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Artikel „Jagemann, Ludwig von“ von v. Jagemann. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 643–645, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jagemann,_Ludwig_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 20:15 Uhr UTC)
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Jagemann: Ludwig Hugo Franz v. J., Rechtsgelehrter, geb. am 13. Juni 1805 in Gerlachsheim, † am 11. Juli 1853 zu Karlsruhe in Baden, erhielt [644] seine Schulbildung in Mannheim, wo sein Vater als Hofgerichtspräsident fungirte. Obwol besonderes Talent den Knaben schon zur Malerei hinzog, widmete er sich dem väterlichen Wunsch gemäß bei Eintritt der Entscheidungszeit der Jurisprudenz und bezog die Hochschulen Heidelberg und Göttingen; Nach rühmlich bestandener Prüfung trat er zuerst in den standesherrlichen Dienst in Wertheim, ging aber bald in den badischen Staatsdienst über, in welchem er nach Bekleidung verschiedener Aemter in Verwaltung, Rechtsprechung und Staatsanwaltschaft im J. 1843 zum Justizministerialrath befördert wurde. Diese Stellung hatte er mit Ausnahme eines kürzeren zeitlichen Zwischenraums, in welchem er als Generalauditor beschäftigt war, bis zu seinem Tode inne. – Werkthätiges Wohlwollen verlieh ihm auf die Heranbildung jüngerer Fachgenossen besonderen Einfluß. Der reiche Schatz seines allgemeinen Wissens machte ihn zum Mittelpunkt kunstliebender Kreise und führte ihn zum belletristischen Schaffen hin; insbesondere bietet von seinen Arbeiten letzterer Gattung eine Skizze seiner Reiseeindrücke aus Deutschland und Oesterreich, welche 1846 in 2 Bänden unter dem Titel „Deutsche Männer und deutsche Städte, nebst Betrachtungen über Kunst, Leben und Wissenschaft“ erschien, interessante, damals zeitgenössische Bilder dar. Allein seine eigentliche Bedeutung besteht in der Förderung, welche er theoretisch und praktisch als Schriftsteller und Beamter der Pflege des Strafrechts, des Gefängnißwesens und des Civil- und Straf-Processes angedeihen ließ. Während in der ersten Periode des 19. Jahrhunderts Deutschland noch unter dem Banne des schriftlichen und geheimen Verfahrens stand und die Richter in der Regel ohne unmittelbaren Verkehr mit den Parteien und den Angeklagten ihre Sprüche gaben, während damals der Strafvollzug in keiner Weise höheren Strafzwecken entsprach und das materielle Criminalrecht sich als ein der Willkür Thür und Thor öffnender usus modernus der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karl V. darstellte, so erscholl bald der Ruf nach einer eingehenden Reform, welche auch um die Mitte des Jahrhunderts in den bedeutenderen Staaten erfolgte. Dieser Reform zu dienen, auf die Verbesserung des Verfahrens und auf die Herstellung verständlicher Strafgesetzbücher mit nationaler Rechtsgrundlage hinzuwirken, das war Jagemann’s vornehmstes Ziel, dem er sein Schaffen zuwendete. In einer im J. 1831 erschienenen Schrift stellte er zunächst „die Anforderungen der Zeit an den Stand der Civilrichter“ fest. Sodann gab er 1838 sein „Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde“ heraus, in welchem erstmals die Kunst des Inquirirens wissenschaftlich behandelt worden ist; allerdings steht dasselbe gänzlich auf dem Boden des Inquisitionsprocesses, während der moderne Anklageproceß bereits nach wenigen Jahren in Sicht kam; allein auch in diesem Lehrgebäude finden sich zur Beseitigung richterlicher Mißbräuche und der Inhumanität viele Fingerzeige. Deutlicher tritt der Gedanke einer