ADB:Johannes Korngin von Sterngassen

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Artikel „Sterngassen, Johann von“ von Philipp Strauch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 120–122, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Johannes_Korngin_von_Sterngassen&oldid=- (Version vom 1. Dezember 2024, 03:45 Uhr UTC)
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Sterngassen: Johann v. St., deutscher Mystiker des 14. Jahrhunderts. Unter dem Namen „des v. Sterngassen“ oder „Bruder Johannes v. Sternengasse“ sind uns in einer Reihe von Handschriften (zu Basel, Berlin, Koblenz, Einsiedeln, München und Stuttgart) mehr oder weniger umfangreiche Predigtenfragmente und einzelne Sprüche erhalten, die, wenn sie auch nur den kleineren Theil einer ausgedehnten rednerischen und litterarischen Thätigkeit ausmachen, immerhin eine Vorstellung von der Persönlichkeit und Lehrweise des Mannes zu geben vermögen. Die Glaubwürdigkeit der Ueberlieferung wird kaum zu beanstanden sein; Preger’s Versuch für eine Nummer (Zeitschr. für die hist. Theologie 1866, S. 476 ff.) Meister Eckhart als Verfasser zu erweisen, ist abzulehnen (s. Anzeiger für deutsches Alterthum IX, 131; Wackernagel, Altdeutsche Predigten S. 546). Was die Herkunft Sterngassen’s betrifft, so betrachtet man wohl mit Recht, Johann v. St. und Gerhard v. St., von dem eine am Antoniustage im Kölner St. Antoniuskloster gehaltene Predigt, übrigens eine bedeutungslose Heiligenlegende ohne jeglichen mystischen Anflug, in das für Hermann v. Fritzlar zwischen 1343 und 1349 zusammengestellte Heiligenleben (68, 20 f., vgl. A. D. B. XXXI, 552), Aufnahme gefunden hat, für Glieder einer Familie, voreilig jedoch hat man deren Stammsitz in die Sternengasse zu Köln [121] verlegen wollen. Der Umstand, daß Gerhard in Köln gepredigt, oder das unter den Kölner Dominicanern, die 1327 im Eckhartproceß den Protest des Nicolaus von Straßburg unterzeichneten, sich ein Hermannus de Sterrengassen findet (Preger, Meister Eckhart und die Inquisition S. 31), vermuthlich ein dritter des Geschlechtes, gestattet noch keinen Schluß auf die Heimath, für die mindestens eben so gut Oberdeutschland in Anspruch genommen werden darf. Jedenfalls hat Johannes v. St. sich zeitweise in Straßburg aufgehalten und nach Professor Schmidt in Straßburg soll auch Gerhard v. St. urkundlich im J. 1316 als Prior der Straßburger Dominicaner vorkommen. Die Lebenszeit des Johannes v. St. setzen Quétif und Echard viel zu spät, um 1390 an, Johann Meyer von Basel, der ihn einen vortrefflichen Prediger des Wortes Gottes nennt, zu den Jahren 1318–1323. Urkundlich erscheint er zum Jahre 1310 als Bruder Johans v. Sternegasse, Conventual des Straßburger Predigerklosters (Urkundenbuch der Stadt Straßburg III, 206, 15). Ob auch der zum Jahre 1316 ebenda S. 253, 25 erwähnte dictus de Sterregasse frater ord. praedicatorum mit Johannes identisch ist? In einer Stuttgarter Handschrift heißt er „der v. Sterngazzen der brediger lesmeister von Strazburg“ (Pfeiffer, Deutsche Mystiker I, 423) und gewiß ist auch Johannes (nicht Gerhard, wie Cruel annimmt) unter dem v. Sternegazze, Lesemeister zu den Predigern gemeint, aus dessen Predigten wir in einer Berliner Handschrift eine größere Anzahl übrigens oft wenig bedeutender Citate besitzen (Germ. III, 235 ff.); dieser Lesemeister predigte gleichfalls den Dominicanerinnen zu St. Nicolaus zuo den unden (in undis) in Straßburg, demselben Kloster, in dem Tauler 1361 gelegentlich eines Besuches bei seiner Schwester, die dort Nonne war, starb. Im Verzeichniß der magistri theologiae aus dem Predigerorden begegnet fr. Joh. de Sterngasse, natione theut., scripsit lecturam super sententias; allein sein Commentar in die Sentenzen ist verloren. Außerdem nennt ihn Antonius Senensis noch als Verfasser von Commentaren zum Buche der Weisheit und zum Psalter, Quaestiones in totam philosophiam naturalem, in librum de bona fortuna, Predigten de tempore et de sanctis (vgl. auch Serapeum II, 266). – St. ist Vertreter der speculativen Mystik. Das Verhältniß des Schülers zum Lehrer ist nicht auf St. und Meister Eckhart anwendbar, beide sind vielmehr gleichzeitig und wurzeln in der Scholastik, woraus sich die Aehnlichkeit der Gedanken erklärt. Diese Aehnlichkeit wird noch frappanter dadurch, daß St. und Meister Eckhart entschieden geistesverwandte Naturen sind und ihre