers wz wunders is gsehen in disem zwentzigsten iar zu Mentz“, wie schon Panzer a. a. O. bemerkt hat, und in einem Briefe Gerbels an Bucer (Ep. Msc. Röhrich I, 119) datirt „Arg. 23. Nov. 1520“ wünscht derselbe dem Murner noch erst einen Züchtiger und schreibt wörtlich: „Molitus alia quaedam stultiora in Lutherum Murr Narr. Deus Apellem aliquem servum excitet qui ἀγϱιον ὀνον colore suo depingat.“ Daß aber das Buch wenn auch nicht in Straßburg selbst, so doch in dessen Gegend gedruckt worden sei, darauf deutet auch folgende Stelle (Bl. 5. Kurz a. a. O. S. 171): „Gang zum grüniger dem trucker (dem bekannten straßb. Buchdrucker Grüninger) vnd heisz dir zwey büchlin geben“. Die Form der Schrift aber ist die einer derben, schlicht verständlichen Antikritik gegen Murner wegen seiner Schmähreden auf Luther und gegen Dr. Eck und dessen mißlungene Leipziger Disputation. Die bis jetzt bekannten 9 Drucke hat Böcking a. a. O. bibliographisch und chronologisch beschrieben [434] und zugleich zu begründen gesucht, daß Hutten der Verfasser der Schrift nicht gewesen sein könne. Den Abdruck der ersten Ausgabe giebt er Hutteni Opp. IV. 620–648 und den des Gesprächbüchleins „New Karsthans“ S. 649 bis 681.
Karsthans, eine halb mysteriöse Persönlichkeit aus den ersten Jahren der Reformationszeit. Der Name wurde von vielen Schriftstellern nur als Collectivbezeichnung genommen für alle Pfaffenfeinde und Reformationsfreunde in den niederen Volksklassen, besonders im Bauernstande, ähnlich den Namen Kegelhans, Flegelkunz, Schlemmerhans, Fritzhans u. a. oder als „der typische Charakter und Namen eines bibelfesten, politisch-ecclesiastisch reformationslustigen Vorläufers der Reformation“. Allein eine Reihe unverwerflicher und gleichzeitiger Zeugnisse deutet ganz unzweideutig auf eine bestimmte Persönlichkeit unter diesem Namen, die sowohl in Straßburg als in Schwaben- Röhrich, Mittheil. a. Gesch. d. evang. Kirche d. Elsasses II, 31; III, 117 und dessen Gesch. d. Reform. im Elsaß I, 135–186. 146. Jung, Beiträge zur Gesch. d. Reform. II, 69. 73. 254–255. 257. Sattler, Gesch. d. Herzogth. Wüttemberg unter den Herzogen II, 105–106. Schreiber, Geschichte der Stadt Freiburg III, 293. Baur, Deutschland in den Jahren 1517–25, S. 73–85. Panzer, Ann. Suppl. S. 197. Flögel, Gesch. d. kom. Lit.III, 184. Waldau, Murners Leben. S. 11. Böcking, Hutteni Opp. III, 566. IV, 616. 619. Maltzahn, Bücherschatz I. Abth. 421. 927. 928. H. Kurz, Th. Murner’s Gedicht vom großen lutherischen Narren V–VIII. Weller, Annalen II, 344. Goedeke, Gr. I, 202. 244.