gründlichen Läuterung des Processes bereits bei der Gründung der „Zeitschrift für deutsches Strafverfahren“ (1840) hervor, welche von ihm gemeinsam mit dem Hofgerichtsrath Fr. Nöllner in Gießen und dem später hinzutretenden Stadtgerichtsdirector J. D. H. Temme in Tilsit geleitet wurde und unter ihren Mitarbeitern die berühmtesten Criminalisten jener Zeit zählte. Nachdem sie im J. 1847 hatte eingehen müssen, rief J. bereits im J. 1849 den bei Ferdinand Enke in Erlangen verlegten „Gerichtssaal“ als eine „Zeitschrift für volksthümliches Recht“ ins Leben, welche in einer den heutigen Bedürfnissen entsprechenden veränderten Gestalt jetzt noch besteht. In beiden Zeitschriften finden sich viele Abhandlungen Jagemann’s und in dem Prospect der letzteren stellte er die leitende Grundidee auf: ein volksthümliches Strafrecht müsse geschaffen, die Federherrschaft im Verfahren ausgerottet und das lebendige Wort zur Herrschaft gebracht werden, – man müsse die Oeffentlichkeit der Verhandlungen [645] einführen und die Laien in die Rechtsprechung mit eintreten lassen. Ein wesentlicher Zweck des Gerichtssaals war es auch, die neuentstehende Gesetzgebung im Verfahren unter Darstellung ihrer ausländischen Vorbilder zu erläutern und den Gerichtspersonen zur Erleichterung des Uebergangs den neuen Weg mit kundiger Hand zu weisen. – Zudem bethätigte J. diese Bestrebungen in besonders eingehendem Maße bei Einführung der neuen Criminalgesetze in Baden; er betheiligte sich nämlich als Regierungscommissär bei der parlamentarischen Behandlung (des nachher auch von ihm annotirten) Strafgesetzbuchs von 1845 bzw. 1851 und gab gemeinsam mit seinem Freunde, dem noch lebenden Geheimrath Brauer „Beiträge zur Erläuterung der neuen Strafgesetzgebung“ heraus, welche durch specielle Erläuterung ausgewählter Materien zum Verständniß des neuen Strafrechts und Strafverfahrens dienlich waren. Eben diesem Freunde fiel auch als eine von J. hinterlassene Aufgabe die Vollendung des „Criminallexikons“ zu, welches in gedrängter Form aber mit eingehenden Nachweisungen der Litteratur, den criminalistischen Stoff umfaßte und nur zum Theil von ihm selbst herausgegeben oder fertig gestellt war, als ihn der Tod ereilte. – Auch in anderen Beziehungen als den bereits bezeichneten lenkte die Berufsthätigkeit J. auf die besondere Pflege einzelner Theile des Strafrechts hin. So erwuchs aus seiner Beschäftigung als Chef der Militärjustiz die von Humanität durchdrungene Schrift „Die Militärstrafen im Lichte der Zeit“. Die obere Leitung der Strafanstalten und die Einführung des Pönitentiärsystems in dem als deutscher Musteranstalt bestehenden Zuchthause zu Bruchsal und seine damit zusammenhängenden Reisen nach Frankreich, Belgien und England zur Erforschung des dortigen Strafvollzugs ergaben ihm eine reiche Summe specieller Kenntnisse und Erfahrungen, die er in seiner Schrift „Rechtsbegründung und Verwirklichung der Einzelhaft in Strafgefängnissen“ verbreitete. Der Pflege der gerichtlichen Medicin und ihrer Staatseinrichtungen widmete er besondere Aufmerksamkeit. – Sein arbeitsreiches Leben war durch eine reiche Reihe von Anerkennungen geziert; unter diesen erfreute ihn besonders das im J. 1838 schon verliehene Ehrendoctorat von der juristischen Facultät in Heidelberg, mit deren berühmten Lehrern Mittermaier, Roßhirt, Thibaut und Zachariä er in vertrauter Verbindung stand.

Karlsruher Zeitung 1853, Nr. 166. Gerichtssaal 1853, II, S. 244 ff. v. Weech, Badische Biographien (Heidelberg 1875) Bd. 1. S. 421/2.
v. Jagemann.