Persönlichkeit stark hervortreten lassen. Wie bei Eckhart ist bei St. „die Mystik ein ungestüm wallender und wogender Drang des Gemüthes, der sich nur im kühnsten und steilsten Fluge der Speculation befriedigt fühlt“. Gleich Eckhart gebietet auch St. über eine zündende Beredsamkeit, mit Hülfe deren er sich seine Zuhörer völlig gefügig macht und sie zwingend führt, wohin er will. Er gewährt ihnen freien Einblick in seine Gedankenwelt, entwickelt vor ihnen die religiös-philosophischen Probleme von der ersten Anregung an bis zu ihrer Lösung in spannendster Weise, nicht selten in einer Form, die glauben macht, nicht er selbst, sondern der Hörer sei der Gebende, der Lehrende. Er setzt sich mit seinem Publicum in die intimste Wechselwirkung, indem er sich mit einem „nun möchtet ihr sprechen, was meint ihr?, wenn du mich fragst, wenn ihr wüßtet“ an dasselbe wendet, oder etwa mit einer Floskel wie: secht! ir möchten als vil wissen als ich weis und me. was meinet aber, das ich me von got weis denne ir: es ist niut des schult, das ich der buochen me kan, der künste helfe ist gar kleine; es ist des schult, das ir iuch niut als flisseklich aller dingen lidig, blos vnd abgescheiden hant als ich han. Die Gewandtheit und Leichtigkeit, der Glanz seiner Sprache, deren Rhythmus angenehm ins Ohr fällt, deren Stileigenthümlichkeiten lebhafte Anschaulichkeit, knappe, prägnante Ausdrucksweise, [122] glückliche Antithesen, wirkungsvoller Parallelismus im Satzgefüge, geistreiches Wortgeplänkel sind, verführen den Redner gelegentlich zu spielender Schönrednerei, wie zu bedenklich kühnen und überschwenglichen, an Pantheismus streifenden Aeußerungen, die nicht unbeanstandet geblieben zu sein scheinen. – In einer Predigt auf das Fest Johannis des Täufers behandelt St. das vorzeitliche, zeitliche und nachzeitliche Sein der Seele und die verschiedenen Wege zur mystischen Vereinigung mit Gott. So wenig als Gott und der Teufel sich je vereinigen werden, so unmöglich ist es, daß Gott mit der Seele sich vereinige, so lange diese sich nicht aller creatürlichen Bilder entschlagen hat. Ein ander Mal verbreitet er sich über die Ruhe der Seele in Gott. Nur in dem Nicht der Gottheit, d. h. in der bloßen Gottheit, ist diese Ruhe zu finden. Die Seele ist in ihrem Wesen gottförmig, d. h. Gottes Bild; deshalb ist sie alles vermögend und ihr Wirken ist ewig. Alles was Gott wirken kann, das kann sie leiden. Verständige Creaturen ruhen nirgends denn an ihrem Wirken. Was ist das Ziel meines Wirkens? Was in Gott ein Wirken ist, soll in mir ein Leiden sein, was an Gott ein Sprechen ist, das soll in mir ein Hören sein, was an Gott ein Bilden, das soll in mir ein Schauen sein. Dann wieder redet St. über das eine, das noth thut: „das ist schauen, nießen und leiden Gott“, über die Frage, wer Gott sei, wie er in der Einkehr in sich selbst Gott erkannt habe und mit ihm vereinigt ward, über das Wesen der Lauterkeit, über den Zustand, in den Maria versetzt wurde als der Engel zu ihr kam, über das, was man thun solle, „um zuweilen zu sein, wie unserm Herrgott allewege ist“. So erscheint St. als ein oft gedankenreicher und immer anregender Redner. Den fragmentarischen Charakter der Ueberlieferung dürfen wir gerade bei dieser Persönlichkeit besonders bedauern.

Vgl. Wackernagel, Altdeutsches Lesebuch² S. 891 f. – Zeitschrift für deutsches Alterthum VIII, 251 ff. – Wackernagel, Altdeutsche Predigten S. 163 ff., 167 ff., 274. 277. 434 f. 544 ff., der Anfang von Wackernagel’s Nr. 62 (sie fand zusammen mit Nr. 68 in der Basler Tauler-Ausgabe Aufnahme) ging auch in den Tractat eines ungenannten nach-Suso’schen Mystikers über, s. Greith, Die deutsche Mystik im Predigerorden S. 171. – Germ. III, 235 ff. – Ein in der Koblenzer Hs. 43 fol. 71b enthaltener, noch nicht veröffentlichter Tractat (vgl. Mone’s Anz. VI, 74) hat Johannes, nicht Gerhard v. St. (wie Schmidt, Tauler S. 24, Anm. 4 annahm) zum Verfasser, vgl. Wackernagel, Altd. Predigten 165, 55 ff. – Zeitschrift für die hist. Theologie XXXVI, 476 ff., vgl. Anz. für deutsches Alterthum IX, 131. – Denifle in seinem Arch. für Litteratur u. Kirchengesch. II, 191. 228. 525. 528 f. 647. – Bach, Meister Eckhart S. 180, Anm. 7. – Preger, Gesch. der deutschen Mystik II, 116 ff. 178 ff. 242 f. – Cruel, Gesch. der deutschen Predigt S. 404. 439 f. – Linsenmayer, Gesch. der Predigt in Deutschland S. 131, Anm. 2 und S. 440 f.